Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen - L 8 AY 57/14 B ER - Beschluss vom 27.11.2014
Das Leistungserbringungsrecht nach dem AsylbLG, nach dem ein Mehrbedarf für Alleinerziehende nicht durch eine pauschale Leistung gedeckt wird, verstößt nicht gegen die Verfassung. Bei der Bemessung des Bedarfs von alleinerziehenden Personen ist von Verfassungs wegen allein entscheidend, dass für jede individuelle hilfebedürftige Person das Existenzminimum nach Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ausreichend erfasst wird. Im allgemeinen Grundsicherungsrecht berücksichtigt der pauschale Mehrbedarf für Alleinerziehende typisierend den höheren Aufwand der alleinerziehenden Person für die Versorgung und Pflege bzw. Erziehung der Kinder etwa wegen geringerer Beweglichkeit und zusätzlicher Aufwendungen für Kontaktpflege oder Inanspruchnahme von Dienstleistungen Dritter. Entgegen der Kritik, diese Leistung sei wegen des gesellschaftlichen Wandels überholt, ist die sozialpolitische Entscheidung des Gesetzgebers, für alleinerziehende Personen im SGB II und im SGB XII einen pauschalen Mehrbedarf vorzusehen, verfassungsrechtlich anzuerkennen. Es bleibt aber grundsätzlich dem Gesetzgeber überlassen, ob er diesen Bedarf durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen sichert.
Gründe:
Die Beteiligten streiten im Rahmen des gerichtlichen Eilrechtsschutzes um die Gewährung eines pauschalen Mehrbedarfs für Alleinerziehende nach § 6 Abs. 1 AsylbLG bzw. § 30 Abs. 3 Nr. 1 SGB XII (analog).
Die 1989 geborene Antragstellerin ist türkische Staatsangehörige und unbekannten Datums nach Deutschland eingereist. Ab Juni 2013 wohnte sie bei ihrem Cousin in E., zunächst ohne einwohnermelde- und ausländerrechtlich erfasst zu sein. Drei Tage vor der Geburt ihres Kindes, dem Antragsteller, beantragte sie am 9. Januar 2014 bei der Antragsgegnerin Leistungen nach dem AsylbLG, die ihr und ihrem Sohn zunächst durch Bescheid vom 14. Februar 2014 für die Zeit ab 9. Januar 2014 in monatlicher Höhe von 505,00 EUR und sodann durch Bescheid vom 3. März 2014 ebenfalls für die Zeit ab 9. Januar 2014 in gleicher Höhe bewilligt wurden. Den Widerspruch der Antragsteller gegen den Bescheid vom 9. Januar 2014, der sich im Wesentlichen auf die Bewilligung höherer Leistungen für die Antragstellerin unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1 sowie eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende bezog, wies die Antragsgegnerin durch Widerspruchsbescheid vom 4. April 2014 als unbegründet zurück. Diese Entscheidung ist Gegenstand der am 7. Mai 2014 beim Sozialgericht (SG) Bremen erhobenen Klage (- S 33 AY 57/14 -).
Die Antragsteller haben beim SG mit der Klageerhebung zugleich um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Das SG hat den Eilantrag durch Beschluss vom 22. Mai 2014 mit der Begründung abgelehnt, dass der Antragstellerin nur Grundleistungen gemäß § 3 AsylbLG nach der Übergangsregelung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 18. Juli 2012 (-1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 -) entsprechend der Regelbedarfsstufe 3 zustünden, weil sie keinen eigenen Haushalt führe. Zudem sei ein pauschaler Mehrbedarf für Alleinerziehende nach § 6 AsylbLG gesetzlich nicht vorgesehen.
Gegen diese, den Antragstellern am 28. Mai 2014 zugestellte Entscheidung richtet sich deren Beschwerde vom 30. Juni 2014 (einem Montag). Nachdem die Antragsteller in eine eigene Wohnung in E. gezogen waren, hat die Antragsgegnerin den geltend gemachten Anspruch auf Grundleistungen entsprechend der Regelbedarfsstufe 1 mit Schriftsatz vom 1. August 2014 anerkannt und die den Antragstellern zustehenden Leistungen durch Bescheid vom 15. August 2014 für den Zeitraum von Januar bis August 2014 auf dieser Grundlage und unter Berücksichtigung der ab Juni 2014 angefallenen Kosten der Unterkunft und Heizung neu berechnet. Mit der Beschwerde wird seither - soweit aus dem Vorbringen der Antragsteller ersichtlich - allein ein pauschaler Mehrbedarf für Alleinerziehende nach § 6 AsylbLG i.V.m. § 30 Abs. 3 SGB XII geltend gemacht. Die Antragsteller machen geltend, dass diese Leistung für Alleinerziehende Bestandteil des menschenwürdigen Existenzminimums nach Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG sei und nach deren Sinn und Zweck nur durch die Gewährung eines pauschalen Mehrbedarfs, nicht dagegen durch konkrete (Sach-) Leistungen erbracht werden könne. Dies gelte insbesondere für Leistungsberechtigte, die - wie die Antragstellerin - außerhalb einer Einrichtung in eigenem Wohnraum untergebracht seien, weil in Bremen und Niedersachsen bei einer dezentralen Unterbringung keine Sachleistungen mehr erbracht würden. Zudem erschließe sich nicht, warum nach § 6 Abs. 1 AsylbLG ein pauschaler Mehrbedarf für Schwangere und die Leistungen des "Bildungspakets" geleistet würden, der Mehrbedarf für Alleinerziehende hingegen nicht.
