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Ausgabe 1/2021Januar vom 03.01.2021Druckversion der Zeitung (pdf-Format ohne weiterführende Links). |
Herausgeber und verantwortlich im Sinne des
Pressegesetzes Dorothea Strake erscheint alle 2 Monate Liebe Leser, hier unsere neue Ausgabe von "Sozialrecht Online".
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Blindengeldgesetz Bayerisches Blindengeld nur bei blindheitsbedingten Mehraufwendungen Bayerisches Landessozialgericht - L 15 BL 6/19 - Urteil vom 06.10.2020 Wenn aufgrund eines bestimmten Krankheitsbildes typischerweise von vornherein kein Mehraufwand speziell durch die Blindheit entstehen kann, weil etwa ein derart multimorbides oder die Blindheit überlagerndes Krankheitsbild besteht, dass aus der Blindheit keinerlei eigenständige Aufwendung in materieller oder immaterieller Hinsicht folgt, kann die gesetzliche Zielsetzung der Blindengeldgewährung nicht erreicht werden. Ist ein Blinder z.B. wegen seiner Erkrankung (hier schwere hypoxische Hirnschädigung mit Bewusstseinsstörung und Tetraspastik) völlig hilflos und objektiv nicht in der Lage, noch irgendetwas sinnvoll wahrzunehmen bzw. zu verarbeiten, wäre eine Gewährung von Blindengeld zweckverfehlt. Aufwendungen für die allgemeine pflegerische Betreuung stellen keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen dar. <<< nach oben >>> Blindengeldgesetz Bayerisches Blindengeld nur bei blindheitsbedingten Mehraufwendungen Bayerisches Landessozialgericht - L 15 BL 9/14 - Urteil vom 11.02.2020 Wenn aufgrund eines bestimmten Krankheitsbildes typischerweise von vornherein kein Mehraufwand speziell durch die Blindheit entstehen kann, weil etwa ein derart multimorbides oder die Blindheit überlagerndes Krankheitsbild besteht, dass aus der Blindheit keinerlei eigenständige Aufwendung in materieller oder immaterieller Hinsicht folgt, kann die gesetzliche Zielsetzung der Blindengeldgewährung nicht erreicht werden. Ist ein Blinder z.B. wegen seiner Erkrankung (hier Demenz) völlig hilflos und objektiv nicht in der Lage, noch irgendetwas sinnvoll wahrzunehmen bzw. zu verarbeiten, wäre eine Gewährung von Blindengeld zweckverfehlt. Aufwendungen für die allgemeine pflegerische Betreuung stellen keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen dar. <<< nach oben >>> Keine zeitliche Teilung eines den GdB herabsetzenden Bescheides Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 13 SB 271/19 - Urteil vom 16.06.2020 Nach § 48 Abs. 1, Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei dem Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wird der Verwaltungsakt gleichzeitig (rechtswidrig) ebenfalls auf § 48 SGB X gestützt teilweise auch für die Vergangenheit aufgehoben, ist der gesamte Aufhebungsbescheid aufzuheben, denn eine teilweise Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes setzt naturgemäß dessen Teilbarkeit voraus. Ein Aufhebungsbescheid ist jedoch nicht derart in zeitlicher Hinsicht teilbar, dass einer rechtswidrig zu früh einsetzenden Wirkung durch Aufhebung des Bescheides nur für einen Teilzeitraum Rechnung getragen und der Bescheid im Übrigen aufrechterhalten werden könnte. <<< nach oben >>> Eine neurostimulierte Grazilisplastik bedingt einen GdB von mindestens 60 Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 13 SB 218/19 - Beschluss vom 20.05.2020 Für die GdB-Beurteilung der Versorgung mit einer neurostimulierten Grazilisplastik sind die Maßstäbe heranzuziehen, die der Verordnungsgeber nach B 10.2.4 VMG für einen künstlichen After vorgeschrieben hat. <<< nach oben >>> Aussetzung der Vollstreckung aus positiven