Ausgabe    5/2020 

September vom 06.09.2020

Druckversion der Zeitung (pdf-Format ohne weiterführende Links).

     Rechtsprechung

Schwerbehindertenrecht

Verfahrensrecht

Krankenversicherung

Rentenversicherung

Anwaltshonorar

Grundsicherung für Arbeitssuchende SGB II

 

     Service

Herausgeber und verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes Dorothea Strake
Dorfstr. 31, 34399 Wesertal

 erscheint alle 2 Monate


Liebe Leser,

hier unsere neue Ausgabe von "Sozialrecht Online".

 

Viel Spaß beim Lesen wünscht
Ihr Team des Sozialmedizinischen Verlags.


Rechtsprechung

Schwerbehindertenrecht

Kein “BL” wegen psychogener Blindheit

Landessozialgericht NRW - L 13 SB 385/14 - Urteil vom 19.06.2020

Gemäß Teil A Nr. 6 VMG ist blind ein behinderter Mensch, dem das Augenlicht vollständig fehlt, dessen Sehschärfe nicht mehr als 0,02 beträgt oder wenn andere Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorliegen, dass sie dieser Beeinträchtigung der Sehschärfe gleichzustellen sind. Blind ist auch ein behinderter Mensch mit einem nachgewiesenen vollständigen Ausfall der Sehrinde (Rindenblindheit). All diese Voraussetzungen sind bei einer hysterischen (konversionsneurotischen) bzw. psychogenen Blindheit nicht gegeben.

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Verfahrensrecht

Zugangsfiktion.

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 21 AS 574/20 B - Beschluss vom 16.07.2020

Bestehen berechtigte Zweifel an den Voraussetzungen der Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X, so hat im Streitfall das Gericht den Sachverhalt unter Berücksichtigung des Vortrages des/der Adressaten des Verwaltungsaktes aufzuklären und die festgestellten und unstreitigen Umstände im Wege freier Beweiswürdigung gegeneinander abzuwägen. Der der Behörde obliegende Beweis für die Bekanntgabe des Verwaltungsaktes kann auf Indizien gestützt und im Wege freier Beweiswürdigung geführt werden. Auf den so genannten Anscheinsbeweis, der auf einen typischen, nicht aber den tatsächlichen Geschehensablauf abstellt, kann der Zugangsnachweis hingegen nicht gestützt werden.

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Zurückweisung eines Prozessbevollmächtigten

Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 8 SB 3970/19 - Urteil vom 26.06.2020

Nach § 13 Abs. 5 SGB X sind Bevollmächtigte und Beistände in einem Verwaltungsverfahren durch die Behörde zurückzuweisen, wenn sie entgegen § 3 des Rechtsdienstleistungsgesetzes Rechtsdienstleistungen erbringen, so z.B. hier ein Rentenberater in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts. Die Zurückweisung stellt gegenüber dem Zurückgewiesenen einen selbständigen Verwaltungsakt dar, der von diesem mit dem entsprechenden Rechtsbehelf (Widerspruch, Klage) angefochten werden kann. Der Vertretene kann die Zurückweisung dagegen nicht isoliert, also unabhängig von der Sachentscheidung, anfechten.

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Anhörung.

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 7 AS 1772/19 - Urteil vom 23.04.2020

Die Anhörung nach § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X erfasst jede Anpassung einer einkommensabhängigen Leistung an geänderte Verhältnisse, d.h. neben der teilweisen Bewilligungsaufhebung auch die vollständige Bewilligungsaufhebung. Dass nach der Anpassung eine (Rest-) Bewilligung bestehen bleiben muss, ist dem Wortlaut der Vorschrift nicht zu entnehmen. Anpassen ist insoweit ein Synonym für aktualisieren oder angleichen. Neben dieser grammatikalischen Auslegung sprechen hierfür auch systematische Erwägungen, denn anders als etwa nach § 24 Abs. 2 Nr. 7 SGB X, ist der Ausnahme nach § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X keine quantitative Beschränkung zu entnehmen. Vielmehr soll die Ausnahme in Nr. 5 von den quantitativen Vorgaben der Nr. 7 "unberührt" bleiben (§ 24 Abs. 2 Nr. 7, 2. Halbsatz SGB X). Hierfür spricht auch der Sinn und Zweck der Vorschrift. Grund für das Absehen der Anhörung nach § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X ist, dass der Beteiligte in aller Regel die geänderten Einkommensverhältnisse kennt und ohnehin mit der Anpassung der "einkommensabhängigen Leistungen" rechnen muss.

