Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) im Rahmen des "Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX).

Der im Jahr 1988 geborene Kläger stellte am 30.07.2015 erstmalig einen Antrag auf Feststellung einer Behinderung. In seinem Antrag gab er insbesondere an, bei ihm bestehe eine Colitis ulcerosa. Er teilte insbesondere mit, er habe bis zu 20 Studiengänge pro Tag mit blutigen Durchfällen und heftigen krampfartigen Schmerzen im Bauch. Darüber hinaus beschrieb er ausführlich die dadurch bedingten Beeinträchtigungen , im Berufs- und Privatleben wegen der nächtlichen Durchfälle kenne er nicht durchschlafen und wache immer wieder auf. Dadurch sei er dann tagsüber oft erschöpft, kraftlos, übermüdet, gereizt .und aggressiv. Durch den ständigen Durchfall komme es zu einem erheblichen Energieentzug. Er sei ständig antriebslos, schlapp und auf einem sehr niedrigen Energieniveau. Durch die Erkrankung könne sein Körper sehr wenig Nahrung verwerten. Dadurch liege sein Körpergewicht unter dem Durchschnitt. Er sei 175 cm groß, wiege aber nur knapp 59 kg. Er müsse deshalb oft in der Kinderabteilung einkaufen. Seine Krankheit habe einen Verlauf mit schwersten Auswirkungen, weshalb er auch das Medikament Infliximab als Infusion bekomme.

Der Beklagte holte einen Bericht des behandelnden Internisten des Klägers  ein. Nach dessen Auswertung unter ärztlicher Beteiligung erteilte der Beklagte am 29.09.2015 einen Feststellungsbescheid und stellte einen GdB von 40 fest. Dabei legte er als einzige Beeinträchtigung eine Colitis ulcerosa mit einem GdB von 40 zugrunde.

Dagegen hat der Kläger am 06.10.2015 Widerspruch eingelegt. Er meinte insbesondere, dass bei ihm schwere Auswirkungen der Erkrankung vorliegen würden für die ein GdB von 60-70 angemessen sei und begründete dies im Einzeinen.

Der Beklagte zog weitere Berichte der behandelnden Ärzte des Klägers bei. Nach Auswertung der Unterlagen unter ärztlicher Beteiligung half der Beklagte dem Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21.03.2016 insoweit ab, als er mit Wirkung ab Antragsteilung einen GdB von 50 feststellte. Den weitergehenden Widerspruch wies der Beklagte als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er insbesondere aus, ein höherer GdB als 50 lasse sich nach Art und Ausmaß der erhobenen Befunde gegenwärtig nicht begründen.

Dagegen hat der Kläger am 12.04.2016 Klage erhoben. Zur Begründung schildert er ausführlich die bei ihm bestehenden Beeinträchtigungen.

Der Kläger beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,

den Bescheid vom 29.09.2015 in, Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.03.2016 teilweise aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten mit Wirkung ab Antragstellung einen GdB von 60 festzustellen.

Der Beklagte beantragt.

die Klage abzuweisen.

Er bezieht sich auf seine Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.

Das Gericht hat weitere Berichte der behandelnden Ärzte des Klägers beigezogen. Darüber hinaus hat es eine Untersuchung und Begutachtung durch die Fachärztin für Innere Medizin, für Sozialmedizin und für psychosomatische Medizin und Paychotherapie Dr. med. N. veranlasst. Die Sachverständige kam in ihrem Gutachten vom 09.04.2018 zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger aufgrund einer linksseitigen Colitis ulcerosa inklusive psychischer Belastung seit Juli 2015 ein GdB von 60 vorliegt.

Der Beklagte erhob Einwande gegen das Gutachten. Er meint insbesondere, dass hier nur ein GdB von 50 vorläge er behauptet insbesondere, es läge keine erhebliche Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes vor. Er meint insbesondere, dass die bei dem Kläger vorliegende Symptomatik in ihrem Schweregrad deutlich unterhalb derjenigen einer Erkrankung mit schwersten Auswirkungen vorliege. Der Kläger meint demgegenüber, dass eine erhebliche Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes nicht kumulativ zu den anderen in den versorgungsmedizinischen Grundsätzen genannten Beeinträchtigungen vorliegen müsse.

Das Gericht hat die Beteiligten darauf hingewiesen. dass es beabsichtigt, den Rechtstreit ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden und hat den Beteiligten Gelegenheit gegeben, sich hierzu zu äußern. Einwande wurden von keiner Seite erhoben.

Neben den Gerichtsakten lagen dem Gericht die Verwaltungsvorgange des Beklagten vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes, insbesondere wegen des Inhaltes der ärztlichen Unterlagen und des Vorbringens der Beteiligten, wird auf die genannten Akten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Das Gericht kennte nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufwies und der Sachverhalt - soweit erforderlich - geklärt war.

Die Klage ist zulässig und begründet. Die angefochtenen Bescheide sind teilweise rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 60.

Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung (a.F.) bzw. gem. § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung (n.F.) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Menschen sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX a.F. behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben In der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Menschen mit Behinderungen sind nach § 2 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB IX n.F. Menschen, die körperliche,  seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX a.F. bzw. § 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX n.F. als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX a.F. bzw. § 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX n.F. nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zu beachten ist hierbei, dass der Begriff des GdB das Malß der gesundheitlichen Beeinträchtigung bezeichnet und nichts über die Leistungsfähigkeit an einem bestimmten Arbeitsplatz aussagt. Eine Feststellung ist nach § 69 Abs. 1 Satz 6 SGB IX a.F. bzw. § 152 Abs. 1 Satz 6 SGB IX n.F. nur zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt. Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteils ausgleichen, so treffen nach § 69 Abs.4 SGB IX (a.F.) bzw. §152 Abs.4 SGB IX (n.F.) die zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen im Verfahren nach Absatz 1 der genannten Vorschriften. Grundlage für die Einschätzung des GdB und der Voraussetzungen der weiteren gesundheitlichen Merkmale sind neben den gesetzlich geregelten Voraussetzungen die "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VmG) in der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV).

