Ausgabe    6/2014 

November vom 09.11.2014 

Druckversion der Zeitung (pdf-Format ohne weiterführende Links).

     Rechtsprechung

Schwerbehindertenrecht

Soziales Entschädigungsrecht

Vertragsarztrecht

Verfahrensrecht

Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer

Unfallversicherung

Krankenversicherung

Rentenversicherung

Sachverständigenvergütung

Anwaltshonorar

Grundsicherung für Arbeitssuchende SGB II

Arbeitslosengeld I

     Service

Herausgeber und verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes Dorothea Strake
Schulstr. 90, 41372 Niederkrüchten

 erscheint alle 2 Monate


Liebe Leser,

anbei die letzte Ausgabe unserer Zeitung für dieses Jahr. Wir wünschen daher jetzt schon allen Lesern einen friedlichen Jahresausklang und ein gesegnetes Jahr 2015. Wir melden uns mit der nächsten Ausgabe am ersten Januarwochenende.

Ihr Team des Sozialmedizinischen Verlags.


Rechtsprechung

Schwerbehindertenrecht

Ein auf einen bestimmten GdB eingeschränkter Klageantrag führt zur Teilbestandskraft

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 13 SB 171/13 - Urteil vom 26.09.2014

Wird mit der Klageschrift ausdrücklich nur die Feststellung eines bestimmten Grades der Behinderung (GdB) begehrt, erwächst der angefochtene Bescheid insoweit in Teilbestandskraft, als dass die Feststellung eines höheren GdB in dem Klageverfahren ausgeschlossen ist.

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G und B aufgrund einer Angststörung

Sozialgericht Augsburg - S 8 SB 301/13 - Urteil vom 31.07.2014 

Eine Angststörung mit Panikattacken, die bei allen Wegen außer Haus auftreten, ist als psychogene Gangstörung zu werten und einem Anfallsleiden gleichzustellen. Daraus folgt, dass dann auch die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche "G" (erhebliche Gehbehinderung) und "B" (ständige Begleitung) erfüllt sind.

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Der GdB für eine Mukoviszidose umfasst Einschränkungen der Lungenfunktion und Störungen der Ernährung

Sozialgericht Augsburg - S 8 SB 601/13 - Urteil vom 05.09.2014

Die aus einer Mukoviszidose resultierenden bzw. damit einhergehenden Einschränkungen, die vorliegend in rezidivierenden bronchialen Infekten und einer exokrinen Pankreasinsuffizienz bestehen, sind nicht gesondert bzw. zusätzlich nach anderen Grundsätzen der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG) zu bewerten. Das führte ansonsten zu einer Doppelwertung. Wie sich aus der Formulierung in Teil B. 15.5 VMG ablesen lässt, werden damit sowohl Einschränkungen der Lungenfunktion bzw. der Atemwege als auch Störungen der Ernährung und weitere Folgen der Mukoviszidose wie Diabetes umfasst.

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Kein "aG" bei 100m mit Rollator

Sozialgericht Aachen - S 12 SB 1088/12 - Urteil vom 19.08.2014 

Kann ein behinderter Mensch unter Zuhilfenahme eines Rollators eine Wegstrecke von 100 m zurücklegen, besteht auch dann kein Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleichs "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung), wenn er dabei eine deutliche Anstrengung zeigt, aber keine besondere Luftnot oder kardiale Erschöpfungszeichen festzustellen sind. Eine Sturzgefahr begründet nur dann die Inanspruchnahme des Merkzeichens "aG", wenn diese Gefahr so ausgeprägt ist, dass aus der objektiven und medizinisch begründeten Sicht eines vernünftigen Behinderten der behinderte Mensch dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen wäre.

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Zur GdB-Bewertung des Morbus Crohn

Sozialgericht Hannover - S 25 SB 556/12 - Urteil vom 24.07.2014 

Die Einstufung eines Morbus Crohn als Erkrankung mit schwerer Auswirkung (Gdb 50 - 60) setzt keine Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes voraus. Bei den in Teil B Ziffer 10.2.2 Versorgungsmedizinische Grundsätze aufgeführten Symptomen handelt es sich "lediglich" um nicht abschließende Regelbeispiele. Bereits die durchgeführte anti-TNF-alpha-Antikörpertherapie mit Adalimumab in Verbindung mit der immunsuppressiven Therapie mit Azathioprin führt dazu, dass von einem Morbus Crohn mit schwerer Auswirkung auszugehen ist.
Sowohl die Auswirkungen und Nebenwirkungen einer TNF-alpha-Therapie als auch die Einschränkungen durch imperativen Stuhldrang sind unter Teil B, Ziffer 10.2.2 VMG bei Morbus Crohn zu berücksichtigen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat auf Anfrage des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen eine Stellungnahme zur Auslegung von Teil B, Ziffer 10.2.2 VMG abgegeben. Danach sind die in Teil B, Ziffer 10.2.2 VMG aufgeführten Symptome als Regelbeispiele zu verstehen und nicht abschließend. Dieses Verständnis ist auch praktikabel, weil der GdB ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens ist. Es ist unerlässlich, alle die Teilhabe beeinträchtigenden körperlichen, geistigen und seelischen Störungen im Einzelfall zu berücksichtigen. Daher sind auch nicht in Teil B, Ziff. 10.2.2 VMG aufgeführte Beeinträchtigungen bei der Bewertung des GdB zu berücksichtigen. Eine abschließende Regelung in Teil B, Ziff. 10.2.2 VMG würde eine sachgerechte Gesamtbetrachtung der Erkrankung Morbus Crohn erschweren oder sogar verhindern.

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Strenge Voraussetzungen für Merkzeichen "RF"

Sozialgericht Karlsruhe - S 17 SB 2316/13 - Gerichtsbescheid vom 02.09.2014

Eine öffentliche Veranstaltung ist jede grundsätzlich jedermann uneingeschränkt oder bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen (z. B. Eintrittsgeld) zugänglich gemachte Veranstaltung im Sinn einer Organisation von Darbietungen verschiedenster Art. Dazu zählen Veranstaltungen politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender oder wirtschaftlicher Art, wobei es auf das tatsächliche Angebot von Veranstaltungen im örtlichen Einzugsbereich des Behinderten ebenso wenig ankommt wie auf seine persönlichen Vorlieben, Bedürfnisse, Neigungen oder Interessen.
Die Unmöglichkeit der Teilnahme an solchen Veranstaltungen ist nur dann gegeben, wenn der Schwerbehinderte wegen seines Leidens ständig, d.h. allgemein und umfassend, vom Besuch ausgeschlossen ist, also allenfalls an einem nicht nennenswerten Teil der Gesamtheit solcher Veranstaltungen teilnehmen kann. Solange der Behinderte mit technischen Hilfsmitteln und mit Hilfe einer Begleitperson in zumutbarer Weise öffentliche Veranstaltungen aufsuchen kann, ist er an der Teilnahme am öffentlichen Geschehen nicht gehindert. Bei der vom BSG vertretenen Auslegung, der die Kammer folgt, muss der schwerbehinderte Mensch praktisch an das Haus gebunden sein, um seinen Ausschluss von öffentlichen Veranstaltungen begründen zu können. Diese sehr enge Gesetzesauslegung hat trotz der Änderung im Recht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks weiterhin Geltung. Damit soll gewährleistet werden, dass der Nachteilsausgleich "RF" nur Personengruppen zugutekommt, die den gesetzlich ausdrücklich genannten Schwerbehinderten (Blinden und Hörgeschädigten) und den aus wirtschaftlicher Bedrängnis sozial Benachteiligten vergleichbar sind.

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GdB 50 für Behinderung der unteren Gliedmaßen keine Voraussetzung für "G"

Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 8 SB 5215/13 - Urteil vom 26.09.2014

Die in D Nr. 1 Versorgungsmedizinische Grundsätze - VG - enthaltenen Regelungen zum Merkzeichen "G" sind mangels Rechtsgrundlage (Art. 80 GG) unwirksam und deshalb ist für die Beurteilung der erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr allein auf die Tatbestände der §§ 145 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 146 SGB IX abzustellen und damit auf die Frage, ob infolge einer Einschränkung des Gehvermögens die betreffende Person üblicherweise im Ortsverkehr noch zu Fuß zurückgelegte Wegstrecken ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere zurückzulegen vermag. Das Tatbestandsmerkmal der im Ortsverkehr üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegten Wegstrecke i.S.d. § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist nur an die Fähigkeit geknüpft, Wegstrecken von etwa 2 km in etwa einer halben Stunde ohne Berücksichtigung von geographischen Besonderheiten im Einzelfall zurückzulegen.