aG-Urteil Bayerisches Landessozialgericht - L 18 SB 160/20 ER - Beschluss vom 01.12.2020 Das Rechtsmittelgericht kann die Vollstreckung aus einem Urteil / Gerichtsbescheid, mit dem dem Kläger der Nachteilsausgleich aG zugesprochen wird, durch einstweilige Anordnung aussetzen, wenn ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat. Mitentscheidend ist das Ergebnis der summarischen Prüfung der Erfolgsaussicht des Rechtsmittels. Lässt sich keine offensichtliche Erfolgsaussicht der Berufung feststellen, spricht das gegen eine Aussetzung, zumal ein besonderer Nachteil der beklagten Verwaltung aufgrund der Nutzung von Behindertenparkplätzen durch den behinderten Kläger nicht ersichtlich ist. <<< nach oben >>> GdB für Einnierigkeit Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 13 SB 236/19 - Urteil vom 20.11.2020 Einnierigkeit bedingt nach Teil B Nr. 12.1.1 VMG einen Einzel-GdB von 25. Wenn es sich nicht um das einzige einen GdB bedingende Leiden handelt, ist eine Aufrundung auf einen GdB von 30 nicht geboten. <<< nach oben >>>
Erledigung einer Untätigkeitsklage Bundessozialgericht - B 4 AS 13/20 R - Urteil vom 17.09.2020 Eine Untätigkeitsklage kann nach § 88 SGG zulässigerweise nur auf die Verurteilung der beklagten Behörde gerichtet sein, über einen Antrag oder einen Widerspruch zu entscheiden. Erlässt die Behörde nach Erhebung einer Untätigkeitsklage einen entsprechenden Bescheid, hat sich das Klagebegehren objektiv erledigt, es bedarf zur Beendigung des Rechtsstreites aber gemäß § 88 Abs. 1 Satz 3 SGG der Erledigungserklärung durch den Kläger. Erfolgt eine solche Erklärung nicht, ist die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abzuweisen. <<< nach oben >>> Säumniszuschläge Bundessozialgericht - B 12 R 28/18 R - Urteil vom 07.07.2020 Die Erhebung von Säumniszuschlägen unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie verstoßen nicht gegen das Übermaßverbot. Das BSG hat bereits in einer Entscheidung vom 29.8.2012 darauf hingewiesen, dass es sich bei der oben dargestellten "Doppelfunktion" der Säumniszuschläge zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit und finanziellen Stabilität der Sozialversicherung um einen überragend wichtigen Gemeinwohlbelang und ein legitimes gesetzgeberisches Ziel handelt. Auch unter Berücksichtigung der vom BFH geäußerten schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Zweifel an der Höhe von Nachzahlungszinsen hat der Senat keinen Anlass, die Verfassungsmäßigkeit des § 24 SGB IV in Frage zu stellen. Die Entscheidung des BFH betraf nicht die Höhe von Säumniszuschlägen nach § 240 AO, sondern die Höhe der Nachzahlungszinsen im Sinne von § 233a i.V.m. § 238 AO. Nach Zweck und Funktion der Säumniszuschläge im Sozialversicherungsrecht stehen jedenfalls die am Markt zu erzielenden Zinsen nicht im Vordergrund. Zudem sieht das Gesetz mit der Kleinstbetragsregelung nach § 24 Abs. 1 Satz 2 SGB IV, der Berücksichtigung unverschuldeter Unkenntnis von der Zahlungspflicht nach § 24 Abs. 2 SGB IV sowie mit den Regelungen zur Stundung, Niederschlagung und zum Erlass nach § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 SGB IV umfassende Regelungen zur Vermeidung einer möglichen Härte oder Unverhältnismäßigkeit im Einzelfall vor. <<< nach oben >>> Erfolg eines Widerspruchs Bundessozialgericht - B 9 SB 4/19 R - Urteil vom 24.09.2020 Ein Widerspruch hat immer dann Erfolg i.S. des Gesetzes, wenn und soweit ihm die Behörde stattgibt. Der Erfolg eines Widerspruchs bemisst sich nicht danach, ob der Argumentation des Widerspruchsführers gefolgt wurde. Auch kommt es nicht darauf an, aus welchen (tatsächlichen oder rechtlichen) Gründen der Widerspruch erfolgreich ist. Vielmehr ist hier eine rein formale Betrachtungsweise geboten. Deshalb ist der Erfolg eines eingelegten Widerspruchs allein am tatsächlichen (äußeren) Verfahrensgang der §§ 78 ff SGG zu messen. Maßgebend für die Beantwortung der Frage, ob und inwieweit der Widerspruch erfolgreich oder erfolglos war, ist ein Vergleich des mit dem Widerspruch Begehrten und des Inhalts der das Vorverfahren abschließenden Sachentscheidung. Denn diese Frage soll im Rahmen der Kostenentscheidung nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht mit "schwierigen rechtlichen Auseinandersetzungen" belastet werden. <<< nach oben >>> Kein Verzicht auf Tatbestand und Entscheidungsgründe bei zurückverweisendem Urteil Sozialgericht Aachen - S 12 SB 355/19 ZVW - Urteil vom 27.10.2020 Eine Zurückverweisung nach § 159 SGG setzt die Ausübung von Ermessen voraus. Schon deshalb ist fraglich, ob ein Rechtsmittelverzicht dazu führen kann, dass Tatbestand und Entscheidungsgründe in der zurückverweisenden Entscheidung entfallen. Jedenfalls scheidet ein Entfall von Tatbestand und Entscheidungsgründe deshalb aus, weil im Hinblick auf die Bindungswirkung des § 159 Abs. 2 SGG nicht klar ist, wieweit die Bindungswirkung denn reichen soll. <<< nach oben >>>
Fotokopien Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht - L 5 SF 301/20 B E - Beschluss vom 24.11.2020 In welchem Umfang es "geboten" ist, Kopien zu fertigen, ist von einem objektiven Maßstab aus, also dem Standpunkt eines vernünftigen, sachkundigen Dritten zu beurteilen.. Es ist indes anerkannt, dass der Rechtsanwalt bei der Entscheidung, in welchem Umfang er Kopien aus behördlichen Akten fertigen will, einen nicht zu engen, sondern eher großzügigen Ermessensspielraum hat. Die äußere Grenze dieses Spielraums ist unstreitig überschritten, wenn der Rechtsanwalt ungeprüft die gesamte Gerichts- oder Verwaltungsakte einschließlich solcher Schriftstücke durch juristisch nicht geschulte Kanzleikräfte kopieren lässt, die für die Sachbearbeitung offensichtlich ohne Belang sind. Andererseits ist es dem Rechtsanwalt nicht zuzumuten, bereits bei Akteneinsichtnahme jede Seite vollständig zu lesen und gerade bei umfangreichen Verwaltungsakten, deren Vervielfältigung größtenteils geboten ist, diejenigen Schriftstücke einzeln zu identifizieren und auszusondern, die ausnahmsweise nicht zu vervielfältigen sind. Grundsätzlich nicht in Rechnung gestellt werden kann danach die Vervielfältigung doppelt in der Akte befindlicher Schriftstücke, eigener Schriftsätze des Rechtsanwalts, sofern es nicht auf den Nachweis des Eingangs bei der Behörde (Eingangsstempel) ankommt und solcher Schriftstücke, von denen der Rechtsanwalt anderweitig bereits Ablichtungen hat. <<< nach oben >>>
Vermögens- und Einkommensberechnung innerhalb einer Haushaltsgemeinschaft Bundessozialgericht - B 14 AS 55/19 R - Urteil vom 03.09.2020 Bei den in einer Haushaltsgemeinschaft vermuteten Unterstützungsleistungen i.S. des § 9 Abs. 5 SGB II handelt es sich (stets) um Einnahmen i.S. des § 11 SGB II des - ansonsten - hilfebedürftigen Angehörigen. Das Vermögen der mutmaßlich unterstützenden kann nicht als Vermögen des Unterstützten im Sinne des § 12 SGB II berücksichtigt werden. Eine wechselseitige Vermögensberücksichtigung besteht nur innerhalb der Bedarfsgemeinschaft und ist im Verhältnis vom Kind zu seinen Eltern und umgekehrt im Übrigen ausgeschlossen (vgl. § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II). <<< nach oben >>> Sozialwidriges Verhalten Bundessozialgericht - B 14 AS 43/19 R - Urteil vom 03.09.2020 