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Ausgabe 6/2014November vom 09.11.2014Druckversion der Zeitung (pdf-Format ohne weiterführende Links). Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer |
Herausgeber und verantwortlich im Sinne des
Pressegesetzes Dorothea Strake erscheint alle 2 Monate Liebe Leser, anbei die letzte Ausgabe unserer Zeitung für dieses Jahr. Wir wünschen daher jetzt schon allen Lesern einen friedlichen Jahresausklang und ein gesegnetes Jahr 2015. Wir melden uns mit der nächsten Ausgabe am ersten Januarwochenende. Ihr Team des Sozialmedizinischen Verlags. |
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Ein auf einen bestimmten GdB eingeschränkter Klageantrag führt zur Teilbestandskraft Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 13 SB 171/13 - Urteil vom 26.09.2014 Wird mit der Klageschrift ausdrücklich nur die Feststellung eines bestimmten Grades der Behinderung (GdB) begehrt, erwächst der angefochtene Bescheid insoweit in Teilbestandskraft, als dass die Feststellung eines höheren GdB in dem Klageverfahren ausgeschlossen ist. <<< nach oben >>> G und B aufgrund einer Angststörung Sozialgericht Augsburg - S 8 SB 301/13 - Urteil vom 31.07.2014 Eine Angststörung mit Panikattacken, die bei allen Wegen außer Haus auftreten, ist als psychogene Gangstörung zu werten und einem Anfallsleiden gleichzustellen. Daraus folgt, dass dann auch die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche "G" (erhebliche Gehbehinderung) und "B" (ständige Begleitung) erfüllt sind. <<< nach oben >>> Der GdB für eine Mukoviszidose umfasst Einschränkungen der Lungenfunktion und Störungen der Ernährung Sozialgericht Augsburg - S 8 SB 601/13 - Urteil vom 05.09.2014 Die aus einer Mukoviszidose resultierenden bzw. damit einhergehenden Einschränkungen, die vorliegend in rezidivierenden bronchialen Infekten und einer exokrinen Pankreasinsuffizienz bestehen, sind nicht gesondert bzw. zusätzlich nach anderen Grundsätzen der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG) zu bewerten. Das führte ansonsten zu einer Doppelwertung. Wie sich aus der Formulierung in Teil B. 15.5 VMG ablesen lässt, werden damit sowohl Einschränkungen der Lungenfunktion bzw. der Atemwege als auch Störungen der Ernährung und weitere Folgen der Mukoviszidose wie Diabetes umfasst. <<< nach oben >>> Kein "aG" bei 100m mit Rollator Sozialgericht Aachen - S 12 SB 1088/12 - Urteil vom 19.08.2014 Kann ein behinderter Mensch unter Zuhilfenahme eines Rollators eine Wegstrecke von 100 m zurücklegen, besteht auch dann kein Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleichs "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung), wenn er dabei eine deutliche Anstrengung zeigt, aber keine besondere Luftnot oder kardiale Erschöpfungszeichen festzustellen sind. Eine Sturzgefahr begründet nur dann die Inanspruchnahme des Merkzeichens "aG", wenn diese Gefahr so ausgeprägt ist, dass aus der objektiven und medizinisch begründeten Sicht eines vernünftigen Behinderten der behinderte Mensch dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen wäre. <<< nach oben >>> Zur GdB-Bewertung des Morbus Crohn Sozialgericht Hannover - S 25 SB 556/12 - Urteil vom 24.07.2014 Die Einstufung eines Morbus Crohn als Erkrankung mit schwerer
Auswirkung (Gdb 50 - 60) setzt keine Beeinträchtigung des Kräfte- und
Ernährungszustandes voraus. Bei den in Teil B Ziffer 10.2.2
Versorgungsmedizinische Grundsätze aufgeführten Symptomen handelt es
sich "lediglich" um nicht abschließende Regelbeispiele.
Bereits die durchgeführte anti-TNF-alpha-Antikörpertherapie mit
Adalimumab in Verbindung mit der immunsuppressiven Therapie mit
Azathioprin führt dazu, dass von einem Morbus Crohn mit schwerer
Auswirkung auszugehen ist. <<< nach oben >>> Strenge Voraussetzungen für Merkzeichen "RF" Sozialgericht Karlsruhe - S 17 SB 2316/13 - Gerichtsbescheid vom 02.09.2014 Eine öffentliche Veranstaltung ist jede grundsätzlich jedermann
uneingeschränkt oder bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen (z. B.
Eintrittsgeld) zugänglich gemachte Veranstaltung im Sinn einer Organisation von
Darbietungen verschiedenster Art. Dazu zählen Veranstaltungen politischer,
künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender
oder wirtschaftlicher Art, wobei es auf das tatsächliche Angebot von
Veranstaltungen im örtlichen Einzugsbereich des Behinderten ebenso wenig
ankommt wie auf seine persönlichen Vorlieben, Bedürfnisse, Neigungen oder
Interessen. <<< nach oben >>> GdB 50 für Behinderung der unteren Gliedmaßen keine Voraussetzung für "G" Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 8 SB 5215/13 - Urteil vom 26.09.2014 Die in D Nr. 1 Versorgungsmedizinische Grundsätze - VG - enthaltenen Regelungen zum Merkzeichen "G" sind mangels Rechtsgrundlage (Art. 80 GG) unwirksam und deshalb ist für die Beurteilung der erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr allein auf die Tatbestände der §§ 145 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 146 SGB IX abzustellen und damit auf die Frage, ob infolge einer Einschränkung des Gehvermögens die betreffende Person üblicherweise im Ortsverkehr noch zu Fuß zurückgelegte Wegstrecken ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere zurückzulegen vermag. Das Tatbestandsmerkmal der im Ortsverkehr üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegten Wegstrecke i.S.d. § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist nur an die Fähigkeit geknüpft, Wegstrecken von etwa 2 km in etwa einer halben Stunde ohne Berücksichtigung von geographischen Besonderheiten im Einzelfall zurückzulegen. <<< nach oben >>>
Zu den möglichen Folgen einer Dupuytren-Operation Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 13 VM 61/08 - Urteil vom 26.09.2014 Die in der Wissenschaft diskutierte Möglichkeit, dass bei Operationen an der Hand bei gleichzeitiger Dupuytren`scher Strangbildung diese sich durch die operative Verletzung verdicken oder verkürzen könnte, ist nicht bewiesen. Bei der Dupuytren`schen Krankheit ist die sogenannte Gesetzlosigkeit typisch. Aufgrund der Krankheit kann es zu zahlreichen Behinderungen durch Strangbildung kommen, muss es aber nicht. Es kann auch zunächst über längere Zeit zu keinem Rezidiv kommen, dann aber sich eines bilden bzw. eine Neubildung stattfinden. Es kann nicht gesagt werden, dass nach einer Operation ein beschleunigter Krankheitsverlauf auftritt. Das Gegenteil ist der Fall; auch wenn die Zahlen des Rezidivs hoch sind, behalten durch eine Operation 60% der Betroffenen einen guten Finger. Dennoch kann, und zwar unabhängig von der Qualität des Operateurs, eine Dupuytren-Krankheit auch nach einer Operation immer wieder kommen. Es kann auch nicht vorausgesagt werden, welche Folgen eintreten, wenn nicht operiert wird, da die Dupuytren-Erkankung einer fehlenden Gesetzmäßigkeit unterliegt. <<< nach oben >>> Zur Feststellung