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Soziales Entschädigungsrecht 

Zu den möglichen Folgen einer Dupuytren-Operation

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 13 VM 61/08 - Urteil vom 26.09.2014

Die in der Wissenschaft diskutierte Möglichkeit, dass bei Operationen an der Hand bei gleichzeitiger Dupuytren`scher Strangbildung diese sich durch die operative Verletzung verdicken oder verkürzen könnte, ist nicht bewiesen. Bei der Dupuytren`schen Krankheit ist die sogenannte Gesetzlosigkeit typisch. Aufgrund der Krankheit kann es zu zahlreichen Behinderungen durch Strangbildung kommen, muss es aber nicht. Es kann auch zunächst über längere Zeit zu keinem Rezidiv kommen, dann aber sich eines bilden bzw. eine Neubildung stattfinden. Es kann nicht gesagt werden, dass nach einer Operation ein beschleunigter Krankheitsverlauf auftritt. Das Gegenteil ist der Fall; auch wenn die Zahlen des Rezidivs hoch sind, behalten durch eine Operation 60% der Betroffenen einen guten Finger. Dennoch kann, und zwar unabhängig von der Qualität des Operateurs, eine Dupuytren-Krankheit auch nach einer Operation immer wieder kommen. Es kann auch nicht vorausgesagt werden, welche Folgen eintreten, wenn nicht operiert wird, da die Dupuytren-Erkankung einer fehlenden Gesetzmäßigkeit unterliegt.

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Zur Feststellung eines Impfschadens

Hessisches Landessozialgericht - L 1 VE 12/09 - Urteil vom 26.06.2014

Die Feststellung einer Impfkomplikation im Sinne einer impfbedingten Primärschädigung hat grundsätzlich in zwei Schritten zu erfolgen: Zunächst muss ein nach der Impfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen als erwiesen erachtet werden. Sodann ist die Beurteilung erforderlich, dass diese Erscheinungen mit Wahrscheinlichkeit auf die betreffende Impfung zurückzuführen sind. Bei der jeweils vorzunehmenden Kausalbeurteilung sind im sozialen Entschädigungsrecht die bis Ende 2008 in verschiedenen Fassungen geltenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) anzuwenden und zu berücksichtigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts handelt es sich bei den schon seit Jahrzehnten von einem Sachverständigenbeirat beim zuständigen Bundesministerium erarbeiteten und ständig weiterentwickelten AHP insbesondere um eine Zusammenfassung medizinischen Erfahrungswissens und damit um sog. antizipierte Sachverständigengutachten. Die AHP sind in den Bereichen des sozialen Entschädigungs- und des Schwerbehindertenrechts generell anzuwenden und wirken dadurch wie eine Rechtsnorm ("normähnlich"). Für den Fall, dass sie nicht mehr den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft wiedergeben, sind sie allerdings nicht anwendbar. Dann haben Verwaltung und Gerichte auf andere Weise den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft zu ermitteln. Die AHP enthalten in allen zu betrachtenden Fassungen seit 1983 unter den Nrn. 53 bis 142/143 Hinweise zur Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitszuständen, wobei die Nr. 56 Impfschäden im Allgemeinen und die Nr. 57 Schutzimpfungen im Einzelnen zum Inhalt haben.

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Vertragsarztrecht

Buscopan® ist beim Reizdarmsyndrom und bei spastischen Beschwerden nicht verordnungsfähig

Bundessozialgericht - B 6 KA 21/13 R - Urteil vom 14.05.2014

Buscopan®, ein lediglich apothekenpflichtiges Medikament ist nicht in die Liste der ausnahmsweise zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähigen Arzneimittel aufzunehmen, soweit es um die Indiaktion Reizdarmsyndrom und spastische Beschwerden geht. Hinsichtlich der Indikation "Schwere und schwerste Fälle spastischen Abdominalbeschwerden" muss der Gemeinsame Bundesausschuss noch entscheiden.

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Kein Abwehranspruch gegen die Anerkennung konkurrierender Behandlungsmethoden

Bundessozialgericht - B 6 KA 28/13 R - Urteil vom 14.05.2014

Der Hersteller bzw. Vertreiber von Systemen zur Behandlung von Psoriasis-Patienten (synchrone Photosoletherapie) kann die Anerkennung der konkurrierenden Behandlungsmethoden in Form der asynchronen Photosoletherapie sowie der Bade-PUVA durch den beklagten G-BA und deren Aufnahme als anerkannte Behandlungsmethode nicht rechtswirksam anfechten. 

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Patientenvertreter hat kein eigenständiges Antragsrecht im Gemeinsamen Bundesausschuss

Bundessozialgericht - B 6 KA 29/13 R - Urteil vom 14.05.2014

Nach § 140f Abs. 2 SGB V erhalten die für die Wahrnehmung der Interessen der Patientinnen und Patienten und der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen auf Bundesebene maßgeblichen Organisationen im Gemeinsamen Bundesausschuss ein Mitberatungsrecht; die Organisationen benennen hierzu sachkundige Personen ("Patientenvertreter"). Diesem Patientenvertreter steht jedoch kein eigenständiges Antragsrecht zu. Das Recht, bei Beschlüssen des Gemeinsamen Bundesausschuss Anträge zu stellen, steht vielmehr den Patientenorganisationen selbst zu. 

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Verfahrensrecht

Zur Wirksamkeit und Anfechtbarkeit einer Berufungsrücknahme

Bayerisches Landessozialgericht - L 15 SB 189/13 - Urteil vom 06.02.2014

Auch wenn in dem Protokoll über einen gerichtlichen Termin der Vermerk über die Genehmigung der erklärten Berufungsrücknahme - "vorgelesen und genehmigt" - fehlt, ist die Berufungsrücknahme wirksam. Die Berufungsrücknahme als Prozesshandlung kann weder frei widerrufen noch entsprechend den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften wegen Irrtums oder Drohung angefochten werden. Allenfalls ausnahmsweise kann entsprechend den Regeln über die Wiederaufnahmeklage eine Rücknahme widerrufen werden, falls ein gesetzlicher Restitutionsgrund gegeben wäre.

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Zu sog. "Mutwillenskosten"

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 20 AY 7/14 - Beschluss vom 04.11.2014

Nach der Gesetzesbegründung wird dem Gericht in § 192 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG die Möglichkeit eröffnet, einem Beteiligten Kosten aufzuerlegen, wenn die Erhebung der Klage oder sonstige Verfahrenshandlungen als Missbrauch des grundsätzlich kostenfreien sozialgerichtlichen Rechtsschutzes anzusehen sind. Insoweit genügt jedoch allein die Aussichtslosigkeit der (weiteren) Rechtsverfolgung als solche nicht. Hinzu kommen müssen vielmehr weitere Umstände, die die Rechtsverfolgung im Einzelfall missbräuchlich erscheinen lassen. Eine Missbräuchlichkeit kann so etwa dann angenommen werden, wenn das Klagebegehren offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist und seine (Weiter-) Verfolgung von jedem Einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden muss.

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Definition "Sozialleistungen"

Bundessozialgericht - B 11 AL 7/13 R - Urteil vom 06.08.2014

Gemäß § 11 Satz 1 SGB I sind Sozialleistungen die in diesem Gesetzbuch vorgesehenen Dienst-, Sach- und Geldleistungen. Die Bestimmung einer Leistung als Sozialleistung hat in Orientierung an der durch das Sozialrecht gestalteten Beziehung zwischen dem Bürger und einem Sozialleistungsträger zu erfolgen. Eine Sozialleistung i.S. der §§ 11, 45 SGB I liegt regelmäßig dann vor, wenn die Leistung durch einen Sozialleistungsträger nach den Bestimmungen des SGB einem Sozialleistungsberechtigten zu erbringen ist und diesen individuell begünstigt; sie wird dann in aller Regel auch der Verwirklichung eines sozialen Rechts i.S. der §§ 3 bis 10 SGB I dienen.