Der einen Ersatzanspruch nach § 34 SGB II tragende Vorwurf der Sozialwidrigkeit ist darin begründet, dass der Betreffende - im Sinne eines objektiven Unwerturteils - in zu missbilligender Weise sich selbst oder seine unterhaltsberechtigten Angehörigen in die Lage gebracht hat, existenzsichernde Leistungen in Anspruch nehmen zu müssen. Verwendet er etwa erzielte Einnahmen nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts und wird dadurch Hilfebedürftigkeit herbeigeführt, kann dies einen Ersatzanspruch nach § 34 SGB II auslösen, wenn ein anderes Ausgabeverhalten grundsicherungsrechtlich abverlangt war. Vergleichbar hat das BVerwG sozialwidriges Verhalten erwogen bei der Aufgabe eines bestehenden Krankenversicherungsschutzes oder bei der Schaffung einer Lage, die trotz vorangegangener Versagung zur Leistung von Sozialhilfe zwingt. Einzubeziehen bei dieser Einordnung sind schließlich auch die im SGB II festgeschriebenen Wertmaßstäbe, in denen sich ausdrückt, welches Verhalten als dem Grundsatz der Eigenverantwortung vor Inanspruchnahme der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zuwiderlaufend angesehen wird. <<< nach oben >>> Stationäre Unterbringung Bundessozialgericht - B 14 AS 41/19 R - Urteil vom 03.09.2020 Ob von einer Leistungen nach dem SGB II ausschließenden Gesamtverantwortung eines Einrichtungsträgers auszugehen ist, beurteilt sich nach dem der Maßnahme bei deren Beginn zugrunde gelegten Therapiekonzept und nicht nach der Ausgestaltung und Entwicklung der einzelnen therapeutischen Angebote im weiteren Verlauf. Das ist in dem Merkmal der Gesamtverantwortung schon insofern angelegt, als nach der Rechtsprechung des BVerwG und der des BSG von einer solchen Verantwortlichkeit nur ausgegangen werden kann, wenn sie sich - wenn auch u.U. mit abnehmender Intensität - von der Aufnahme bis zur Entlassung des Leistungsberechtigten erstreckt; eine besondere Verantwortlichkeit nur für den Beginn der Maßnahme reicht hingegen nicht. Das entspricht auch dem von den Regelungen zur Abgrenzung von SGB XII und SGB II bei stationären Aufenthalten u.a. verfolgten Zweck, kurzzeitige Wechsel zwischen den beiden Existenzsicherungssystemen zu vermeiden und zu einer klaren Abgrenzung der Systeme beizutragen. Demgemäß ist nach der Rechtsprechung des Senats zum Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II die Zeit einer vorherigen stationären Unterbringung in die Abschätzung der Dauer eines Krankenhausaufenthalts einzubeziehen, wenn die hilfebedürftige Person währenddessen keine Leistungen nach dem SGB II bezogen hat. Vergleichbar muss beim Aufenthalt in anderen Einrichtungen für Träger wie für Leistungsberechtigte zu Maßnahmebeginn feststehen, ob eine Leistungszuständigkeit nach dem SGB II oder dem SGB XII begründet ist. <<< nach oben >>> Zuwendungen der Wohlfahrtspfege Bundessozialgericht - B 4 AS 3/20 R - Urteil vom 17.09.2020 Nach der Konzeption des § 11a Abs. 4 SGB II (Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege) kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Träger der freien Wohlfahrtspflege Zuwendungen nur dann erbringen, wenn diese tatsächlich gerechtfertigt und angemessen sind, also etwa auch der Umfang einer Zuwendung stets wegen eines vom Träger der freien Wohlfahrtspflege damit verfolgten Zwecks deren vollständige Nichtanrechnung nach § 11a Abs. 4 SGB II rechtfertigt. Die zur Umsetzung des Subsidiaritätsgrundsatzes von dem Gesetzgeber ausdrücklich festgeschriebene Gerechtfertigkeitsprüfung wirkt vielmehr begrenzend. Nach diesen Maßstäben ist für die zu entscheidende Fallgestaltung der Anrechenbarkeit von Zuwendungen in