Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 6 VK 4404/17 - Urteil vom 21.06.2018
Grundsätzlich wird Beschädigtenversorgung erst ab Antrag gewährt. Dieses Antragsprinzip gilt nicht, wenn der Beschädigte ohne sein Verschulden an der Antragstellung gehindert war. Rechtsunkenntnis, fremder Sprach- bzw. Kulturkreis u.ä. reichen hier aber nicht aus; auch ausländische Person sind gehalten, sich über die einschlägigen deutschen Rechtsvorschriften zu erkundigen. Der dem zugrundeliegende Publizitätsgrundsatz bezieht sich aber nur auf erlassene Rechtsnormen und nicht ohne Weiteres auf verkündete Gerichtsentscheidungen, hier des EuGH. Es kann von einem Bürger generell nicht verlangt werden, sich in den Feinheiten des Rechts der Europäischen Union auszukennen und zu wissen, dass und ab wann die Gerichte eines Mitgliedstaats auf Grund des Anwendungsvorrangs europäischen Primärrechts eine ihm ungünstige Norm nicht mehr anwenden werden. Der Versorgungsanspruch ist auch nicht durch § 44 Abs. 4 SGB X - rückwirkende Leistungen nur für vier Kalenderjahre vor dem Jahr der tatsächlichen Antragstellung - begrenzt, wenn diese Antragstellung die erstmalige Antragstellung ist.
Tatbestand:
Das beklagte Land B. (Beklagter) wendet sich mit seiner Berufung gegen seine Verurteilung zur rückwirkenden Gewährung einer Ausgleichsrente an ein in Polen lebendes Opfer des Zweiten Weltkriegs bereits ab dem Beitritt Polens zur Europäischen Union (EU) ab 1. Mai 2004.
I.
Das Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges (BVG) vom 20. Dezember 1950 (BGBl. I S. 791) gewährt bindende Ansprüche auf Kriegsopferversorgung - insoweit bis heute im Wesentlichen unverändert - zunächst solchen Kriegsbeschädigten, die deutsche Staatsangehörige oder zumindest deutsche Volkszugehörige (vgl. dazu auch Art. 116 Abs. 1 Grundgesetz [GG]) sind und die im Inland, in den bis zum 31. Dezember 1937 zum Deutschen Reich gehörenden Gebieten oder im Ausland wohnen (vgl. heute § 7 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 BVG). Unter engeren Voraussetzungen werden nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 BVG auch Beschädigte versorgt, die keine Deutschen sind, allerdings nur dann, wenn sie im Inland wohnten. Diese Fälle wurden als "Anspruchsversorgung" bezeichnet. Nach § 8 BVG in der bis zum 30. Juni 2011 geltenden Fassung "konnte" außerdem in "besonders begründeten Fällen" mit Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung Versorgung gewährt werden. Hierbei handelte es sich um eine Leistung im Ermessenswege ("Kann-Versorgung"). In diesen Fällen mussten die Landesversorgungsbehörden zunächst grundsätzlich Einzelzustimmungen des BMAS nach § 8 Satz 1 BVG a.F. einholen. Für einige Fallgruppen erteilte das BMAS später, in den Jahren 1971, 1980 und 1988 "Allgemeine Zustimmungen" ("Regelungen für die Versorgung von Kriegsopfern in Ost- und Südosteuropa" ["Richtlinien Ost" bzw. RLO], vgl. Sailer, in: Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl. 1992, § 64 BVG Rz. 1, S. 903). Diese Richtlinien wurden später z.T. als rechtswidrig eingestuft (vgl. BSG, Urteil vom 15. Februar 1989 - 9/4b RV 27/87 -, juris, Rz. 15).
Bei Beschädigten mit Wohnsitz im Ausland, gleich ob sie einen bindenden Anspruch hatten oder nur eine Ermessensleistung verlangen konnten, waren nach dem BVG in der ursprünglichen Fassung von 1950 Leistungen grundsätzlich ausgeschlossen, ihre Ansprüche ruhten. Ausnahmen hiervon waren nur in Einzelfällen möglich, wiederum mit einer Zustimmung des BMAS. Seit den Änderungen durch das Zweite Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts (2. BVG-NOG) vom 21. Februar 1964 (BGBl. I S. 85) wurde nach den §§ 64 ff. BVG a.F. zwar grundsätzlich Versorgung gewährt, diese war jedoch beschränkt ("Teilversorgung"). So wurden jene (einkommensunabhängigen) Leistungen (wie z.B. die Grundrente), die überhaupt gewährt wurden, auf den so genannten "Ableitungssatz" von grundsätzlich 60 % gekürzt. Zum anderen wurden einkommensabhängige Leistungen (wie die Ausgleichsrente) überhaupt nicht gewährt.
Seit den Änderungen durch das Gesetz über die neunzehnte Anpassung der Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz sowie zur Änderung weiterer sozialrechtlicher Vorschriften (19. KOV-AnpG) vom 26. Juni 1990 (BGBl. I S. 1211) lauteten die für die Auslandsversorgung maßgeblichen Vorschriften aus § 64 und § 64e BVG a.F. wie folgt:
§ 64 BVG. 1Deutsche und deutsche Volkszugehörige, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Staaten haben, mit denen die Bundesrepublik Deutschland diplomatische Beziehungen unterhält, erhalten Versorgung wie Berechtigte im Geltungsbereich dieses Gesetzes, soweit die §§ 64a bis 64f nichts Abweichendes bestimmen ( ).
§ 64e BVG. (1) 1Kriegsopfer, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem durch Rechtsverordnung nach Absatz 5 bestimmten Staat haben, erhalten eine Teilversorgung nach den Absätzen 2 bis 4. 2Im übrigen ruht der Anspruch auf Versorgung. (2) 1Die Teilversorgung umfasst Grundrente einschließlich der Abfindung nach § 44 Abs. 1, Schwerstbeschädigtenzulage, Pflegezulage und Elternrente in Höhe von 60 vom Hundert der Beträge, die sich aus den §§ 31, 35, 40, 46 und 51 ergeben und Bestattungsgeld in Höhe von 45 vom Hundert der Beträge, die sich aus den §§ 36 und 53 ergeben sowie Sterbegeld nach § 37. 2Die Grundrente erhöht sich für Beschädigte um 40 vom Hundert des Betrages der jeweiligen Grundrente nach § 31 Abs. 1 Satz 1. ( ) 3Während eines vorübergehenden Aufenthalts außerhalb der durch Rechtsverordnung nach Absatz 5 bestimmen Staaten können Leistungen der Heil- und Krankenbehandlung nach § 64a Abs. 2 erbracht werden, soweit nach ärztlicher Beurteilung eine unverzügliche Behandlung erforderlich ist. ( ) (5) 1Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Staaten zu bestimmen, in die aus besonderen Gründen, insbesondere wegen der im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland geringeren Durchschnittshöhe entsprechender Sozialleistungen sowie wegen der Lage und Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg, eine Teilversorgung nach Absatz 1 geleistet wird. ( ).
Das grundsätzliche Ruhen aller Ansprüche bei einem Wohnsitz im Ausland war nunmehr in § 64e Abs. 1 Satz 2 BVG enthalten. Der "Ableitungssatz" von weiterhin grundsätzlich 60 % bei den einkommensunabhängigen Leistungen ergab sich aus § 64e Abs. 2 Satz 1 BVG.
Welche Staaten von dieser Regelung betroffen waren, ergab sich aus § 1 der auf Grund des § 64e Abs. 5 BVG erlassenen Verordnung zur Auslandsversorgung nach § 64e des Bundesversorgungsgesetzes (Auslandsversorgungsverordnung - AuslVersV):
§ 1 AuslVersV. Anwendungsbereich. Teilversorgung nach § 64e des Bundesversorgungsgesetzes erhalten Deutsche und deutsche Volkszugehörige mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in Albanien, Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Rußland, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und in den sonstigen Staaten auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien und der ehemaligen Sowjetunion.
Den Ableitungssatz bei den einkommensunabhängigen Leistungen hatte der Gesetzgeber mit den - angenommenen - niedrigeren Lebenshaltungskosten und den niedrigeren Sozialleistungen in einigen Staaten, vor allem in den in § 1 AuslVersV genannten Staaten des ehemaligen "Ostblocks", gerechtfertigt (vgl. zur Entwicklung des Rechts der Auslandsversorgung auch Sailer und Fehl, in: Wilke, a.a.O., S. 902 ff.). Ferner befürchtete der Gesetzgeber "soziale Spannungen" in den ehemaligen Kriegsgebieten, wenn die Berechtigten nach dem BVG, bei denen es sich ja in der Regel um deutsche Staats- oder Volkszugehörige handelte, höhere Leistungen aus Deutschland bekämen als die dort einheimischen Kriegsopfer (vgl. Sailer, in: Wilke, a.a.O., S. 925). Für den Ausschluss einkommensabhängiger Leistungen wurde außerdem angeführt, die dafür notwendigen Ermittlungen in den Wohnsitzstaaten seien unzumutbar umfangreich bzw. schwierig.
