LSG NRW - Urteil vom 09.06.2005 - Az.: L 7 SB 181/04
In einem Rechtsstreit nach dem Schwerbehindertenrecht ist eine
Verschlechterung in dem Gesundheitszustand
nicht immer zu berücksichtigen. Voraussetzung ist nämlich, dass zum Zeitpunkt
der gerichtlichen Entscheidung eine nicht nur vorübergehende und damit eine über
einen Zeitraum von mehr als sechs Monate
sich erstreckende Gesundheitsstörung besteht.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) sowie die
Feststellung des Merkzeichens "G" (erhebliche Gehbehinderung) streitig.
Durch bindend gewordenen Abhilfebescheid vom 24.05.1995 stellte der Beklagte bei
dem am 22.03.1930 geborenen Kläger einen GdB von 60 und das Vorliegen der
gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "RF" (Befreiung von
der Rundfunkgebührenpflicht) fest wegen der Behinderungen:
- Herzschädigung, beginnende Aortensklerose, linksbetontes Herz,
Bluthochdruck (30)
- Mittel- bis, hochgradige Innenohrschwerhörigkeit beiderseits (50)
- Sehminderung, Alterssichtigkeit (10) 4. Halswirbelsäulen-Verschleiß
(10).
Diesem Bescheid lag eine gutachtliche Stellungnahme der Internistin Dr. K.
zugrunde.
Am 15.04.2003 stellte der Kläger einen Änderungsantrag, den er mit dem
Vorhandensein von ständigen Gelenkschmerzen, Ohrensausen und Bluthochdruck
begründete. Gleichzeitig beantragte er die Feststellung des Merkzeichens "RF",
weitere Nachteilsausgleiche machte er nicht geltend. Der Beklagte holte einen
Befundbericht von dem Internisten Dr. S. ein. Nach versorgungsärztlicher
Auswertung lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom
11.06.2003 mit der Begründung ab, eine wesentliche Änderung sei nicht
eingetreten.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und führte aus, dass sich der
Hörschaden verschlechtert habe. Daneben leide er ständig unter Bluthochdruck,
Schmerzen im rechten Schulter-, im linken Arm- und Kniegelenk.
Nach versorgungsärztlicher Auswertung eingeholter Befundberichte des Augenarztes
A. und der HNO-Ärztin Z. wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers mit
Widerspruchsbescheid vom 01.09.2003 mit der Begründung zurück, der GdB sei mit
60 zutreffend bewertet.
Hiergegen hat der Kläger am 09.09.2003 bei dem Sozialgericht Düsseldorf (SG)
Klage erhoben und zunächst nur die Feststellung eines höheren GdB als 60
begehrt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass sich sein Gesundheitszustand
weiter verschlechtert habe. Insbesondere habe der Hörschaden zugenommen. Daneben
leide er ständig an Bluthochdruck und Beschwerden seitens der Wirbelsäule und
der Gelenke.
Das SG hat zunächst Befundberichte von dem Internisten Dr. S. und von der
HNO-Ärztin Z. eingeholt. Nach Auswertung der Unterlagen hat der Beklagte unter
Beifügung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme des Allgemeinmediziners H.
vom 02.02.04 an seiner Beurteilung festgehalten.
Des Weiteren hat das SG ein Gutachten von dem Internisten Dr. St. eingeholt. Der
Sachverständige hat den Gesamt-GdB mit 60 bewertet. Wegen der Einzelheiten wird
auf das Gutachten vom 22.07.2004 verwiesen.
Nach Kenntnis des Gutachtens von Dr. St. hat der Kläger mit Schriftsatz vom
31.07.2004 geltend gemacht, dass die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich
"G" bei ihm gegeben seien. Er habe Probleme beim Gehen. Dadurch, dass er den
Anweisungen von Dr. St. nachgekommen sei, habe er beim Gehen in der linken Hacke
ständig Schmerzen.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 03.12.2004 abgewiesen, wobei es die Klage
hinsichtlich des Merkzeichens "G" als unzulässig, im Übrigen als unbegründet
angesehen hat. Auf die Entscheidung wird verwiesen.
