Ausgabe    6/2011 

September vom 06.11.2011 

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     Informationen

Schwerbehindertenrecht

Soziales Entschädigungsrecht

Verfahrensrecht

Künstlersozialversicherung

Rentenversicherung

Anwaltshonorar

Grundsicherung für Arbeitssuchende SGB II

Sozialhilfe SGB XII

Asylbewerberleistungsrecht

     Buchrezension

     Service

Herausgeber und verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes Dorothea Strake
Schulstr. 90, 41372 Niederkrüchten

 erscheint alle 2 Monate


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Die Versorgungsmedizinischen Grundsätze sind grundsätzlich auf aktuellem Stand

BSG - B 9 SB 35/10 B - Beschluss vom 09.12.2010

Da es zu den Aufgaben des beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales gebildeten Ärztlichen Sachverständigenbeirats Versorgungsmedizin gehört, die Fortentwicklung der Versorgungsmedizinische Grundsätze (VMG) entsprechend dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft vorzubereiten, kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die Bestimmungen der VMG diesem Qualitätsmaßstab entsprechen. Etwas Anderes gilt, wenn substantiiert dargelegt wird, dass und inwiefern neuere medizinische Erkenntnisse bestehen.

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Klärung der tatbestandlichen Voraussetzungen für "RF" durch Vernehmung medizinischer Laien

BSG - B 9 SB 47/10 B - Beschluss vom 07.04.2011

Bei Streit  u.a. über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "RF" können auch medizinische Laien - hier die Ehefrau des behinderten Klägers - zur Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts beitragen, in dem sie z.B. zu dessen tatsächlicher Bewegungsfähigkeit oder zu sonstigen Gegebenheiten seiner Lebensführung befragt werden. Eine solche Vernehmung ist kein völlig ungeeignetes Beweismittel; einem entsprechenden Beweisanerbieten ist mithin nachzugehen.

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Zweifel am Inhalt der "Anhaltspunkte" sind durch Nachfrage beim Urheber zu beseitigen

BSG - B 9 VH 2/10 B - Beschluss vom 02.12.2010

Der Inhalt der Anhaltspunkte, die antizipierte Sachverständigengutachten darstellen, ist nicht ausschließlich mit Hilfe juristischer Auslegungsmethoden zu ermitteln. Vielmehr sind Zweifel vorzugsweise durch Nachfrage bei dem verantwortlichen Urheber (dem Ärztlichen Sachverständigenbeirat Versorgungsmedizin bzw. bei dem für diesen geschäftsführend tätigen Bundesministerium für Arbeit und Soziales) zu klären.

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Kein GdB von 50 für einen Diabetes mellitus ohne gravierende und erhebliche Einschnitte in der Lebensführung

Landessozialgericht Rheinland-Pfalz - L 4 SB 182/10 - Urteil vom 25.07.2011

Ein GdB von 50 für einen Diabetes mellitus setzt mindestens vier Insulininjektionen pro Tag, ein selbständiges Variieren der Insulindosis und gravierende und erhebliche Einschnitte in der Lebensführung voraus. Die letzte Voraussetzung ist bei einer guten, allenfalls mäßig schwankenden Einstellung des Diabetes mellitus nicht erfüllt.

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Kein "RF" bei zumutbarer Versorgung mit Inkontinenzmaterialien

Sozialgericht Berlin - S 46 SB 1405/10 - Gerichtsbescheid vom 07.02.2011

Auch bei einer massiven Urge- bzw. Stressinkontinenz besteht kein Anspruch des behinderten Menschen, wenn ihm das Tragen von Kondomurinalen und Windelhosen und deren ggf. notwendiger Wechsel unter Zuhilfenahme einer Begleitperson möglich ist. Eine solche Empfehlung verstößt weder gegen die Würde des Menschen noch gegen den Sozialstaatsgrundsatz.

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Soziales Entschädigungsrecht 

Übergehen eines Beweisantrags ohne hinreichende Begründung

BSG - B 9 SB 20/10 B - Beschluss vom 02.12.2010

1. Die Frage, ob ein Beteiligter seinen Beweisantrag nicht mehr aufrechterhält, ist dann von Amts wegen aufzuklären, wenn der Beteiligte nicht durch einen berufsmäßigen Rechtsvertreter vertreten wird.

2. Liegen unterschiedliche Angaben der behandelnden Ärzte zu der umstrittenen Gehfähigkeit (Nachteilsausgleich "G") eines Beteiligten vor, muss sich das Gericht zu einer weiteren Beweiserhebung gedrängt fühlen.