eines Impfschadens Hessisches Landessozialgericht - L 1 VE 12/09 - Urteil vom 26.06.2014 Die Feststellung einer Impfkomplikation im Sinne einer impfbedingten Primärschädigung hat grundsätzlich in zwei Schritten zu erfolgen: Zunächst muss ein nach der Impfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen als erwiesen erachtet werden. Sodann ist die Beurteilung erforderlich, dass diese Erscheinungen mit Wahrscheinlichkeit auf die betreffende Impfung zurückzuführen sind. Bei der jeweils vorzunehmenden Kausalbeurteilung sind im sozialen Entschädigungsrecht die bis Ende 2008 in verschiedenen Fassungen geltenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) anzuwenden und zu berücksichtigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts handelt es sich bei den schon seit Jahrzehnten von einem Sachverständigenbeirat beim zuständigen Bundesministerium erarbeiteten und ständig weiterentwickelten AHP insbesondere um eine Zusammenfassung medizinischen Erfahrungswissens und damit um sog. antizipierte Sachverständigengutachten. Die AHP sind in den Bereichen des sozialen Entschädigungs- und des Schwerbehindertenrechts generell anzuwenden und wirken dadurch wie eine Rechtsnorm ("normähnlich"). Für den Fall, dass sie nicht mehr den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft wiedergeben, sind sie allerdings nicht anwendbar. Dann haben Verwaltung und Gerichte auf andere Weise den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft zu ermitteln. Die AHP enthalten in allen zu betrachtenden Fassungen seit 1983 unter den Nrn. 53 bis 142/143 Hinweise zur Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitszuständen, wobei die Nr. 56 Impfschäden im Allgemeinen und die Nr. 57 Schutzimpfungen im Einzelnen zum Inhalt haben. <<< nach oben >>>
Buscopan® ist beim Reizdarmsyndrom und bei spastischen Beschwerden nicht verordnungsfähig Bundessozialgericht - B 6 KA 21/13 R - Urteil vom 14.05.2014 Buscopan®, ein lediglich apothekenpflichtiges Medikament ist nicht in die Liste der ausnahmsweise zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähigen Arzneimittel aufzunehmen, soweit es um die Indiaktion Reizdarmsyndrom und spastische Beschwerden geht. Hinsichtlich der Indikation "Schwere und schwerste Fälle spastischen Abdominalbeschwerden" muss der Gemeinsame Bundesausschuss noch entscheiden. <<< nach oben >>> Kein Abwehranspruch gegen die Anerkennung konkurrierender Behandlungsmethoden Bundessozialgericht - B 6 KA 28/13 R - Urteil vom 14.05.2014 Der Hersteller bzw. Vertreiber von Systemen zur Behandlung von Psoriasis-Patienten (synchrone Photosoletherapie) kann die Anerkennung der konkurrierenden Behandlungsmethoden in Form der asynchronen Photosoletherapie sowie der Bade-PUVA durch den beklagten G-BA und deren Aufnahme als anerkannte Behandlungsmethode nicht rechtswirksam anfechten. <<< nach oben >>> Patientenvertreter hat kein eigenständiges Antragsrecht im Gemeinsamen Bundesausschuss Bundessozialgericht - B 6 KA 29/13 R - Urteil vom 14.05.2014 Nach § 140f Abs. 2 SGB V erhalten die für die Wahrnehmung der Interessen der Patientinnen und Patienten und der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen auf Bundesebene maßgeblichen Organisationen im Gemeinsamen Bundesausschuss ein Mitberatungsrecht; die Organisationen benennen hierzu sachkundige Personen ("Patientenvertreter"). Diesem Patientenvertreter steht jedoch kein eigenständiges Antragsrecht zu. Das Recht, bei Beschlüssen des Gemeinsamen Bundesausschuss Anträge zu stellen, steht vielmehr den Patientenorganisationen selbst zu. <<< nach oben >>>
Zur Wirksamkeit und Anfechtbarkeit einer Berufungsrücknahme Bayerisches Landessozialgericht - L 15 SB 189/13 - Urteil vom 06.02.2014 Auch wenn in dem Protokoll über einen gerichtlichen Termin der Vermerk über die Genehmigung der erklärten Berufungsrücknahme - "vorgelesen und genehmigt" - fehlt, ist die Berufungsrücknahme wirksam. Die Berufungsrücknahme als Prozesshandlung kann weder frei widerrufen noch entsprechend den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften wegen Irrtums oder Drohung angefochten werden. Allenfalls ausnahmsweise kann entsprechend den Regeln über die Wiederaufnahmeklage eine Rücknahme widerrufen werden, falls ein gesetzlicher Restitutionsgrund gegeben wäre. <<< nach oben >>> Zu sog. "Mutwillenskosten" Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 20 AY 7/14 - Beschluss vom 04.11.2014 Nach der Gesetzesbegründung wird dem Gericht in § 192 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG die Möglichkeit eröffnet, einem Beteiligten Kosten aufzuerlegen, wenn die Erhebung der Klage oder sonstige Verfahrenshandlungen als Missbrauch des grundsätzlich kostenfreien sozialgerichtlichen Rechtsschutzes anzusehen sind. Insoweit genügt jedoch allein die Aussichtslosigkeit der (weiteren) Rechtsverfolgung als solche nicht. Hinzu kommen müssen vielmehr weitere Umstände, die die Rechtsverfolgung im Einzelfall missbräuchlich erscheinen lassen. Eine Missbräuchlichkeit kann so etwa dann angenommen werden, wenn das Klagebegehren offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist und seine (Weiter-) Verfolgung von jedem Einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden muss. <<< nach oben >>> Definition "Sozialleistungen" Bundessozialgericht - B 11 AL 7/13 R - Urteil vom 06.08.2014 Gemäß § 11 Satz 1 SGB I sind Sozialleistungen die in diesem Gesetzbuch vorgesehenen Dienst-, Sach- und Geldleistungen. Die Bestimmung einer Leistung als Sozialleistung hat in Orientierung an der durch das Sozialrecht gestalteten Beziehung zwischen dem Bürger und einem Sozialleistungsträger zu erfolgen. Eine Sozialleistung i.S. der §§ 11, 45 SGB I liegt regelmäßig dann vor, wenn die Leistung durch einen Sozialleistungsträger nach den Bestimmungen des SGB einem Sozialleistungsberechtigten zu erbringen ist und diesen individuell begünstigt; sie wird dann in aller Regel auch der Verwirklichung eines sozialen Rechts i.S. der §§ 3 bis 10 SGB I dienen. <<< nach oben >>> Darf Ehegatte bei Untersuchung durch den Sachverständigen anwesend sein? Bayerisches Landessozialgericht - L 2 SF 155/12 B - Beschluss vom 20.11.2013 Der Ausschluss des Ehegatten von der Untersuchung durch den Sachverständigen stellt nicht ohne Weiteres einen Verstoß gegen ein faires Verfahren oder einen verfassungswidrigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Klägers. nach Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) oder gar dessen Menschenwürde nach Art. 1 GG dar. Im sozialgerichtlichen Verfahren besteht kein Zwang, sich einer Begutachtung zu unterziehen. Der Kläger muss eine Begutachtung ohne Anwesenheit ihres Ehemanns nicht dulden und kann die Begutachtung ablehnen. Es obliegt dann der Kammer, zu entscheiden, ob die Weigerung der Mitwirkung rechtliche Folgen wie z.B. die Umstellung des Gutachtensauftrages auf eine Begutachtung nach Aktenlage, ein Vorgehen