Gegen das ihm am 10.12.2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13.12.2004
Berufung eingelegt, mit derer einen höheren GdB begehrt. Darüber hinaus hält er
die Feststellung des Nachteilsausgleichs "G" für gerechtfertigt. Mit Schreiben
vom 29.03.2005 hat er mitgeteilt, dass er im Februar gestürzt sei und seit
dieser Zeit ständig Schmerzen habe. Medikamente stünden ihm nicht zur Verfügung,
weil er keine ärztliche Versorgung habe. Er habe keinen
Krankenversicherungsschutz.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichtes Düsseldorf vom 03.12.2004 abzuändern und den
Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 11.06.2003 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 01.09.2003 zu verurteilen, bei ihm einen höheren
GdB als 60 sowie die Voraussetzungen des Merkzeichens „G" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Im Schriftsatz vom
25.02.2005 hat der Beklagte an seiner Auffassung, dass das SG die Klage
hinsichtlich des Merkzeichens "G" zu Recht als unzulässig abgewiesen hat,
festgehalten.
Im Erörterungstermin vom 21.04.2005, in dem für den Kläger niemand erschienen
ist, hat sich der Beklagte im Rahmen eines Vergleichsangebotes bereit erklärt,
das Schreiben des Klägers vom 29.03.2005 als Änderungsantrag anzusehen und ab
Februar 2005 hinsichtlich der Höhe des GdB und der Feststellung des Merkzeichens
"G" einen rechtsmittelfähigen Bescheid zu erlassen. Dieses Angebot hat der
Kläger nicht angenommen.
Mit Beschluss vom 25.05.2005 hat der Senat den Antrag des Klägers auf Gewährung
von Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussichten abgelehnt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen
Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen, die
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl für den Kläger niemand zum
Termin erschienen ist, weil er in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen
wurde (§ 110 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger ist durch die angefochtene
Verwaltungsentscheidung nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des
Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung
eines höheren GdB als 60.
Im Gesundheitszustand des Klägers ist im Vergleich zu den gesundheitlichen
Verhältnissen, die dem Bescheid vom 24.05.1995 zugrunde lagen, keine wesentliche
Änderung im Sinne einer Verschlechterung eingetreten, die die Feststellung eines
GdB von mehr als 60 rechtfertigt. Zur Begründung wird auf die zutreffenden
Ausführungen des SG im Urteil vom 03.12.2004 verwiesen.
Sofern durch den im Februar 2005 erlittenen Sturz eine Verschlechterung in dem
Gesundheitszustand des Klägers eingetreten sein sollte, ist diese Änderung im
vorliegenden Rechtsstreit nicht zu berücksichtigen. Nach Nr. 18 Abs. 5 der vom
Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegebenen
"Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen
Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AP 2004) setzen GdB
und MdE eine nicht nur vorübergehende und damit eine über einen Zeitraum von
mehr als sechs Monate sich erstreckende Gesundheitsstörung voraus.
Ein Anspruch des Klägers auf Feststellung des Merkzeichens "G" ist ebenfalls
nicht gegeben. Zu Recht hat das SG hinsichtlich der Feststellung dieses
Merkzeichens die Klage als unzulässig verworfen. Es fehlt bereits an einer
Verwaltungsentscheidung des Beklagten. Ergänzend weist der Senat darauf hin,
dass eine solche Verwaltungsentscheidung auch nicht entbehrlich war. Zwar kann
ein an sich notwendiges eigenständiges, mit einem abschließenden Bescheid
endendes Verwaltungsverfahren im Verlauf eines sozialgerichtliches Verfahrens
entbehrlich werden, wenn von der Verwaltungsentscheidung nichts anderes zu
erwarten ist, als eine Bestätigung des prozessualen Vorbringens, und die
Verwaltung durch rügelose Einlassung auf die klägerischen Anträge auf ihren
Vorrang zur Gesetzesausführung verzichtet hat (BSG, Urteil vorn 27.08.1998, B 9
SB 13/97 R). Diese Voraussetzungen sind jedoch nicht gegeben. Eine rügelose
Einlassung des Beklagten ist im Klageverfahren nicht erfolgt. Im
Berufungsverfahren ist der Beklagte bei seiner Auffassung verblieben, dass die
Klage bezüglich der Feststellung des Nachteilsausgleiches "G" zu Recht vom SG
als unzulässig verworfen worden ist. Unabhängig hiervon erfüllt der Kläger auch
nicht die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des
Nachteilsausgleiches "G".
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.