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Zur Aufklärung länger zurückliegender Impfschäden

BSG - B 9 VJ 1/10 R - Urteil vom 07.04.2011

Bei der Beurteilung länger zurückliegender Impfungen bzw. derer Folgen ist zu prüfen, ob die in den Anhaltspunkten bzw. im Epidemiologischen Bulletin veröffentlichten Arbeitsergebnisse der bei dem Robert-Koch-Institut eingerichteten Ständigen Impfkommission sich auf die seinerzeit verwandten Impfstoffe beziehen.

Eine Versorgung nach dem IfSG darf nicht an Anforderungen scheitern, die im Zeitpunkt der Impfung nicht erfüllt zu werden brauchten und im nachhinein nicht mehr erfüllt werden können (hier Nachweis einer Antikörperbildung).

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Zur Anerkennung eines Meniskusschadens als Folge eines Unfalls

Bayerisches Landessozialgericht - L 15 VS 7/10 - Urteil vom 19.07.2011

Unter welchen Voraussetzungen kann ein hinreichend wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen einem von dem Betroffenen angeschuldigten Ereignis und einem Schaden am Außenmeniskus angenommen werden?

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Depressive Störung infolge Überwachung durch den Staatssicherheitsdienst

Bayerisches Landessozialgericht - L 15 VU 2/09 - Urteil vom 16.11.2010

Ein Betroffener, der infolge einer Maßnahme nach § 1 Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz - hier permanente Überwachung durch den Staatssicherheitsdienst - eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung Versorgung nach den Regeln des Bundesversorgungsgesetzes. Eine depressive Störung kann aber dann nicht als Folge einer solchen Maßnahme anerkannt werden, wenn diese Maßnahme nur eine von vielen psychisch belastenden Erfahrungen und Erlebnissen im Leben des Betroffenen, der Anteil der einzelnen Lebensumstände am Krankheitsgeschehen nicht bestimmbar ist und nicht festgestellt werden kann, dass die mit der Maßnahme verbundenen traumatischen Erfahrungen für die depressive Entwicklung alleinig oder wesentlich verantwortlich sind.

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Impfschaden nach Tetanus-Impfung

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt - L 7 VI 17/05 - Urteil vom 22.02.2011

Als Ausdruck einer normalen Auseinandersetzung des Organismus mit dem Impfstoff gegen Tetanus kann es innerhalb von ein bis drei Tagen, selten länger anhaltend, an der Impfstelle zu Rötungen, Schmerzhaftigkeit und Schwellung kommen. In der Regel sind diese Lokal- und Allgemeinreaktionen vorübergehender Natur und klingen rasch und folgenlos wieder ab. Als Komplikationen - also Krankheiten, bei denen ein ursächlicher Zusammenhang als gesichert oder überwiegend wahrscheinlich anzusehen ist, - werden allergische Reaktionen an der Haut oder den Atemwegen sowie in Einzelfällen Erkrankungen des peripheren Nervensystems (Mono- und Polyneuritiden, Guillain-Barré-Syndrom, Neuropathie) beschrieben. In einem ungeklärten ursächlichen Zusammenhang mit der Impfung stehen Erkrankungen der Nieren, eine Thrombozyotopenie sowie zentralnervöse Störungen (Enzephalopathie).

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Verfahrensrecht

Kein Nichtbetreiben durch fehlende Klagebegründung

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 13 SB 126/11 B PKH - Beschluss vom 26.09.2011

Mangels einer Begründungspflicht für ein Klagebegehren kann eine Betreibensaufforderung i.S.d. § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG nicht schlicht auf eine Begründung der Klage gerichtet werden, wenn das Klagebegehren (hier GdB von mindestens 50 und Zuerkennung des Merkzeichens "G") ersichtlich ist. Im Übrigen muss die Aufforderung, das Verfahren zu betreiben, vom zuständigen Richter mit vollem Namen unterzeichnet werden, wenn sie eine wirksame Fristsetzung erzeugen soll.