wegen Verweigerung der Mitwirkung nach §§ 60 ff des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB I) oder eine Beweislastenscheidung auslöst bzw. ob die Untersagung der Anwesenheit einer Vertrauensperson bei der Untersuchung verhältnismäßig war. Denkbar wäre beispielsweise auch der Ausschluss der Vertrauensperson nur bei Teilen der Untersuchung. <<< nach oben >>> Voraussetzungen für Rücknahmefiktion Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 19 AS 1532/14 B - Beschluss vom 29.09.2014 Die Rücknahmefiktion des § 102 Abs. 2 SGG greift in das (Prozess-)Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG bzw. in die entsprechenden Verfahrensgehalte der im Einzelfall betroffenen materiellen Grundrechte ein. Zwar ist dies grundsätzlich zulässig. Nach der Rechtsprechung des BVerfG darf ein Gericht im Einzelfall von einem Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses ausgehen, wenn das Verhalten eines Verfahrensbeteiligten Anlass zu der Annahme bietet, dass ihm an einer Sachentscheidung nicht mehr gelegen ist. Das BVerfG hat zugleich aber betont, dass Vorschriften über eine Fiktion der Klagerücknahme Ausnahmecharakter haben, der bei ihrer Auslegung und Anwendung besonders zu beachten ist. § 102 Abs. 2 SGG dient nicht als Sanktion für einen Verstoß gegen prozessuale Mitwirkungspflichten oder unkooperatives Verhalten eines Beteiligten. Die Rücknahmefiktion soll nur die Voraussetzungen für die Annahme eines weggefallenen Rechtschutzinteresses festlegen und gesetzlich legitimieren. <<< nach oben >>> Zur Entscheidung nach § 199 SGG im Berufungsverfahren Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 21 R 12/13 - Beschluss vom 29.09.2014 Bei der Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Dies ergibt sich aus der Formulierung "so kann der Vorsitzende", wie insbesondere eine Betrachtung der Berücksichtigung des systematischen Zusammenhanges zeigt. Im Hinblick auf das danach bestehende Ermessen ergibt sich auch keine zwingende entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Einstellung der Zwangsvollstreckung bei Rechtsmitteln (§ 719 ZPO), weshalb die Aussetzung der Vollstreckung nicht etwa nur dann in Betracht kommt, wenn glaubhaft gemacht wird, dass die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde. <<< nach oben >>>
Dauer allein noch kein Grund für Entschädigung Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 11 SF 489/13 EK AS - Beschluss vom 21.08.2014 Allein aufgrund einer Zeitdauer kann nicht auf eine unangemessene Verfahrensdauer geschlossen werden. Denn § 198 GVG, der wiederum auf den Vorgaben der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts beruht, gibt keine gesetzlich definierte Grenze für die Angemessenheit der Verfahrensdauer vor, sondern knüpft im Gegenteil an eine im Einzelfall unangemessene Verfahrenslänge an. Mit § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG hat der Gesetzgeber ausdrücklich von einer "Fristenlösung" abgesehen, weil sie der Vielfältigkeit prozessualer Situationen nicht gerecht würde. Im Übrigen ist eine generelle Festlegung, wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, auch nicht möglich, weil die Zügigkeit von Verfahren kein absoluter Wert, sondern stets im Zusammenspiel mit den übrigen Verfahrensgrundsätzen und dem Interesse an einer gründlichen Bearbeitung durch das Gericht zu sehen ist. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benennt deshalb nur beispielhaft und ohne abschließenden Charakter Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind: die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Zu beachten ist bei der Bewertung eines Zeitraums als unangemessen i.S.d. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG überdies, dass Zeiten, die u.a. für eine Meinungsbildung des angerufenen Gerichts erforderlich sind, nicht als Verzögerungszeit zu berücksichtigen sind. Gleichermaßen besteht auch kein Anspruch darauf, dass ein Rechtsstreit, auch wenn er entscheidungsreif ist, sofort bzw. unverzüglich vom Gericht entschieden wird. <<< nach oben >>> Verfahrensbeendigung unmittelbar nach Verzögerungsrüge Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 37 SF 82/12 EK R - Urteil vom 20.12.2013 Zwar trifft es zu, dass nach § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach § 198 Abs. 1 GVG frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden kann. Indes hat der Bundesfinanzhof bereits entschieden, dass die Erledigung vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist jedenfalls in den Fällen, die eine bereits vor Inkrafttreten des GRüGV eingetretene Verzögerung betreffen, einem Entschädigungsanspruch nicht entgegenstehen könne. Denn schon vor Inkrafttreten des GRüGV sei die Bundesrepublik Deutschland mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verpflichtet gewesen, Rechtsschutz in angemessener Zeit zu gewähren und für Fälle der Verletzung des genannten Anspruchs eine wirksame Beschwerdemöglichkeit zur Verfügung zu stellen (Art. 13 EMRK). Würde eine vor Inkrafttreten des GRüGV eingetretene Verzögerung dadurch rückwirkend "geheilt", dass das Gericht das Verfahren kurzfristig nach einer - erstmals ab dem Inkrafttreten des Gesetzes überhaupt möglichen - Verzögerungsrüge beende, stünde dem Betroffenen hinsichtlich der eingetretenen Verzögerung weder ein wirksamer Rechtsbehelf noch ein Entschädigungsanspruch zu. Dies wäre mit den aus der EMRK folgenden und vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mehrfach festgestellten Pflichten Deutschlands unvereinbar. <<< nach oben >>> Violinist und Halswirbelsäulenerkrankung Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 2 U 30/11 - Urteil vom 03.11.2011 - B 2 U 3/12 R. Es ist in Literatur und Rechtsprechung dem Grunde nach unstreitig, dass die generelle Ursächlichkeit/Geeignetheit der Einwirkung wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen muss, damit eine Krankheit als Berufskrankheit anerkannt werden kann. Dies setzt normalerweise voraus, dass der Nachweis anhand statistisch relevanter Zahlen für eine Vielzahl von Geschehensabläufen erfolgt. Die Feststellung, dass eine Krankheit in einer bestimmten beruflich exponierten Personengruppe erheblich häufiger auftritt als in der übrigen Bevölkerung - so genannte Gruppentypik, erfordert in der Regel den Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine lange zeitliche Überwachung derartiger Krankheitsbilder, um mit Sicherheit daraus schließen zu können, dass die Ursache der Krankheit in einem schädigenden Arbeitsleben liegt. <<< nach oben >>> Unfall auf dem Weg zur Arbeit Bayerisches Landessozialgericht - L 2 U 180/13 - Urteil vom 07.05.2014 Soweit für das Zurücklegen des Wegs, insbesondere die Wahl der Route, (auch) Gründe von Bedeutung sind, die nicht mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängen, und damit auch eine privatwirtschaftliche Handlungstendenz, handelt es sich beim