Bayerisches Landessozialgericht - L 6 R 1/15 - Beschluss vom 30.03.2016
Die Vierjahresfrist des § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X stellt eine materielle Ausschlussfrist dar, die zwingend von Amts wegen zu beachten ist und nicht der Dispositionsbefugnis oder dem Ermessen der Verwaltung wie auch der Gerichte unterliegt. Gegen die Anwendung der Vorschrift kann weder der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung noch ein Verstoß gegen Treu und Glauben geltend gemacht werden. Rückwirkende Leistungen sind selbst dann auf einen Zeitraum von bis zu vier Jahren vor der Rücknahme beschränkt, wenn den Leistungsträger ein erhebliches Verschulden trifft.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X auf eine von der Beklagten zu erbringende Nachzahlung von Regelaltersrente streitig.
Der 1934 geborene Kläger bezieht aufgrund eines am 03.11.1955 erlittenen Arbeitsunfalls von der Gartenbau-Berufsgenossenschaft eine laufende Verletztenrente nach einer MdE von 75 %. Mit Bescheid vom 26.07.1990 gewährte die Beklagte Erwerbsunfähigkeitsrente ab dem 01.04.1990 auf Dauer. Entsprechend den maßgeblichen Bestimmungen der RVO wurde hierbei die Verletztenrente angerechnet, was zu einem teilweisen Ruhen des Anspruchs auf Erwerbsunfähigkeitsrente führte. Mit Bescheid vom 11.02.1999 wandelte die Beklagte aufgrund des Erreichens der Altersgrenze die Erwerbsunfähigkeitsrente ab 01.04.1999 in eine Regelaltersrente um. Bei der nunmehr nach den Vorschriften des SGB VI vorzunehmenden Anrechnung der Unfallrente wurde von der EDV aufgrund einer Fehlprogrammierung der nach § 93 Abs. 2 Nr. 2a SGB VI vor Anrechnung der Unfallrente von dieser abzuziehende Grundrentenbetrag nach dem BVG nicht in Ansatz gebracht. Bei der obligatorischen abschließenden Prüfung des ausgegebenen Bescheides durch den Sachbearbeiter wurde dies nicht erkannt. Auch der laufenden internen Fehlerprüfung blieb dieser Mangel aufgrund der besonderen Konstellation mit Umwandlung einer Erwerbsunfähigkeitsrente in eine Regelaltersrente unter geänderten Anrechnungsbestimmungen sowie unter Anwendung der Übergangsregelung der §§ 266, 312 SGB VI in der Folge verborgen. Erst im Rahmen einer individuellen Prüfung am 28.06.2012 durch die nunmehr zuständige Sachbearbeiterin trat der Fehler zu Tage.
Mit angefochtenem Bescheid vom 19.06.2012 hob die Beklagte die Altersrentenbewilligung hinsichtlich der Höhe von Amts wegen auf und berechnete die Rente ab 01.01.2008 neu. Hieraus ergab sich eine Nachzahlung in Höhe von Euro 13.339,25. Am 04.07.2012 legte der Kläger Widerspruch ein. Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 03.09.2012 die Berechnungsgrundlagen sowie die zur Beschränkung der Nachzahlung führende Vorschrift des § 44 Abs. 4 SGB X erläutert hatte, wurde der Widerspruch mit einer fehlenden Verzinsung sowie mit einer weitergehenden Nachzahlung nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs begründet. Mit Bescheid vom 24.01.2013 führte die Beklagte die begehrte Verzinsung durch. Mit weiterem Bescheid vom 13.03.2013 wies sie den Widerspruch als unbegründet zurück. Bei der nach § 44 Abs. 1 SGB X von Amts wegen vorgenommen Korrektur des Bescheides vom 11.02.1999 hätten nach der Regelung des § 44 Abs. 4 SGB X zu Unrecht nicht erbrachte Rentenleistungen längstens für einen Zeitraum von vier Jahren vor der Rücknahme des Bescheides erbracht werden können. Diese Beschränkung stelle eine materielle Ausschlussfrist dar, die unabhängig von einem Verschulden der Beklagten greife und bei deren Berücksichtigung kein Ermessen eingeräumt sei. Diese Regelung sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entsprechend auch auf einen möglichen sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs anzuwenden. Mit dem angegriffenen Bescheid sei im Übrigen über eine Verzinsung noch nicht entschieden worden. Aufgrund der zwischenzeitlich gewährten Verzinsung liege insoweit keine Beschwer des Klägers mehr vor.
Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger am 08.04.2013 durch seine Bevollmächtigten Klage zum Sozialgericht Regensburg (SG). Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, der Kläger habe Anspruch auf Nachzahlung ab dem 01.04.1990. Die Beklagte habe eingeräumt, dass die Erstberechnung der Altersrente fehlerhaft gewesen sei. Insoweit ergebe sich die Nachzahlung aus den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Auf diesen sei § 44 Abs. 4 SGB X im vorliegenden Fall nicht analog anzuwenden. Der Kläger habe aus Art. 14 Grundgesetz (GG) einen Anspruch auf Verwirklichung seiner Anwartschaften in Form einer ordnungsgemäßen Rentenauszahlung, diesem grundgesetzlich garantierten Anspruch genüge § 44 Abs. 4 SGB X nicht. Sachlich gerechtfertigte Gründe für eine Beschränkung des Grundrechts auf Eigentum bestünden nicht. Im Übrigen seien auch das Sozialstaatsprinzip sowie der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt.
Mit Urteil nach mündlicher Verhandlung vom 24.10.2014 wies das SG die Klage als unbegründet ab. Zu Recht habe die Beklagte die Vorschrift des § 44 Abs. 4 SGB X herangezogen. Der richterrechtlich entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch sei neben den ausdrücklichen gesetzlichen Vorgaben das § 44 SGB X subsidiär und somit hier bereits nicht anwendbar. Unabhängig davon wende die Rechtsprechung die Vorschrift des § 44 Abs. 4 SGB X auch Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs an. Die weiter gerügte Verfassungswidrigkeit dieser Vorschrift könne nicht erkannt werden, sie stelle eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Grundrechtes auf Eigentum dar, zumal dadurch ohnehin das ebenfalls verfassungsrechtlich geschützte Prinzip der Bestands- bzw. Rechtskraft des Art. 20 Abs. 3 GG durchbrochen werde.
Gegen diese Entscheidung legte der Kläger durch seine Bevollmächtigten am 02.01.2015 Berufung ein. Der Fehler der Rentenberechnung liege allein in der Sphäre der Beklagten als Fachbehörde. Der Kläger sei im Rentenrecht unkundig. Er habe 44 Jahre Beiträge gezahlt und ihm sei die Rente ohne gesetzliche Grundlage gekürzt worden. Sein Vertrauen in eine gesetzestreue Rentenberechnung sei geschützt. Es sei zwar zutreffend, dass § 44 Abs. 4 SGB X eine verschuldensunabhängige Rückwirkungsbeschränkung enthalte, dagegen bestünden jedoch verfassungsrechtliche Bedenken. Der Gleichbehandlungsgrundsatz sei insoweit verletzt, als § 44 Abs. 4 SGB X für alle Sozialleistungen unabhängig von ihrem Finanzierungsaufwand (Beiträge oder Steuermittel) gelte. Auch das grundgesetzlich garantierte Eigentumsrecht sei verletzt. Diese Eingriffe in die geschützten Grundrechte des Klägers würden durch das entgegenstehende Interesse auf Rechtsfrieden und Rechtssicherheit nicht aufgewogen. Alleinige Intention des § 44 Abs. 4 SGB X sei, den finanziellen Aufwand Rentenversicherung für Nachzahlungen zu beschränken. Diese Regelung führe aber insbesondere in Fällen, in welchen die Rechtswidrigkeit schuldhaft und möglicherweise sogar vorsätzlich durch Sachbearbeiter der Beklagten herbeigeführt worden sei, zu rechtlich untragbaren Ergebnissen. Jedenfalls bestehe aber ein Anspruch des Klägers auf unbeschränkte Nachzahlung nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs.
Die Beteiligten wurden im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vom 17.09.2015 zur Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 SGG angehört.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 24.10.2014 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 19.06.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.03.2013 zu verurteilen, die Altersrente des Klägers auch für die Zeit von 01.04.1999 bis 31.12.2007 unter zutreffender Anrechnung der Unfallrente des Klägers neu zu berechnen und entsprechende Nachzahlungen zu erbringen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, die Akte des Sozialgerichts sowie die Senatsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist unbegründet.
Zu Recht hat die Beklagte mit dem im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage angegriffenen Bescheid vom 19.06.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2013 eine Neuberechnung der Altersrente des Klägers erst ab 01.01.2008 vorgenommen sowie Nachzahlungen erst ab diesem Zeitpunkt erbracht. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Nachzahlung von Altersrente für Zeiten vor dem 01.01.2008.