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Fehlende Amtsermittlung macht Bescheid rechtswidrig

Bundessozialgericht - B 4 AS 21/10 R - Urteil vom 21.06.2011

Erlässt die Verwaltung einen endgültigen Bescheid auf Grundlage eines nicht endgültig aufgeklärten Sachverhalts und stellt sich später - nach weiteren Ermittlungen - heraus, dass der Bescheid bereits im Zeitpunkt des Erlasses objektiv rechtswidrig war, ist ein Fall des § 45 SGB X gegeben. Mangelnde Amtsermittlung kann niemals Grund für eine nur vorläufige Leistungsbewilligung sein. Der endgültige Bescheid ist umgekehrt kein taugliches Instrumentarium in Fällen, in denen - nicht wegen fehlerhafter Ausübung der Amtsermittlungspflicht, sondern - objektiv nur die Möglichkeit einer prospektiven Schätzung etwa der Einkommenssituation besteht. Eine endgültige Bewilligung unter Abschlag von der Leistungshöhe aufgrund einer prospektiven Schätzung von Einkommen ohne rechtliche Befugnis hierzu ist rechtswidrig. Entscheidet der Träger jedoch endgültig und bewilligt nicht nur vorläufige Leistungen, sind Maßstab der Überprüfung der Aufhebungsentscheidung § 45 oder § 48 SGB X.

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Zugunstenverfahren im SGB II

Bundessozialgericht - B 4 AS 118/10 R -Urteil vom 21.06.2011

Voraussetzung für die Annahme der anderen "Auslegung einer Rechtsnorm" i.S. des § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 1 SGB III ist nicht, dass bereits aus dem Inhalt des Bescheids "eine solche Norm identifizierbar", d.h. für den Adressaten des Verwaltungsaktes erkennbar ist. Vielmehr ist darauf abzustellen, ob dem Verfügungssatz des Bescheids die Auslegung einer Rechtsnorm zugrunde liegt, von der die spätere Rechtsprechung des BSG abweicht.

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Verfahrensrüge gegen Ablehnung von PKH durch das LSG

Bundessozialgericht - B 14 AS 47/11 B - Beschluss vom 23.08.2011

Die Rüge einer rechtswidrigen Ablehnung von PKH durch das LSG ist ebenso wie andere Rügen, die sich gegen eine unanfechtbare Vorentscheidung richten, grundsätzlich ausgeschlossen (§ 202 SGG i.V.m. § 557 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn der gerügte Verfahrensmangel zu einem Mangel der angefochtenen Entscheidung selbst führt. Dementsprechend kann als Verfahrensmangel i.S. des § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG nicht die rechtswidrige Ablehnung von PKH als solche geltend gemacht werden, sondern nur eine Ablehnung, die eine Verletzung von verfassungsrechtlich fundierten prozessualen Gewährleistungen beinhaltet, weil sie auf Willkür beruht und damit gegen Art 3 Abs. 1 Grundgesetz und das Gebot der Rechtsschutzgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten verstößt.

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Nachholung der Anhörung setzt förmliches Verfahren voraus

Bundessozialgericht - B 14 AS 153/10 R - Urteil vom 07.07.2011

Im Hinblick auf die mögliche Heilung einer unterlassenen Anhörung, ist zu berücksichtigen, dass die Nachholung der Anhörung nach § 41 Abs. 2 SGB X im Gerichtsverfahren ein eingeständiges, nicht notwendigerweise förmliches Verwaltungsverfahren - ggf. unter Aussetzung des Gerichtsverfahrens - voraussetzt, das auch die Erklärung der Behörde umfasst, sie halte nach erneuter Prüfung unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Anhörung am bisher erlassenen Verwaltungsakt fest.

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Künstlersozialversicherung

Onlinetätigkeit und Künstlersozialversicherung

Bundessozialgericht - B 3 KS 5/10 R - Urteil vom 21.07.2011

Das Merkmal der Erwerbsmäßigkeit liegt vor, wenn eine selbständige künstlerische oder publizistische Tätigkeit zur Sicherung des Lebensunterhalts und nicht nur aus Liebhaberei ausgeübt, also mit der Absicht verfolgt wird, ein über der Geringfügigkeitsgrenze des § 3 Abs. 1 Satz 1 KSVG (3900 Euro) liegendes Arbeitseinkommen zu erzielen. Dabei ist ohne Bedeutung, dass der überwiegende Teil der Einnahmen nach dem der Tätigkeit zugrundeliegenden Geschäfts- und Finanzierungsmodell aus dem Verkauf von Werbeflächen erzielt wird, während die Einkünfte aus dem Verkauf eigener Texte an andere Website-Betreiber unter der Geringfügigkeitsgrenze von 3900 Euro liegen. Die aus beiden Einkunftsquellen erzielten Einnahmen sind als Arbeitseinkommen aus selbständiger künstlerischer und publizistischer Tätigkeit i.S. des § 3 Abs. 1 Satz 1 KSVG zu werten und deshalb bei der Frage der Erwerbsmäßigkeit zu berücksichtigen.