Zurücklegen des Weges um eine sogenannte Verrichtung mit gemischter Motivationslage bzw. gespaltener Handlungstendenz, denn sie erfolgt sowohl mit privatwirtschaftlicher als auch mit versicherungsbezogener Handlungstendenz. Eine solche Verrichtung mit gespaltener Handlungstendenz steht dann im inneren bzw. sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, wenn die konkrete Verrichtung hypothetisch auch dann vorgenommen worden wäre, wenn die private Motivation des Handelns entfallen wäre, wenn also die Verrichtung nach den objektiven Umständen in ihrer konkreten, tatsächlichen Ausgestaltung ihren Grund in der betrieblichen Handlungstendenz findet. Insoweit ist nicht auf Vermutungen über hypothetische Geschehensabläufe außerhalb der konkreten Verrichtung und der objektivierten Handlungstendenzen, sondern nur auf die konkrete Verrichtung selbst abzustellen. Es ist zu fragen, ob die Verrichtung, so wie sie durchgeführt wurde, objektiv die versicherungsbezogene Handlungstendenz erkennen lässt. Von Bedeutung ist insoweit, ob und inwieweit die gewählte Route von weiteren verkehrsgerechten Routen mehr als geringfügig abweicht. <<< nach oben >>> Zur post traumatischen Belastungsstörung Bayerisches Landessozialgericht - L 2 U 4/11 - Urteil vom 04.08.2014 Nach F 43.1 der ICD 10 entsteht die PTBS als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Dabei können prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z.B. zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. <<< nach oben >>> Weihnachtsfeier versicherte Tätigkeit? Bundessozialgericht - B 2 U 7/13 R - Urteil vom 26.06.2014 Eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherte Tätigkeit als Beschäftigte wird verrichtet, wenn die Verletzte zur Erfüllung eines von ihr begründeten Rechtsverhältnisses als Beschäftigte, insbesondere eines Arbeitsverhältnisses, einer eigenen Tätigkeit in Eingliederung in das Unternehmen eines anderen zu dem Zweck nachgeht, dass die Ergebnisse ihrer Verrichtung diesem und nicht ihr selbst unmittelbar zum Vorteil gereichen. Dabei kommt es objektiv auf die Eingliederung des Handelns der Verletzten in das Unternehmen eines anderen und subjektiv auf die zumindest auch darauf gerichtete Willensausrichtung an, dass die eigene Tätigkeit unmittelbare Vorteile für das Unternehmen des anderen bringen soll. Eine Beschäftigung i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII wird daher ausgeübt, wenn die Verrichtung zumindest dazu ansetzt und darauf gerichtet ist, eine eigene objektiv bestehende Haupt- oder Nebenpflicht aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis zu erfüllen, die Verletzte eine objektiv nicht geschuldete Handlung vornimmt, um einer vermeintlichen Pflicht aus dem Rechtsverhältnis nachzugehen, sofern sie nach den besonderen Umständen ihrer Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung annehmen durfte, sie treffe eine solche Pflicht, oder sie unternehmensbezogene Rechte aus dem Rechtsverhältnis ausübt. Eine den Versicherungsschutz als Beschäftigte begründende Tätigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung auch die Teilnahme an einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung, z.B. einer betrieblichen Weihnachtsfeier, auch wenn hierfür eine spezielle normative Regelung zur Einbeziehung in den Unfallversicherungsschutz fehlt. Die in die Arbeitsorganisation des Unternehmens eingegliederten Beschäftigten unterstützen durch ihre von der Unternehmensleitung gewünschte und ggf. sogar geforderte Teilnahme das von ihr dadurch zum Ausdruck gebrachte Unternehmensinteresse, die betriebliche Verbundenheit zu fördern. Der Schutzzweck der Beschäftigtenversicherung rechtfertigt es, die Teilnahme an einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung als Bestandteil der geschuldeten versicherten Tätigkeit i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII zu betrachten. <<< nach oben >>> Krankenkasse muss Kosten für Lucentis übernehmen Bundessozialgericht - B 1 KR 11/13 R - Urteil vom 02.09.2014 Gesetzlich Krankenkassen müssen die vollständigen Kosten der Behandlung mit Lucentis, einem Arzneimittel für die Behandlung der altersbedingten Makuladegeneration durch mehrere Injektionen, übernehmen. Die Krankenversicherten müssen sich wegen der ansonsten ggf. bestehenden Risiken nicht auf eine Auseinzelung von Lucentis, d.h. eine Aufteilung des in Form einer Durchstechflasche angebotenen Arzneimittels für die einzelnen Injektionen, einlassen. <<< nach oben >>> Treppensteighilfe ist Leistung der Pflegeversicherung Bundessozialgericht - B 3 KR 1/14 R - Urteil vom 16.07.2014 Ein dauerhaft auf einen Rollstuhl Angewiesener hat Anspruch auf Versorgung mit einer elektronisch betriebenen mobilen Treppensteighilfe. Die Krankenkasse hat für dieses Hilfsmittel grundsätzlich nicht aufzukommen, weil es nur wegen einer besonderen Wohnsituation (Treppe) benötigt wird. Die Treppensteighilfe ist jedoch ein Pflegehilfsmittel, weil mit seiner Hilfe eine selbstständigere Lebensführung des Pflegebedürftigen ermöglicht wird. Bei der Hilfsmittelversorgung durch die GKV kommt es nicht auf die konkreten Wohnverhältnisse des einzelnen Versicherten an. Die baulichen Gegebenheiten der Wohnung und die Gestaltung des individuellen Umfeldes, die anderswo - etwa nach einem Umzug - nicht ebenso vorhanden sind, sind bei der Hilfsmittelversorgung durch die GKV nicht zu berücksichtigen. Denn für die medizinische Rehabilitation als Aufgabe der GKV ist allein der Gesundheitszustand des Versicherten maßgeblich, nicht aber seine Wohnsituation. Die Leistungen der GKV dürfen - soweit gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehen - nicht maßgeblich von anderen als medizinischen Erfordernissen abhängig gemacht werden. Aus diesem Grund nimmt das BSG auch bezüglich anderer Hilfsmittel grundsätzlich auf einen abstrakten, von den Gegebenheiten des jeweiligen Wohnorts unabhängigen Maßstab z.B. bei der Bestimmung des Nahbereichs Bezug. Der Versicherte muss das Hilfsmittel also nicht nur gerade wegen der Gegebenheiten seiner konkreten Wohnverhältnisse, sondern in gleicher Weise auch in praktisch jeder Art von Wohnung und deren Umfeld benötigen. Mit anderen Worten: Ein zweiter Versicherter mit den gleichen körperlichen Beeinträchtigungen müsste auf das Hilfsmittel in dessen Wohn- und Lebenssituation ebenfalls angewiesen sein. Fehlt es daran, ist ein Anspruch nach § 33 SGB V in der Regel ausgeschlossen. Es kann sich dann nur um eine Form der Hilfe zur Anpassung an die konkrete Wohnsituation handeln, für die nicht die Krankenkassen, sondern der Versicherte selbst - im Rahmen seiner Eigenverantwortung - oder andere Sozialleistungsträger (z.B. Pflegekassen, Sozialhilfeträger, Unfallversicherungsträger) zuständig sein können. <<< nach oben >>> Kein Krankengeldanspruch ohne rechtzeitige Arbeitsunfähigkeitsfeststellung Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 5 