Unstreitig wurde die Regelaltersrente des Klägers im Rahmen der bestandskräftig gewordenen Erstfeststellung zum 01.04.1999 aufgrund eines Fehlers bei der Berechnung der zu berücksichtigenden Verletztenrente nach § 93 Abs. 2 Nr. 2a VI in unzutreffender Höhe errechnet. Dementsprechend hat die Beklagte nach Bekanntwerden des Fehlers im Rahmen einer individuellen Prüfung durch die Sachbearbeiterin im Juni 2012 diesen Fehler von Amts wegen nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X korrigiert. Dass hierbei eine Nachzahlung von Altersrente lediglich für die Zeit ab 01.01.2008 festgestellt wurde, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Diese Vorgehensweise entspricht der Vorschrift des § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X. Danach werden Sozialleistungen, falls ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird, längstens für einen Zeitraum von 4 Jahren vor der Rücknahme erbracht. Der Zeitraum der Rücknahme wird vom Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird, § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB X, und wurde vorliegend mit dem 01.01.2008 zutreffend berechnet. Das Regelungsgefüge des § 44 SGB X bringt insoweit zwei widerstreitende Prinzipien zum Ausgleich: Auf der einen Seite verhilft es der materiellen Gerechtigkeit zur Geltung. Adressaten rechtswidriger Verwaltungsakte sollen so gestellt werden, als hätte die zuständige Behörde von vornherein richtig gehandelt. Auf der anderen Seite berücksichtigt es die Bestandskraft behördlicher und gerichtlicher Entscheidungen, indem hohe tatbestandliche Anforderungen normiert und in Abs. 4 die leistungsrechtlichen Folgen einer Durchbrechung begrenzt werden. Damit sind zwei wesentliche Aspekte des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips berührt: Einzelfallgerechtigkeit und Rechtssicherheit (vgl. Merten in: Hauck/Noftz, Rn. 3 zu § 44 SGB X m.w.N.). Im Interesse einer möglichst weitgehenden Verwirklichung sozialer Rechte setzt sich dabei - im Gegensatz zu anderen Verfahrensordnungen des deutschen Rechts - prinzipiell die Einzelfallgerechtigkeit respektive Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns (in Form eines gebundenen Aufhebungsanspruchs) durch. Das einfache Gesetzesrecht lässt dies ausdrücklich zu. Als die Bestandskraft von Verwaltungsakten einschränkende Norm ist § 44 SGB X eine andere gesetzliche Bestimmung im Sinne von § 77 SGG. Verfassungsrechtlich geboten ist dieser Vorrang aber nicht (vgl. BVerfG vom 27.02.2007, Az.: 1 BvR 1982/01; BSG vom 25.03.2003, Az.: B 1 KR 36/01 R).
Die Vierjahresfrist des § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X stellt in diesem Interessengefüge eine materielle Ausschlussfrist dar, die zwingend von Amts wegen zu beachten ist und nicht der Dispositionsbefugnis oder dem Ermessen der Verwaltung wie auch der Gerichte unterliegt. Gegen die Anwendung der Vorschrift kann weder der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung noch ein Verstoß gegen Treu und Glauben geltend gemacht werden (BSG vom 23.07.1986, Az.: 1 RA 31/85; BSG vom 26.05.1987, Az.: 4a RJ 49/86; Merten in: Hauck/Noftz, Rn. 91 zu § 44 SGB X m.w.N.). Rückwirkende Leistungen sind selbst dann auf einen Zeitraum von bis zu vier Jahren vor der Rücknahme beschränkt, wenn den Leistungsträger ein erhebliches Verschulden trifft (vgl. Merten in: Hauck/Noftz, Rn. 98 zu § 44 SGB X; BSG vom 11.04.1985, Az.: 4b/9a RV 5/84). Entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten ist daher für den vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich, auf welche Art und Weise der für den Kläger schädliche Berechnungsfehler konkret zustande gekommen, welcher Verschuldensvorwurf den Handelnden zu machen und ob dieser Verschuldensvorwurf der Beklagten zuzurechnen ist. Insbesondere ist unerheblich, ob es sich um einen bloßen Programmierfehler oder um einen möglicherweise in erheblichem Umfang subjektiv vorwerfbaren Überprüfungsfehler des damals zuständigen Sachbearbeiters gehandelt hat. Die Beklagte war daneben auch nicht verpflichtet, ihren Datenbestand generell und systematisch auf Fehler durchzuforsten (vgl. Wortlaut des § 44 Abs. 1 S. 1: "im Einzelfall"). Die Unterlassung einer an sich gebotenen Fehlerkorrektur ist genauso wie der ursprüngliche Fehler sanktionslos und verlängert die Rückwirkung nicht über Abs. 4 hinaus (Kasseler Kommentar, Steinwedel, Rn. 24 zu § 45 SGB X).
