Ausgabe    5/2005 

vom 04.09.2005  

Druckversion der Zeitung (pdf-Format ohne weiterführende Links).

     Informationen

Schwerbehindertenrecht

Versorgungsrecht

Verfahrensrecht

Unfallversicherung

Krankenversicherung

Sachverständigenentschädigung

Verfahrenskosten

Anwaltshonorar

Grundsicherung für Arbeitssuchende SGB II / Arbeitslosenhilfe / Sozialhilfe

    Buchrezension

     Service

Herausgeber und verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes Karen Schillings,
Spessartstr. 15, 41239 Mönchengladbach

Die Zeitschrift erscheint alle 2 Monate


Liebe Leser,

die Zeitung September ist diesmal besonders umfangreich geworden. Unser besonderer Dank gilt den Lesern, die uns interessante Entscheidungen haben zukommen lassen.

Wir dürfen auch nochmals auf unsere "Schwesterseite" www.Uwendler.de verweisen, auf der Sie noch weitergehende Informationen zu sozialgerichtlichen Entscheidungen erhalten.

Unser neues Buch "Sozialrecht-begutachtungsrelevanter Teil" (nähere Informationen hierzu finden Sie auf unserer Internetseite unter "Buch/CD) stößt auf breite Zustimmung unserer Leserschaft. Unsere CD "Sozialrecht" (siehe ebenfalls den Link Buch/CD im Frame unserer Hauptseite) liegt inzwischen in der Version 6.0 (Stand August 2005) vor. Buch, CD, Internetseite und Onlinezeitschrift bilden ein aufeinander abgestimmtes Informationsangebot für alle, die mit sozialrechtlichen und gutachterlichen Fragestellungen zu tun haben.

Viel Spaß beim Lesen wünscht Ihr Team vom Sozialmedizinischen Verlag.


 

Nachteilsausgleich "aG" auch bei (nachvollziehbarer) subjektiver Unmöglichkeit

Sächs. LSG - Urteil vom 30.03.2005 - Az.: L 6 SB 67/01

Bei der Beurteilung, ob die Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "aG" erfüllt sind, ist darauf abzustellen, was individuell "möglich" ist. Wenn in diesem Zusammenhang von der "zumutbaren Willensanstrengung" die Rede ist, so sollen damit jene Fälle ausgegrenzt werden, bei denen die Unmöglichkeit, bestimmte Verrichtungen auszuführen, gewissermaßen noch vom Willen gesteuert wird, wenn also in Wahrheit gar keine Unmöglichkeit vorliegt, sondern eine "Unwilligkeit". Hiervon abzugrenzen sind die Fälle, in denen eine schwer kranke Person sich aufgrund der Erkenntnis des eigenen Körpers, der Kenntnis der Krankheit und letztendlich eines gewissen Instinktes bestimmte Sachen nicht mehr zutraut, obwohl sich eine mit relativ groben Messmethoden vorgenommene "objektive Unmöglichkeit" nicht feststellen lässt. Ergebnis kann dabei sein, dass das Gericht dem Betroffenen glaubt, dass er sich bereits vom ersten Schritt an nur mit größter Anstrengung fortbewegen kann.

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GdB-Feststellung nur für dauerhafte Gesundheitsstörungen

LSG NRW - Urteil vom 09.06.2005 - Az.: L 7 SB 181/04

In einem Rechtsstreit nach dem Schwerbehindertenrecht ist eine Verschlechterung in dem Gesundheitszustand nicht immer zu berücksichtigen. Voraussetzung ist nämlich, dass zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung eine nicht nur vorübergehende und damit eine über einen Zeitraum von mehr als sechs Monate sich erstreckende Gesundheitsstörung besteht.

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Missbrauch bei "aG"

LG Nürnberg - Urteil vom 08.09.2004 - Az.: 4 Ns 02 Js 62068/2004

Der Missbrauch eines Parkausweises ("aG" = außergewöhnlich gehbehindert) kann zu erheblichen Geldstrafen führen.