KR 79/13 - Urteil vom 21.08.2014 Abgesehen von den Fällen stationärer Behandlung haben Versicherte nach § 44 SGB V Anspruch auf Krankengeld, wenn Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Nach § 46 SGB V entsteht der Anspruch auf Krankengeld von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt. Für den Umfang des Versicherungsschutzes ist demgemäß grundsätzlich auf den Tag abzustellen, der dem Tag der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt. Bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit, aber abschnittsweiser Krankengeldbewilligung ist jeder Bewilligungsabschnitt eigenständig zu prüfen. Für die Aufrechterhaltung des Krankengeldanspruchs aus der Beschäftigtenversicherung ist es deshalb erforderlich, aber auch ausreichend, dass die Arbeitsunfähigkeit vor Ablauf des Bewilligungsabschnitts erneut ärztlich festgestellt wird. <<< nach oben >>> Hip Hop pp ist künstlerische Tätigkeit i.S.d. Künstlersozialversicherungsgesetzes (KSVG) Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 5 KR 249/12 - Urteil vom 26.06.2014 Jazztanzunterricht und überwiegend aus Ballett, Jazztanz, Modern sowie Hip Hop bestehende Kurse sind nach dem Regelungszweck des KSVG unter Berücksichtigung der historischen Entwicklung und der allgemeinen Verkehrsauffassung eine mit dem Ballett vergleichbare künstlerische Betätigung. <<< nach oben >>> Versorgung bei Systemversagen Bundessozialgericht - B 1 KR 3/13 R - Urteil vom 02.09.2014 Welche Leistungen die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben, bemisst sich grundsätzlich nach dem Zusammenspiel von Leistungs- und Leistungserbringungsrecht. Versicherte haben aus § 27 SGB V nicht lediglich ein bloßes subjektiv-öffentlich-rechtliches Rahmenrecht oder einen bloßen Anspruch dem Grunde nach, sondern einen konkreten Individualanspruch, dessen Reichweite und Gestalt sich aus dem Zusammenspiel mit weiteren gesetzlichen und untergesetzlichen Rechtsnormen ergibt. Fehlt es an den erforderlichen Regelungen, um Versicherten die gebotenen Leistungen in der dargelegten Weise zu verschaffen, müssen die KKn hierfür durch Vorkehrungen außerhalb des Naturalleistungssystems Sorge tragen. Hierzu dient die Rechtsgrundlage des § 13 Abs. 3 S 1 Fall 2 SGB V. Es genügt in diesem Sinne für den Anspruch auf Kostenfreistellung aus § 13 Abs. 3 S 1 Fall 2 SGB V, dass der Versicherte zwar keinen Natural- oder Sachleistungsanspruch nach Maßgabe des Leistungserbringungsrechts hat, wohl aber einen sachleistungsersetzenden Kostenerstattungs- oder -freistellungsanspruch wegen Systemversagens. Der Anspruch sichert, dass Versicherte ihren Individualanspruch trotz der Mängel im System der Leistungserbringung verwirklichen können. <<< nach oben >>> Rentenversicherungspflicht eines Rechtsanwaltes Bundessozialgericht - B 5 RE 3/14 R - Urteil vom 03.04.2014 Ungeachtet möglicher inhaltlicher Übereinstimmungen kommt für das Deckungsverhältnis der gesetzlichen Rentenversicherung nicht in Betracht, abhängige Beschäftigung und eine daneben ausgeübte selbständige Tätigkeit als Rechtsanwalt i.S. einer einheitlichen Betrachtung "zusammenzuziehen". Die isolierte Fragestellung, ob eine anwaltliche Tätigkeit in Gestalt einer abhängigen Beschäftigung ausgeübt werden kann und damit grundsätzlich eine Befreiungsmöglichkeit eröffnet ist, würde damit gerade verlassen. Die beiden (einzigen) Formen der Ausübung einer Erwerbstätigkeit, die selbständige Tätigkeit und die abhängige Beschäftigung, schließen sich im Übrigen wechselseitig aus. Wo die Befreiung von der Versicherungspflicht aufgrund einer abhängigen Beschäftigung in Frage steht, können Gesichtspunkte der selbständigen Erwerbstätigkeit keine Rolle spielen. Es entspricht daher ständiger Rechtsprechung des BSG im Rentenversicherungsrecht, dass, wenn nebeneinander verschiedene rentenversicherungsrechtlich bedeutsame Sachverhalte vorliegen, das Bestehen von Versicherungspflicht (oder Versicherungsfreiheit bzw. Versicherungsbefreiung) hinsichtlich des einen Sachverhalts grundsätzlich keine Wirkung für den anderen Sachverhalt hat, jeder Sachverhalt mithin, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, selbständig zu beurteilen ist und es deshalb zulässigerweise zu Mehrfachversicherungen und mehrfacher Beitragspflicht kommen kann. <<< nach oben >>> Leistungsfall im Zweifel Antragszeitpunkt Bayerisches Landessozialgericht - L 6 R 448/12 - Urteil vom 29.07.2014 Der Rentenantrag wegen Erwerbsminderung bzw. Invalidität spiegelt regelmäßig das subjektiv empfundene Leistungsvermögen des Versicherten wider. Damit ist der Antragszeitpunkt auch ein wesentliches Indiz bei Festsetzung des Leistungsfalles. <<< nach oben >>> Tätigkeitsfeld eines Telefonisten Sozialgericht Duisburg - S 10 R 77/11 - Urteil vom 20.03.2014 Telefonisten vermitteln Telefongespräche, nehmen Nachrichten entgegen, erteilen Auskünfte und vereinbaren Termine am Telefon. Je nach Tätigkeitsbereich erfassen sie auch Kundendaten in Datenbanken, nehmen Bestellungen an, erledigen einfache Büroarbeiten und betreuen Besucher. Somit setzt die Tätigkeit ständigen, wenn auch zumeist telefonischen, Kundenkontakt voraus, was dem Kläger gesundheitlich nicht zumutbar ist. Zudem haben sich Telefonisten mit stets wechselnden Anrufern und gegebenenfalls auch Besuchern zu beschäftigen, auf die sie sich jeweils einstellen und denen sie jederzeit freundlich und zuvorkommend begegnen müssen. <<< nach oben >>> Zur "Versorgungsehe" Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 8 R 711/13 - Urteil vom 27.11.2013 Gemäß § 46 Abs. 2a SGB VI ist der Anspruch auf Witwenrente ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Als besondere Umstände i.S.d. des § 46 Abs. 2a SGB VI sind alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalls anzusehen, sofern sie auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Heirat schließen lassen). Dabei kommt es auf die (gegebenenfalls auch voneinander abweichenden) Beweggründe (Motive, Zielvorstellungen) beider Ehegatten an, es sei denn, dass der hinterbliebene Ehegatte den Versicherten beispielsweise durch Ausnutzung einer Notlage oder Willensschwäche zur Eheschließung veranlasst. Die Annahme einer den Anspruch ausschließenden Versorgungsehe bei einer Ehedauer von nicht mindestens einem Jahr ist nach dem Ausnahme-Tatbestand des § 46 Absatz 2a Halbsatz 2 SGB VI nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die Gesamtbetrachtung und Abwägung der Beweggründe beider Ehegatten für die Heirat ergibt, dass die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe insgesamt gesehen den Versorgungszweck überwiegend oder - da der Wortlaut auch auf den "alleinigen oder überwiegende Zweck der Heirat" abhebt - diesem zumindest gleichwertig sind. Es ist daher auch nicht zwingend, dass bei beiden Ehegatten andere Beweggründe als Versorgungsgesichtspunkte für die Eheschließung ausschlaggebend waren. Vielmehr sind