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Auch rückwirkende Feststellung der Schwerbehinderung führt zu höherer Rente

Bundessozialgericht - B 5 R 56/10 R - Urteil vom 11.05.2011

§ 236a SGB VI ist eine übergangsrechtliche Vertrauensschutzregelung für einen besonders schutzwürdigen Kreis von Schwerbehinderten, der zum Zeitpunkt der dritten Lesung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit im Bundestag darauf vertrauen konnte, aufgrund der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Einschränkungen die Altersrente für Schwerbehinderte mit dem 60. Lebensjahr beziehen zu können (vgl. etwa O´Sullivan in jurisPK-SGB VI, Stand 6.10.2008, § 236a SGB VI RdNr. 43). In dieser Funktion stellt die Norm umfassend auf den durch den Status als Schwerbehinderter vermittelten Schutz und nicht etwa nur begrenzt auf bestimmte Schwerbehinderte als Inhaber dieses Schutzes ab. Zum begünstigten Personenkreis gehören damit auch diejenigen, die - wie die Klägerin - am Stichtag 16.11.2000 aufgrund einer besonderen gesetzlichen Anordnung als Schwerbehinderte anzusehen sind.

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Anwaltshonorar

Gebühren bei überdurchschnittlicher Bedeutung

Die Abweichung der Verfahrensgebühr von der Mittelgebühr ist noch billig im Sinne der Rechtsprechung, wenn zwar die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin unterdurchschnittlich waren, die Bedeutung der Sache aber weit überdurchschnittlich war.

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Grundsicherung für Arbeitssuchende SGB II

Kein Arbeitslohn für rechtswidrigen "1 Euro-Job"

Bundessozialgericht - B 4 AS 1/10 R - Urteil vom 27.08.2011

Die Missachtung einzelner der für Arbeitsgelegenheiten geltenden gesetzlichen Vorgaben, z.B. der Zusätzlichkeit, führt allenfalls zu deren Rechtswidrigkeit, nicht jedoch zu deren Nichtigkeit oder zur (konkludenten) Begründung eines privatrechtlichen Rechtsverhältnisses Da die Durchführung der Arbeitsverpflichtung im Rahmen der Beschäftigungsgelegenheit nach ihrem regelmäßigen Zustandekommen nicht auf einer privatrechtlichen Vereinbarung zwischen dem Hilfebedürftigen und dem Maßnahmeträger beruht, sondern der Erfüllung der Rechte und Pflichten dient, die der Anspruchsberechtigte gegenüber dem Leistungsträger hat, wirkt es sich im Rechtsverhältnis zwischen dem Berechtigten und dem Jobcenter aus, wenn sich der Maßnahmeträger nicht an die Vorgaben der Vereinbarung mit dem Leistungsträger hält. Eine ggf. rechtswidrige Heranziehung zu einer Arbeitsgelegenheit für sich allein kann kein faktisches Arbeitsverhältnis begründen, weil auch bei einem solchen der "Tatbestand des Vertragsabschlusses" gegeben sein muss; ein fehlender (wenngleich nichtiger oder fehlerhafter) rechtsgeschäftlicher Bindungswille kann nicht ersetzt werden. Etwas anderes kommt nur in Betracht, wenn weitere Umstände Anhaltspunkte dafür liefern, dass sich Hilfebedürftiger und Maßnahmeträger trotz des (ursprünglichen) Vorschlags einer Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung nach ihrem übereinstimmenden Willen konkludent auf den Abschluss eines Arbeitsvertrags mit einem von der Zuweisung abweichenden Inhalt verständigt haben.

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Entschädigung für rechtswidrigen "1 Euro Job"

Bundessozialgericht - B 14 AS 98/10 R - Urteil vom 13.04.2011

Wenn es an der "Zusätzlichkeit" der Arbeitsgelegenheit fehlt, bedeutet die Arbeitsleistung durch den Hilfebedürftigen immer auch eine Mehrung fremden Vermögens. In Anlehnung an § 261 Abs. 2 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) sind Arbeiten zusätzlich, wenn sie ohne die Förderung nicht, nicht in diesem Umfang oder erst zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt werden.  Fehlt es an der Zusätzlichkeit in diesem Sinne, ist die Arbeit mithin in Erfüllung einer Aufgabe erbracht, die in jedem Fall hätte durchgeführt werden müssen, ist beim Begünstigten durch die ersparten, aber notwendig gewesenen Aufwendungen zur Erfüllung dieser Aufgabe ein Vermögensvorteil entstanden.