Die Einschränkungen der Kriegsopferversorgung für Beschädigte mit Wohnsitz im Ausland nach §§ 64 Abs. 2, 64e BVG a.F. waren Gegenstand eines Vorlageverfahrens beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Sie sind dabei für vereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden (BVerfG, Beschluss vom 8. Januar 1981 - 2 BvL 3/77 -, BVerfGE 56, 1 ff., juris, Rz. 1 ff.).
Am 1. Mai 2004 traten mehrere osteuropäische Staaten, darunter Polen, der EU bei.
Auf Vorlage des Sozialgerichts S. (SG) entschied der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit Urteil vom 4. Dezember 2008 (Rs. Zablocka-Weyhermüller, Az. C-221/07), dass Art. 18 Abs. 1 des (früheren) Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV, heute Art. 21 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union [AEUV]) der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der die Zahlung bestimmter Leistungen für hinterbliebene Ehegatten von Kriegsopfern allein deshalb verweigert werden kann, weil die Betroffenen im Gebiet bestimmter (anderer) Mitgliedstaaten wohnen. Dieses Verfahren betraf konkret die Einschränkung der Versorgung nach § 64e BVG. Betroffen war dort die Hinterbliebene eines Kriegsopfers, die nach dem Tode des Beschädigten aus Deutschland nach Polen zurückgezogen war. Die - genannten - Argumente Deutschlands zur Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung reichten nach Ansicht des EuGH nicht aus. Die Lebenshaltungskosten in den von der AuslVersV erfassten Staaten seien höchst unterschiedlich, dabei seien sie in einigen Staaten, die dort nicht erfasst worden seien, noch niedriger. Die für die Bewilligung einkommensabhängiger Leistungen notwendigen Ermittlungen seien den Behörden des Leistungsstaates nicht unzumutbar, insoweit sei auch auf die europäischen Vorschriften über die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Verwaltungsbereich hinzuweisen.
Das BMAS teilte mit Rundschreiben vom 17. Juni 2009 den oberen Versorgungsbehörden der Länder mit, das Urteil des EuGH sei zeitnah umzusetzen, und zwar rückwirkend auf den EU-Beitritt der fraglichen Länder, im Falle Polens also ab dem 1. Mai 2004. Diese (zügige) Neubescheidung mit Wirkung auf den EU-Beitritt solle sich zumindest auf die einkommensunabhängigen Geldleistungen (z.B. die Grundrente) erstrecken. Für die einkommensabhängigen Leistungen (z.B. die Ausgleichsrente) müssten zum Teil umfangreiche Ermittlungen durchgeführt werden. Es sei davon auszugehen, dass "mögliche Berechtigte zur Stellung von Anträgen aufgefordert wurden (gemeint: "werden") und ( ) Leistungen bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 60 BVG beschieden werden".
Mit dem Gesetz zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften vom 20. Juni 2011 (BGBl. I S. 1114) änderte der Bund das Recht der Auslandsversorgung in den §§ 64 ff. BVG ab, dabei wurden unter anderem § 64e BVG und die AuslVersV aufgehoben. Das Gesetz trat ohne Übergangsregelung am 1. Juli 2011 in Kraft.
II.
Die Klägerin ist im Jahr 1930 in dem (ehemaligen) R. bei S. (ehemals S.) geboren.
Dieses Gebiet hatte bis 1920 zur preußischen Provinz W. gehört. Das Deutsche Reich hatte es nach Art. 27 Nr. 7 des Vertrags (Friedensvertrags) von Versailles vom 28. Juni 1919 (vgl. RGBl. I S. 687 ff.) mit Wirkung ab dem 21. Januar 1920 an die wieder gegründete Republik Polen abgetreten. Es gehörte danach zu dem so genannten "Polnischen Korridor". Nach Art. 91 Abs. 1 und 2 des Versailler Vertrags hatten jene Staatsangehörigen des Deutschen Reiches, die ihren Wohnsitz in den an Polen fallenden Gebieten hatten und nicht erst nach dem 1. Januar 1919 zugezogen waren, kraft Gesetzes die deutsche Staatsangehörigkeit verloren und die polnische erworben. Dies hatte auch für die Eltern der Klägerin gegolten.
Diese Gebiete wurden ab dem 1. September 1939 von deutschen Truppen besetzt. Mit Wirkung ab dem 26. September 1939 annektierte sie das Deutsche Reich. Sie wurden Teil des Reichsgaus Danzig-W. (vgl. Erlass des Führers und Reichskanzlers über Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete vom 8. Oktober 1939, RGBl. I 1939, S. 2042). Mit der "Verordnung über die Deutsche Volksliste und die deutsche Staatsangehörigkeit in den eingegliederten Ostgebieten" vom 4. März 1941 (RGBl. I S. 118) wurde in den annektierten Gebieten die "Deutsche Volksliste" eingeführt (vgl. zu allem Folgendem auch BT-Drs. 12/2816 sowie Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 2. Mai 2001 - 1 C 18/99 -, juris, Rz. 15 ff., allerdings bezogen auf Danzig). Deutsche Volkszugehörige dort erwarben durch die Eintragung in eine der verschiedenen Rubriken der Volksliste die deutsche Staatsangehörigkeit (vgl. dazu § 5 der Zweiten Verordnung über die Deutsche Volksliste und die deutsche Staatsangehörigkeit in den eingegliederten Ostgebieten vom 31. Januar 1942 [RGBl. I S. 51]). Die Betroffenen behielten nach dem später von der Bundesrepublik Deutschland erlassenen Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit (StAngRegG) vom 22. Februar 1955 (BGBl. I S. 65) die so wieder erworbene deutsche Staatsangehörigkeit, wenn sie sie nicht ausdrücklich ausgeschlagen hatten oder danach noch ausschlugen. Dies galt auch für die Ehegatten und Kinder eingetragener Personen (vgl. zu den sozialrechtlichen Folgen des StAngRegG auch Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 22. Oktober 1998 - B 5 RJ 14/98 R -, juris, Rz. 19 ff.).
Nach den späteren Angaben der Klägerin wurden während der Besetzung weder sie noch ihre Eltern in die "deutschen Volksliste" eingetragen. Die Klägerin besuchte ab 1939 eine deutschsprachige Schule.
Am 9. Februar 1945 wurde die Klägerin in der Nähe des Dorfes B. (bis 1920 K., Landkreis T.; von 1939 bis 1945 B.) beim Durchmarsch der Wehrmacht auf dem Rückzug von der W. verletzt. Sie erlitt Verletzungen auf Grund eines Panzerbeschusses an ihrem linken Oberschenkel. Ihr Bruder F. wurde getötet, ihre Schwester H. wurde ebenfalls schwer verwundet. Eine zurückweichende Sanitätseinheit nahm die Klägerin mit. In deutschen Militärlazaretten in K. (heute C.) und später in B. wurde ihr das linke Bein amputiert. Danach wurde die Klägerin in ein Kinderheim nach N. verlegt. Nachdem sich ihre polnische Nationalität herausgestellt hatte, wurde sie im März oder April 1945 nach B. gebracht. Nach der Kapitulation des Deutschen Reiches lebte sie in einem Lager für "Displaced Persons" (DPs) der UNRRA (Nothilfe- und Wiederaufbauverwaltung der Vereinten Nationen) in B., von wo aus sie am 28. März 1947 zurück nach Polen repatriiert wurde (vgl. Bescheinigung des Internationalen Suchdienstes des Roten Kreuzes B. vom 12. Mai 1981). Zu dieser Zeit war sie mit einer Prothese versorgt und konnte laufen. Die polnische Sprache hatte sie weitgehend vergessen (vgl. Repatriierungsgesuch des Deutschen Roten Kreuzes vom 27. März 1947).
Die Klägerin absolvierte Ende der 1940er Jahre einen Kurs im Weben und war anschließend in Heimarbeit tätig. Sie heiratete 1953 einen polnischen Staatsbürger. Ab 1961 war sie in verschiedenen "Invalidengenossenschaften" in Polen in sitzender Tätigkeit mit Hilfsarbeiten betraut, zuletzt erneut in Heimarbeit mit dem Pressen von Folie zur Herstellung von Plastiktüten (Behindertenarbeit). Mindestens seit 1964 wohnt sie in B. (ehemals B./W.).