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Es gibt keinen Erfahrungssatz, nach dem Schriftstücke, die den Adressaten nicht erreichen, notwendigerweise wieder an ihren Ausgangspunkt zurückkehren.

Sächsisches Landessozialgericht - L 3 AS 60/18 - Urteil vom 28.05.2020

Für den Umstand, dass eine Meldeaufforderung den Adressaten erreicht hat, trägt nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 37 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) der Grundsicherungsträger die objektive Beweislast, wenn der Zugang der Aufforderung bestritten wird.

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Häusliche Krankenpflege.

Bundessozialgericht - B 3 KR 4/19 R - Urteil vom 07.05.2020

Nach § 37 Abs. 4 SGB V sind Versicherten die Kosten für eine selbstbeschaffte Kraft in angemessener Höhe zu erstatten, wenn die Krankenkasse keine Kraft für die häusliche Krankenpflege stellen kann (Alternative 1) oder Grund besteht, davon abzusehen (Alternative 2). Die Norm setzt voraus, dass der Versicherte zunächst einen Antrag auf Gewährung der Sachleistung an die Krankenkasse gerichtet hat. Ist eine der vorgenannten Alternativen erfüllt, wandelt sich der die häusliche Krankenpflege betreffende Sachleistungsanspruch in einen Kostenerstattungsanspruch um. Die Norm erfasst Fälle, in denen die Krankenkasse die Sachleistung nicht erbringen kann, weil sie z.B. (nach Alternative 1) über keine ausreichende Anzahl von geeigneten Pflegekräften verfügt, oder wenn (nach Alternative 2) der Versicherte z.B. in seiner Person liegende Gründe aufweist, aufgrund derer nur eine spezielle Pflegekraft in Betracht kommt, die auch nicht vertraglich gegenüber der Krankenkasse gebunden sein muss.

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Rentenversicherung

Arbeitgeber im rentenrechtlichen Sinne.

Bundessozialgericht - B 13 R 23/18 R - Urteil vom 20.05.2020

Als Arbeitgeber im sozialversicherungsrechtlichen Sinne ist regelmäßig derjenige anzusehen, zu dem ein anderer - der Beschäftigte - in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis steht. Dies ist stets derjenige, dem der Anspruch auf die vom Beschäftigten nach Maßgabe des Weisungsrechts geschuldete Arbeitsleistung zusteht und der dem Beschäftigten dafür als Gegenleistung zur Entgeltzahlung verpflichtet ist. Arbeitgeber in diesem Sinne kann auch der Träger einer betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheit sein.

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Anwaltshonorar

Vergleich und Gebühren.

Bayerisches Landessozialgericht - L 12 SF 330/18 - Kostenbeschluss vom 06.07.2020

Ob es sich bei einem ohne Protokollierung bzw. Beschluss des Gerichts nach § 101 SGG oder § 278 Abs. 6 ZPO geschlossenen Vergleich um einen "schriftlichen Vergleich" i.S.d. Anm. Satz 1 Nr. 1 zu Nr. 3106 VV RVG handelt, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Nach einer überwiegend in der Literatur vertretenen Auffassung genügt die Mitwirkung des Rechtsanwalts an einem außergerichtlichen privatschriftlichen Vergleich, während die Rechtsprechung (noch) vorwiegend den Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs nach § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG oder nach § 278 Abs. 6 ZPO i.V.m. § 202 SGG verlangt. Auch das BayLSG hat mit Beschluss vom 22.05.2015, - L 15 SF 115/14 E -, noch einen entsprechenden Vergleichs- bzw. Feststellungsbeschluss des Gerichts für notwendig erachtet. Das LSG Mecklenburg-Vorpommern hat demgegenüber in einem Beschluss v. 14.03.2018 ausgeführt, bis zum 31.07.2013 sei der "schriftliche Vergleich" als Fall einer fiktiven Terminsgebühr in Nr. 3106 RVG-VV anders als bei Nr. 3104 RVG-VV nicht erwähnt worden. Diese unterschiedlichen Formulierungen bei Rahmengebühren und Gebühren nach Gegenstandswert habe der Gesetzgeber im Kostenrechtsmodernisierungsgesetz offensichtlich einander angleichen wollen. Soweit aus dieser Harmonisierung vielfach geschlossen werde, dass damit auch für die Gebührenvorschrift über Rahmengebühren geklärt sei, dass nur gerichtliche Vergleiche "schriftliche Vergleiche" seien, so vermöge dies den erkennenden Senat nicht zu überzeugen. Zum einen sei auch bei der fiktiven Terminsgebühr nach Gegenstandswert keineswegs völlig unumstritten, dass diese nur bei einem gerichtlichen Vergleich entstehe.