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Zur Aussagekraft eines Mietspiegels

Bundessozialgericht - B 14 AS 32/09 R - Urteil vom 13.04.2011

Sollen aus einem qualifizierten Mietspiegel grundsicherungsrelevante Schlüsse abgeleitet werden, ist eine Beschränkung auf bestimmte "Baujahresklassen" ohne weitere Begründung grundsätzlich nicht zulässig, denn aus einem Mietspiegel allein lässt sich nicht ohne Weiteres ersehen, inwieweit Wohnungen einer bestimmten Baualtersklasse in einem Umfang zur Verfügung stehen, der den Rückschluss zulässt, im Vergleichsraum sei eine angemessene Wohnung tatsächlich anmietbar. Dies ist nur möglich, wenn aufgrund statistisch valider Unterlagen eine Aussage darüber möglich ist, dass die in Bezug genommene Baualtersklasse in gewissem Umfang tatsächlich im Vergleichsraum vorhanden ist.

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Zur Absetzbarkeit von Nebenkosten bei Eigentumswohnungen

Bundessozialgericht - B 14 AS 51/10 R - Urteil vom 07.07.2011

Handelt es sich um ein Hausgrundstück von angemessener Größe, so sind bei Hilfebedürftigkeit Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu erbringen, soweit diese angemessen sind. Die Angemessenheit von mit der Nutzung von Eigentum verbundenen Kosten ist nach der Rechtsprechung des BSG an den Kosten zu messen, die für Mietwohnungen angemessen sind. Der angemessenen Nettokaltmiete sind die angemessenen Nebenkosten sowie die angemessenen Heizkosten hinzuzufügen. Bis zur Summe dieser angemessenen Kosten sind die tatsächlichen Aufwendungen zu berücksichtigen. Zu den Unterkunftskosten für selbst genutzte Hausgrundstücke zählen dabei alle notwendigen Ausgaben, die bei der Berechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung abzusetzen sind. § 7 Abs. 2 der Verordnung zur Durchführung des § 82 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch findet insoweit entsprechende Anwendung, als er Anhaltspunkte dafür liefert, welche Kosten im Rahmen des § 22 Abs. 1 SGB II zu berücksichtigen sind. Weitere Nebenkosten in Form von Stromkosten für die Außenbeleuchtung und die Gartenpflege sind dagegen im Rahmen der Unterkunftskosten nicht berücksichtigungsfähig.

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Mahngebühren in Bescheiden der BA unzulässig

Bundessozialgericht - B 14 AS 54/10 R - Urteil vom 26.05.2011

Nach dem Vollstreckungsrecht des Bundes ist für die Erhebung der Mahngebühren sachlich zuständig die ARGE als Behörde, die den zu vollstreckenden Leistungsbescheid erlassen hat (vgl. § 3 Abs. 3, 4 i.V.m. § 19 Abs. 2 VwVG). Die Besonderheiten der Organisationsstruktur der SGB II-Leistungsverwaltung führen nicht dazu, dass neben der ARGE auch die Bundesagentur für Arbeit für die Erhebung von Mahngebühren zuständig geblieben ist.

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Keine Leistungen bei Ersatzfreiheitsstrafe

Bundessozialgericht - B 14 AS 81/09 R - Urteil vom 24.02.2011

Auch ein Gefangener, der eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt, hält sich in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung auf. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass jemand ausdrücklich nur zu einer Geldstrafe verurteilt worden ist und nicht zu einer Freiheitsstrafe. Die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe für den Fall, dass die Geldstrafe nicht gezahlt wird, erfolgt zwar allein auf Anordnung der Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde. Daraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, die Ersatzfreiheitsstrafe sei keine richterlich angeordnete Freiheitsentziehung i.S. von § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II. Dies ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass die Ersatzfreiheitsstrafe in der (nicht abschließenden) Aufzählung der verschiedenen Vollzugsformen richterlich angeordneter Freiheitsentziehungen in der Gesetzesbegründung nicht aufgeführt ist.

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Angemessenheit der Wohnungsgröße nach Bestimmungen des sozialen Wohnungsbaus

Bundessozialgericht - B 14 AS 86/09 R - Urteil vom 26.05.2011

Dass zur Bestimmung der Angemessenheit nach § 22 Abs. 1 SGB II auf die Wohnungsgrößen nach den Vorschriften des sozialen Wohnungsbaus abgestellt wird, folgt aus § 1 Abs. 2 WoFG ("Gesetz über die soziale Wohnraumförderung"), der lautet: "Zielgruppe der sozialen Wohnraumförderung sind Haushalte, die sich am Markt nicht angemessen mit Wohnraum versorgen können und auf Unterstützung angewiesen sind. Unter diesen Voraussetzungen unterstützt die Förderung von Mietwohnraum insbesondere Haushalte mit geringem Einkommen." Zu diesen Haushalten mit geringem Einkommen, die Schwierigkeiten haben sich am Markt mit angemessenem Wohnraum zu versorgen, gehören die Haushalte, deren Mitglieder Leistungen nach dem SGB II beziehen, weil sie hinsichtlich ihrer möglichen Aufwendungen für die Kosten der Unterkunft entsprechend begrenzt sind.