Am 3. November 1980 beantragte die Klägerin bei dem (ehemaligen) Versorgungsamt R. Unterstützungen wegen der Folgen ihrer Kriegsverletzung. Sie fügte die Unterlagen des Repatriierungsverfahrens bei. Im späteren Verlauf des Verfahrens legte sie die eidesstattlichen schriftlichen Aussagen zweier Zeugen über ihre Schädigung vor, darunter von ihrem Bekannten P., der am 9. Februar 1945 ebenfalls verwundet worden war. Sie teilte mit, ihre Eltern und sie seien immer polnischer Volkszugehörigkeit gewesen. Aus der Bescheinigung der Sozialversicherungsanstalt der Republik Polen ging hervor, dass die Klägerin eine Invalidenrente von 2.200,00 Z³oty bezog. Der Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch die Bezirks-Ärztekommission für Fragen der Invalidität und Beschäftigung Nr. 2 in B ... Der Internist K. P. kam am 17. Februar 1982 zu dem Ergebnis, bei der Klägerin liege eine Amputation des linken Unterschenkels nach traumatischer Schädigung vor. Sie sei seit ihrem 14. Lebensjahr mit einer Beinprothese versorgt. Ferner holte der Beklagte die amtliche Auskunft des Militärarchivs beim Bundesarchiv F. vom 20. April 1983 ein. Dieses teilte mit, der Wehrmachtsbericht vom 14. Februar 1945 verzeichne Panzerkämpfe in dem fraglichen Gebiet, die Stadt T. sei am 16. Februar 1945 von der Roten Armee eingenommen worden, das Dorf B. habe daher am 9. Februar 1945 noch hinter den deutschen Linien gelegen.
Mit Bescheid vom 17. Mai 1983 bewilligte der Beklagte der Klägerin eine Teilversorgung im Ermessenswege ("Kann-Versorgung") "nach § 64 Abs. 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG)" in Höhe von DM 71,- ab dem 1. November 1980. Aus den Verwaltungsakten ist erkennbar, dass die Klägerin nicht als regelberechtigte deutsche Staats- oder Volkszugehörige (vgl. heute § 7 Abs. 1 Nr. 2 BVG) eingestuft wurde. Die Versorgung stützte sich vielmehr auf §§ 8 Satz 2, 64 Abs. 2, 64e BVG (in der damaligen Fassung) i.V.m. den zu diesem Zeitpunkt gültigen "Richtlinien Ost" des BMAS. Der Beklagte ging bei seiner Entscheidung davon aus, dass der Ort, an dem die Klägerin geschädigt worden war, Teil Deutschlands im Sinne dieser Regelungen war, weil er im Annexionsgebiet gelegen und sich am Tag der Schädigung, dem 9. Februar 1945, noch hinter der deutschen Front befunden hatte. Als Schädigungsfolge wurde eine Unterschenkelamputation links anerkannt, die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE, heute: Grad der Schädigungsfolgen [GdS]) wurde mit 50 (v.H.) beziffert.
Nachdem die Klägerin auf Nachfrage hin ihren Berufsweg mitgeteilt hatte, lehnte der Beklagte mit Ergänzungsbescheid vom 3. November 1983 Leistungen nach einer höheren MdE wegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit ab, weil die Klägerin durch die Verwundung nicht wesentlich in ihrem Berufsweg eingeschränkt worden sei.
In den folgenden Jahren wurde der Zahlbetrag der laufenden Teilversorgung entsprechend den Anpassungsgesetzen mehrere Male erhöht. Die Klägerin absolvierte zu Lasten des Beklagten und des (ehemaligen) Landeswohlfahrtsverbands W. mehrere Bade- und Erholungskuren in B ... Während ihrer Aufenthalte in Deutschland wurden ihr jeweils die laufenden Leistungen nach dem BVG ungekürzt (also nach den Regeln der Inlandsversorgung) gewährt.
Der Ehemann der Klägerin verstarb am 15. Mai 2002. Die Klägerin hat nicht wieder geheiratet.
Am 20. Oktober 2008 beantragte die Klägerin beim Beklagten - wie auch sonst in polnischer Sprache - wegen einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes eine Erhöhung ihrer Versorgung. Sie reichte Behandlungsberichte ihrer Ärzte, Röntgenbilder und Farbfotos ihrer Beine zur Akte. Der Beklagte ließ diese Unterlagen versorgungsärztlich auswerten (Stellungnahme von OMedR Nörenberg vom 13. Oktober 2009) und lehnte den Antrag der Klägerin sodann mit Bescheid vom 15. Oktober 2009 ab.
Auf Grund des Urteils des EuGH vom 4. Dezember 2008 leitete der Beklagte - nach Aktenlage von Amts wegen - ein Überprüfungsverfahren hinsichtlich der bislang gewährten Teilversorgung ein. Zunächst mit Bescheid vom 11. November 2009 erhöhte er die laufende Teilversorgung ab Dezember 2009 auf monatlich EUR 251,-. Er führte darin aus, der Bescheid ergehe auf Grund einer "geänderten Rechtsauffassung" zur Auslandsversorgung Ost. Er wies darauf hin, es werde "noch entschieden", ob "eine rückwirkende Zahlung der Versorgungsbezüge nach § 64 BVG und ob weitere einkommensunabhängige Leistungen zustehen". Sodann fand sich der Hinweis: "Entsprechende einkommensabhängige Leistungen sind zu beantragen". Mit weiterem Bescheid vom 30. April 2010 entschied der Beklagte über die rückwirkende Erhöhung der Teilversorgung ab dem 1. Mai 2004. In den tabellarischen Berechnungsbögen, die dem Bescheid beigefügt waren, wurde lediglich eine nicht näher aufgeschlüsselte "mtl. Gesamtversorgung" aufgeführt. Es ergaben sich für alle Monate von Mai 2004 bis Mai 2010 Nachzahlungen, die sich zu einem Gesamtbetrag von EUR 3.055,00 addierten. Hinweise auf eine Entscheidung über einkommensabhängige Leistungen enthielten weder der Bescheid noch die Berechnungsbögen. Aus den internen Unterlagen des Beklagten ist ersichtlich, dass mit diesem Bescheid die Grundrente erneut - wie schon am 11. November 2009 - höher festgesetzt wurde und dass außerdem eine Kleiderverschleißpauschale (§ 15 BVG) mit der "Bewertungszahl" 19 und in Höhe von EUR 34,00 bzw. 35,00 monatlich bewilligt wurde. In den internen Unterlagen waren auch Spalten für einkommensabhängige Leistungen enthalten, darunter für eine Ausgleichsrente, in die der Beklagte jeweils Null-Beträge eingetragen hatte.
Auch in der Folgezeit absolvierte die Klägerin Kuren in Deutschland. Weiterer Schriftwechsel zwischen ihr und dem Beklagten findet sich in den Akten nicht.
Am 17. November 2016 beantragte die Klägerin über ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten, einen in Deutschland geschäftsansässigen Rechtsanwalt, die Gewährung einkommensabhängiger Versorgungsleistungen, nämlich einer Ausgleichsrente. Nach ihrer Ansicht ständen ihr diese Ansprüche nicht erst ab dem Tage der Antragstellung, sondern bereits ab dem EU-Beitritt Polens am 1. Mai 2004 zu. Die Klägerin legte Unterlagen über ihre weiterhin bezogene Invalidenrente (aktuell 1.304,04 z³), eine Pflegezulage (208,67 z³) und eine Energiezulage (166,05 z³) vor. Auf Aufforderung des Beklagten reichte sie am 12. Dezember 2016 den ausgefüllten Fragebogen zu ihren Einkommensverhältnissen zur Akte.
Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 12. Januar 2017 bewilligte der Beklagte der Klägerin "Ihrem Antrag vom 17. November 2016 entsprechend" ab dem 1. November 2016 zu den weiterhin gewährten Leistungen (Grundrente von EUR 281,00, Pauschbetrag von EUR 39,00) eine Ausgleichsrente von EUR 340,00 im Monat. Es ergebe sich eine Gesamtversorgung von EUR 660,00. In den Gründen erläuterte er die Berechnung der beiden neu gewährten Leistungen. Zur Frage des Leistungsbeginns führte er aus, nach den Vorgaben des BMAS seien einkommensabhängige Leistungen auf (bzw. ab) Antrag zu gewähren. Der Antrag der Klägerin sei am 1. November 2016 (gemeint: im November 2016) eingegangen.
Die Klägerin erhob am 16. Januar 2017 Widerspruch. Sie machte geltend, die einkommensabhängigen Leistungen müssten bereits ab dem 1. Mai 2004, hilfsweise in analoger Anwendung des § 44 Abs. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ab dem 1. Januar 2012 gewährt werden. Der Beklagte habe nach dem Urteil des EuGH die bis dahin gewährte Grundrente rückwirkend ab dem 1. Mai 2004 erhöht. Nichts anderes gelte für die nunmehr beantragten Leistungen. Diese seien den Berechtigten im Ausland nur deshalb nicht gewährt worden, weil man rechtsirrig davon ausgegangen sei, sie hätten keinen Anspruch darauf. Der Beklagte habe nach Erlass des Erstbescheids keinen Hinweis auf die Möglichkeit zur Beantragung solcher Leistungen gegeben, jedenfalls keinen rechtskonformen. Dies wäre aber nach §§ 14 ff. Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) angezeigt gewesen. Eine rückwirkende Gewährung sei ein Gebot des Gleichbehandlungsgrundsatzes und des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs.