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Darf Ehegatte bei Untersuchung durch den Sachverständigen anwesend sein?

Bayerisches Landessozialgericht - L 2 SF 155/12 B - Beschluss vom 20.11.2013

Der Ausschluss des Ehegatten von der Untersuchung durch den Sachverständigen stellt nicht ohne Weiteres einen Verstoß gegen ein faires Verfahren oder einen verfassungswidrigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Klägers. nach Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) oder gar dessen Menschenwürde nach Art. 1 GG dar. Im sozialgerichtlichen Verfahren besteht kein Zwang, sich einer Begutachtung zu unterziehen. Der Kläger muss eine Begutachtung ohne Anwesenheit ihres Ehemanns nicht dulden und kann die Begutachtung ablehnen. Es obliegt dann der Kammer, zu entscheiden, ob die Weigerung der Mitwirkung rechtliche Folgen wie z.B. die Umstellung des Gutachtensauftrages auf eine Begutachtung nach Aktenlage, ein Vorgehen wegen Verweigerung der Mitwirkung nach §§ 60 ff des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB I) oder eine Beweislastenscheidung auslöst bzw. ob die Untersagung der Anwesenheit einer Vertrauensperson bei der Untersuchung verhältnismäßig war. Denkbar wäre beispielsweise auch der Ausschluss der Vertrauensperson nur bei Teilen der Untersuchung.

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Voraussetzungen für Rücknahmefiktion

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 19 AS 1532/14 B - Beschluss vom 29.09.2014

Die Rücknahmefiktion des § 102 Abs. 2 SGG greift in das (Prozess-)Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG bzw. in die entsprechenden Verfahrensgehalte der im Einzelfall betroffenen materiellen Grundrechte ein. Zwar ist dies grundsätzlich zulässig. Nach der Rechtsprechung des BVerfG darf ein Gericht im Einzelfall von einem Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses ausgehen, wenn das Verhalten eines Verfahrensbeteiligten Anlass zu der Annahme bietet, dass ihm an einer Sachentscheidung nicht mehr gelegen ist. Das BVerfG hat zugleich aber betont, dass Vorschriften über eine Fiktion der Klagerücknahme Ausnahmecharakter haben, der bei ihrer Auslegung und Anwendung besonders zu beachten ist. § 102 Abs. 2 SGG dient nicht als Sanktion für einen Verstoß gegen prozessuale Mitwirkungspflichten oder unkooperatives Verhalten eines Beteiligten. Die Rücknahmefiktion soll nur die Voraussetzungen für die Annahme eines weggefallenen Rechtschutzinteresses festlegen und gesetzlich legitimieren.

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Zur Entscheidung nach § 199 SGG im Berufungsverfahren

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 21 R 12/13 - Beschluss vom 29.09.2014

Bei der Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Dies ergibt sich aus der Formulierung "so kann der Vorsitzende", wie insbesondere eine Betrachtung der Berücksichtigung des systematischen Zusammenhanges zeigt. Im Hinblick auf das danach bestehende Ermessen ergibt sich auch keine zwingende entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Einstellung der Zwangsvollstreckung bei Rechtsmitteln (§ 719 ZPO), weshalb die Aussetzung der Vollstreckung nicht etwa nur dann in Betracht kommt, wenn glaubhaft gemacht wird, dass die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde.

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Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer

Dauer allein noch kein Grund für Entschädigung

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 11 SF 489/13 EK AS - Beschluss vom 21.08.2014

Allein aufgrund einer Zeitdauer kann nicht auf eine unangemessene Verfahrensdauer geschlossen werden. Denn § 198 GVG, der wiederum auf den Vorgaben der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts beruht, gibt keine gesetzlich definierte Grenze für die Angemessenheit der Verfahrensdauer vor, sondern knüpft im Gegenteil an eine im Einzelfall unangemessene Verfahrenslänge an. Mit § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG hat der Gesetzgeber ausdrücklich von einer "Fristenlösung" abgesehen, weil sie der Vielfältigkeit prozessualer Situationen nicht gerecht würde. Im Übrigen ist eine generelle Festlegung, wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, auch nicht möglich, weil die Zügigkeit von Verfahren kein absoluter Wert, sondern stets im Zusammenspiel mit den übrigen Verfahrensgrundsätzen und dem Interesse an einer gründlichen Bearbeitung durch das Gericht zu sehen ist. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benennt deshalb nur beispielhaft und ohne abschließenden Charakter Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind: die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Zu beachten ist bei der Bewertung eines Zeitraums als unangemessen i.S.d. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG überdies, dass Zeiten, die u.a. für eine Meinungsbildung des angerufenen Gerichts erforderlich sind, nicht als Verzögerungszeit zu berücksichtigen sind. Gleichermaßen besteht auch kein Anspruch darauf, dass ein Rechtsstreit, auch wenn er entscheidungsreif ist, sofort bzw. unverzüglich vom Gericht entschieden wird.

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Verfahrensbeendigung unmittelbar nach Verzögerungsrüge

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 37 SF 82/12 EK R - Urteil vom 20.12.2013

Zwar trifft es zu, dass nach § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach § 198 Abs. 1 GVG frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden kann. Indes hat der Bundesfinanzhof bereits entschieden, dass die Erledigung vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist jedenfalls in den Fällen, die eine bereits vor Inkrafttreten des GRüGV eingetretene Verzögerung betreffen, einem Entschädigungsanspruch nicht entgegenstehen könne. Denn schon vor Inkrafttreten des GRüGV sei die Bundesrepublik Deutschland mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verpflichtet gewesen, Rechtsschutz in angemessener Zeit zu gewähren und für Fälle der Verletzung des genannten Anspruchs eine wirksame Beschwerdemöglichkeit zur Verfügung zu stellen (Art. 13 EMRK). Würde eine vor Inkrafttreten des GRüGV eingetretene Verzögerung dadurch rückwirkend "geheilt", dass das Gericht das Verfahren kurzfristig nach einer - erstmals ab dem Inkrafttreten des Gesetzes überhaupt möglichen - Verzögerungsrüge beende, stünde dem Betroffenen hinsichtlich der eingetretenen Verzögerung weder ein wirksamer Rechtsbehelf noch ein Entschädigungsanspruch zu. Dies wäre mit den aus der EMRK folgenden und vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mehrfach festgestellten Pflichten Deutschlands unvereinbar.

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Violinist und Halswirbelsäulenerkrankung

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 2 U 30/11 - Urteil vom 03.11.2011 - B 2 U 3/12 R.

Es ist in Literatur und Rechtsprechung dem Grunde nach unstreitig, dass die generelle Ursächlichkeit/Geeignetheit der Einwirkung wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen muss, damit eine Krankheit als Berufskrankheit anerkannt werden kann. Dies setzt normalerweise voraus, dass der Nachweis anhand statistisch relevanter Zahlen für eine Vielzahl von Geschehensabläufen erfolgt. Die Feststellung, dass eine Krankheit in einer bestimmten beruflich exponierten Personengruppe erheblich häufiger auftritt als in der übrigen Bevölkerung - so genannte Gruppentypik, erfordert in der Regel den Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine lange zeitliche Überwachung derartiger Krankheitsbilder, um mit Sicherheit daraus schließen zu können, dass die Ursache der Krankheit in einem schädigenden Arbeitsleben liegt.