die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe in ihrer Gesamtbetrachtung auch dann noch als zumindest gleichwertig anzusehen, wenn nachweislich für einen der Ehegatten der Versorgungsgedanke bei der Eheschließung keine Rolle gespielt hat. Eine abschließende Typisierung oder Pauschalierung der von der Versorgungsabsicht verschiedenen Gründe im Rahmen der Norm ist angesichts der Vielgestaltigkeit von Lebenssachverhalten dabei grundsätzlich nicht möglich. Maßgeblich sind jeweils die Umstände des konkreten Einzelfalles. Die vom hinterbliebenen Ehegatten behaupteten inneren Umstände für die Heirat sind dabei nicht nur für sich - isoliert - zu betrachten, sondern auch vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt der jeweiligen Eheschließung bestehenden äußeren Umstände in die Gesamtwürdigung, ob die Ehe mit dem Ziel der Erlangung der Hinterbliebenen-Versorgung geschlossen worden ist, einzubeziehen. Eine wichtige Bedeutung kommt hierbei stets dem Gesundheits- bzw. Krankheitszustand des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung zu. <<< nach oben >>> Errechnung des Honorars Thüringer Landessozialgericht - L 6 SF 478/14 B - Beschluss vom 12.09.2014 Das Honorar eines Sachverständigen errechnet sich entsprechend den §§ 9 Abs. 1 S. 1, 8 Abs. 2 JVEG nach der erforderlichen Zeit. Sie ist nach einem abstrakten Maßstab zu ermitteln, der sich an dem erforderlichen Zeitaufwand eines Sachverständigen mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung bei sachgemäßer Auftragserledigung mit durchschnittlicher Arbeitsintensität orientiert. Auf einen möglichen Vortrag des Sachverständigen, er habe tatsächlich die angegebene Zeit benötigt, kommt es nicht an. Bei der Bemessung des erforderlichen Zeitaufwands sind die Schwierigkeiten der zu beantworteten Fragen unter Berücksichtigung der Sachkunde auf dem betreffenden Gebiet, der Umfang des Gutachtens und die Bedeutung der Streitsache zu berücksichtigen. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Angaben des Sachverständigen über die tatsächlich benötigte Zeit richtig sind. Werden die üblichen Erfahrungswerte allerdings um mehr als 15 v.H. überschritten, ist eine Plausibilitätsprüfung anhand der Kostenrechnung und der Angaben des Sachverständigen durchzuführen. <<< nach oben >>>
Zur fiktiven Terminsgebühr Sächsisches Landessozialgericht - L 8 SB 78/13 B KO - Beschluss vom 05.09.2014 Der Rechtsbegriff "angenommenes Anerkenntnis" in Nr. 3106 VV RVG meint die vollumfängliche Erledigung eines Rechtsstreits in der Hauptsache im Sinne des § 101 Abs. 2 SGG. Die Gegenauffassung, die vorrangig darauf abstellt, dass auch bei der Beendigung eines Verfahrens durch Annahme eines Teilanerkenntnisses und Abgabe einer Teilrücknahmeerklärung die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entbehrlich werde, womit der von der fiktiven Terminsgebühr verfolgte Zweck - Vermeidung von unnötigen gerichtlichen Terminen - erreicht werde, berücksichtigt nicht, dass sich nur bei der Annahme eines "vollen" Anerkenntnisses der Rechtstreit in der Hauptsache ohne jegliche weitere Prozesshandlungen erledigt (§ 101 Abs. 2 SGG). Demgegenüber ist bei der Annahme eines Teilanerkenntnisses für die Beendigung des Verfahrens eine weitere prozessuale Erklärung seitens des Klägers erforderlich, deren Abgabe der freien Disposition des Klägers unterliegt. Gibt der Kläger die verfahrensbeendende Erklärung über den nach Annahme des Teilanerkenntnisses noch anhängigen (Rest-)Streitgegenstand nicht ab, bleibt das Verfahren weiter anhängig. Es genügt daher nicht, dass irgendwann im Verfahren ein Teilanerkenntnis erklärt wurde und das Verfahren dann - wie hier - auf andere Weise endet. Denn die fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3106 Nr. 3 VV RVG soll - wie der Gesetzgeber im Zuge des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes klargestellt hat - dem Anwalt das Interesse nehmen, ein Anerkenntnis nur deshalb nicht anzunehmen, um einen Termin zu erzwingen, in dem er lediglich die Annahme des Anerkenntnisses erklärt. So liegt es dagegen nicht, wenn - wie bei einem lediglich teilweisen Anerkenntnis - auch nach Annahme des Anerkenntnisses noch Teile des Streitgegenstandes offen sind. Da der Regelung der Nr. 3106 VV RVG (auch in der bis 31.07.2013 geltenden Fassung) nicht zu entnehmen ist, dass jegliche Verfahrensbeendigung ohne mündliche Verhandlung mit einer fiktiven Terminsgebühr honoriert werden soll, kann die Verfahrensbeendigung durch Klagerücknahme keine fiktive Terminsgebühr auslösen. <<< nach oben >>> Wirkung des Beiordnungsbeschlusses bei PKH Sächsisches Landessozialgericht - L 8 AS 1192/12 B KO - Beschluss vom 09.09.2014 Der im Wege der PKH beigeordnete Rechtsanwalt erhält die gesetzliche Vergütung in Verfahren vor Gerichten eines Landes aus der Staatskasse (§ 45 Abs. 1 RVG), wobei sich sein Vergütungsanspruch nach den Beschlüssen bestimmt, durch die PKH bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet wurde (§ 48 Abs. 1 RVG). Voraussetzung eines eigenen Vergütungsanspruchs des Rechtsanwalts gegen die Staatskasse ist damit eine wirksame Beiordnung durch das Prozessgericht, die sich auch im Sozialgerichtsprozess nach den Regelungen der Zivilprozessordnung (ZPO) richtet, § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. §§ 114 ff. ZPO. Dieser Beiordnungsbeschluss ist Grundlage des Vergütungsfestsetzungsverfahrens und bestimmt den Umfang der Vergütungsanspruchs, ohne dass im Vergütungsfestsetzungsverfahren eine Abänderungsbefugnis des zur Festsetzung berufenen Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (vgl. § 55Abs. 1 und 2 RVG) besteht. Ist also zwei Mitgliedern einer aus drei Personen bestehenden Bedarfsgemeinschaft uneingeschränkt PKH bewilligt worden, steht dem beigeordneten Rechtsanwalt dem Grunde nach gegenüber der Staatskasse ein Anspruch auf Vergütung für die Vertretung dieser beiden Kläger zu. <<< nach oben >>>