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Zur Anhörung bei Rückforderungen gegen einzelne Personen einer Bedarfsgemeinschaft

Bundessozialgericht - B 14 AS 144/10 R - Urteil vom 07.07.2011

§ 38 SGB II ist keine über die Vermutung einer Bevollmächtigung hinausgehende "Zurechnung" von Handlungen einer Person zu anderen Personen zu entnehmen, denn das SGB II geht vom Einzelanspruch der jeweiligen Person als Hilfebedürftiger oder der mit einem solchen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Person aus und auch eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3, 3a, § 9 Abs. 2 SGB II ändert nichts an diesem Einzelanspruch, sondern bewirkt nur die Anrechnung von Einkommen und Vermögen verschiedener Personen in einer Bedarfsgemeinschaft untereinander, sodass deren Hilfebedürftigkeit ggf. zu verneinen ist.

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Kein Geld für Arzneien auf Privatrezept

Bundessozialgericht - B 14 AS 146/10 R - Urteil vom 26.05.2011

Die Kosten für Gesundheitspflege, die für medizinisch notwendige, aber nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse abgedeckte OTC-Präparate unter dem Gesichtspunkt der Eigenverantwortung der GKV-Versicherten auch von Hilfebedürftigen nach dem SGB II selbst zu zahlen sind, sind in der Regelleistung abgebildet und lösen damit grundsätzlich keinen Bedarf nach § 73 SGB XII aus.

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Zu Betriebskostennachzahlungen

Bundessozialgericht - B 14 AS 154/10 R - Urteil vom 07.07.2011

Nachforderungen, die nach zuvor erfolgten monatlichen Vorauszahlungen für die Betriebs- und Heizkosten entstehen, gehören als einmal geschuldete Zahlung zum aktuellen Bedarf im Fälligkeitsmonat. Denn zu den tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung i.S. des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Mietwohnungen gehören bei entsprechender vertraglicher Vereinbarung die dem Vermieter geschuldeten Vorauszahlungen für die Betriebs- und die Heizkosten. Soweit sich im Rahmen der Abrechnung dieser Vorauszahlungen Rückzahlungen ergeben, mindern diese nicht die Aufwendungen in den vorangehenden Zeiträumen, sondern aktuell. Kommt es im umgekehrten Fall nach Abrechnung der tatsächlich entstandenen Betriebs- und Heizkosten zu Nachzahlungsverlangen des Vermieters, gehören solche einmal geschuldeten Zahlungen zum aktuellen Bedarf im Fälligkeitsmonat und bewirken eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen, der nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch Rechnung zu tragen ist.

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Sozialhilfe SGB XII

Zur Erwerbsminderung von Sozialhilfeempfängern

Bundessozialgericht - B 8 SO 1/10 R - Urteil vom 09.06.2011

§ 45 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 SGB XII enthält  keine Fiktion der Dauerhaftigkeit einer festzustellenden Erwerbsminderung, sondern will lediglich verfahrensmäßig eine aufwändige Prüfung für in einer WfbM Beschäftigte vermeiden und den Sozialhilfeträger im Rahmen bestehender Massenverwaltung entlasten; dementsprechend ergibt sich aus dieser Vorschrift auch keine rechtliche oder tatsächliche Bindung der Gerichte, die das Erwerbsvermögen eines Hilfebedürftigen in vollem Umfang selbst festzustellen haben. Da gemäß § 19 Abs. 2 Satz 3 SGB XII die Leistungen der Grundsicherung den Hilfen zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel lediglich vorgehen, wären höhere Leistungen auch bei fehlender Dauerhaftigkeit einer vollen Erwerbsminderung denkbar.