Der Beklagte erließ den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 3. Februar 2017. Der für die einkommensabhängigen Leistungen notwendige Antrag sei erst am 17. November 2016 gestellt worden.
Außerhalb des anschließenden Klageverfahrens lehnte der Beklagte mit Bescheiden vom 16. August 2017 weitere Anträge der Klägerin auf Erhöhung der Grundrente wegen einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes und auf Gewährung einer Pflegezulage ab. Die Verschlechterung und die Pflegebedürftigkeit beruhten nicht auf den Kriegsfolgen, sondern auf einer anlagebedingten Degeneration der Hüft- und Kniegelenke.
Gegen den Bescheid vom 12. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Februar 2017 hat die Klägerin über ihren Prozessbevollmächtigten am 16. Februar 2017 Klage beim Sozialgericht S. (SG) erhoben. Sie hat zusätzlich vorgetragen, auch aus dem Rundschreiben des BMAS sei nicht zu entnehmen, dass die Leistungen erst ab Antragstellung zu gewähren seien. Ferner weise das Rundschreiben an anderer Stelle darauf hin, dass für zurückliegende Bewilligungszeiträume der jeweilige Jahresdurchschnitt des Wechselkurses zu Grunde zu legen sei. Daraus folge, dass eine rückwirkende Bewilligung ausdrücklich für möglich gehalten werde.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Er hat ergänzend ausgeführt, der Anspruch habe zwar sei dem 1. Mai 2004 bestanden. Die Klägerin habe jedoch erst nach Bekanntgabe des Urteils des EuGH über die erforderliche Antragstellung informiert werden können. Dies sei dann mit dem Bescheid vom 11. November 2009 geschehen. Der damals erteilte Hinweis sei unmissverständlich und eindeutig gewesen.
Mit Urteil im schriftlichen Verfahren vom 12. Oktober 2017 hat das SG unter Abänderung des Bescheids vom 12. Januar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Februar 2017 den Beklagten verurteilt, der Klägerin Ausgleichsrente in gesetzlicher Höhe auch für die Zeit vom 1. Mai 2004 bis zum 31. Oktober 2016 zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Leistungsbewilligung an die Klägerin sei nicht nach § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 BVG auf die Zeit ab dem Monat der Antragstellung beschränkt. In der Zeit zuvor sei die Klägerin im Sinne des § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 BVG ohne ihr Verschulden an der Antragstellung gehindert gewesen. Sie habe unverschuldet nicht wissen können, dass ihr ab Mai 2004 höhere bzw. zusätzliche Leistungen zugestanden hätten, weil die frühere Regelung des § 64e BVG ihrem Anspruch entgegengestanden habe. Zwar seien jedem Bürger die gesetzlichen Vorschriften nach ihrer Verkündung bekannt zu sein. Dies folge aus dem in der Rechtsprechung anerkannten Publizitätsgrundsatz. Dieser gelte auch für Bürger, die aus einem fremden Sprach- oder Kulturkreis stammten. Diese Grundsätze seien jedoch auf die Klägerin nicht übertragbar. Die Europarechtswidrigkeit einer Vorschrift sei nicht aus den bekanntgemachten Rechtsnormen zu erkennen. Der Klägerin habe es auch nicht oblegen, laufend die Rechtsprechung des EuGH zu verfolgen, zumal das Urteil vom 4. Dezember 2008 zur Hinterbliebenenversorgung und damit zu einem anderen Sachverhalt ergangen sei. Die unverschuldete Rechtsunkenntnis der Klägerin sei nicht durch Hinweise des Beklagten weggefallen. Der Hinweis in dem Bescheid vom 11. November 2009, entsprechende einkommensabhängige Leistungen seien zu beantragen, sei nicht sachgerecht und ausreichend gewesen. Er habe sich bereits optisch unter den Zahlungsmodalitäten befunden, obwohl - an anderer Stelle - ein optisch hervorgehobener Abschnitt mit der Überschrift "Hinweise" vorhanden gewesen sei. Ferner habe der Beklagte in dem Bescheid ausgeführt, er werde über - einige - noch nicht gewährte Leistungen noch von Amts wegen entscheiden. Aus dem Bescheid habe sich nicht ergeben, welche Rechtsverluste bei einer verspäteten Antragstellung gedroht hätten. Letztlich habe der Beklagte auch in dem Bescheid vom 20. April 2011, mit dem er volle Leistungen für die Zeit einer Kur im Inland bewilligt habe, nicht darauf hingewiesen, dass diese Leistungen auch für die übrige Zeit zuständen.
Gegen das am 16. November 2017 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 20. November 2017 Berufung beim Landessozialgericht B. (LSG) erhoben. Er hält daran fest, dass sein Bescheid vom 11. November 2009 ausreichende Hinweise enthalten habe. Zuvor sei der Rechtsirrtum der Klägerin nach dem Publizitätsprinzip nicht unverschuldet gewesen. Hilfsweise erhebt der Beklagte ferner - in dem Schriftsatz vom 13. Dezember 2017 - die Einrede der Verjährung hinsichtlich einer Leistungsgewährung über mehr als vier Jahre zurück, also hinsichtlich der Zeit bis Dezember 2011.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts S. vom 12. Oktober 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angegriffene Urteil und führt ergänzend aus, in anderen Verfahren, in denen das SG nur für die vier Jahre vor ihrer Antragstellung zu Gunsten der Betroffenen entschieden habe, also für die auch aus Sicht des Beklagten unverjährte Zeit, habe der Beklagte keine Berufung eingelegt. Es sei unerfindlich, warum er seine Berufung hier nicht entsprechend beschränkt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten ist nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Insbesondere war sie nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig, weil der Beklagte zur Gewährung laufender Sozialleistungen für mehr als ein Jahr verurteilt worden ist (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Auch die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor. Der Beklagte hat die Berufung in der einmonatigen Berufungsfrist des § 151 Abs. 1 SGG (das Urteil ist im Inland zugestellt worden) eingelegt.
Die Berufung ist aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG auf die Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, Abs. 4 SGG) hin die angegriffenen Bescheide teilweise aufgehoben und den Beklagten in Form eines Urteils über den Grund nach § 130 Abs. 1 SGG verurteilt, Ausgleichsrente bereits ab dem 1. Mai 2004 zu gewähren.
Die Klage ist zulässig. Insbesondere hat der Beklagte durch Bescheid (§ 54 Abs. 4 SGG) über eine Leistungsgewährung bereits ab Mai 2004 entschieden. Dabei ist Maßstab der Auslegung der "Empfängerhorizont" verständiger Beteiligter, die die Zusammenhänge berücksichtigen, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (vgl. BSG, Urteil vom 29. Januar 2008 - B 5a/5 R 20/06 R -, juris, Rz. 11 m.w.N.). Die Klägerin hatte am 17. November 2016 ausdrücklich eine Leistungsgewährung rückwirkend ab dem 1. Mai 2004 begehrt. Verständige Beteiligte durften dann die Bewilligung ab 1. März 2017 unter Hinweis dahingehend verstehen, dass ein Anspruch für die Zeit davor abgelehnt worden war. Aus diesem Grunde war der Zeitraum ab 1. Mai 2004 auch Gegenstand des nach § 78 Abs. 1 SGG notwendigen Vorverfahrens. Dies gilt umso mehr, als der Beklagte sowohl in der Begründung des Bescheids als auch in dem Widerspruchsbescheid vom 3. Februar 2017 nur zu Fragen des Beginns von Leistungen ab Antragstellung Ausführungen gemacht hat.
Das beklagte Land ist passivlegitimiert. Die Versorgung der Opfer des Krieges nach dem 1950 in Kraft getretenen BVG obliegt spätestens seit dem In-Kraft-Treten des SGG 1954 den Ländern und nicht dem Bund (BSG, Urteil vom 10. November 1955 - 8 RV 237/54 -, juris, Rz. 34). Die Kostenträgerschaft folgt dabei der Verwaltungszuständigkeit (Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 1 BVG Rz. 15). Dies folgt aus dem Grundsatz des Art. 104a Abs. 1 Grundgesetz (GG). Eine Ausnahme nach § 104a Abs. 3 Satz 1 GG, wonach Gesetze des Bundes über Geldleistungen bestimmen können, dass der Bund die sich daraus ergebenden Ausgaben trägt, ist im BVG nicht vorgesehen. Verwaltungszuständig für die Ausführung des BVG ist nach § 3 Abs. 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) grundsätzlich jene Verwaltungsbehörde, in deren Bezirk der Berechtigte seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von § 30 Abs. 3 Satz 1 oder 2 SGB I innehat. Für Berechtigte mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland bestimmt nach § 3 Abs. 5 KOVVfG das BMAS durch Rechtsverordnung, welche Verwaltungsbehörde zuständig und damit auch, welches Land der Kostenträger ist. Dies hat das BMAS mit der Verordnung über die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden der Kriegsopferversorgung für Berechtigte im Ausland (AuslZustV) i.d.F. vom 28. Mai 1991 (BGBl I S. 1204) getan. Nach § 1 Buchstabe l AuslZustV sind dabei für Berechtigte in dem Teil Polens, der nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 zum Staatsgebiet des Deutschen Reiches gehört hatte (vgl. dazu auch Art. 116 Abs. 1 GG), wenn es sich um Beschädigte handelt, das Versorgungsamt M., wenn es sich um Witwen, Witwer oder Waisen handelt, das Versorgungsamt G., und, wenn es sich um Eltern handelt, das Versorgungsamt H. zuständig. Diese Regelung war für die Klägerin nicht einschlägig, da ihr Wohnort B. (ehemals B.) im so genannten Polnischen Korridor liegt, der bereits seit 1920 Teil der Republik Polen ist. Daher greift hier die Zuständigkeit des Versorgungsamts R. - und damit die Kostenträgerschaft B. - nach § 1 Buchstabe o AuslZustV für das gesamte übrige europäische Ausland ein.