Ausbildung und SGB II Leistungen Bundessozialgericht - B 4 AS 55/13 R - Urteil vom 06.08.2014 Ist die i.S. des § 7 Abs. 5 SGB II erforderliche abstrakte Förderungsfähigkeit der Ausbildung gegeben, so kommt es auf die individuelle Förderungsfähigkeit, die im Verhältnis zum Träger der Ausbildungsförderleistung eingetreten ist, nicht mehr an. Dies betrifft sowohl Gründe, die zum Versagen von Förderleistungen führen als auch den individuell bedingten Umfang der Förderung und die Förderleistungen im Einzelnen. <<< nach oben >>> Brillengläser als Mehrbedarf? Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 7 AS 269/14 - Urteil vom 07.08.2014 Nach § 21 Abs. 6 SGB II wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Diese Regelung erfasst damit denjenigen Bedarf, der nicht schon von den §§ 20 ff. SGB II abgedeckt wird, weil die Einkommens- und Verbrauchsstatistik, auf der die Regelleistung beruht, allein den Durchschnittsbedarf in üblichen Bedarfssituationen widerspiegelt, nicht aber einen darüber hinausgehenden, besonderen Bedarf aufgrund atypischer Bedarfslagen. Dieser entsteht allerdings erst, wenn der Bedarf so erheblich ist, dass die Gesamtsumme der dem Leistungsberechtigten gewährten Leistungen - einschließlich der Leistungen Dritter unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten des Leistungsberechtigten - das menschenwürdige Existenzminimum nicht mehr gewährleiste. Um einen laufenden Bedarf handelt es sich, wenn er innerhalb von sechs Monaten nicht nur einmalig, sondern mehrfach auftritt. Ein regelmäßig wiederkehrender Bedarf kann auch vorliegen, wenn er prognostisch zumindest im nächsten Bewilligungsabschnitt wieder entsteht. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Eigenart des Bedarfs kann ein laufender Bedarf aber auch angenommen werden, wenn er zwar häufiger auftritt, nicht jedoch zwingend in jedem Bewilligungsabschnitt gegeben ist und wegen der Höhe der damit verbundenen Aufwendungen nicht über die Darlehensregelung des § 24 Abs. 1 SGB II erfasst werden kann. <<< nach oben >>> Verordnung zu Unterkunftskosten in Berlin vom BSG gekippt Bundessozialgericht - B 14 AS 53/13 R - Urteil vom 04.06.2014 Die vom Senat des Landes Berlin erlassene "Verordnung zur Bestimmung der Höhe der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch" (Wohnaufwendungenverordnung - WAV) ist materiell rechtswidrig und vom LSG zu Recht für unwirksam erklärt worden. Denn die Anforderungen an die Wahrnehmung der Normsetzungskompetenz nach § 22a Abs. 1 SGB II, die nach Bundesrecht wie bei der Konkretisierung von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II durch die Verwaltung eine realitätsgerechte Erfassung der Bedarfe für Unterkunft und ggf. Heizung erfordern und die für die Bestimmung der angemessenen Heizkosten nach § 22b Abs. 1 Satz 2 SGB II im Rahmen einer Gesamtangemessenheitsgrenze nach § 22b Abs. 1 Satz 3 SGB II ebenso gelten, werden nicht erfüllt. Die Verfehlung dieser höherrangigen bundesrechtlichen Anforderungen betrifft die WAV in ihrem Kern. Sie ist deshalb insgesamt unwirksam; eine nur teilweise Unwirksamkeit kommt nicht in Betracht. <<< nach oben >>> Zuordnung von Sparguthaben Sozialgericht Gießen - S 22 AS 341/12 - Urteil vom 15.07.2014 Hinsichtlich der Zuordnung eines Sparguthabens zum Vermögen des
Hilfebedürftigen hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze entwickelt: <<< nach oben >>> Aufhebungsbescheide an Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft Bundessozialgericht - B 14 AS 2/13 R - Urteil vom 04.06.2014 Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 SGB II wird vermutet, dass ein Leistungsberechtigter,
der einen Antrag auf Leistungen stellt, bevollmächtigt ist, Leistungen nach dem
SGB II auch für die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen zu
beantragen und entgegenzunehmen. Daraus folgt, dass der auf Antrag eines
erwerbsfähigen Leistungsberechtigten erteilte Bescheid diesem für alle
Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft im Sinne des SGB II bekannt gegeben werden
kann. § 38 Abs. 1 SGB II ist dahingehend auszulegen, dass die vermutete
Bevollmächtigung alle Verfahrenshandlungen erfasst, die mit der Antragstellung
und der Entgegennahme der Leistungen zusammenhängen und der Verfolgung des
Anspruchs dienen. Aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität und
Verwaltungsprozessökonomie soll verhindert werden, dass die Verwaltung sich bei
der Bewilligung von Leistungen trotz des Einzelanspruchs jedes Mitglieds der
Bedarfsgemeinschaft stets an jeden einzelnen wenden muss. <<< nach oben >>> Warmwasserkosten und Pauschalierung Bayerisches Landessozialgericht - L 11 AS 293/13 - Urteil vom 18.09.2014 Nach § 21 Abs. 7 Satz 1 SGB II i.d.F. vom 13.05.2011 wird bei
Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch in der
Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale
Warmwassererzeugung) und deshalb keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes
Warmwasser nach § 22SGB II anerkannt werden. Der Mehrbedarf beträgt für jede
im Haushalt lebende leistungsberechtigte Person jeweils 2,3 Prozent des für sie
geltenden Regelbedarfs (§ 21 Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 SGB II). Ein höherer Bedarf
besteht nicht. Im Hinblick auf die zur Abgeltung eines Mehrbedarfs bei
dezentraler Warmwassererzeugung hat sich der der Gesetzgeber mit § 21 Abs. 7 SGB
II grundsätzlich einer Abgeltung durch eine Pauschale bedient. Dies dient der
Verwaltungsvereinfachung, weshalb Ermittlungen daher nach dem gesetzgeberischen
Willen im Regelfall gerade nicht anzustellen und Ausnahmeregelungen vor diesem
Hintergrund eng auszulegen sind. Der Gesetzgeber ist grundsätzlich auch
berechtigt, die Kosten einer dezentralen Warmwasserbereitung, die nicht vom
Regelbedarf i.S.v. § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfasst sind, durch Pauschalen
abzugelten. Die Bemessung der Pauschalen, die an die Stelle eines ganz oder
teilweise zu berücksichtigenden konkreten Aufwands treten, darf sich aber nicht
an einem atypischen Fall orientieren und muss "realitätsgerecht"
erfolgen, damit die typisierenden Regelungen in möglichst allen Fällen den
entsprechenden Bedarf abdecken. Eine hohe "Treffergenauigkeit" ist
gefordert, wenn es um pauschalierte Leistungen zur Sicherung des
Existenzminimums geht. Diese Leistungen müssen auf sorgfältigen
Tatsachenermittlungen und vertretbaren Einschätzungen beruhen. Sozialpolitische
Entscheidungen des Gesetzgebers sind verfassungsrechtlich anzuerkennen, solange
seine Erwägungen weder offensichtlich fehlsam noch mit der Wertordnung des
Grundgesetzes unvereinbar sind. <<< nach oben >>> Zur Erstausstattung der Wohnung Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 19 AS 26/13 - Urteil vom 24.02.2014 Nach § 24 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB II sind die Bedarfe für Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten nicht vom Regelbedarf nach § 20 umfasst. Um eine Erstausstattung im Sinne dieser Vorschrift handelt es sich, wenn erstmals ein Bedarf für die Ausstattung einer Wohnung besteht, der nicht bereits durch vorhandene Möbel und andere Einrichtungsgegenstände gedeckt war. Andernfalls liegt ein Fall der Ersatzbeschaffung vor. Der Anspruch ist insoweit bedarfsbezogen zu verstehen. Nur in Ausnahmefällen ist eine Ersatzbeschaffung einer Erstbeschaffung wertungsgemäß gleichzustellen. Weist der Leistungsempfänger nach, dass er im Zusammenhang mit besonderen Ereignissen über die nunmehr notwendigen Ausstattungsgegenstände nicht oder nicht mehr verfügt, kann der erneute Anfall des Bedarfs dem ersten gleichstehen. Eine besondere Bedarfslage liegt z. B. vor bei Totalverlust von Einrichtungsgegenständen infolge eines Wohnungsbrandes, Obdachlosigkeit, eine langjährige Inhaftierung, einem Rückumzug aus dem Ausland oder einem von dem SGB II-Träger veranlassten Umzug. Allein die