Form von regelmäßigen, nicht unerheblichen monatlichen Geldbeträgen aus einem Zuverdienstprojekt an einen erwerbsfähigen Leistungsberechtigen nach dem SGB II, die über einen längeren Zeitraum erbracht werden, deren Berücksichtigung entsprechend den für das Einkommen aus Erwerbstätigkeit geltenden Regelungen gerechtfertigt. Insofern liegt bei erwerbsfähigen Alg II-Berechtigten, die bei prognostischer Betrachtung zumindest während des (damaligen) Regelbewilligungszeitraums von mindestens sechs Monaten in einem Zuverdienstprojekt beschäftigt werden, eine vergleichbare Lage wie bei "Erwerbsaufstockern" im SGB II vor. Ähnlich der Zweckbestimmung bei den Motivationszuwendungen dienen auch die Erwerbstätigenpauschale nach § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II sowie der Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11b Abs. 3 SGB II dem Ausgleich für arbeitsbedingte Mehraufwendungen und der Stärkung des Arbeits- und Selbsthilfewillens. Die Freistellungen von der Einkommensanrechnung sollen einen Anreiz für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bieten, damit die Leistungsberechtigen mittelfristig aus eigenen Kräften und möglichst ohne Unterstützung der Grundsicherung für Arbeitsuchende in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. <<< nach oben >>> Feststellung einer Pflichtverletzung Bundessozialgericht - B 14 AS 24/17 R - Urteil vom 03.09.2020 Zwar ist ein Verwaltungsakt über die Feststellung von Pflichtverletzung und Minderung im SGB II jedenfalls dann isoliert anfechtbar, wenn in demselben Bescheid von einer Umsetzung der Feststellung abgesehen wird. Sind aber der Verwaltungsakt über die Feststellung von Pflichtverletzung und Minderung sowie der Umsetzungsverwaltungsakt über die Bewilligung des geminderten Alg II in einem Bescheid miteinander verbunden ist angesichts der gebotenen effektiven Rechtsschutzgewährung kein Raum für eine isolierte Entscheidung über die Pflichtverletzung und Minderung. Denn aus einer dahingehenden Feststellung ergeben sich zunächst keine weiteren Ansprüche. Das bei einem Erfolg dieser isolierten Anfechtungsklage notwendige weitere Verwaltungsverfahren und ggf. Gerichtsverfahren zur Korrektur der Bewilligungsentscheidung soll durch Verbindung des Verwaltungsakts über die Feststellung von Pflichtverletzung und Minderung sowie des Umsetzungsverwaltungsakts gerade vermieden werden. Zudem umfasst bei einem isolierten Verwaltungsakt über die Feststellung von Pflichtverletzung und Minderung dessen rechtzeitige Anfechtung auch ein Aufhebungsbegehren im Hinblick auf den Umsetzungsverwaltungsakt. <<< nach oben >>> Schlüssiges Konzept Bundessozialgericht - B 14 AS 40/19 R - Urteil vom 03.09.2020 Wenn der Behörde die Erstellung oder Nachbesserung eines schlüssigen Konzepts nicht möglich ist, ist das LSG nur nach den folgenden Maßgaben berechtigt, eigene abstrakte Angemessenheitswerte festzulegen. Gerichte sind zwar zur Herstellung der Spruchreife der Sache verpflichtet, aber nicht befugt, ihrerseits ein schlüssiges Konzept - ggf. mit Hilfe von Sachverständigen - zu erstellen. Zur Herstellung der Spruchreife bei der Bestimmung abstrakt angemessener Aufwendungen für Unterkunft kann das Gericht nur auf schon vorhandene Datengrundlagen zurückgreifen. Diese Datengrundlagen müssen die vergleichsraumbezogene, zeit- und realitätsgerechte Bestimmung abstrakter Angemessenheitswerte gewährleisten können. Zugleich hat sich das Gericht davon zu überzeugen, dass für den von ihm festgelegten abstrakten Angemessenheitswert Wohnraum in hinreichender Anzahl tatsächlich verfügbar ist. Denn dieser Wert muss nicht nur