Die Antragsgegnerin hält die erstinstanzliche Entscheidung in dieser Hinsicht für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Prozessakte der Hauptsache (- S 33 AY 57/14 -) sowie der dort vorliegenden Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin verwiesen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen statthafte Beschwerde (§§ 172, 173 SGG) der Antragsteller ist unbegründet.
Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Sowohl die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Nach diesen Maßgaben ist der Erlass einer gerichtlichen Regelungsanordnung mangels Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs nicht (mehr) gerechtfertigt. Dies gilt von vornherein für den Antragsteller, weil ihm Leistungen nach § 3 AsylbLG in gesetzlicher Höhe, also entsprechend der Übergangsregelung des BVerfG vom 18. Juli 2012 nach der Regelbedarfsstufe 6, gewährt werden und ihm keine höheren Leistungen zustehen.
Seitdem der Antragstellerin aufgrund des Anerkenntnisses der Antragsgegnerin vom 1. August 2014 diese sog. Grundleistungen entsprechend der Regelbedarfsstufe 1 gewährt werden, kann sie im vorliegenden Verfahren ebenfalls keine höheren Leistungen (mehr) erstreiten. Im Hinblick auf den allein noch streitigen Mehrbedarf für Alleinerziehende in entsprechender Anwendung des § 30 Abs. 3 SGB XII (ggf. i.V.m. §§ 3 und 6 AsylbLG) hat sie einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht, weil nach den zutreffenden Gründen der Entscheidung des SG bei den Leistungen nach §§ 3 ff. AsylbLG, insbesondere nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG, ein entsprechender (pauschaler) Mehrbedarf nicht vorgesehen, vielmehr der konkrete, ggf. durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen zu deckende Bedarf maßgeblich ist. Dies entspricht der im Leistungsrecht nach dem AsylbLG verankerten konkret-individuellen Bedarfsdeckung durch Sachleistungen (s. § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG bzw. § 6 Abs. 1 Satz 2 AsylbLG; vgl. auch BSG, Urteil vom 6. Oktober 2011 - B 14 AS 171/10 R - juris Rn. 23), die abweichend vom allgemeinen Grundsicherungsrecht nach dem SGB II und dem SGB XII gerade im Bereich der sonstigen Leistungen nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG ganz unterschiedliche Hilfen ermöglicht (vgl. etwa die Fallgruppen bei Hohm, AsylbLG, Loseblattkommentar, Stand: April 2014, § 6 Rn. 22 ff.). Da die Antragstellerin keinen konkreten, auf den Umstand der Alleinerziehung zurückzuführenden Bedarf geltend gemacht bzw. dargelegt hat, besteht keine Veranlassung für eine von Amts wegen zu erfolgende Überprüfung des Leistungsfalls, ob der Antragstellerin insoweit eine Hilfe nach §§ 3, 6 AsylbLG zu erbringen ist.
Das Leistungserbringungsrecht nach dem AsylbLG, nach dem ein Mehrbedarf für Alleinerziehende nicht durch eine pauschale Leistung gedeckt wird, verstößt nicht gegen die Verfassung, insbesondere nicht gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG.