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Unfall auf dem Weg zur Arbeit

Bayerisches Landessozialgericht - L 2 U 180/13 - Urteil vom 07.05.2014

Soweit für das Zurücklegen des Wegs, insbesondere die Wahl der Route, (auch) Gründe von Bedeutung sind, die nicht mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängen, und damit auch eine privatwirtschaftliche Handlungstendenz, handelt es sich beim Zurücklegen des Weges um eine sogenannte Verrichtung mit gemischter Motivationslage bzw. gespaltener Handlungstendenz, denn sie erfolgt sowohl mit privatwirtschaftlicher als auch mit versicherungsbezogener Handlungstendenz. Eine solche Verrichtung mit gespaltener Handlungstendenz steht dann im inneren bzw. sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, wenn die konkrete Verrichtung hypothetisch auch dann vorgenommen worden wäre, wenn die private Motivation des Handelns entfallen wäre, wenn also die Verrichtung nach den objektiven Umständen in ihrer konkreten, tatsächlichen Ausgestaltung ihren Grund in der betrieblichen Handlungstendenz findet. Insoweit ist nicht auf Vermutungen über hypothetische Geschehensabläufe außerhalb der konkreten Verrichtung und der objektivierten Handlungstendenzen, sondern nur auf die konkrete Verrichtung selbst abzustellen. Es ist zu fragen, ob die Verrichtung, so wie sie durchgeführt wurde, objektiv die versicherungsbezogene Handlungstendenz erkennen lässt. Von Bedeutung ist insoweit, ob und inwieweit die gewählte Route von weiteren verkehrsgerechten Routen mehr als geringfügig abweicht.

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Zur post traumatischen Belastungsstörung

Bayerisches Landessozialgericht - L 2 U 4/11 - Urteil vom 04.08.2014

Nach F 43.1 der ICD 10 entsteht die PTBS als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Dabei können prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z.B. zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann.

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Weihnachtsfeier versicherte Tätigkeit?

Bundessozialgericht - B 2 U 7/13 R - Urteil vom 26.06.2014

Eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherte Tätigkeit als Beschäftigte wird verrichtet, wenn die Verletzte zur Erfüllung eines von ihr begründeten Rechtsverhältnisses als Beschäftigte, insbesondere eines Arbeitsverhältnisses, einer eigenen Tätigkeit in Eingliederung in das Unternehmen eines anderen zu dem Zweck nachgeht, dass die Ergebnisse ihrer Verrichtung diesem und nicht ihr selbst unmittelbar zum Vorteil gereichen. Dabei kommt es objektiv auf die Eingliederung des Handelns der Verletzten in das Unternehmen eines anderen und subjektiv auf die zumindest auch darauf gerichtete Willensausrichtung an, dass die eigene Tätigkeit unmittelbare Vorteile für das Unternehmen des anderen bringen soll. Eine Beschäftigung i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII wird daher ausgeübt, wenn die Verrichtung zumindest dazu ansetzt und darauf gerichtet ist, eine eigene objektiv bestehende Haupt- oder Nebenpflicht aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis zu erfüllen, die Verletzte eine objektiv nicht geschuldete Handlung vornimmt, um einer vermeintlichen Pflicht aus dem Rechtsverhältnis nachzugehen, sofern sie nach den besonderen Umständen ihrer Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung annehmen durfte, sie treffe eine solche Pflicht, oder sie unternehmensbezogene Rechte aus dem Rechtsverhältnis ausübt. Eine den Versicherungsschutz als Beschäftigte begründende Tätigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung auch die Teilnahme an einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung, z.B. einer betrieblichen Weihnachtsfeier, auch wenn hierfür eine spezielle normative Regelung zur Einbeziehung in den Unfallversicherungsschutz fehlt. Die in die Arbeitsorganisation des Unternehmens eingegliederten Beschäftigten unterstützen durch ihre von der Unternehmensleitung gewünschte und ggf. sogar geforderte Teilnahme das von ihr dadurch zum Ausdruck gebrachte Unternehmensinteresse, die betriebliche Verbundenheit zu fördern. Der Schutzzweck der Beschäftigtenversicherung rechtfertigt es, die Teilnahme an einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung als Bestandteil der geschuldeten versicherten Tätigkeit i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII zu betrachten.

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Krankenkasse muss Kosten für Lucentis übernehmen

Bundessozialgericht - B 1 KR 11/13 R - Urteil vom 02.09.2014

Gesetzlich Krankenkassen müssen die vollständigen Kosten der Behandlung mit Lucentis, einem Arzneimittel für die Behandlung der altersbedingten Makuladegeneration durch mehrere Injektionen, übernehmen. Die Krankenversicherten müssen sich wegen der ansonsten ggf. bestehenden Risiken nicht auf eine Auseinzelung von Lucentis, d.h. eine Aufteilung des in Form einer Durchstechflasche angebotenen Arzneimittels für die einzelnen Injektionen, einlassen.  

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Treppensteighilfe ist Leistung der Pflegeversicherung

Bundessozialgericht - B 3 KR 1/14 R - Urteil vom 16.07.2014

Ein dauerhaft auf einen Rollstuhl Angewiesener hat Anspruch auf Versorgung mit einer elektronisch betriebenen mobilen Treppensteighilfe. Die Krankenkasse hat für dieses Hilfsmittel grundsätzlich nicht aufzukommen, weil es nur wegen einer besonderen Wohnsituation (Treppe) benötigt wird. Die Treppensteighilfe ist jedoch ein Pflegehilfsmittel, weil mit seiner Hilfe eine selbstständigere Lebensführung des Pflegebedürftigen ermöglicht wird.

Bei der Hilfsmittelversorgung durch die GKV kommt es nicht auf die konkreten Wohnverhältnisse des einzelnen Versicherten an. Die baulichen Gegebenheiten der Wohnung und die Gestaltung des individuellen Umfeldes, die anderswo - etwa nach einem Umzug - nicht ebenso vorhanden sind, sind bei der Hilfsmittelversorgung durch die GKV nicht zu berücksichtigen. Denn für die medizinische Rehabilitation als Aufgabe der GKV ist allein der Gesundheitszustand des Versicherten maßgeblich, nicht aber seine Wohnsituation. Die Leistungen der GKV dürfen - soweit gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehen - nicht maßgeblich von anderen als medizinischen Erfordernissen abhängig gemacht werden. Aus diesem Grund nimmt das BSG auch bezüglich anderer Hilfsmittel grundsätzlich auf einen abstrakten, von den Gegebenheiten des jeweiligen Wohnorts unabhängigen Maßstab z.B. bei der Bestimmung des Nahbereichs Bezug. Der Versicherte muss das Hilfsmittel also nicht nur gerade wegen der Gegebenheiten seiner konkreten Wohnverhältnisse, sondern in gleicher Weise auch in praktisch jeder Art von Wohnung und deren Umfeld benötigen. Mit anderen Worten: Ein zweiter Versicherter mit den gleichen körperlichen Beeinträchtigungen müsste auf das Hilfsmittel in dessen Wohn- und Lebenssituation ebenfalls angewiesen sein. Fehlt es daran, ist ein Anspruch nach § 33 SGB V in der Regel ausgeschlossen. Es kann sich dann nur um eine Form der Hilfe zur Anpassung an die konkrete Wohnsituation handeln, für die nicht die Krankenkassen, sondern der Versicherte selbst - im Rahmen seiner Eigenverantwortung - oder andere Sozialleistungsträger (z.B. Pflegekassen, Sozialhilfeträger, Unfallversicherungsträger) zuständig sein können.

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Kein Krankengeldanspruch ohne rechtzeitige Arbeitsunfähigkeitsfeststellung

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 5 KR 79/13 - Urteil vom 21.08.2014

Abgesehen von den Fällen stationärer Behandlung haben Versicherte nach § 44 SGB V Anspruch auf Krankengeld, wenn Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Nach § 46 SGB V entsteht der Anspruch auf Krankengeld von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt. Für den Umfang des Versicherungsschutzes ist demgemäß grundsätzlich auf den Tag abzustellen, der dem Tag der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt. Bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit, aber abschnittsweiser Krankengeldbewilligung ist jeder Bewilligungsabschnitt eigenständig zu prüfen. Für die Aufrechterhaltung des Krankengeldanspruchs aus der Beschäftigtenversicherung ist es deshalb erforderlich, aber auch ausreichend, dass die Arbeitsunfähigkeit vor Ablauf des Bewilligungsabschnitts erneut ärztlich festgestellt wird.

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Hip Hop pp ist  künstlerische Tätigkeit i.S.d. Künstlersozialversicherungsgesetzes (KSVG)

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 5 KR 249/12 - Urteil vom 26.06.2014

Jazztanzunterricht und überwiegend aus Ballett, Jazztanz, Modern sowie Hip Hop bestehende Kurse sind nach dem Regelungszweck des KSVG unter Berücksichtigung der historischen Entwicklung und der allgemeinen Verkehrsauffassung eine mit dem Ballett vergleichbare künstlerische Betätigung.