durch Alter und Abnutzung eingetretene Unbrauchbarkeit von Einrichtungsgegenständen stellt unter Berücksichtigung des Gesichtspunkts, dass die Leistungspflicht des Grundsicherungsträgers aus § 24 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB II wegen ihres Ausnahmecharakters eng begrenzt ist keine atypische Bedarfslage dar. <<< nach oben >>> Gewinn und Verlust bei mehreren Gewerbebetrieben Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 18 AS 2232/11 - Urteil vom 26.02.2014 § 3 Abs. 2 Alg II-V a.F. bestimmt, dass zur Berechnung des Einkommens von den Betriebseinnahmen die im Bewilligungszeitraum tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben mit Ausnahme der nach § 11 Abs. 2 SGB II a.F. abzusetzenden Beträge ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften abzusetzen sind. Nach diesen Maßgaben ist zunächst auf die Einnahmen von einem konkreten Betrieb und eben nicht allgemein auf Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit abzustellen. Werden mehrere selbständige Gewerbezweige nebeneinander betrieben, sind deshalb die Einnahmen eines jeden einzelnen Betriebes gesondert zu ermitteln. Vor den so ermittelten Einnahmen sind die tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben abzusetzen. Notwendige Ausgaben sind in diesem Sinne nur solche Ausgaben, die für die Erzielung der Einnahmen des konkreten Betriebs erforderlich sind, also mit diesen in einem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Werden mehrere selbständige Gewerbezweige nebeneinander betrieben, so können danach nur die Ausgaben den Betriebseinnahmen gegenüber gestellt werden, die für den jeweiligen einzelnen Gewerbezweig angefallen sind. § 3 Abs. 1 und Abs. 2 Alg II-V a.F. geben damit eine betriebsbezogene Betrachtung vor. Dementsprechend sind Einnahmen und Ausgaben nur hinsichtlich des einzelnen betriebenen Gewerbes zu saldieren. § 3 Alg II-V a.F. lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass Verluste aus einem Gewerbebetrieb auf einen anderen übertragen werden können. <<< nach oben >>> Absetzung eines geleasten PKW Bundessozialgericht - B 4 AS 31/13 R - Urteil vom 05.06.2014 Der Umstand, dass es sich bei dem Leasing um eine Finanzierungsweise handelt, bei der das Leasingobjekt vom Leasinggeber beschafft und finanziert wird und dem Leasingnehmer gegen Zahlung eines vereinbarten Entgelts für die vereinbarte Zeit lediglich zur Nutzung überlassen wird, steht einer Berücksichtigung als Absetzbetrag nicht grundsätzlich entgegen, wenn das Fahrzeug zur Ausübung der selbstständigen Tätigkeit benötigt wird. In gleicher Weise wie bei Mietausgaben für Geschäftsräume oder sonstigen Tilgungsraten für den Erwerb notwendiger Ausstattungsgegenstände für eine selbstständige Tätigkeit können Leasingraten der Bereitstellung eines Kfz als notwendigem Arbeitsmittel dienen. <<< nach oben >>> Zur "Erstausstattung" einer Wohnung Bundessozialgericht - B 4 AS 57/13 R - Urteil vom 06.08.2014 Die erneute Beschaffung von Einrichtungsgegenständen als "Wohnungserstausstattung" durch einen Zuschuss des Leistungsträgers ist nur unter engen Voraussetzungen möglich. Zum einen muss überhaupt ein Bedarf des Leistungsberechtigten im Hinblick auf die begehrten Einrichtungsgegenstände bzw. den begehrten Einrichtungsgegenstand gegeben sein. Dies ist dann der Fall, wenn er nicht mehr über die für eine geordnete Haushaltsführung und ein an den herrschenden Lebensgewohnheiten orientiertes Wohnen angemessenen wohnraumbezogenen Gegenstände im Sinne des Grundsicherungsrechts verfügt. In gleicher Weise wie bei der Erstbeschaffung ist auch bei einer dieser "wertend" gleichzusetzenden erneuten Beschaffung eine bedarfsbezogene Betrachtungsweise gefordert. Insofern haben die beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG entschieden, dass sich ein solcher Anspruch auf Beschaffung bei einem erneuten Bedarfsanfall nicht notwendig auf eine komplette oder mehrere Einrichtungsgegenstände umfassende Ausstattung beziehen muss und Verschuldensgesichtspunkte nicht schon bei der Feststellung des Bedarfs berücksichtigt werden. Der im SGB II zu deckende Bedarf muss jedoch grundsätzlich aktuell bestehen und auch aktuell vom Grundsicherungsträger zu decken sein. <<< nach oben >>> Bagatellgrenze bei Streit um SGB II Leistungen? Bundessozialgericht - B 14 AS 30/13 R - Urteil vom 04.06.2014 Anerkannt worden ist auch in der Rechtsprechung des BSG das gesetzgeberische Ziel, die Auszahlung von Bagatellbeträgen zu vermeiden. Dabei ist Ausgangspunkt allerdings, dass auch geringfügige Eingriffe in die Rechtsposition eines Leistungsberechtigten nicht grundsätzlich allein mit dem gesetzgeberischen Ziel der Verwaltungsvereinfachung abgewiesen werden können. Es verbleibt danach aber selbst im Bereich existenzsichernder Leistungen ein "Bagatellbereich" dort, wo der Gesetzgeber nicht aus Gründen der Existenzsicherung des Einzelnen, sondern zur Vereinfachung verwaltungsinterner Abläufe (und damit letztlich zur Beschleunigung der Auszahlung existenzsichernder Leistungen) bei der Berechnung der Leistung entsprechende Regelungen erlässt. <<< nach oben >>>
Meldeversäumnis besagt nichts über Verfügbarkeit Bundessozialgericht - B 11 AL 8/13 R - Urteil vom 14.05.2014 Ein dreimaliges Meldeversäumnis begründet nicht ipso jure, dass die
Verfügbarkeit eines Arbeitslosen entfällt. <<< nach oben >>> Gleichstellung mit Schwerbehinderten Bundessozialgericht - B 11 AL 16/13 R - Urteil vom 06.08.2014 Zwischen der Behinderung und der Erforderlichkeit der Gleichstellung muss ein Ursachenzusammenhang bestehen ("infolge"). Ein solcher liegt vor, wenn bei wertender Betrachtung in der Art und Schwere der Behinderung die Schwierigkeit begründet ist, den geeigneten Arbeitsplatz zu behalten. Die Kausalitätsprüfung hat nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu erfolgen. Ausreichend für die Bejahung des Ursachenzusammenhangs ist es, wenn die Behinderung zumindest eine wesentliche Mitursache für die Arbeitsmarktprobleme des behinderten Menschen ist. Dagegen reichen betriebliche Defizite wie Missverständnisse, nicht geklärte Zuständigkeiten, ein unfreundlicher Umgang miteinander, unklare Arbeitsanweisungen, fachliche Defizite und fehlendes Verständnis für die jeweilige Situation des anderen oder auch persönliche Schwierigkeiten mit Vorgesetzten nicht aus, weil diese Umstände nicht auf der Behinderung beruhen. Um den Kausalzusammenhang zwischen Behinderung und Erforderlichkeit der Gleichstellung annehmen zu können, ist keine absolute Sicherheit im Sinne des Vollbeweises erforderlich. Vielmehr genügt - wie auch sonst bei sozialrechtlichen Kausalitätsprüfungen -, dass der Arbeitsplatz durch die Gleichstellung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit sicherer gemacht werden kann. <<< nach oben >>> Die nächste Ausgabe unserer Zeitschrift erscheint im Januar 2015! |
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