Die Klage ist auch begründet. Die Ablehnung der Gewährung einer Ausgleichsrente für die Zeit vom 1. Mai 2004 bis zum 31. Oktober 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Die Klägerin hat dem Grunde nach Anspruch auf die begehrte Ausgleichsrente. Sie war, auch wenn sie nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt und auch keine deutsche Volkszugehörige ist, nach der Sonderregelung des § 8 Satz 1 BVG a.F. i.V.m. den Richtlinien Ost des BMAS dem Grunde nach versorgungsberechtigt. Sie wurde durch unmittelbare Kriegseinwirkung (vgl. § 5 Abs. 1 Buchstabe a BVG) auf einem Gebiet verwundet, das am Tag der Schädigung - aus deutscher Sicht - noch Teil des deutschen Staatsgebiets war. Das Deutsche Reich hatte das Gebiet der früheren preußischen Provinzen W. und P. 1939 annektiert, und der Ort der Schädigung lag noch hinter der Front. Dementsprechend hat der Beklagte die Klägerin mit dem Bescheid vom 17. Mai 1983 auch als versorgungsberechtigtes Kriegsopfer im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 BVG anerkannt. Ihr Anspruch auf Ausgleichsrente stützt sich danach auf § 32 Abs. 1 BVG. Diese Leistung erhalten Schwerbeschädigte, also Beschädigte mit einem GdS (bzw. früher einer MdE) von wenigstens 50, wenn sie infolge ihres Gesundheitszustandes oder hohen Alters oder aus einem anderen von ihnen nicht zu vertretenden Grund eine zumutbare Erwerbstätigkeit nicht oder nur in beschränktem Umfang oder nur mit überdurchschnittlichem Kräfteaufwand ausüben können. Bei der Klägerin besteht seit dem 1. November 1980 eine Schwerbeschädigung mit einem GdS von 50. Mindestens seit ihrem 60. Geburtstag im Dezember 1990 ist sie wegen hohen Alters nicht mehr erwerbsfähig im Sinne der Vorschriften über die Ausgleichsrente (vgl. zu dieser Altersgrenze die Verwaltungsvorschriften zum BVG [BVGVwV], hier Nr. 3 zu § 32 BVG; Dau, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 32 BVG, vor Rz. 1). Die Berechnung der Ausgleichsrente unter eventueller Anrechnung anderer Einkünfte ist nach § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht Gegenstand dieses Verfahrens, sie bleibt dem Ausführungsbescheid des Beklagten vorbehalten.
Dieser Anspruch der Klägerin auf Ausgleichsrente, einer der einkommensabhängigen Leistungen des BVG, ist seit dem 1. Mai 2004 nicht mehr gesetzlich ausgeschlossen. Zwar hatten ihre Ansprüche auf jene Teile der Kriegsopferversorgung, die nicht in § 64e Abs. 2 und 3 BVG genannt waren, nach § 64e Abs. 1 Satz 2 BVG geruht, weil sie in Polen lebt, also einem der Länder Osteuropas, die in der nach § 64e Abs. 5 BVG vorgesehenen AuslVersV genannt waren. Diese Vorschriften galten zwar formal bis zu ihrer Aufhebung am 1. Juli 2011. Sie waren indes bereits zuvor europarechtswidrig. Dies steht auf Grund des Urteils des EuGH vom 4. Dezember 2008 (C-221/07, juris) fest. Dies galt im Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zur Republik Polen seit dem 1. Mai 2004, dem Wirksamwerden des Beitritts Polens zur EU. Ab diesem Zeitpunkt griff der Anwendungsvorrang des europäischen Primärrechts, wonach entgegenstehendes Recht eines Mitgliedstaates außer Anwendung zu lassen ist (EuGH, Urteil vom 5. Februar 1963 - 26/62 -, juris, S. 24 ff. [van Gend & Loos]). Die Ausnahmen von diesem Anwendungsvorrang, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in dem zu den Verträgen niedergelegten Integrationsprogrammen (Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG) und in den durch Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG für integrationsfest erklärten Grundsätzen der Art. 1 und 20 GG liegen (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 21. Juni 2016 - 2 BvE 13/13 u. a. -, juris, Rz. 115), sind hier ersichtlich nicht betroffen. Bereits ab dem 1. Mai 2004 hätten deutsche Sozialgerichte § 64e Abs. 1 Satz 2 BVG und § 1 AuslVersV nicht mehr anwenden dürfen, soweit dies zu Lasten der Betroffenen ging.
Der Beklagte konnte die beantragten Leistungen auch nicht mit der Begründung verweigern, die Klägerin habe sie erstmals am 17. November 2016 beantragt.
Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 BVG beginnt die Versorgung mit dem Monat, in dem ihre Voraussetzungen vorliegen, frühestens aber mit dem Antragsmonat. Dies gilt nach § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 BVG entsprechend, wenn eine höhere Leistung begehrt wird. Ein Antrag bezieht sich auch dann auf eine höhere Leistung in diesem Sinne, wenn er auf eine zusätzliche, bislang nicht bezogene Einzelleistung aus dem Versorgungsrecht zielt (BVGVwV Nr. 2 zu § 60). Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des BSG, wonach verschiedenartige Versorgungsleistungen gesondert beantragt werden müssen (Urteil vom 29. Mai 1980 - 9 RV 18/79 -, juris, Rz. 17).
Diese mögliche Ausschlussregelung hinsichtlich bestehender Ansprüche ist nicht europarechtswidrig. Das nationale Verfahrensrecht der Mitgliedstaaten darf nach dem europarechtlich anerkannten Äquivalenz- und Effektivitätsprinzip lediglich für die Menschen anderer Staaten nicht ungünstiger sein als für diejenigen des gewährenden Staates selbst (EuGH, Urteil vom 13. Juli 2006 - C-295/04 bis 298/04 u. a. -, juris, Rz. 76 ff. [Manfredi u. a.]) und nicht geeignet sein, die mit der Ausübung der durch die Rechtsordnung der Europäischen Union verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren (EuGH, Urteil vom 11. Juli 2002 - C- 62/00 -, juris, Rz. 34 [Marks & Spencer]). Diese Einwände bestehen gegen § 60 Abs. 1 Satz 1 BVG nicht. Die Norm gilt gleichermaßen für Inländer wie für im Ausland lebende Berechtigte. Sie macht die Ausübung der Rechte nicht unmöglich, vielmehr ist ein Antragserfordernis gerade bei den einkommensabhängigen Leistungen nach dem BVG sogar gerechtfertigt, da im Verwaltungsverfahren Ermittlungen zur Situation der Betroffenen erforderlich sind. In seinem Urteil vom 4. Dezember 2008 hat der EuGH darauf hingewiesen, dass die Notwendigkeit, eine hinreichende Kontrolle der beruflichen und sozialen Situation der Berechtigten zu ermöglichen, eine objektive Erwägung des Allgemeininteresses darstellt, die es rechtfertigen können, dass die Freizügigkeit der Unionsbürger durch die Voraussetzungen oder die Modalitäten für die Zahlung von Leistungen berührt werden kann. Nur einen vollständigen Ausschluss der Leistungen wie nach dem früheren § 64e Abs. 1 Satz 2 BVG hat der EuGH für unverhältnismäßig gehalten (C-221/07, juris, Rz. 39 und 47).
Das Antragsprinzip in § 60 Abs. 1 Satz 1 BVG ist jedoch sinnvoll und nicht schematisch zu handhaben (BSG, Urteil vom 28. Oktober 1975 - 9 RV 458/74 -, juris, Rz. 17). Maßgebend ist nicht die Ausdrucksweise, sondern der unter Berücksichtigung aller Umstände erkennbare Wille der Antragstellenden. Das Begehren ist als auf alle nach Lage des Falles in Betracht kommenden Leistungen gerichtet anzusehen (vgl. BSG, Urteil vom 29. Mai 1980 - 9 RV 18/79 -, juris, Rz. 17). Dies ergibt sich auch aus § 6 KOVVfG und insbesondere aus Nr. 1 der Verwaltungsvorschrift zu § 6 KOVVfG (KOVVfGVwV). Danach ist in diesem Rechtsgebiet ein Antrag nicht in erster Linie nach § 157 BGB aus der Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers auszulegen. Im Vordergrund steht vielmehr der "recht verstandene Wille" der Antragstellenden nach § 133 BGB (vgl. Knörr, in: Knickrehm, a. a. O., § 60 BVG, Rz. 5).