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Versorgung bei Systemversagen

Bundessozialgericht - B 1 KR 3/13 R - Urteil vom 02.09.2014

Welche Leistungen die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben, bemisst sich grundsätzlich nach dem Zusammenspiel von Leistungs- und Leistungserbringungsrecht. Versicherte haben aus § 27 SGB V nicht lediglich ein bloßes subjektiv-öffentlich-rechtliches Rahmenrecht oder einen bloßen Anspruch dem Grunde nach, sondern einen konkreten Individualanspruch, dessen Reichweite und Gestalt sich aus dem Zusammenspiel mit weiteren gesetzlichen und untergesetzlichen Rechtsnormen ergibt. Fehlt es an den erforderlichen Regelungen, um Versicherten die gebotenen Leistungen in der dargelegten Weise zu verschaffen, müssen die KKn hierfür durch Vorkehrungen außerhalb des Naturalleistungssystems Sorge tragen. Hierzu dient die Rechtsgrundlage des § 13 Abs. 3 S 1 Fall 2 SGB V. Es genügt in diesem Sinne für den Anspruch auf Kostenfreistellung aus § 13 Abs. 3 S 1 Fall 2 SGB V, dass der Versicherte zwar keinen Natural- oder Sachleistungsanspruch nach Maßgabe des Leistungserbringungsrechts hat, wohl aber einen sachleistungsersetzenden Kostenerstattungs- oder -freistellungsanspruch wegen Systemversagens. Der Anspruch sichert, dass Versicherte ihren Individualanspruch trotz der Mängel im System der Leistungserbringung verwirklichen können.

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Rentenversicherungspflicht eines Rechtsanwaltes

Bundessozialgericht - B 5 RE 3/14 R - Urteil vom 03.04.2014

Ungeachtet möglicher inhaltlicher Übereinstimmungen kommt für das Deckungsverhältnis der gesetzlichen Rentenversicherung nicht in Betracht, abhängige Beschäftigung und eine daneben ausgeübte selbständige Tätigkeit als Rechtsanwalt i.S. einer einheitlichen Betrachtung "zusammenzuziehen". Die isolierte Fragestellung, ob eine anwaltliche Tätigkeit in Gestalt einer abhängigen Beschäftigung ausgeübt werden kann und damit grundsätzlich eine Befreiungsmöglichkeit eröffnet ist, würde damit gerade verlassen. Die beiden (einzigen) Formen der Ausübung einer Erwerbstätigkeit, die selbständige Tätigkeit und die abhängige Beschäftigung, schließen sich im Übrigen wechselseitig aus. Wo die Befreiung von der Versicherungspflicht aufgrund einer abhängigen Beschäftigung in Frage steht, können Gesichtspunkte der selbständigen Erwerbstätigkeit keine Rolle spielen. Es entspricht daher ständiger Rechtsprechung des BSG im Rentenversicherungsrecht, dass, wenn nebeneinander verschiedene rentenversicherungsrechtlich bedeutsame Sachverhalte vorliegen, das Bestehen von Versicherungspflicht (oder Versicherungsfreiheit bzw. Versicherungsbefreiung) hinsichtlich des einen Sachverhalts grundsätzlich keine Wirkung für den anderen Sachverhalt hat, jeder Sachverhalt mithin, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, selbständig zu beurteilen ist und es deshalb zulässigerweise zu Mehrfachversicherungen und mehrfacher Beitragspflicht kommen kann.

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Leistungsfall im Zweifel Antragszeitpunkt

Bayerisches Landessozialgericht - L 6 R 448/12 - Urteil vom 29.07.2014

Der Rentenantrag wegen Erwerbsminderung bzw. Invalidität spiegelt regelmäßig das subjektiv empfundene Leistungsvermögen des Versicherten wider. Damit ist der Antragszeitpunkt auch ein wesentliches Indiz bei Festsetzung des Leistungsfalles.

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Tätigkeitsfeld eines Telefonisten

Sozialgericht Duisburg - S 10 R 77/11 - Urteil vom 20.03.2014

Telefonisten vermitteln Telefongespräche, nehmen Nachrichten entgegen, erteilen Auskünfte und vereinbaren Termine am Telefon. Je nach Tätigkeitsbereich erfassen sie auch Kundendaten in Datenbanken, nehmen Bestellungen an, erledigen einfache Büroarbeiten und betreuen Besucher. Somit setzt die Tätigkeit ständigen, wenn auch zumeist telefonischen, Kundenkontakt voraus, was dem Kläger gesundheitlich nicht zumutbar ist. Zudem haben sich Telefonisten mit stets wechselnden Anrufern und gegebenenfalls auch Besuchern zu beschäftigen, auf die sie sich jeweils einstellen und denen sie jederzeit freundlich und zuvorkommend begegnen müssen.

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Zur "Versorgungsehe"

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 8 R 711/13 - Urteil vom 27.11.2013

Gemäß § 46 Abs. 2a SGB VI ist der Anspruch auf Witwenrente ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Als besondere Umstände i.S.d. des § 46 Abs. 2a SGB VI sind alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalls anzusehen, sofern sie auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Heirat schließen lassen). Dabei kommt es auf die (gegebenenfalls auch voneinander abweichenden) Beweggründe (Motive, Zielvorstellungen) beider Ehegatten an, es sei denn, dass der hinterbliebene Ehegatte den Versicherten beispielsweise durch Ausnutzung einer Notlage oder Willensschwäche zur Eheschließung veranlasst. Die Annahme einer den Anspruch ausschließenden Versorgungsehe bei einer Ehedauer von nicht mindestens einem Jahr ist nach dem Ausnahme-Tatbestand des § 46 Absatz 2a Halbsatz 2 SGB VI nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die Gesamtbetrachtung und Abwägung der Beweggründe beider Ehegatten für die Heirat ergibt, dass die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe insgesamt gesehen den Versorgungszweck überwiegend oder - da der Wortlaut auch auf den "alleinigen oder überwiegende Zweck der Heirat" abhebt - diesem zumindest gleichwertig sind. Es ist daher auch nicht zwingend, dass bei beiden Ehegatten andere Beweggründe als Versorgungsgesichtspunkte für die Eheschließung ausschlaggebend waren. Vielmehr sind die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe in ihrer Gesamtbetrachtung auch dann noch als zumindest gleichwertig anzusehen, wenn nachweislich für einen der Ehegatten der Versorgungsgedanke bei der Eheschließung keine Rolle gespielt hat. Eine abschließende Typisierung oder Pauschalierung der von der Versorgungsabsicht verschiedenen Gründe im Rahmen der Norm ist angesichts der Vielgestaltigkeit von Lebenssachverhalten dabei grundsätzlich nicht möglich. Maßgeblich sind jeweils die Umstände des konkreten Einzelfalles. Die vom hinterbliebenen Ehegatten behaupteten inneren Umstände für die Heirat sind dabei nicht nur für sich - isoliert - zu betrachten, sondern auch vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt der jeweiligen Eheschließung bestehenden äußeren Umstände in die Gesamtwürdigung, ob die Ehe mit dem Ziel der Erlangung der Hinterbliebenen-Versorgung geschlossen worden ist, einzubeziehen. Eine wichtige Bedeutung kommt hierbei stets dem Gesundheits- bzw. Krankheitszustand des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung zu.

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Errechnung des Honorars

Thüringer Landessozialgericht - L 6 SF 478/14 B - Beschluss vom 12.09.2014

Das Honorar eines Sachverständigen errechnet sich entsprechend den §§ 9 Abs. 1 S. 1, 8 Abs. 2 JVEG nach der erforderlichen Zeit. Sie ist nach einem abstrakten Maßstab zu ermitteln, der sich an dem erforderlichen Zeitaufwand eines Sachverständigen mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung bei sachgemäßer Auftragserledigung mit durchschnittlicher Arbeitsintensität orientiert. Auf einen möglichen Vortrag des Sachverständigen, er habe tatsächlich die angegebene Zeit benötigt, kommt es nicht an. Bei der Bemessung des erforderlichen Zeitaufwands sind die Schwierigkeiten der zu beantworteten Fragen unter Berücksichtigung der Sachkunde auf dem betreffenden Gebiet, der Umfang des Gutachtens und die Bedeutung der Streitsache zu berücksichtigen. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Angaben des Sachverständigen über die tatsächlich benötigte Zeit richtig sind. Werden die üblichen Erfahrungswerte allerdings um mehr als 15 v.H. überschritten, ist eine Plausibilitätsprüfung anhand der Kostenrechnung und der Angaben des Sachverständigen durchzuführen.