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Versorgungsrecht

Soziales Entschädigungsrecht - Bundesversorgungsgesetz

Verstoß gegen Auskunfts- und Beratungspflicht führt zu sozialrechtlichem Herstellungsanspruch

LSG Rh-Pfalz - Urteil vom 28.06.2005 - Az.: L 4 VS 6/04

Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch wird durch eine rechtswidrige Pflichtverletzung der Verwaltung ausgelöst, ohne dass diese dabei ein Verschulden treffen muss, und ist auf Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung desjenigen Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Hoheitsträger die ihm aus dem bestehenden Sozialleistungsverhältnis erwachsenen Nebenpflichten ordnungsgemäß wahrgenommen hätte. Dazu zählt die Pflicht zur Auskunft und Beratung nach §§ 14, 15 SGB I sowie zur verständnisvollen Förderung des Berechtigten.

Muss den Sachbearbeitern der Verwaltung aufdrängen, dass auch eine überlange Studiendauer in ursächlichem Zusammenhang mit den anerkannten Schädigungsfolgen steht, ist der Betroffene so zu stellen ist, als hätte er zu diesem Zeitpunkt einen Antrag auf Berufsschadensausgleich gestellt.

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Soziales Entschädigungsrecht - Opferentschädigungsrecht

Leistungsversagung im OEG

Schl.-Holst. LSG - Urteil vom 30.03.2005 - Az.: L 2 VG 1/03 -

Leistungen nach dem OEG sind auch zu versagen, wenn es unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren. Maßstab für Unbilligkeit sind 4 Fallgruppen:
1. Eine im Vorfeld der Tat liegende rechtsfeindliche Betätigung, mit der sich das spätere Opfer außerhalb der staatlichen Rechtsgemeinschaft stellt,
2. die sozialwidrige, mit speziellen Gefahren verbundene Zugehörigkeit zum Kreis der Alkohol- oder Drogenkonsumenten, wenn die Tat aus diesem Milieu entstanden ist,
3. das bewusste oder leichtfertige Eingehen einer Gefahr, der sich das Opfer ohne weiteres hätte entziehen können, es sei denn, für dieses Verhalten läge ein rechtfertigender Grund vor,
4. eine durch die Versorgung entstehende Vergünstigung des Täters.
Steht nicht sicher fest, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen einer der Fallgruppen Unbilligkeit begründet ist, ist eine ergänzende Berücksichtigung von unmittelbaren Tatbeiträgen, die zur Unbilligkeit führen können, möglich.

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Rechtsweg bei Pfändung von Versorgungsrente pp

LSG Rh-Pfalz - Beschluss vom 15.06.2005 - Az.: L 4 B 102/05 VS

Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist eröffnet, wenn ein Pfändungsgläubiger eine von ihm gepfändete Forderung, über deren Bestand die Sozialgerichte zu entscheiden haben - hier Versorgungsrente und Versorgungskrankengeld nach dem Soldatenversorgungsgesetz - bei dem Sozialgericht einklagt.

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Auch auf Computer-Fax ist Unterschrift erforderlich

BGH - Urteil vom 10.05.2005 - Az.: XI ZR 128/04

Soweit im Schriftverkehr mit Gerichten die Unterschrift unter Schriftsätzen als Wirksamkeitsvoraussetzung vorgeschrieben ist, gilt dies auch für per Computer-Fax übermittelte Schriftsätze. Fehlt diese (eingescannte) Unterschrift auf dem Schriftsatz, ist dieser "unwirksam" und unbeachtlich.
Etwas anderes gilt allenfalls, wenn sich aus anderen Umständen eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen ergibt, den Schriftsatz in den Rechtsverkehr zu bringen.

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Begutachtung der Berufskrankheit 2109 (bandscheibenbedingte Erkrankung der HWS)

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - Urteil vom 22.06.2005 - Az.: L 17 U 250/01

Das LSG NRW hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, wie eine bandscheibenbedingte Erkrankung der HWS in der gesetzlichen Unfallversicherung zu begutachten ist und wann die Voraussetzungen für eine Annerkennung als Berufskrankheit vorliegen.

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Zur Anerkennung eines Berufsunfalls

Hessisches Landessozialgericht - Urteil vom 23.07.2004 - Az.: L 11 U 244/01 -

Ein Unfall im Sinne des § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO liegt auch vor, wenn eine durch das (versuchte) Anheben eines Kissensteins ausgelösten Einwirkungen auf den Körper des Klägers den eingetretenen Gesundheitsschaden, nämlich hier Subarachnoidalblutungen, rechtlich wesentlich mitverursacht hat. Die Kausalität zwischen versicherter Tätigkeit (hier: Anheben des Steins) und Unfallereignis (hier: Auswirkungen der körperlichen Anstrengung auf den Körper des Klägers) ist vorliegend zu bejahen, da das Anheben des Steins rechtlich wesentliche Ursache der körperlichen Anstrengung und der damit verbundenen Auswirkungen auf den Körper des Klägers war.