Vor diesem Hintergrund hat zwar die Klägerin einkommensabhängige Leistungen, hier konkret die Ausgleichsrente, erstmals am 17. November 2016 beantragt. Für die Zeit zuvor ist kein Schreiben, kein Anruf und auch kein sonstiger Kontakt der Beteiligten ersichtlich, den der Beklagte als Antrag auf Ausgleichsrente hätte auffassen müssen. Insbesondere der Antrag der Klägerin vom 20. Oktober 2008 bezog sich nur auf eine Erhöhung der Grundrente wegen einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes. Weder hier noch in dem weiteren Schreiben vom 1. Dezember 2008 hatte die Klägerin auf ihre Einkommenssituation abgehoben oder deutlich gemacht, dass sie an Einkommenseinbußen auf Grund ihrer Schädigung leide. Sie hatte auch ausschließlich medizinische Unterlagen beigefügt. Dies reicht nach Ansicht des Senats nicht aus, um als Antrag auf einkommensabhängige Leistungen aufgefasst zu werden.
Gleichwohl war der streitige Anspruch der Klägerin für die Zeit vom 1. Mai 2004 bis zum 31. Oktober 2016 nicht nach § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 BVG ausgeschlossen.
Nach § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 BVG beginnt eine beantragte höhere Leistung, wenn Beschädigte ohne ihr Verschulden an der Antragstellung gehindert waren, mit dem Monat, von dem an die Verhinderung nachgewiesen ist, wenn der Antrag innerhalb von sechs Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt worden ist. Diese Vorschrift entspricht in ihrem Anwendungsbereich den Regelungen über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer allgemeinen gesetzlichen Frist in § 27 Abs. 1 SGB X (Knörr, a. a. O., § 60 BVG, Rz. 7). Bei der Frage, ob die Verzögerung der Antragstellung auf einem Verschulden der Antragstellenden oder ihrer gesetzlich Vertretenden beruht, ist anders als im allgemeinen Zivilrecht kein objektiver Maßstab (vgl. § 276 Abs. 1 BGB) heranzuziehen. Es gilt vielmehr ein subjektiver, auf individuelle Person bezogener. Nach den ausdrücklichen Regelungen in der BVGVwV Nr. 3 zu § 60 i.V.m. Nr. 2 zu § 18 sind hierbei unter anderem der Geisteszustand, das Alter, der Bildungsgrad und die Geschäftsgewandtheit zu berücksichtigen. Rechtsunkenntnis an sich schließt ein Verschulden in diesem Rahmen indes nicht zwingend aus (BSG, Urteil vom 30. September 2009 - B 9 VG 3/08 R -, juris, Rz. 30). Die Verwaltung darf nach der ständigen Rechtsprechung auch der Sozialgerichte davon ausgehen, dass jedem Menschen gesetzliche Bestimmungen nach ihrer Veröffentlichung bekannt sind. Insoweit gilt der Publizitätsgrundsatz. Im Übrigen bestehen im Sozialrecht vielfältige Möglichkeiten, sich über soziale Rechte zu informieren (vgl. §§ 13 ff. Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I). Die Medien weisen zudem regelmäßig auf den Inhalt neuer Gesetze hin (BSG, Urteil vom 15. August 2000 - B 9 VG 1/99 R -, juris, Rz. 13). Der Umstand, dass Betroffene rechtsunkundig sind und aus einem fremden Sprach- und Kulturkreis stammen, reicht für die Annahme höherer Gewalt als Entschuldigungsgrund für die Versäumung einer Frist nicht aus (BSG, Urteil vom 16. März 2016 - B 9 V 6/15 R -, Rz. 22). Die Forderung an eine ausländische Person, die mit den einschlägigen deutschen Rechtsvorschriften nicht vertraut ist, sich zu erkundigen, verlangt ihr aus verfassungsrechtlicher Sicht nichts Unzumutbares ab (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 1999 - 2 BvR 729/96 - juris, Rz. 36).
Hiernach kann der Beklagte der Klägerin nicht entgegenhalten, sie habe auf Grund des Publizitätsgrundsatzes ab dem 1. Mai 2004 oder ab einem späteren Zeitpunkt, insbesondere mit Erlass des Bescheides vom 11. November 2009, wissen müssen, dass sie nunmehr auch Ansprüche auf eine Ausgleichsrente geltend machen konnte.
Der Senat lässt dabei offen, ob der Publizitätsgrundsatz überhaupt für Berechtigte im Ausland gilt. Die bisherige Rechtsprechung des BVerfG und BSG hat den diesen Grundsatz immer nur auf Personen angewandt, die, soweit aus den veröffentlichten Entscheidungen ersichtlich, im Inland wohnten. Die ausländische Familie, mit der sich das Urteil des BSG vom 16. März 2016 im Verfahren B 9 V 6/15 R befasste, hatte bereits seit mehreren Jahren in der BRD gelebt und war in laufendem Kontakt mit deutschen Behörden, weswegen eine Obliegenheit zur Erkundigung angenommen wurde. Bereits zuvor wurde höchstrichterlich ausdrücklich auf die "Publizität im Inland" abgestellt, etwa nach der deutschen Wiedervereinigung auf die Kenntnis der Bevölkerung über sozialrechtliche Ansprüche im Beitrittsgebiet (vgl. BSG, Urteil vom 15. August 2000 - B 9 VG 1/99 R -, juris, Rz. 13). Die Klägerin hat nie im Inland gelebt. Allenfalls wegen ihres laufenden Leistungsbezugs konnte von ihr verlangt werden, sich über Rechtsänderungen in der BRD fortlaufend zu informieren. Aber dann müssten die Fälle einer erstmaligen Beantragung (§ 60 Abs. 1 Satz 3 BVG) und eines Antrags auf höhere Leistungen (§ 60 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 BVG) unterschiedlich behandelt werden. Für eine solche Differenzierung bieten diese beiden Normenkomplexe indes keine ausreichenden Anhaltspunkte.
Jedenfalls im Falle der Klägerin schließt der Publizitätsgrundsatz eine unverschuldete Rechtsunkenntnis nicht aus.
Dies gilt offenkundig für die Zeit bis zur Verkündung des Urteils des EuGH am 4. Dezember 2008. Hätte sich die Klägerin vor diesem Zeitpunkt beim Beklagten oder bei einer anderen rechtskundigen Stelle im In- oder Ausland erkundigt, hätte sie die damals formal zutreffende Antwort erhalten, dass sie keine Ansprüche habe. Aber auch ab der Bekanntgabe des EuGH-Urteils kann ihre Rechtsunkenntnis nicht als schuldhaft angesehen werden. Es ist bereits zweifelhaft, dass in polnischen Medien gleichermaßen wie in Deutschland über dieses Urteil berichtet wurde, und selbst wenn, dürften die Auswirkungen auf die Versorgungsansprüche gegenüber dem deutschen Staat in Polen allenfalls in Fachzeitschriften erörtert worden sein. Unabhängig davon bezieht sich der Publizitätsgrundsatz auf erlassene Rechtsnormen, nicht ohne Weiteres auf verkündete Gerichtsentscheidungen. Es kam hinzu, dass § 64e Abs. 1 Satz 2 BVG, der den Ansprüchen der Klägerin entgegenstand, nicht für nichtig erklärt worden ist, denn eine solche Entscheidungskompetenz kommt dem EuGH nicht zu. Es obliegt dem Mitgliedstaat, eine europarechtswidrige Norm aufzuheben. Es kann von einer Bürgerin oder einem Bürger generell nicht verlangt werden, sich in den Feinheiten des Rechts der Europäischen Union auszukennen und zu wissen, dass und ab wann die Gerichte eines Mitgliedstaates auf Grund des Anwendungsvorranges europäischen Primärrechts eine ihm ungünstige Norm nicht mehr anwenden werden. Hinzu kommt, dass das Urteil des EuGH eine Hinterbliebenenversorgung betraf und die dortige Berechtigte erst während des Leistungsbezugs von der BRD in die Republik Polen umgezogen war. Ausgehend davon, dass § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 BVG einen subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstab begründet, konnte daher von der Klägerin nicht erwartet werden, bereits vor dem BMAS und dem Beklagten die Bedeutung dieses Urteils für sich zu erkennen und entsprechende Anträge zu stellen.