geeignet sein, abstrakt angemessene Unterkunftskosten für die aktuell bewohnte Unterkunft zu definieren. Er stellt im Grundsatz auch die Höhe der Aufwendungen dar, zu der bei einem zur Kostensenkung erforderlichen Umzug (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II) innerhalb des örtlichen Vergleichsraums unabhängig von den Umständen des Einzelfalls neuer - kostenangemessener - Wohnraum angemietet werden können muss. Sieht das Gericht keine Möglichkeit, unter diesen Vorgaben abstrakte Angemessenheitswerte selbst festzulegen, bleibt der Rückgriff auf die Beträge aus § 12 WoGG. <<< nach oben >>> Schlüssiges Konzept für Duisburg Bundessozialgericht - B 4 AS 11/20 R - Urteil vom 17.09.2020 Nach der Rechtsprechung des BSG soll das schlüssige Konzept die Gewähr dafür bieten, dass die aktuellen Verhältnisse des Mietwohnungsmarkts im Vergleichsraum dem Angemessenheitswert zugrunde liegen und dieser realitätsgerecht ermittelt wird. Schlüssig ist ein Konzept, wenn es neben rechtlichen zudem bestimmte methodische Voraussetzungen erfüllt und nachvollziehbar ist. Dies erfordert trotz Methodenvielfalt insbesondere eine Definition der untersuchten Wohnungen nach Größe und Standard, Angaben über die Art und Weise der Datenerhebung, Angaben über den Zeitraum, auf den sich die Datenerhebung bezieht, Repräsentativität und Validität der Datenerhebung, Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze bei der Datenauswertung, Vermeidung von "Brennpunkten" durch soziale Segregation sowie eine Begründung, in der die Ermittlung der Angemessenheitswerte aus den Daten dargelegt wird. Ob ein solches Konzept die genannten methodischen Voraussetzungen erfüllt und nachvollziehbar ist, ist revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbar. Das BSG hat aus § 22 Abs. 1 SGB II lediglich verallgemeinerbare, d.h. nicht von den jeweiligen Wohnungsmärkten abhängige und entwicklungsoffene Grundsätze bzw. Prüfungsmaßstäbe entwickelt, die Raum für die Berücksichtigung von regionalen Bedingungen lassen. <<< nach oben >>> Minderung des Arbeitslosengeldes II Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 32 AS 2354/15 - Urteil vom 14.10.2020 Der Gesetzgeber hat (lediglich) Sorge dafür zu tragen, dass trotz Wegfalls des Arbeitslosengeldes II die Chance realisierbar bleibt, existenzsichernde Leistungen zu erhalten, wenn zumutbare Mitwirkungspflichten erfüllt werden oder, falls das nicht möglich ist, die ernsthafte und nachhaltige Bereitschaft zur Mitwirkung tatsächlich vorliegt. Anders liegt dies folglich, wenn und solange Leistungsberechtigte es selbst in der Hand haben, durch Aufnahme einer ihnen angebotenen zumutbaren Arbeit (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II) ihre menschenwürdige Existenz tatsächlich und unmittelbar durch die Erzielung von Einkommen selbst zu sichern. Ihre Situation ist dann im Ausgangspunkt derjenigen vergleichbar, in der keine Bedürftigkeit vorliegt, weil Einkommen oder Vermögen aktuell verfügbar und zumutbar einsetzbar sind. Wird eine solche tatsächlich existenzsichernde und im Sinne des § 10 SGB II zumutbare Erwerbstätigkeit ohne wichtigen Grund im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II willentlich verweigert, obwohl im Verfahren die Möglichkeit bestand, dazu auch etwaige Besonderheiten der persönlichen Situation vorzubringen, die einer Arbeitsaufnahme bei objektiver Betrachtung entgegenstehen könnten, ist daher ein vollständiger Leistungsentzug zu rechtfertigen (Rdnrn. 