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Perückenversorgung zu Lasten der Krankenkasse

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht - Beschluss vom 15.06.2005 - Az.: L 5 KR 20/04 -

Eine Perückenversorgung kann in geeigneten Fällen aus Mitteln der Krankenversicherung gerechtfertigt sein.

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Die vier vergütungspflichtigen Arbeitsschritte bei Gutachten

LSG NRW - Beschluss vom 02.05.2005 - Az.: L 4 B 5/05

Sachverständigenentschädigung: Nochmals die vier vergütungspflichtigen Arbeitsschritte:
1. Zeitaufwand für Aktenstudium und vorbereitende Arbeiten,
2. Zeitaufwand für Untersuchung und Anamnese,
3. Zeitaufwand für Abfassung der Beurteilung,
4. Zeitaufwand für Diktat und Durchsicht.

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Vergütungsfähiger Inhalt der "Beurteilung" bei Gutachten

LSG NRW- Beschluss vom 06.04.2005 - Az.:  L 4 B 16/04 

Sachverständigenentschädigung: Der Arbeits- bzw. Abrechnungsabschnitt  "Abfassung der Beurteilung" umfasst die Beantwortung der vom Gericht gestellten Beweisfragen und der näheren Begründung.  Werden in diesem Abschnitt ein Aktenauszug und die Ergebnisse der Untersuchung wiedergegeben, können diese bei der Abrechnung nicht berücksichtigt werden, da diese Ausführungen schon in den Arbeitsschritten "Aktenstudium" und "Untersuchung, einschließlich Anamnese" mit abgegolten werden.

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Zur Entschädigung eines Sachverständigen nach dem JVEG

Landessozialgericht Baden-Württemberg - Beschluss vom 05.04.2005 - Az.: L 12 SB 795/05 KO-A

Aus § 8 Abs. 2 Satz 1 JVEG ergibt sich, dass sich die Anzahl der zu vergütenden Stunden nicht daran orientiert, wie viele Stunden der Sachverständige zur Erstattung des Gutachtens aufgewandt hat, sondern daran, wie viele Stunden für die Erstattung des Gutachtens erforderlich, also notwendig gewesen sind. Auch wenn der erforderliche Zeitaufwand vom tatsächlichen Zeitaufwand des Sachverständigen abweichen kann, ist der tatsächliche Zeitaufwand doch ein gewichtiges Indiz für die erforderliche Zeit. Insoweit ist keine Änderung der Rechtslage gegenüber dem ZSEG eingetreten.

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Zur Entschädigung des Arztes für die Übersendung eines Computerausdrucks

Hessisches Landessozialgericht - Beschluss vom 13.07.2004 - Az.: L 2 SF 6/05 R -

Bei einem unbearbeiteten Computerausdruck handelt es sich um keinen Befundbericht nach Nr. 200 der Anlage 2 Abschnitt 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG, der mit 21,00 Euro zu honorieren ist. Was unter einem Befundbericht zu verstehen ist, ergibt sich mangels gesetzlicher Definition aus dem Anforderungsschreiben (hier: des Senats) an den behandelnden Arzt, das ggf. nach § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) aus der Sicht eines verständigen Empfängers auszulegen ist, sowie dem Gegenstand des der Anforderung zugrunde liegenden Verfahrens. Dabei geht es um medizinische Tatbestände und Angaben für das konkrete Verfahren, die aus den Behandlungsunterlagen ausgewählt und fachlich zweckgebunden (hier bezogen auf das Leistungsvermögen der Klägerin) zu bewerten sind. Die vom Antragsteller gelieferte sechs-seitige Aufstellung erfüllt diese Ansprüche nicht. Es handelt sich um einen unbearbeiteten Computer-Ausdruck, der unselektiert und in zeitlicher Folge seit 22. Februar 2002 vorhandene elektronisch gespeicherte ärztliche Aufzeichnungen wiedergibt

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Verjährung von Sachverständigenforderungen

Thüringer Landessozialgericht - Beschluss vom 24.05.2005 - Az.: L 6 B 25/05 SF

Zur Verjährung eines Anspruchs eines Sachverständigen auf Entschädigung.