Die Aufhebung des § 64e BVG zum 1. Juli 2011 hat die unverschuldete Rechtsunkenntnis nicht beseitigt. Formal greift hier zwar der Publizitätsgrundsatz ein, da es um die Änderung einer gesetzlichen Vorschrift ging. Auch wenn dies nach den Ausführungen oben auch für Berechtigte im Ausland gelten sollte, so lagen hier doch Besonderheiten vor, die zumindest im Rahmen des § 60 Abs. 2 BVG zu berücksichtigen sind: Die Neuregelung ab dem 1. Juli 2011 bestand lediglich aus einem Aufhebungsgesetz. Welche Bedeutung die Aufhebung einer bislang anspruchshindernden Gegennorm (Einwendung) für einen Anspruch selbst hat, dessen Grundlage selbst nicht verändert wird, kann ein Bürger nicht ohne Weiteres erkennen. Insoweit treffen nach einer solchen Gesetzesänderung die zuständigen Sozialleistungsträger erhöhte Obliegenheiten zur Information und zu Hinweisen.
Im konkreten Einzelfall ist der Hinderungsgrund im Sinne des § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 BVG, die unverschuldete Rechtsunkenntnis der Klägerin, nicht vor ihrer Antragstellung weggefallen. Insbesondere hat der Beklagte sie nicht ausreichend über die Veränderungen in der Rechtslage nach der Verkündung des Urteils des EuGH oder später nach der Aufhebung des § 64e BVG unterrichtet. Die Versorgungsverwaltung traf nach der Verkündung des EuGH und erneut nach der Aufhebung des § 64e BVG die Obliegenheit, ohne konkrete Nachfrage Berechtigter, also im Sinne einer Spontanberatung, Versorgungsberechtigte im Ausland zu informieren. Behördliche Informationen sind nach § 14 Satz 1 SGB I "spezifisch" und auch für Laien verständlich zu erteilen (BSG, Urteil vom 1. April 2004 - B 7 AL 52/03 R -, juris, Rz. 11). Dies gilt insbesondere im grenzüberschreitenden europäischen Verwaltungsverkehr. Der Senat weist an dieser Stelle auf die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, geändert durch deren Verordnung (EG) Nr. 988/2009 vom 16. September 2009, hin. Art. 76 Abs. 4 Unterabsatz 2 dieser VO bestimmt, dass "gemäß dem Grundsatz der guten Verwaltungspraxis" die Behörden des einen Mitgliedstaats Betroffenen, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, unter anderem alle erforderlichen Angaben zu übermitteln haben, damit jene ihre durch die Verordnung eingeräumten Rechte ausüben können. Zwar muss eine Behörde auch auf Grund dieser europarechtlichen Vorgabe im grenzüberschreitenden Verkehr ihre Hinweise grundsätzlich nicht in die Landessprache des Zielstaates übersetzen. Aber sie sollten zumindest nicht noch technischer und unverständlicher sein als im Verkehr mit Betroffenen im Inland, welche der deutschen Sprache ausreichend mächtig sind. Diese Obliegenheit des Beklagten zur verständlichen Information ergab sich auch aus dem Rundschreiben des BMAS vom 17. Juni 2009. Darin war sogar gefordert worden, dass mögliche Berechtigte zur Stellung von Anträgen aufgefordert werden sollen.
Der Beklagte hat die Klägerin ein einziges Mal, und zwar nur in dem Änderungsbescheid vom 11. November 2009, worin ausgeführt ist, dass einkommensabhängige Leistungen zu beantragen sind, nur unzureichend unterrichtet. Dieser Hinweis genügte nicht den Anforderungen an die Verständlichkeit gerade im grenzüberschreitenden Verkehr. Er war ohne Zusammenhang zum restlichen Text auf der ersten Seite unten untergebracht, in dem Bereich, in dem ansonsten die Zahlungsmodalitäten geregelt waren, also an unerwarteter Stelle. Eine Zeile davor hatte der Beklagte noch darauf hingewiesen, er werde über die weiteren einkommensunabhängigen Leistungen noch von Amts wegen entscheiden. Dieser kleine Unterschied in den Begriffen war leicht zu überlesen. Vor allem aber war nicht erkennbar, was mit der Aussage, es sei ein Antrag zu stellen, gemeint war. Es fehlte jeder Hinweis auf die nach § 60 Abs. 2 BVG drohenden Rechtsverluste, also darauf, dass einkommensabhängige Leistungen erst ab einer Antragstellung bewilligt werden können. Nach Ansicht des Senats hätte der Beklagte die nunmehr möglicherweise zustehenden Leistungen, insbesondere die Ausgleichsrente, sogar deutlich benennen müssen. Selbst das BMAS hielt in seinem Rundschreiben vom 17. November 2009 dazu an, Berechtigte wie die Klägerin direkt zur Antragstellung aufzufordern. Er hätte z.B. zumindest den Fragebogen zur Einkommenssituation und zum Familienstand beifügen können, wie er es - dies ist dem Senat aus einem der Parallelverfahren bekannt - gegenüber anderen Versorgungsberechtigten in Polen auch getan hat. Die Rückkehr dieses ausgefüllten Fragebogens hätte er dann als Antrag auf einkommensabhängige Leistungen werten müssen. Die weiteren Ausführungen in dem Bescheid vom 11. November 2009 klärten die Lage ebenfalls nicht. Das Urteil des EuGH, das Auslöser der Neuberechnung war, hatte der Beklagte darin nicht genannt, stattdessen eine "geänderte Rechtsauffassung". Der Klägerin war es daher nicht möglich herauszufinden, was hiervon betroffen war und welche Folgen daraus zu ziehen waren. Unerheblich ist indes, dass das Schreiben auf Deutsch verfasst war. Aus der Korrespondenz zwischen den Beteiligten ist erkennbar, dass die Klägerin hinreichend der deutschen Sprache mächtig war. Unabhängig hiervon ist die Amtssprache nach § 19 Abs. 1 SGB X Deutsch. Als Ausnahme hiervon bestimmt Art. 76 Abs. 7 der VO Nr. 883/2004 lediglich, dass die Behörden eines Mitgliedstaates im grenzüberschreitenden Verkehr Schriftstücke in einer der anderen Amtssprachen der EU nicht zurückweisen dürfen.
Auch ansonsten hat der Beklagte keine Hinweise erteilt, die den Anforderungen an die geschuldete Beratung genügt hätten. Die Formulierung in dem Bescheid vom 30. April 2010, nach dem Urteil des EuGH seien "die Regelungen der Inlandsversorgung anwendbar", war ersichtlich zu unbestimmt, um ein Hinweis auf eine notwendige Antragstellung und die drohenden Rechtsverluste zu sein. Geradezu missverständlich waren dann sogar die Bescheide vom 17. August 2010 und vom 20. April 2011, mit denen der Beklagte für die Zeit von Inlandsaufenthalten einkommensabhängige Leistungen bewilligte, darunter die Ausgleichsrente, ohne die Klägerin darauf hinzuweisen, dass ihr diese Leistungen auch für die übrige Zeit zustanden.
Der Senat geht davon aus, dass der Hinderungsgrund der unverschuldeten Rechtsunkenntnis der Klägerin erst kurz vor ihrem Antrag vom 17. November 2016 weggefallen ist, eventuell durch eine entsprechende Information ihres Bevollmächtigten. Dann aber wahrte ihr Antrag die sechsmonatige Frist des § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 BVG, sodass sie rückwirkend ihre gesamten Ansprüche seit Mai 2004 verlangen konnte.
Der Anspruch der Klägerin war auch nicht nach § 44 Abs. 4 SGB X - bezogen auf die Zeit mehr als vier Kalenderjahre vor dem Jahr der Antragstellung, hier also für die Zeit bis zum 31. Dezember 2011 - erloschen.
In direkter Anwendung erfasst diese Ausschlussregelung nur Leistungsansprüche, über die schon einmal entschieden worden ist, wenn der entsprechende Bescheid zugunsten der Berechtigten nach § 44 Abs. 1 oder § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wurde (Bayerisches LSG, Urteil vom 28. Juni 2017 - L 15 VG 16/11 -, juris, Rz. 41). Über den Anspruch der Klägerin auf eine Ausgleichsrente hatte der Beklagte aber bislang noch nicht entschieden.