Bei der Bemessung des Bedarfs von alleinerziehenden Personen ist von Verfassungs wegen allein entscheidend, dass für jede individuelle hilfebedürftige Person das Existenzminimum nach Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ausreichend erfasst wird. Im allgemeinen Grundsicherungsrecht (§ 21 Abs. 3 SGB II; § 30 Abs. 3 SGB XII) berücksichtigt der pauschale Mehrbedarf für Alleinerziehende typisierend den höheren Aufwand der alleinerziehenden Person für die Versorgung und Pflege bzw. Erziehung der Kinder etwa wegen geringerer Beweglichkeit und zusätzlicher Aufwendungen für Kontaktpflege oder Inanspruchnahme von Dienstleistungen Dritter (vgl. zur Vorgängervorschrift § 23 Abs. 2 BSHG BT-Drs. 10/3079, S. 5; vgl. auch BSG, Urteil vom 23. August 2012 - B 4 AS 167/11 R - juris Rn. 14 ff.). Entgegen der Kritik, diese Leistung sei wegen des gesellschaftlichen Wandels überholt, ist die sozialpolitische Entscheidung des Gesetzgebers, für alleinerziehende Personen im SGB II und im SGB XII einen pauschalen Mehrbedarf vorzusehen, verfassungsrechtlich anzuerkennen (BSG, Urteil vom 28. März 2013 - B 4 AS 12/12 R - juris Rn. 32 m.w.N.). Es bleibt aber grundsätzlich dem Gesetzgeber überlassen, ob er diesen Bedarf durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen sichert (vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - juris Rn. 67), also entweder durch pauschale oder - wie im AsylbLG - durch konkret-individuelle Leistungen deckt.
Der Senat sieht in der Entscheidung des Gesetzgebers, wegen des Bedarfs bei Alleinerziehung einerseits pauschale Geldleistungen zu erbringen und andererseits im AsylbLG eine konkret-individuelle Bedarfsdeckung vorzusehen, auch keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG. Was die Bemessung des existentiellen Bedarfs betrifft, spielen andere Grundrechte als Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG keine Rolle (vgl. BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - juris Rn. 145, 133). Soweit bei der Art und Weise der Bedarfsdeckung (Gewährung von pauschalen Leistungen oder von Geld-, Sach- oder Dienstleistung nach dem konkret-individuellen Bedarf) hinreichende Sachgründe für eine Ungleichbehandlung von Personen des gleichen oder verschiedener Sicherungssysteme vorliegen müssen (so Frerichs in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 3 AsylbLG Rn. 49), ist die konkret-individuelle Bedarfsdeckung bei Grundleistungsbeziehern nach § 3 AsylbLG wegen des voraussichtlich nur vorübergehenden Aufenthalts in Deutschland und der noch nicht eingetretenen Leistungsprivilegierung nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in aller Regel - wie auch hier - gerechtfertigt. Die Leistungsgewährung ist im Leistungsrecht nach dem AsylbLG in einem weitaus größerem Maß abhängig vom konkreten Bedarf des Leistungsberechtigten (BSG, Urteil vom 28. März 2013 - B 4 AS 12/12 R - juris Rn. 32 zu den Unterschieden der Leistungssysteme des SGB II und des AsylbLG).
Aus dem Umstand, dass die Antragsgegnerin andere Leistungen - wie von der Antragstellerin vorgetragen den Mehrbedarf für Schwangere entsprechend § 30 Abs. 2 SGB XII - gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG nicht nach dem konkret-individuellen Bedarf der hilfesuchenden Person sondern als pauschale Geldleistung erbringt, folgt ebenfalls kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG, insbesondere nicht unter dem Aspekt, dass eine tatsächliche Verwaltungspraxis sowohl aufgrund des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) als auch des im Rechtsstaatsprinzip verankerten Gebots des Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 3 GG) zu einer Selbstbindung der Verwaltung führen kann (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2006 - 1 BvR 1160/03 - juris Rn. 65; BVerwG, Urteil vom 25. September 2013 - 6 C 13/12 21 - juris Rn. 55 m.w.N). Ein Anspruch (auf Gleichbehandlung) kann sich insoweit nur auf die von einer solchen Verwaltungspraxis betroffene Leistung beziehen, also nicht auf den hier streitgegenständlichen Mehrbedarf für Alleinerziehende, der von der Antragsgegnerin in aller Regel nicht als pauschale Leistung erbracht wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das Teilobsiegen der Antragstellerin wegen der Leistungsgewährung nach § 3 AsylbLG unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1 (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 6. August 2014 - L 8 SO 58/14 B -).
Der Antrag der Antragsteller auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) war abzulehnen. Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Nach diesen Maßgaben haben die Bewilligungsvoraussetzungen zum Zeitpunkt der PKH-Antragstellung am 11. August 2014 nicht (mehr) vorgelegen. Dies gilt ohnehin für das Begehren des Antragstellers (s.o.). Aber auch der Beschwerde der Antragstellerin waren seit Abgabe des (Teil-) Anerkenntnisses durch die Antragsgegnerin (Schriftsatz vom 1. August 2014) betreffend die Leistungsbewilligung nach § 3 AsylbLG entsprechend der Regelbedarfsstufe 1 nach den obigen Ausführungen keine hinreichenden Erfolgsaussichten mehr zuzusprechen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.