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Verfahrenskosten

Kostenerstattung bei sofortigem Anerkenntnis

Bay. LSG - Beschluss vom 03.06.2005 - Az.: L 15 B 595/04 SB

Entgegen der Rechtsprechung des LSG NRW ist der Beklagte auch dann an dem Prozess- und Kostenrisiko zu beteiligen, wenn er auf eine erst im Verlauf des Rechtsstreits eingetretene Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen beim Kläger umgehend reagiert und der Änderung Rechnung getragen hat. Gerade im Bereich des Schwerbehindertenrechts stellt der Gesundheitszustand des Klägers bzw. der Klägerin in der Regel ein fließendes Geschehen dar und lässt sich oft nicht exakt feststellen, wann genau eine GdB-wirksame Verschlechterung des Gesundheitszustands eingetreten ist. Etwas anderes kann bei plötzlich eintretenden Veränderungen z.B. aufgrund eines Unfalls gelten. 

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Kosten wesentlicher Änderung im Klageverfahren

Bay. LSG - Beschluss vom 17.01.2005 - Az.: L 18 B 278/04 SB - 

Weist ein Kläger in einer anhängigen Schwerbehindertenstreitsache eine nach Einlegung des Rechtsmittels eingetretene Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes nach und ist der genaue Zeitpunkt der Verschlimmerung wegen der daraufhin erfolgten vergleichsweisen Regelung in der Hauptsache noch offen, ist eine teilweise Kostenerstattung durch den Verwaltungsträger auch dann sachgerecht, wenn dieser der Veränderung der medizinischen Sachlage unverzüglich nach Kenntnis im Wege eines Vergleichsangebots Rechnung getragen hat.

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Zur Auferlegung von Missbrauchskosten und zur Aufklärung des Sachverhalts

Bayerisches Landessozialgericht - Urteil vom 15.03.2005 - Az.: L 18 SB 145/04  - rechtskräftig

Weigert sich der Kläger im gerichtlichen Verfahren, sich einer Begutachtung zu unterziehen, so rechtfertigt dies noch nicht, die Klage abzuweisen, wenn ein Gutachten nach Aktenlage weitere Aufklärung des Sachverhaltes möglich macht. Das LSG kann bei derartigen Verfahrensfehlern, den Rechtstreit an die erste Instanz zurückverweisen.
Die Auferlegung von Missbrauchskosten gegen den nicht erschienenen Kläger verletzt den Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Der Kläger muss in der mündlichen Verhandlung auf die missbräuchliche Rechtsverfolgung und die Möglichkeit der Kostenauferlegung hingewiesen werden.

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Anwaltshonorar

Mittelsgebühr nach dem RVG

Sozialgericht Düsseldorf - Beschluss vom 27.07.2005 - Az.: S 23 AL 311/04 -

Zur Frage, wann in Sozialgerichtlichen Verfahren die Mittelgebühr bei der Verfahrensgebühr (3102) und der Terminsgebühr 3106 des Vergütungsverzeichnisses in Verfahren nach dem RVG anzusetzen ist. (Beschluss wurde eingesandt von Rechtsanwalt Westerath aus Mönchengladbach)

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Grundsicherung für Arbeitssuchende / Arbeitslosenhilfe / Sozialhilfe

Zur Anrechnung einer Eigenheimzulage und zum Wert eines "angemessenen PKW"

Landessozialgericht Baden-Württemberg - Beschluss vom 01.08.2005 - Az.: L 7 AS 2875/05 ER-B 

Die von den Behörden gesetzte Wertgrenze für einen angemessenen PKW kann nicht pauschal auf 5000 Euro festgesetzt werden. Vielmehr erscheint auch ein Fahrzeug mit einem Wert von unter 10.000 Euro noch angemessen.