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Grundsicherung für Arbeitssuchende SGB II

Abtretung und Einkommenszufluss.

Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 3 AS 227/20 - Urteil vom 20.05.2020

Die Anweisung von Einkommen auf das Bankkonto eines Dritten kann einen Zufluss beim Leistungsempfänger allerdings ausschließen, wenn der Dritte infolge gemäß § 398 BGB vereinbarter Abtretung als neuer Gläubiger vollständig an die Stelle des Leistungsempfängers getreten ist und die Auszahlung infolge der Abtretung direkt an den Dritten als Abtretungsempfänger erfolgt. In einem solchen Fall hätte der Leistungsempfänger keine Verfügungsgewalt über das Einkommen erlangt, so dass ein Zufluss bei ihm nicht erfolgt wäre.

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Vorläufiger und endgültiger Bescheid.

Bundessozialgericht - B 4 AS 10/20 R - Urteil vom 24.06.2020

Das BSG hat bereits entschieden, dass dann, wenn eine Behörde einen endgültigen Bescheid auf Grundlage eines nicht endgültig aufgeklärten Sachverhalts erlässt und sich herausstellt, dass der Bescheid bereits im Zeitpunkt des Erlasses objektiv rechtswidrig war, ein Fall des § 45 SGB X gegeben ist. Der Erlass eines endgültigen Bescheides ist regelmäßig kein taugliches Instrumentarium in Fällen, in denen objektiv nur die Möglichkeit einer prospektiven Schätzung insbesondere der Einkommenssituation besteht. Dies ist etwa dann der Fall, wenn - wie hier - aufgrund einer Tätigkeit als Abrufarbeitnehmerin schwankendes Einkommen erzielt wird. Der Erlass eines endgültigen Bescheides statt eines vorläufigen Bescheides ist dann von Anfang an rechtswidrig und § 45 SGB X die für seine Rücknahme einschlägige Ermächtigungsgrundlage. § 48 SGB X wäre demgegenüber nur dann anwendbar, soweit sich hinsichtlich der anderen Voraussetzungen eine wesentliche Änderung ergibt.

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Rückerstattung von Nebenkosten.

Bundessozialgericht - B 4 AS 7/20 R - Urteil vom 24.06.2020

§ 22 Abs. 3 Halbsatz 2 Variante 2 SGB II ist nicht verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass auch Rückerstattungen aus Zeiten des Nichtleistungsbezuges außer Betracht zu bleiben hätten. Unabhängig davon, dass auch eine verfassungskonforme Auslegung den allgemeinen methodischen Grenzen der Gesetzesauslegung unterworfen ist, die unter anderem der Wortlaut einer Norm und der eindeutige Willen des Gesetzgebers bilden, sodass hier fraglich ist, ob bereits Normwortlaut und Entstehungsgeschichte einer anderen Auslegung entgegenstehen, gibt Verfassungsrecht jedenfalls keinen Anlass für die vom SG favorisierte Auslegung .Der allgemeine Gleichheitssatz (Artikel 3 Abs. 1 GG) gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen. Verboten ist daher auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Vergünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen aber vorenthalten wird. Dabei gilt nach der Rechtsprechung des BVerfG ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen. Der Gesetzgeber hat allerdings bei der Gewährung von Sozialleistungen, die an die Bedürftigkeit des Empfängers anknüpfen, grundsätzlich einen weiten Spielraum, wenn er Regelungen darüber trifft, ob und in welchem Umfang das Einkommen oder Vermögen des Empfängers auf den individuellen Bedarf angerechnet wird.

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Die nächste Ausgabe unserer Zeitschrift erscheint im November 2020!

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