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Anwaltshonorar

Zur fiktiven Terminsgebühr

Sächsisches Landessozialgericht - L 8 SB 78/13 B KO - Beschluss vom 05.09.2014

Der Rechtsbegriff "angenommenes Anerkenntnis" in Nr. 3106 VV RVG meint die vollumfängliche Erledigung eines Rechtsstreits in der Hauptsache im Sinne des § 101 Abs. 2 SGG. Die Gegenauffassung, die vorrangig darauf abstellt, dass auch bei der Beendigung eines Verfahrens durch Annahme eines Teilanerkenntnisses und Abgabe einer Teilrücknahmeerklärung die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entbehrlich werde, womit der von der fiktiven Terminsgebühr verfolgte Zweck - Vermeidung von unnötigen gerichtlichen Terminen - erreicht werde, berücksichtigt nicht, dass sich nur bei der Annahme eines "vollen" Anerkenntnisses der Rechtstreit in der Hauptsache ohne jegliche weitere Prozesshandlungen erledigt (§ 101 Abs. 2 SGG). Demgegenüber ist bei der Annahme eines Teilanerkenntnisses für die Beendigung des Verfahrens eine weitere prozessuale Erklärung seitens des Klägers erforderlich, deren Abgabe der freien Disposition des Klägers unterliegt. Gibt der Kläger die verfahrensbeendende Erklärung über den nach Annahme des Teilanerkenntnisses noch anhängigen (Rest-)Streitgegenstand nicht ab, bleibt das Verfahren weiter anhängig. Es genügt daher nicht, dass irgendwann im Verfahren ein Teilanerkenntnis erklärt wurde und das Verfahren dann - wie hier - auf andere Weise endet. Denn die fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3106 Nr. 3 VV RVG soll - wie der Gesetzgeber im Zuge des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes klargestellt hat - dem Anwalt das Interesse nehmen, ein Anerkenntnis nur deshalb nicht anzunehmen, um einen Termin zu erzwingen, in dem er lediglich die Annahme des Anerkenntnisses erklärt. So liegt es dagegen nicht, wenn - wie bei einem lediglich teilweisen Anerkenntnis - auch nach Annahme des Anerkenntnisses noch Teile des Streitgegenstandes offen sind. Da der Regelung der Nr. 3106 VV RVG (auch in der bis 31.07.2013 geltenden Fassung) nicht zu entnehmen ist, dass jegliche Verfahrensbeendigung ohne mündliche Verhandlung mit einer fiktiven Terminsgebühr honoriert werden soll, kann die Verfahrensbeendigung durch Klagerücknahme keine fiktive Terminsgebühr auslösen.

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Wirkung des Beiordnungsbeschlusses bei PKH

Sächsisches Landessozialgericht - L 8 AS 1192/12 B KO - Beschluss vom 09.09.2014

Der im Wege der PKH beigeordnete Rechtsanwalt erhält die gesetzliche Vergütung in Verfahren vor Gerichten eines Landes aus der Staatskasse (§ 45 Abs. 1 RVG), wobei sich sein Vergütungsanspruch nach den Beschlüssen bestimmt, durch die PKH bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet wurde (§ 48 Abs. 1 RVG). Voraussetzung eines eigenen Vergütungsanspruchs des Rechtsanwalts gegen die Staatskasse ist damit eine wirksame Beiordnung durch das Prozessgericht, die sich auch im Sozialgerichtsprozess nach den Regelungen der Zivilprozessordnung (ZPO) richtet, § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. §§ 114 ff. ZPO. Dieser Beiordnungsbeschluss ist Grundlage des Vergütungsfestsetzungsverfahrens und bestimmt den Umfang der Vergütungsanspruchs, ohne dass im Vergütungsfestsetzungsverfahren eine Abänderungsbefugnis des zur Festsetzung berufenen Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (vgl. § 55Abs. 1 und 2 RVG) besteht. Ist also zwei Mitgliedern einer aus drei Personen bestehenden Bedarfsgemeinschaft uneingeschränkt PKH bewilligt worden, steht dem beigeordneten Rechtsanwalt dem Grunde nach gegenüber der Staatskasse ein Anspruch auf Vergütung für die Vertretung dieser beiden Kläger zu.

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Grundsicherung für Arbeitssuchende SGB II

Ausbildung und SGB II Leistungen

Bundessozialgericht - B 4 AS 55/13 R - Urteil vom 06.08.2014

Ist die i.S. des § 7 Abs. 5 SGB II erforderliche abstrakte Förderungsfähigkeit der Ausbildung gegeben, so kommt es auf die individuelle Förderungsfähigkeit, die im Verhältnis zum Träger der Ausbildungsförderleistung eingetreten ist, nicht mehr an. Dies betrifft sowohl Gründe, die zum Versagen von Förderleistungen führen als auch den individuell bedingten Umfang der Förderung und die Förderleistungen im Einzelnen.

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Brillengläser als Mehrbedarf?

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 7 AS 269/14 - Urteil vom 07.08.2014

Nach § 21 Abs. 6 SGB II wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Diese Regelung erfasst damit denjenigen Bedarf, der nicht schon von den §§ 20 ff. SGB II abgedeckt wird, weil die Einkommens- und Verbrauchsstatistik, auf der die Regelleistung beruht, allein den Durchschnittsbedarf in üblichen Bedarfssituationen widerspiegelt, nicht aber einen darüber hinausgehenden, besonderen Bedarf aufgrund atypischer Bedarfslagen. Dieser entsteht allerdings erst, wenn der Bedarf so erheblich ist, dass die Gesamtsumme der dem Leistungsberechtigten gewährten Leistungen - einschließlich der Leistungen Dritter unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten des Leistungsberechtigten - das menschenwürdige Existenzminimum nicht mehr gewährleiste.

Um einen laufenden Bedarf handelt es sich, wenn er innerhalb von sechs Monaten nicht nur einmalig, sondern mehrfach auftritt. Ein regelmäßig wiederkehrender Bedarf kann auch vorliegen, wenn er prognostisch zumindest im nächsten Bewilligungsabschnitt wieder entsteht. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Eigenart des Bedarfs kann ein laufender Bedarf aber auch angenommen werden, wenn er zwar häufiger auftritt, nicht jedoch zwingend in jedem Bewilligungsabschnitt gegeben ist und wegen der Höhe der damit verbundenen Aufwendungen nicht über die Darlehensregelung des § 24 Abs. 1 SGB II erfasst werden kann.

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Verordnung zu Unterkunftskosten in Berlin vom BSG gekippt

Bundessozialgericht - B 14 AS 53/13 R - Urteil vom 04.06.2014

Die vom Senat des Landes Berlin erlassene "Verordnung zur Bestimmung der Höhe der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch" (Wohnaufwendungenverordnung - WAV) ist materiell rechtswidrig und vom LSG zu Recht für unwirksam erklärt worden. Denn die Anforderungen an die Wahrnehmung der Normsetzungskompetenz nach § 22a Abs. 1 SGB II, die nach Bundesrecht wie bei der Konkretisierung von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II durch die Verwaltung eine realitätsgerechte Erfassung der Bedarfe für Unterkunft und ggf. Heizung erfordern und die für die Bestimmung der angemessenen Heizkosten nach § 22b Abs. 1 Satz 2 SGB II im Rahmen einer Gesamtangemessenheitsgrenze nach § 22b Abs. 1 Satz 3 SGB II ebenso gelten, werden nicht erfüllt. Die Verfehlung dieser höherrangigen bundesrechtlichen Anforderungen betrifft die WAV in ihrem Kern. Sie ist deshalb insgesamt unwirksam; eine nur teilweise Unwirksamkeit kommt nicht in Betracht.