Zwar zählt zu den Einnahmen grundsätzlich jeglicher Zufluss. Für Zahlungen, die für einen längeren Zeitraum erfolgen, bestimmt § 2 Abs. 3 der auf der Grundlage des § 13 SGB II erlassenen Verordnung (Alg II-V), dass die Einmalzahlung dem Grunde nach auf die Folgezeit entsprechend den Sätzen des § 12 SGB II zu verteilen ist. Damit ist aber noch nichts über die Frage der Anrechenbarkeit selber gesagt. Diese richtet sich nach § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II. Danach sind zweckbestimmte Einnahmen, die einem anderen Zweck als Leistungen nach dem SGB II dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären, nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Diese Voraussetzungen dürften für die Eigenheimzulage 2005 vorliegen.

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Kindergeld ist nicht bedarfsmindernd zu berücksichtigen

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen - Beschluss vom 13.06.2005 - Az.: L 8 AS 118/05 ER 

Aus dem Zweck des Kindergeldes folgt keine von der Auszahlung unabhängige Zuordnung als Einkommen des Kindes. Nach der steuerrechtlichen Regelung des Kindergeldes in §§ 31, 62 ff. EStG fällt wegen eines Kindes in Höhe des Kindergeldes weniger Steuer an oder ist das Kindergeld eine Leistung zur Förderung der Familie und fließt in dieser Höhe Einkommen zu. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, die Zweckbindung des Kindergeldes bestehe nach § 31 EStG darin, das Existenzminimum des Kindes abzudecken. Vielmehr ist ein Zweck des Kindergeldes, die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums eines Kindes zu bewirken (§ 31 EStG). Mit diesem Zweck wird Kindergeld nicht dem Kind selbst (vertreten durch die Eltern) als Einkommen zur Sicherung seines Existenzminimums gewährt, sondern es bleibt der Teil des elterlichen Einkommens steuerfrei, den diese zur Existenzsicherung ihres Kindes benötigen. Eine Steuerfreistellung kann zu einem höheren Nettoeinkommen des Anspruchsberechtigten, nicht dagegen zu Einkommen des Kindes selbst führen, für das Kindergeld gewährt wird. Zum anderen dient das Kindergeld, soweit es für den Zweck der steuerlichen Freistellung nicht erforderlich ist, "der Förderung der Familie" und nicht etwa allein oder vorrangig der Förderung des Kindes, für das Kindergeld gewährt wird. Auch das Zivilrecht ordnet Kindergeld nicht abweichend vom Steuerrecht dem Kind als Einkommen zu. § 1612b BGB regelt allein die Anrechnung von Kindergeld in Bezug auf den Unterhalt für das Kind . Im Kinder- und Jugendhilferecht erklärt § 39 Abs. 6 SGB VIII für den Fall, dass das Kind oder der Jugendliche im Rahmen des Familienleistungsausgleichs nach § 31 EStG bei der Pflegeperson berücksichtigt wird, nicht Teilbeträge des Kindergeldes als Einkommen des Kindes oder Jugendlichen, sondern bestimmt eigenständig eine gewisse Anrechnung solcher Beträge auf die laufenden Leistungen zum Unterhalt." Die Weitergabe dieses Kindergeldes an das volljährige Kind, mit der Folge der dann fehlenden Anrechnungsmöglichkeit als Einkommen bei der Antragstellerin zu 1., scheidet aus den oben dargestellten Gründen aus.

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Zur Übernahme von Stromkosten durch den Sozialhilfeträger

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - Beschluss vom 15.07.2005 - Az.: L 1 B 7/05 SO ER 

Für einen Anspruch auf Übernahme der Altschulden aus früherem Strombezug fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage. Weder § 34 SGB XII noch § 23 SGB II greifen direkt oder in entsprechender Anwendung ein. Sonstige Anspruchsgrundlagen auf Begleichung privater Altschulden durch die öffentliche Hand kommen nicht in Betracht. Anspruchsgrundlage und damit Anordnungsanspruch für die vom Senat ausgesprochene Verpflichtung des Antragsgegners, für eine erneute Belieferung der Antragsteller durch die Beigeladene zu 2) mit Strom Sorge zu tragen, sind die §§1.3 SGB XII iVm Artikel 13 Grundgesetz (GG) und § 33 Abs. 2 Satz 2 AVBEItV. Danach muss der Antragsgegner als Träger der Sozialhilfe auch bei seinem Handeln als Mehrheitsgesellschafter eines privatrechtlich verfassten Energieversorgungsunternehmens die für ihn geltenden öffentlichrechtlichen Verpflichtungen durchsetzen (Art 20 Abs. 3 GG). Er muss bewirken, dass die von ihm rechtlich beherrschte Beigeladene zu 2) ihre vorhandene faktische Marktmacht im Versorgungsgebiet nicht missbräuchlich zu Lasten der Empfänger und Träger von Sozialhilfeleistungen ausgeübt, und er muss sicherstellen, dass bei einem Geltendmachen des Zurückbehaltungsrechts iSd § 33 Abs. 2 Satz 2 AVBEItV das dort speziell verankerte Verhältnismäßigkeitsprinzip gewahrt wird.