§ 44 Abs. 4 SGB X kann auch nicht in analoger Anwendung oder als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes in den Fällen des § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 BVG angewendet werden. Diese Frage war in der früheren Rechtsprechung der Sozialgerichte durchaus umstritten (vgl. die Nachweise bei LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27. Januar 2005 - L 13 VG 5/03 -, juris, Rz. 33). Inzwischen hat indes das BSG höchstrichterlich klargestellt, dass § 44 Abs. 4 SGB X nach § 37 Abs. 1 SGB I durch § 60 Abs. 2 BVG verdrängt wird. Hierbei hat sich das BSG auf überzeugende Erwägungen der Gesetzesentwicklung und der Privilegierung der Berechtigten nach dem BVG gegenüber dem allgemeinen Sozialverwaltungsverfahrensrecht bezogen (BSG, Urteil vom 2. Oktober 2008 - B 9 VH 1/07 R -, SozR 4-3100 § 60 Nr. 4, Rz. 61 f.). Eine entsprechende Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X wird dabei nicht generell abgelehnt, vielmehr kann ein solcher Grundsatz etwa im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches herangezogen werden (BSG, Urteil vom 27. März 2007 - B 13 R 58/06 R -, SozR 4-1300 § 44 Nr. 9, Rz. 19). Ist hingegen eine eindeutige gesetzliche Regelung vorhanden, kann diese nicht durch die entsprechende Anwendung einer ausdrücklich für unanwendbar erklärten Norm umgangen werden (BSG, Urteil vom 2. Oktober 2008 - B 9 VH 1/07 R -, SozR 4-3100 § 60 Nr. 4, Rz. 63). Beide Vorschriften (§ 60 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BVG) stellen eine abgeschlossene Regelung über die rückwirkende Bewilligung von Leistungen dar, die eine analoge Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X ausschließt. Gerade das abgestufte System - ein Jahr Frist in Abs. 1, ein halbes Jahr in Abs. 2 - zeigt, dass dem Gesetzgeber bewusst war, dass die Versorgungsberechtigten unterschiedlich schutzbedürftig sind, je nachdem, ob sie schon (überhaupt) Leistungen beziehen oder nicht. Dieses abgestufte System würde nach § 44 Abs. 4 SGB X nivelliert. Hinzu kommt eine grundsätzliche Erwägung, die gegen die analoge Anwendung dieser Norm spricht. Es fehlt bereits an der vom Gesetzgeber unbewusst zurückgelassenen Regelungslücke. Auch wenn § 44 Abs. 4 SGB X nicht analog angewandt wird, so kann der Träger der Versorgungsverwaltung die Verjährungseinrede nach § 45 SGB I erheben. Danach beschränkt sich seine Leistungspflicht auch in den Fällen, in denen er für Zeiten vor dem Antragsmonat leisten muss, auf die vier Kalenderjahre vor Eingang des Antrags. Dass Versorgungsansprüche auch in den Fällen des § 60 BVG verjähren, ist unbestritten (vgl. BSG, Urteil vom 5. Mai 1993 - 9/9a RV 12/92 -, juris, Rz. 10; ebenso LSG B.-Bran-denburg, Urteil vom 21. Januar 2015 - L 13 VH 5/13 -, juris, Rz. 39 ff.). Eine Verjährung kann insbesondere dann Platz greifen, wenn - wie hier - die materiell weiter reichende Ausschlussfrist des § 44 Abs. 4 SGB X weder direkt noch analog anzuwenden ist. Auch das BSG hat in dem Urteil vom 2. Oktober 2008 - nach der Ablehnung einer Analogie zu § 44 Abs. 4 SGB X - ausdrücklich auf die Möglichkeit einer Verjährung hingewiesen (a.a.O., Rz. 65). Voraussetzung dafür ist nur, dass die Verjährungseinrede rechtzeitig erhoben wird und die für sie angebrachten Ermessenserwägungen des Sozialleistungsträgers ausreichen (vgl. BSG, Urteil vom 5. Mai 1993 - 9/9a RV 12/92 -, juris, Rz. 14).
Auch wenn demnach im Rahmen des § 60 BVG die Verjährungseinrede erhoben werden kann, so führt dies im konkreten Falle der Klägerin nicht zum Erfolg.
Nach § 45 Abs. 1 SGB I verjähren Ansprüche auf Sozialleistungen in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie entstanden sind. Für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten nach § 45 Abs. 2 SGB I die Vorschriften der §§ 199 ff. BGB entsprechend. Darüber hinaus wird die Verjährung auch durch einen schriftlichen Antrag auf die Sozialleistung oder einen entsprechenden Widerspruch gehemmt, diese Hemmung endet sechs Monate nach Bekanntgabe der Entscheidung über den Antrag oder den Widerspruch (§ 45 Abs. 3 Sätze 1 und 2 SGB I).
Hiernach kann sich die Klägerin - zwar - nicht darauf berufen, die Verjährungsfrist habe erst begonnen, nachdem sie - wohl im Jahre 2016 - Kenntnis von der neuen Rechtslage und ihren möglichen Ansprüchen auf einkommensabhängige Leistungen erworben habe. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB, wonach die Verjährung erst beginnt, wenn der Gläubiger Kenntnis von der Person des Schuldners und den anspruchsbegründenden Umständen hat, greift hier nicht ein. Zum einen erfasst diese Norm schon zivilrechtlich nicht die rechtliche Beurteilung der tatsächlichen Umstände, die der Klägerin bekannt waren. Und zum anderen regelt § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB den Beginn der Verjährung, gehört also nicht zu denjenigen Normen, die nach § 45 Abs. 2 SGB I im Sozialrecht anwendbar sind (Bayerisches LSG, Urteil vom 19. März 2014 - L 16 AS 613/13 -, juris, Rz. 24; Rolfs in: Hauck/Noftz, SGB, 07/17, § 45 SGB I, Rz. 18).
Ferner ist die Verjährungseinrede nicht von vornherein wegen unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB) ausgeschlossen. Ein solcher Ausschluss könnte sich auf einen Verstoß gegen Treu und Glauben nur dann stützen, wenn diese sich aus dem Verhalten des Beklagten selbst ergibt und nicht aus dem Dritter. Es müsste sich außerdem um eine besonders krasse Pflichtverletzung handeln (BSG, Urteil vom 22. Oktober 1996 - 13 RJ 17/96 -, juris, Rz. 31). Dafür ist nichts ersichtlich.
Die Erhebung der Verjährungseinrede durch den Beklagten im Berufungsverfahren ist jedoch rechtswidrig und daher unbeachtlich. Die Erhebung der Verjährungseinrede durch einen Sozialleistungsträger setzt regelmäßig die Ausübung pflichtgemäßen Ermessens voraus (ständige Rechtsprechung, BSG, Urteil vom 26. Mai 1987 - 4a RJ 49/86 -, juris, Rz. 23; zuletzt 31. März 2015 - B 12 AL 4/13 R - SozR 4-2400 § 27 Nr. 6 Rz. 33). Der Sozialleistungsträger muss zunächst entscheiden, ob und ggfs. für welche Zeiträume er diese Einrede überhaupt erheben will (BSG, Urteil vom 5. Mai 1993 - 9/9a RV 12/92 -, juris, Rz. 10 f.). Sodann hat er auch die Gründe für seine Entscheidung nach § 35 Abs. 2 SGB X in dem Bescheid, mit dem die Leistungen für zurückliegende Zeit versagt werden, zu nennen (BSG, Urteil vom 22. Oktober 1996 - 13 RJ 17/96 -, Rz. 33). Genügt eine Verjährungseinrede diesen formellen Voraussetzungen nicht, ist sie rechtswidrig. Da es sich bei ihr um eine verwaltungsrechtliche Willenserklärung (vgl. dazu BSG, Urteil vom 24. Juli 2003 - B 4 RA 60/02 R -, juris, Rz. 17) und nicht selbst um einen Verwaltungsakt handelt, führt dies zu ihrer Unbeachtlichkeit bzw. Unwirksamkeit. Eine Nachholung von Ermessenserwägungen in einem bereits laufenden Gerichtsverfahren (vgl. § 41 Abs. 1 und Abs. 2 SGB X) ist dabei zumindest dann unzulässig, wenn in dem angefochtenen Bescheid selbst überhaupt keine Ermessenserwägungen enthalten waren und wenn - gerade in Fällen wie hier - die Verjährungseinrede in dem Bescheid überhaupt noch nicht erhoben war (LSG H., Urteil vom 14. Juli 2004 - L 1 RJ 40/03 -, juris, Rz. 25). Anderenfalls kann sich der Betroffene nicht ausreichend mit den Gründen der Leistungsverweigerung auseinandersetzen.
Solche Ermessenserwägungen finden sich in dem angegriffenen Bescheid des Beklagten vom 12. Januar 2017, mit dem die rückwirkende Gewährung der Ausgleichsrente abgelehnt worden ist, nicht. Auch der Widerspruchsbescheid vom 3. Februar 2017 enthält keine Ermessenserwägungen. In beiden Bescheiden ist nicht einmal auf die Verjährung hingewiesen worden. Dass der Beklagte dann die Verjährungseinrede - erst - im Berufungsverfahren erhoben hat, wobei auch in seinem Schriftsatz vom 13. Dezember 2017 keine begründete Ermessensentscheidung zu erkennen ist, z.B. keine Abwägung mit den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Klägerin, konnte ihm nicht zum Erfolg verhelfen.
Hiernach sind die Ansprüche der Klägerin auf Ausgleichsrente auch für die Zeit ab dem 1. Mai 2004 bis zum Ablauf des vierten Kalenderjahrs vor der Antragstellung nicht verjährt.
Aus diesen Gründen war die Berufung des Beklagten gegen das vollen Umfangs zusprechende Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.