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Zuordnung von Sparguthaben

Sozialgericht Gießen - S 22 AS 341/12 - Urteil vom 15.07.2014

Hinsichtlich der Zuordnung eines Sparguthabens zum Vermögen des Hilfebedürftigen hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze entwickelt:
- Bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit zur Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung ist vorhandenes Sparvermögen demjenigen zuzuordnen, der darüber verfügungsberechtigt ist.
- Es gibt keinen Rechtsgrundsatz, wonach sich der Hilfebedürftige am Rechtsschein der Kontoinhaberschaft festhalten lassen muss. Das gilt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts insbesondere für Sparbücher.
- In der zivilrechtlichen und oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung wird vertreten, bei Sparbüchern oder Konten, die von Eltern oder nahen Angehörigen auf den Namen eines Kindes angelegt und niemals aus der Hand gegeben werden, sei regelmäßig der Schluss zu ziehen, dass sich der Zuwendende die Verfügung über das Sparguthaben vorbehalten will und es deshalb nicht dem Kind zuzurechnen sei. Nur dann, wenn die Eltern oder nahen Angehörigen bei Volljährigkeit des Kindes diesem das Sparbuch zur Verfügung gestellt und es somit aus der Hand gegeben haben, ist das entsprechende Sparguthaben Vermögen des Kindes und nicht der Eltern oder nahen Angehörigen.

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Aufhebungsbescheide an Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft

Bundessozialgericht - B 14 AS 2/13 R - Urteil vom 04.06.2014

Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 SGB II wird vermutet, dass ein Leistungsberechtigter, der einen Antrag auf Leistungen stellt, bevollmächtigt ist, Leistungen nach dem SGB II auch für die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen zu beantragen und entgegenzunehmen. Daraus folgt, dass der auf Antrag eines erwerbsfähigen Leistungsberechtigten erteilte Bescheid diesem für alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft im Sinne des SGB II bekannt gegeben werden kann. § 38 Abs. 1 SGB II ist dahingehend auszulegen, dass die vermutete Bevollmächtigung alle Verfahrenshandlungen erfasst, die mit der Antragstellung und der Entgegennahme der Leistungen zusammenhängen und der Verfolgung des Anspruchs dienen. Aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität und Verwaltungsprozessökonomie soll verhindert werden, dass die Verwaltung sich bei der Bewilligung von Leistungen trotz des Einzelanspruchs jedes Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft stets an jeden einzelnen wenden muss.
Die Grenze der Wirkung des § 38 Abs. 1 SGB II wird aber bei Verwaltungsakten gesehen, die eine belastende Entscheidung beinhalten, insbesondere also bei Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden. Da § 38 Abs. 1 SGB II nichts an der materiellen Leistungsberechtigung ändert, stellt die Frage, wem gegenüber die Aufhebung eines Bewilligungsbescheids in welchem Umfang erfolgen kann und von wem die Erstattung von zu Unrecht gewährten Leistungen verlangt werden kann, eine Frage des materiellen Rechts dar. Daher muss grundsätzlich die Bekanntgabe eines inhaltlich auch an die übrigen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft gerichteten Aufhebungs- und Erstattungsbescheids gegenüber dem jeweils betroffenen Mitglied der Bedarfsgemeinschaft erfolgen. Die Bekanntgabe gegenüber dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, der die Leistungen beantragt hat, wirkt also nicht automatisch auch gegenüber den übrigen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft.

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Warmwasserkosten und Pauschalierung

Bayerisches Landessozialgericht - L 11 AS 293/13 - Urteil vom 18.09.2014

Nach § 21 Abs. 7 Satz 1 SGB II i.d.F. vom 13.05.2011 wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und deshalb keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22SGB II anerkannt werden. Der Mehrbedarf beträgt für jede im Haushalt lebende leistungsberechtigte Person jeweils 2,3 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs (§ 21 Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 SGB II). Ein höherer Bedarf besteht nicht. Im Hinblick auf die zur Abgeltung eines Mehrbedarfs bei dezentraler Warmwassererzeugung hat sich der der Gesetzgeber mit § 21 Abs. 7 SGB II grundsätzlich einer Abgeltung durch eine Pauschale bedient. Dies dient der Verwaltungsvereinfachung, weshalb Ermittlungen daher nach dem gesetzgeberischen Willen im Regelfall gerade nicht anzustellen und Ausnahmeregelungen vor diesem Hintergrund eng auszulegen sind. Der Gesetzgeber ist grundsätzlich auch berechtigt, die Kosten einer dezentralen Warmwasserbereitung, die nicht vom Regelbedarf i.S.v. § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfasst sind, durch Pauschalen abzugelten. Die Bemessung der Pauschalen, die an die Stelle eines ganz oder teilweise zu berücksichtigenden konkreten Aufwands treten, darf sich aber nicht an einem atypischen Fall orientieren und muss "realitätsgerecht" erfolgen, damit die typisierenden Regelungen in möglichst allen Fällen den entsprechenden Bedarf abdecken. Eine hohe "Treffergenauigkeit" ist gefordert, wenn es um pauschalierte Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums geht. Diese Leistungen müssen auf sorgfältigen Tatsachenermittlungen und vertretbaren Einschätzungen beruhen. Sozialpolitische Entscheidungen des Gesetzgebers sind verfassungsrechtlich anzuerkennen, solange seine Erwägungen weder offensichtlich fehlsam noch mit der Wertordnung des Grundgesetzes unvereinbar sind.
Grundsätzlich sind deshalb die in § 21 Abs. 7 SGB II vom Gesetzgeber festgelegten Pauschalen von den Gerichten zu beachten (Art 20 Abs. 3, Art 97 Abs. 1 Grundgesetz -GG-). Bei einem Konflikt zwischen einem einfachen Gesetz und der Verfassung kann sich ein Gericht nicht über das Gesetz stellen, es kann das Gesetz nur gemäß Art 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorlegen. Dies kommt aber nur dann in Betracht, wenn das vorlegende Gericht von der Verfassungswidrigkeit des einfachen Gesetzes überzeugt ist.

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Zur Erstausstattung der Wohnung

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 19 AS 26/13 - Urteil vom 24.02.2014

Nach § 24 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB II sind die Bedarfe für Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten nicht vom Regelbedarf nach § 20 umfasst. Um eine Erstausstattung im Sinne dieser Vorschrift handelt es sich, wenn erstmals ein Bedarf für die Ausstattung einer Wohnung besteht, der nicht bereits durch vorhandene Möbel und andere Einrichtungsgegenstände gedeckt war. Andernfalls liegt ein Fall der Ersatzbeschaffung vor. Der Anspruch ist insoweit bedarfsbezogen zu verstehen. Nur in Ausnahmefällen ist eine Ersatzbeschaffung einer Erstbeschaffung wertungsgemäß gleichzustellen. Weist der Leistungsempfänger nach, dass er im Zusammenhang mit besonderen Ereignissen über die nunmehr notwendigen Ausstattungsgegenstände nicht oder nicht mehr verfügt, kann der erneute Anfall des Bedarfs dem ersten gleichstehen. Eine besondere Bedarfslage liegt z. B. vor bei Totalverlust von Einrichtungsgegenständen infolge eines Wohnungsbrandes, Obdachlosigkeit, eine langjährige Inhaftierung, einem Rückumzug aus dem Ausland oder einem von dem SGB II-Träger veranlassten Umzug. Allein die durch Alter und Abnutzung eingetretene Unbrauchbarkeit von Einrichtungsgegenständen stellt unter Berücksichtigung des Gesichtspunkts, dass die Leistungspflicht des Grundsicherungsträgers aus § 24 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB II wegen ihres Ausnahmecharakters eng begrenzt ist keine atypische Bedarfslage dar.