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SGB II Leistungen für Studenten

Hessisches Landessozialgericht - Beschluss vom 11.08.2005 - Az.: L 9 AS 14/05 ER -

Die Voraussetzungen für die Annahme eines besonderen Härtefalls, der Voraussetzung ist, damit Studenten SGB II Leistungen erhalten können, können vorliegen, wenn der Student bereits drei Semester seines sechssemestrigen Studiums absolviert hat, so dass er sich mit ihrer Ausbildung nicht mehr am Anfang, sondern bereits in einem fortgeschrittenen Stadium befindet.

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Buchrezension

Rothkegel (Hrsg.)
Sozialhilfe
Nomos - Verlag, 2005, 758 Seiten, € 54,-
ISBN 3 - 8329 - 0480 - 8

Das Buch ist zwar erschienen in der Reihe "Nomos Praxis", aber ein Arbeitsbuch ist es nicht. Gerade Teil II, Kapitel 2 und 3 wirken wie ein Lehrbuch zum Verwaltungsrecht Allgemeiner Teil. Das soll beileibe keine negative Kritik sein, nur eine "Vorwarnung", daß sich hinter diesem Handbuch eben kein Leitfaden zur Bearbeitung und Lösung sozialhilferechtlicher Fälle verbirgt.
Der Aufbau gliedert sich in fünf Teile: Teil I: "Der gesellschaftliche und rechtliche Rahmen der Sozialhilfe", Teil II: "Die Strukturprinzipen des Sozialhilferechts", (auch wenn dieser Teil Theorie pur ist, lohnt sich die Lektüre, denn diese Prinzipien ziehen sich wie ein roter Faden durch das gesamte Buch), Teil III: "Das materielle Recht", Teil IV: "Das Verwaltungsverfahren", Teil V: "Gerichtliches Verfahren".
Jeder Teil ist in insgesamt 57 Kapitel aufgeteilt. Diese Kapitel folgen zumeist demselben Muster, das lobenswert hervorzuheben ist: Es beginnt mit Literaturhinweisen, es folgen Rechtsgrundlagen (diese helfen besonders weiter, so gerät man weniger in Gefahr, in der "Eile des Gefechts" etwas zu übersehen) und schließlich - ganz besonders zu erwähnen -, Orientierungssätze; sozusagen die Essenz, die der jeweilige Verfasser aus "seinem" Kapitel gewinnt. Gerade durch diese Orientierungssätze gewinnt der Leser einen Überblick, was in dem jeweiligen Kapitel behandelt wird.
Es ist ein gutes "Lesebuch", für die Praxis weniger geeignet. Außerdem vermisst die Rezensentin ein Abkürzungsverzeichnis; besonders, nachdem ihr als "RdL" immer wieder die Zeitschrift "Recht der Landwirtschaft" angeboten worden war. Dabei dürfte es sich eher um "Recht der Lebenshilfe" (RdLh) handeln.

Plagemann (Hrsg.)
Münchner Anwaltshandbuch Sozialrecht
Beck - Verlag, 2. Auflage 2005, 1536 Seiten, € 108,-
ISBN 3 - 406 - 52153 - 3