Daran gemessen ist hier der GdB mit 50 zu gering festgestellt Worden. Das Gericht schließt sich insoweit der nachvollziehbaren und damit überzeugenden Einschätzung der gerichtlich bestellten Sachverständigen in deren Gutachten an. Die Sachverständige hat insbesondere die vorliegenden Befundberichte ausgewertet und mit den Ergebnissen ihrer eigenen Untersuchung abgeglichen. Sie ist damit nachvollziehbar zu der Annahme eines GdB von zumindest aktuell 60 gekommen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Sachverständige den Kläger - anders als der ärztliche Berater des Beklagten - persönlich in Augenschein genommen hat. Dabei konnte sie sich insbesondere ein eigenes Bild von dem Gesamtzustand des Klägers machen ohne hier bloß auf Papier angewiesen zu sein. Dementsprechend hat sie in ihrem Gutachten auch ausgeführt, dass ein erheblicher Kräfteverlust bei dem Kläger vorliegt.

Dieser wurde auch mehrfach durch die Berichte der behandelnden Arzte des Klägers bestätigt. So bezeichnete die Internisten Dr.med. I. in ihrem Bericht vom 31.06.2015 die physische Leistungsfähigkeit des Klägers als deutlich herabgesetzt. Auch in ihrem Bericht vom 11.01.2016 bezeichnete sie den Ernährungszustand des Patienten als nicht ausreichend. Das Gewicht läge unterhalb des gewünschten Bereiches (60 kg bei 175 cm Körpergröße, obwohl von dem Kläger zusätzliche Trinknahrung eingenommen werde. Darüber hinaus bestätigte sie eine deutliche Herabsetzung der physischen und psychischen Leistungsfähigkeit des Klägers. Darüber hinaus führte sie in ihrem Bericht vom 15.12.2016 insbesondere aus, infolge der chronischen Entzündung komme es zu einem Fertig-Syndrom mit pathologischer Müdigkeit, Abgeschlagenheit sowie Konzentrationsstörungen was zusätzlich durch die gestörte Nachtruhe verstärkt werde. Dies führe zu einer deutlichen Herabsetzung der physischen und psychischen Leistungsfähigkeit.

Den Ernährungszustand bezeichnete die gerichtlich bestellte Sachverständige lediglich als zeitweise beeinträchtigt. Mit einem Körpergewicht von 60 kg bei 175 cm Körpergröße bewegt sich das Körpergewicht des Klägers im Grenzbereich von Normal- und Untergewicht. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass das Immunsupressivum Infliximab auch zu einer Wassersucht führen kann (vgl. Rote Liste, 56. Ausgabe, Hauptgruppenverzeichnis Nrn. 51 086 bis 51 090), so dass der eigentliche Ernährungszustand bei einer bloßen Betrachtung des Gewichtes überhaupt nicht beurteilt werden kann. Insofern verbleibt es dabei, dass sich das Gericht der Einschätzung der Sachverständigen anschließt, die den Kräfte- und Ernährungszustand des Klägers aufgrund eigener Untersuchung beurteilen kann.

Vor diesem Hintergrund könnte die Beantwortung der Frage, ob die in den VmG aufgeführten einzelnen Voraussetzungen jeweils kumulativ erfüllt sein müssen dahingestellt bleiben. lm Hinblick auf die Diskussion der Beteiligten scheint jedoch eine Entscheidung erforderlich. In Teil B Ziffer 10.2.2 der VmG ist für eine Colitis ulcerosa mit schwerer Auswirkung (anhaltende oder häufige rezidivierende erhebliche Beschwerden, erhebliche Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, häufige, tägliche, auch nächtliche Durchfälle) ein GdB von 50-60 anzunehmen. Das erkennende Gericht ist der Ansicht, dass es sich hierbei nur um Regelbeispiele handelt, die nicht kumulativ erfüllt sein müssen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat auf Anfrage des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen eine Stellungnahme zur Auslegung von Teil B, Ziffer 10.2.2 VMG abgegeben. Danach sind die in Teil B, Ziffer 10.2.2 VMG aufgeführten Symptome als Regelbeispiele zu verstehen und nicht abschließend (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13. Juni 2014  L 13 SB 371/13 , juris, Rn. 14). Dieses Verständnis ist auch praktikabel, weil der GdB ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens ist (vgl. Teil A, Ziff. 2 a VmG). Es ist unerlässlich, alle die Teilhabe beeinträchtigenden körperlichen, geistigen und seelischen Störungen im Einzelfall zu berücksichtigen (vgl. Teil B, Ziff. 1 a VmG). Daher sind auch nicht nur die in Teil B, Ziff. 10.2.2 VmG aufgeführte Beeinträchtigungen bei der Bewertung des GdB zu berücksichtigen. Eine abschließende Regelung in Teil B, Ziff. 10.2.2 VmG würde eine sachgerechte Gesamtbetrachtung der Erkrankung Morbus Crohn erschweren oder sogar verhindern. (SG Hannover, Urteil vom 24. Juli 2014  S 25 SB 556/12 , juris). Umgekehrt müssen auch nicht alle Regelbeispiele voll erfüllt sein. Entscheidend ist hier nur, dass insgesamt von schweren Auswirkungen auszugehen ist. Wie oben dargestellt ist hier von schweren Auswirkungen im oberen Bereich auszugehen.

Die Kostenentscheidung folgt der Entscheidung in der Hauptsache und beruht auf den §§ 183, 193 SGG.