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Zur gemeinsamen Haushaltsführung und der Absenkung der Regelleistung auf 80 %

Bundessozialgericht - B 8 SO 11/10 R - Urteil vom 09.06.2011

Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB XII i.V.m. §§ 2, 3 Abs. 1 Satz 2 der auf der Grundlage des § 40 SGB XII erlassenen RSV  hat ein Haushaltsvorstand Anspruch auf 100 % des Regelsatzes. Der Regelsatz für den Haushaltsvorstand gilt auch für Alleinstehende (§ 3 Abs. 1 Satz 3 RSV). Ein Erwachsenes Kind, dass im Haushalt seiner Mutter lebt, ist kein Haushaltsangehöriger im Sinne der RSV. Die abgestufte Regelsatzhöhe beruht auf der Erwägung, dass bei einer gemeinsamen Haushaltsführung Ersparnisse die Annahme eines geringeren Bedarfs rechtfertigen.  Bei der Bestimmung des Begriffs des Haushaltsangehörigen in der RSV muss ab 1.1.2005  berücksichtigt werden, dass die Annahme einer Haushaltsersparnis nach den Regelungen des SGB II einer gegenüber den bisherigen Regelungen des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) bzw. GSiG abweichenden gesetzgeberischen Konzeption folgt. Der Gesetzgeber des SGB II hat die Annahme einer Haushaltsersparnis und Kürzung der Regelleistung nicht mehr mit einer individuellen Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse der zusammenlebenden Personen verbunden, sondern in § 20 SGB II typisierend prozentuale Abschläge von der Regelleistung wegen Haushaltsersparnis nur bei Angehörigen einer Bedarfsgemeinschaft vorgenommen und insofern bewusst auf die Normierung der Rechtsfigur eines "Haushaltsvorstandes" verzichtet.

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Asylbewerberleistungsrecht

Asylbewerberleistungsrecht kein besonderer Teil des Sozialgesetzbuches

Bundessozialgericht - B 8 AY 1/10 R - Urteil vom 09.06.2011

Das AsylbLG gilt nicht als besonderer Teil des SGB (vgl. § 68 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - SGB I), mit der Folge, dass ohne § 9 Abs. 3 AsylbLG nicht einmal die verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmungen des SGB X (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 SGB X) - geschweige denn die des SGB III -, sondern die Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder auf das Verwaltungsverfahren nach dem AsylbLG Anwendung finden würden.

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Buchrezension

Hüttenbrink 
Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II 

Beck, 12. Auflage, 2011, 293 Seiten, € 9,90 
ISBN: 978-3 - 423 - 50716-5 

Ein Rechtsberater mehr, der sich mit dem Dauerbrenner Hartz IV befaßt. Wie der Autor im Vorwort feststellt "Die Wanderbaustelle läuft weiter". 
Unterteilt ist das Buch in drei große Teile: Einführung, Grundsicherung für Arbeitssuchende, Sozialhilfe und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. 
Teil I bringt einen Überblick über die drei von der Reform betroffenen Leistungsgruppen: 1. erwerbsfähige Leistungsberechtigte und ihre Angehörigen, 2. Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, 3. Sonstige Personen, die nicht unter 1. oder 2. fallen. Wer diese Unterteilung gelesen hat, kann dann direkt zum ihn betreffende Teil (2 oder 3) übergehen. 
Teil 2 befaßt sich mit dem SGB II. Da das Buch für Berater geschrieben ist, stehen hier Rechte und Pflichten der Betroffenen im Vordergrund. Es gibt naturgemäß keine Ausführungen zu Fragen wie Zuständigkeiten oder Verwaltungsverfahren, dafür ausführliche Darstellungen über die Standardfragen wie die Kosten der Unterkunft und Heizung oder den Einsatz von Einkommen und Vermögen. 
Teil 3 handelt vom SGB XII, wobei den besonderen Leistungen, die für jeden zutreffen können, jeweils ein besonderer Abschnitt gewidmet ist, z. B. Hilfe zur Pflege oder Hilfen zur Gesundheit. Das Buch endet mit dem möglichen Regreß gegen Dritte und den Rechtsbehelfen. Komplettiert wird es durch Tabellen (z. B. Hilfe zum Lebensunterhalt) und Berechnungsbeispiele.