Was gibt's Neues? Nichts - und gleichzeitig viel.
"Nichts", weil das Standardwerk nun in zweiter Auflage dasselbe Konzept beinhaltet wie in der Erstauflage: materielles und formelles Recht, Checklisten, Tipps und Hinweise aus der Praxis.
In der ersten Rezension in Ausgabe Nr. 2 aus diesem Jahr wurde bereits beklagt, dass Sozialrecht so unpopulär ist, dass das zum damaligen Zeitpunkt teilweise schon überholte Buch nicht so schnell wieder neu aufgelegt werden würde. Dem Gesetzgeber sei Dank: Es gibt eine Neuauflage - relativ zeitnah -, "erzwungen" durch Hartz IV.
Das Konzept ist gleich geblieben; es gilt daher das schon einmal Gesagte: "Dieses Buch ist ein "Arbeitsbuch", geschrieben von Rechtsanwälten für Rechtsanwälte.
Nach dem Kapitel "nur für Anwälte" (Sozialrecht und Anwaltsmarkt) wird ausführlich die Basis des Sozialversicherungsrechtes dargestellt: Alles dreht sich um Versicherungs- und Beitragspflichten. Woran knüpft die Sozialversicherungspflicht an? Was ist die Regel, was die Ausnahme? Wer muß was bezahlen und wann nicht?
Überarbeitet sind die Sozialgesetzbücher, die es "vorher schon gab", die "materiellen" Inhalt haben und damit prozeßträchtig sind: III, V, VI, VII, IX und XI (immer mit Abstechern auf die private Seite versehen, z. B. "§ 16 I: GKV - PKV: Ein Systemvergleich im Überblick"). Neu hinzugekommen ist Kapitel 4: EU - Sozialrecht. Bezeichnend ein Zitat des Verfassers: "Die Europäische Sozialunion ist ein Begriff für Festreden, nicht für die Wirklichkeit". Wie man überhaupt bei der Lektüre dieses Kapitels resummieren muß: Bis zur Harmonisierung ist es noch ein ganzes Stück Weg.
Aber nun zum "Herzstück" der Neuauflage: SGB II und SGB XII. Dazu gleich die Kritik: Was macht Grundsicherung im Alter / bei Erwerbsminderung im Kapitel über die Rentenversicherung? Es wäre für die Praxis besser gewesen, die gesamte Reform zusammenhängend darzustellen. Natürlich hat Grundsicherung im Alter / bei Erwerbsminderung etwas mit Rentenversicherung zu tun. Aber machen wir uns doch nichts vor: Der Anreiz, diese Neuauflage zu kaufen, sind die Erwartungen, möglichst rasch alle Neuerungen auf einen Blick dargestellt und vermittelt zu bekommen. Wenn man dann teils in das Recht der Rentenversicherung (s. o.) schauen muß, dann in das Recht der Arbeitsförderung (für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende) und schließlich in ein eigenes Kapitel für Sozialhilfe, dann ist die Übersichtlichkeit schon flöten. In diesem Kapitel ist "der Regreß der Sozialleistungsträger nach §§ 93, 94 SGB XII, 33 SGB II" geschildert. Das gehört teilweise auch wieder zur Grundsicherung im Alter / bei Erwerbsminderung bzw. zu Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Geschmeichelt fühlen muß sich jeder Richter am Sozialgericht durch die Gegenüberstellung von sozialgerichtlichem und verwaltungsgerichtlichem Verfahren, die die Sozialgerichte ganz klar als "kunden-freundlicher" kennzeichnen. "Es ergibt sich typischerweise eine Verbesserung der Rechtsposition der Betroffenen."
Es ist nach dem erklärten Willen der Verfasser ein Arbeitsbuch und so wird jeden Praktiker die umfangreich aufgezählte Rechtsprechung freuen, ganz besonders die Aufzählung der wesentlichen Entscheidungen des BGH zum Elternunterhalt (S. 1265). Dazu werden häufig die Entscheidungen der Instanzgerichte zitiert, um "Argumentationsspielräume zu liefern"; abgerundet durch Rechenbeispiele zum Über- und Unterschreiten des Selbstbehaltes durch den Unterhaltspflichtigen. Überhaupt ist der Paragraph über den Regreß einer der umfangreichsten.
Nicht nur das BSHG wurde abgeschafft, sondern auch die BRAGO. Für die Neuerung des RVG hätte es garantiert keine Neuauflage gegeben. So "profitieren" Anwälte von SGB II / XII gleich mit.
Allen Reformen zum trotz ist Sozialrecht in der anwaltlichen Praxis unpopulär geblieben. Kapitel 2 "Sozialrecht und Anwaltsmarkt" ist mit zehn Seiten immer noch eins der kürzesten Kapitel.

Rechtsanwältin Marianne Schörnig, Düsseldorf

 

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Die nächste Ausgabe unserer Zeitschrift erscheint im November 2005!

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