208, 209). Das Grundgesetz verwehrt dem Gesetzgeber (nämlich) nicht, die Inanspruchnahme sozialer Leistungen zur Sicherung der menschenwürdigen Existenz an den Nachranggrundsatz zu binden, also nur dann zur Verfügung zu stellen, wenn Menschen ihre Existenz nicht vorrangig selbst sichern können. Auch der soziale Rechtsstaat ist darauf angewiesen, dass Mittel der Allgemeinheit, die zur Hilfe für deren bedürftige Mitglieder bestimmt sind, nur in Fällen in Anspruch genommen werden, in denen wirkliche Bedürftigkeit vorliegt. Eine daran anknüpfende Schonung der begrenzten finanziellen Ressourcen des Staates sichert diesem künftige Gestaltungsmacht gerade auch zur Verwirklichung des sozialen Staatsziels. Das Grundgesetz steht auch einer Entscheidung des Gesetzgebers nicht entgegen, von denjenigen, die staatliche Leistungen der sozialen Sicherung in Anspruch nehmen, zu verlangen, an der Überwindung ihrer Hilfebedürftigkeit selbst aktiv mitzuwirken oder die Bedürftigkeit gar nicht erst eintreten zu lassen (Rdnrn. 123, 124, 126). Demgegenüber kann ein legitimes Ziel solcher Mitwirkungspflichten nicht darin gesehen werden, die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit zu fördern. Art. 1 Abs. 1 GG schützt die Würde des Menschen, wie er sich in seiner Individualität selbst begreift und seiner selbst bewusst ist. Das schließt Mitwirkungspflichten aus, die auf eine staatliche Bevormundung oder Versuche der "Besserung" gerichtet sind. Wird die Verletzung einer Mitwirkungspflicht durch eine Minderung existenzsichernder Leistungen sanktioniert, fehlen der bedürftigen Person allerdings Mittel, die sie benötigt, um die Bedarfe zu decken, die ihr eine menschenwürdige Existenz ermöglichen. Mit der verfassungsrechtlichen Gewährleistung einer menschenwürdigen Existenz kann eine Leistungsminderung dennoch vereinbar sein. Sie kann die Anforderungen aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG wahren, wenn sie nicht darauf ausgerichtet ist, repressiv Fehlverhalten zu ahnden, sondern darauf, dass Mitwirkungspflichten erfüllt werden, die gerade dazu dienen, die existenzielle Bedürftigkeit zu vermeiden oder zu überwinden. Dann dient die Leistungsminderung wie auch die Pflicht, die mit ihr durchgesetzt werden soll, dazu, den existenznotwendigen Bedarf auf längere Sicht nicht mehr durch staatliche Leistung, sondern durch die Eigenleistung der Betroffenen zu decken. Der Gesetzgeber kann insofern staatliche Leistungen zur Sicherung der Existenz auch mit der Forderung von und Befähigung zu eigener Existenzsicherung verbinden. Es gelten jedoch strenge Anforderungen der Verhältnismäßigkeit. Insbesondere muss es den Betroffenen tatsächlich möglich sein, die Minderung staatlicher Leistungen durch eigenes zumutbares Verhalten abzuwenden und die existenzsichernde Leistung wiederzuerlangen. <<< nach oben >>> Pump- und Zündstrom Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 12 AS 2055/18 - Urteil vom 28.10.2020 Wird der Stromverbrauch zum Betrieb der Heizungsanlage nicht gesondert erfasst (etwa über einen separaten Zähler oder Zwischenzähler), sind die hierfür entstehenden Kosten entsprechend § 202 S. 1 SGG i.V.m. § 287 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) zu schätzen. Anknüpfungspunkte für die Schätzung können sich dabei aus den in der mietrechtlichen Rechtsprechung gebräuchlichen Berechnungsmethoden ergeben. Diese stellen entweder auf einen geschätzten Anteil der Brennstoffkosten ab oder auf den geschätzten Stromverbrauch der Heizungsanlage während der ebenfalls geschätzten durchschnittlichen Betriebsstunden ihrer wesentlichen elektrischen Vorrichtungen. <<< nach oben >>> Die nächste Ausgabe unserer Zeitschrift erscheint im März 2021! |
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