Münder (Hrsg.) 
SGB II - Grundsicherung für Arbeitssuchende, Lehr- und Praxiskommentar
 
Nomos, 4. Auflage 2011, 1120 Seiten, € 54,- 
ISBN: 978-3 - 8329 - 54291 

Einmal mehr eine Reform des SGB II und einmal mehr setzt der Kommentar an dieser Stelle an: Topaktuell und praxisnah gibt er einen umfassenden Überblick über die neuen und alten Regelungen. Naturgemäß gibt es zu den "neuen" Vorschriften (eher: Alter Wein - oder besser: Essig - in neuen Schläuchen) noch keine Rechtsprechung. Dieses Manko wird durch eine Zitierfreude wieder wettgemacht. In der Besprechung der Vorauflage war angemerkt worden, daß andere Kommentare selten, Aufsätze noch seltener zitiert werden. Davon ist jetzt nichts übrig. 
Umfangmäßig wächst das SGB II über sich hinaus - und die Kommentare gezwungenermaßen auch. Vorbei die Zeit, als ein Handkommentar noch mit einer Hand zu stemmen war. Hier wird der Umfang gerechtfertigt, indem - soweit ersichtlich - alle (!) Urteile mit mindestens einer Fundstelle zitiert.

Thomann (Hrsg.)
Schwerbehindertenrecht Begutachtung und Praxis
Springer, 2006, 366 Seiten, € 56,95
ISBN: 978-3 - 7985 - 1644 - 1

Hier kriegt jeder sein Fett weg: ob nun die "Ärzteschaft … mit einer gelegentlich jammervollen Berichterstattung", "im behördlichen Bereich tätige Kollegen ohne genügende Anleitung und Ausbildung", die sich "auch nicht die Mühe machen, … insuffiziente Berichte zu bemängeln oder … Behinderungen zu hinterfragen" oder "erschreckende Unkenntnis des Sachverhaltes im Bereich der Gerichte". Wer rechnet hier ab, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen? Die Gescholtenen selbst! Die Verfasser sind Sachverständige, Behördenmitarbeiter, Verbandsvertreter und Richter; leider keine Rechtsvertreter. Diese bekommen zwar - oh Wunder - keine Schelte ab (sehr nett), können aber auch Probleme aus ihrer Sicht nicht darstellen (sehr schade).
Wer hier den 100.sten Leitfaden im Schwerbehindertenrecht erwartet hat, dessen Erwartungen gehen fehl. "Die Kenntnis des Schwerbehindertenrechtes ist für jeden … Arzt von großer Bedeutung", - so steht schon auf dem Einband und das Buch vermittelt die dafür notwendigen Grundlagen. Es besteht aus acht Teilen, von denen im engeren Sinne nicht alle für den Berater von Interesse sind, allenfalls die "klassischen" Gebiete. Aber gerade der Abschnitt "Begutachtung: Grenzen und Fehlerquellen" hat es in sich: Hier wird Schwerbehindertenrecht "von der anderen Seite" aus gesehen: Wie kommt es eigentlich zu den versorgungsärztlichen Gutachten? Welche Probleme hat der versorgungsärztliche Dienst mit Befundberichten der behandelnden Ärzte? Wieso greifen Sozialgerichte zum "Befreiungsschlag einer Begutachtung"?
Im Kapitel "Die Beratung und Vertretung von Antragstellern nach dem Schwerbehindertenrecht" faßt eine Verbandsmitarbeiterin das Dilemma "Erwartungshaltung der Antragsteller ./. Realität" zusammen. Hier werden dann die wahren Prügelknaben ausgemacht: Hausärzte. Mit einem fast schon grotesken Beispiel wird verdeutlicht, wie sehr diese den Prozeß in Gang setzen (ein Orthopäde zeigt auf, wie man aus quälenden, aber harmlosen Rückenschmerzen eine "echte" Schwerbehinderung konstruieren kann).
Die Teile des Buches, die nichts mit der Begutachtung zu tun haben, sind aber für Vertreter nicht minder interessant. Mit ihrer Hilfe kann man einen "hochgeschaukelten" Mandanten ("Mein Arzt sagt, ich muß einen GdB von mindestens 80 haben!") wieder auf den Boden der Tatsachen zurückbringen. In einem Teil geht es z. B. um Hilfebedarf von Menschen mit schweren Mehrfachbehinderungen. Hier - wie im ganzen Buch - gibt es kritische Untertöne darüber, daß der kleine Prozentsatz (schwerstbehinderter) Menschen untergeht im Heer der offiziell anerkannten Schwerbehinderten, die vielfach faktisch kaum eine Einschränkung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben hinnehmen müssen".
Das Buch ist in einigen Teilen schon veraltet (Stand 2006), aber sei's 'drum. Diese Infos gibt es zu Dutzenden in jedem Kommentar, jedem Leitfaden, jeder Broschüre. Der Rest des Buches ist so gut, daß man es nur empfehlen kann. Endlich werden in verständlicher Darstellungsweise die Probleme im Grenzbereich Medizin / Jura geschildert. Dafür kann man den Verfassern nur danken.

M. Schörnig
Rechtsanwältin

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