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Gewinn und Verlust bei mehreren Gewerbebetrieben

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 18 AS 2232/11 - Urteil vom 26.02.2014

§ 3 Abs. 2 Alg II-V a.F. bestimmt, dass zur Berechnung des Einkommens von den Betriebseinnahmen die im Bewilligungszeitraum tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben mit Ausnahme der nach § 11 Abs. 2 SGB II a.F. abzusetzenden Beträge ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften abzusetzen sind. Nach diesen Maßgaben ist zunächst auf die Einnahmen von einem konkreten Betrieb und eben nicht allgemein auf Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit abzustellen. Werden mehrere selbständige Gewerbezweige nebeneinander betrieben, sind deshalb die Einnahmen eines jeden einzelnen Betriebes gesondert zu ermitteln. Vor den so ermittelten Einnahmen sind die tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben abzusetzen. Notwendige Ausgaben sind in diesem Sinne nur solche Ausgaben, die für die Erzielung der Einnahmen des konkreten Betriebs erforderlich sind, also mit diesen in einem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Werden mehrere selbständige Gewerbezweige nebeneinander betrieben, so können danach nur die Ausgaben den Betriebseinnahmen gegenüber gestellt werden, die für den jeweiligen einzelnen Gewerbezweig angefallen sind. § 3 Abs. 1 und Abs. 2 Alg II-V a.F. geben damit eine betriebsbezogene Betrachtung vor. Dementsprechend sind Einnahmen und Ausgaben nur hinsichtlich des einzelnen betriebenen Gewerbes zu saldieren. § 3 Alg II-V a.F. lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass Verluste aus einem Gewerbebetrieb auf einen anderen übertragen werden können.

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Absetzung eines geleasten PKW  

Bundessozialgericht - B 4 AS 31/13 R - Urteil vom 05.06.2014

Der Umstand, dass es sich bei dem Leasing um eine Finanzierungsweise handelt, bei der das Leasingobjekt vom Leasinggeber beschafft und finanziert wird und dem Leasingnehmer gegen Zahlung eines vereinbarten Entgelts für die vereinbarte Zeit lediglich zur Nutzung überlassen wird, steht einer Berücksichtigung als Absetzbetrag nicht grundsätzlich entgegen, wenn das Fahrzeug zur Ausübung der selbstständigen Tätigkeit benötigt wird. In gleicher Weise wie bei Mietausgaben für Geschäftsräume oder sonstigen Tilgungsraten für den Erwerb notwendiger Ausstattungsgegenstände für eine selbstständige Tätigkeit können Leasingraten der Bereitstellung eines Kfz als notwendigem Arbeitsmittel dienen.

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Zur "Erstausstattung" einer Wohnung

Bundessozialgericht - B 4 AS 57/13 R - Urteil vom 06.08.2014

Die erneute Beschaffung von Einrichtungsgegenständen als "Wohnungserstausstattung" durch einen Zuschuss des Leistungsträgers ist nur unter engen Voraussetzungen möglich. Zum einen muss überhaupt ein Bedarf des Leistungsberechtigten im Hinblick auf die begehrten Einrichtungsgegenstände bzw. den begehrten Einrichtungsgegenstand gegeben sein. Dies ist dann der Fall, wenn er nicht mehr über die für eine geordnete Haushaltsführung und ein an den herrschenden Lebensgewohnheiten orientiertes Wohnen angemessenen wohnraumbezogenen Gegenstände im Sinne des Grundsicherungsrechts verfügt. In gleicher Weise wie bei der Erstbeschaffung ist auch bei einer dieser "wertend" gleichzusetzenden erneuten Beschaffung eine bedarfsbezogene Betrachtungsweise gefordert. Insofern haben die beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG entschieden, dass sich ein solcher Anspruch auf Beschaffung bei einem erneuten Bedarfsanfall nicht notwendig auf eine komplette oder mehrere Einrichtungsgegenstände umfassende Ausstattung beziehen muss und Verschuldensgesichtspunkte nicht schon bei der Feststellung des Bedarfs berücksichtigt werden. Der im SGB II zu deckende Bedarf muss jedoch grundsätzlich aktuell bestehen und auch aktuell vom Grundsicherungsträger zu decken sein.

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Bagatellgrenze bei Streit um SGB II Leistungen?

Bundessozialgericht - B 14 AS 30/13 R - Urteil vom 04.06.2014

Anerkannt worden ist auch in der Rechtsprechung des BSG das gesetzgeberische Ziel, die Auszahlung von Bagatellbeträgen zu vermeiden. Dabei ist Ausgangspunkt allerdings, dass auch geringfügige Eingriffe in die Rechtsposition eines Leistungsberechtigten nicht grundsätzlich allein mit dem gesetzgeberischen Ziel der Verwaltungsvereinfachung abgewiesen werden können. Es verbleibt danach aber selbst im Bereich existenzsichernder Leistungen ein "Bagatellbereich" dort, wo der Gesetzgeber nicht aus Gründen der Existenzsicherung des Einzelnen, sondern zur Vereinfachung verwaltungsinterner Abläufe (und damit letztlich zur Beschleunigung der Auszahlung existenzsichernder Leistungen) bei der Berechnung der Leistung  entsprechende Regelungen erlässt.  

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Arbeitslosengeld I

Meldeversäumnis besagt nichts über Verfügbarkeit

Bundessozialgericht - B 11 AL 8/13 R - Urteil vom 14.05.2014

Ein dreimaliges Meldeversäumnis begründet nicht ipso jure, dass die Verfügbarkeit eines Arbeitslosen entfällt.
Die Regelung des § 119 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 Nr. 2 SGB III a.F. verlangte für das Vorliegen von Arbeitslosigkeit, dass ein Arbeitnehmer den Vermittlungsbemühungen der Beklagten objektiv zur Verfügung steht, indem er deren Vorschlägen zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann. Aus der Regelung wird weder nach dem Wortlaut noch nach dem Sachzusammenhang erkennbar, dass der Gesetzgeber das Vorhandensein dieser äußeren Tatsache allein anhand des Erscheinens bei Meldeterminen feststellen lassen will. § 119 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 Nr. 3 SGB III a.F. verlangte für das Vorliegen von Arbeitslosigkeit weiter, dass ein Arbeitnehmer den Vermittlungsbemühungen der Beklagten subjektiv zur Verfügung steht, indem er bereit ist, jede versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarkts anzunehmen und auszuüben. Aus der Regelung ergibt sich weder nach deren Wortlaut noch nach dem Sachzusammenhang, dass das Vorliegen dieser inneren Tatsache allein anhand des Erscheinens bei Meldeterminen festzustellen wäre.
Weder die objektive Verfügbarkeit (§ 119 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 Nr. 1 SGB III a.F.) noch die subjektive Verfügbarkeit (§ 119 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 Nr. 4 SGB III a.F.) weisen einen Bezug zur Wahrnehmung von Meldeterminen auf.

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Gleichstellung mit Schwerbehinderten

Bundessozialgericht - B 11 AL 16/13 R - Urteil vom 06.08.2014

Zwischen der Behinderung und der Erforderlichkeit der Gleichstellung muss ein Ursachenzusammenhang bestehen ("infolge"). Ein solcher liegt vor, wenn bei wertender Betrachtung in der Art und Schwere der Behinderung die Schwierigkeit begründet ist, den geeigneten Arbeitsplatz zu behalten. Die Kausalitätsprüfung hat nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu erfolgen. Ausreichend für die Bejahung des Ursachenzusammenhangs ist es, wenn die Behinderung zumindest eine wesentliche Mitursache für die Arbeitsmarktprobleme des behinderten Menschen ist. Dagegen reichen betriebliche Defizite wie Missverständnisse, nicht geklärte Zuständigkeiten, ein unfreundlicher Umgang miteinander, unklare Arbeitsanweisungen, fachliche Defizite und fehlendes Verständnis für die jeweilige Situation des anderen oder auch persönliche Schwierigkeiten mit Vorgesetzten nicht aus, weil diese Umstände nicht auf der Behinderung beruhen. Um den Kausalzusammenhang zwischen Behinderung und Erforderlichkeit der Gleichstellung annehmen zu können, ist keine absolute Sicherheit im Sinne des Vollbeweises erforderlich. Vielmehr genügt - wie auch sonst bei sozialrechtlichen Kausalitätsprüfungen -, dass der Arbeitsplatz durch die Gleichstellung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit sicherer gemacht werden kann.

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Nächste Ausgabe

Die nächste Ausgabe unserer Zeitschrift erscheint im Januar 2015!

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