Zur Überzeugung des Senats begegnet die Vorschrift des § 44 Abs. 4 SGB X auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie verstößt weder gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG noch gegen den aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Grundsatz des Vertrauensschutzes. Der Senat nimmt insoweit ausdrücklich auf die diesbezüglich mannigfaltige und erschöpfende Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes Bezug (vgl. BSG vom 15.12.1982, Az.: GS 2/80; BSG vom 23.07.1986, Az.: 1 RA 31/85; BSG vom 21.01.1987, Az. 1 RA 27/86; BSG vom 23.07.1986, Az.: 1 RA 31/85 m. w. N.; s.a. LSG Hessen vom 23.08.2013, Az.: L 5 R 359/12). Auch ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht vor. Unbeschadet der Tatsache, dass - entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten - in den maßgeblichen Bereichen steuerfinanzierter Sozialleistungen (Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe, Asylbewerberleistungsgesetz) § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X zulasten einer deutlich kürzeren Rückwirkung von einem Jahr keine Anwendung findet (vgl. § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II; § 116a SGB XII; zur entsprechenden Anwendung der Jahresfrist im Rahmen von Asylbewerberleistungen: BSG vom 26.06.2013, Az.: B 7 AY 6/12 R), bestehen für möglicherweise in Restbereichen verbleibende Ungleichheiten hinreichende sachliche Gründe (vgl. zum allgemeinen Maßstab für einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz: BVerfGE117, 272). § 44 SGB X durchbricht das allgemein gültige Prinzip der Bestandskraft. Die Vorschrift dient damit der Verwirklichung materieller Gerechtigkeit des Einzelnen zulasten der Rechtssicherheit, obwohl aus dem Grundgesetz (wie bereits dargestellt) gerade keine Verpflichtung erwächst, rechtswidrige belastende Verwaltungsakte nach Eintritt der Bestandskraft von Amts wegen oder auf Antrag aufzuheben (BVerfG vom 27.02.2007, a.a.O.). Der Gesetzgeber hat mit der in § 44 Abs. 4 SGB X getroffenen Regelung den Konflikt zwischen dem Interesse des Versicherten an einer vollständigen Erbringung ihm zu Unrecht vorenthaltener Sozialleistung einerseits und der Solidargemeinschaft aller Versicherten an einer Erhaltung der Leistungsfähigkeit des in Anspruch genommenen Versicherungsträgers und damit einhergehend an einer möglichst geringen Belastung mit Leistungen für zurückliegende Zeiträume andererseits gelöst. Das schließt es aus, einseitig das Interesse des Versicherten an der Erfüllung seiner Ansprüche auch für weiter zurückliegende Zeiträume als ausschlaggebend zu bewerten und darüber die Interessen der Versichertengemeinschaft daran zu vernachlässigen. § 44 SGB X stellt eine in sich ausgewogene Gesamtregelung dar, innerhalb derer die Regelung des § 44 Abs. 4 SGB X eine den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrende und damit zulässige Bestimmung darstellt, die geeignet ist, ggf. bestehende Ungleichbehandlungen zu rechtfertigen (BSG vom 23.07.1986, a.a.O.).
Dem Kläger steht daneben auch keine Nachzahlung nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu. Sind Sozialleistungen zu Unrecht versagt worden, können im Einzelfall neben dem Tatbestand des § 44 SGB X auch die Voraussetzungen eines Herstellungsanspruchs erfüllt sein. Jedoch geht § 44 SGB X als gesetzliche Sonderregelung dem lediglich richterrechtlich geschaffenen Institut des Herstellungsanspruchs dem Tatbestand nach vor, wenn das behördliche Fehlverhalten bereits durch § 44 erfasst wird (BSG vom 19.10.2010, Az.: B 14 AS 16/09 R; Kasseler Kommentar, Steinwedel, Rn. 16 zu § 44 SGB X, jew. m.w.N). In der vorliegenden Konstellation handelt es sich um einen solchen unmittelbaren Anwendungsfall des § 44 Abs. 1 SGB X, da es in der Sache um eine aufgrund eines Fehlers der Beklagten in zu geringer Höhe festgestellte Rente und damit um die Aufhebung einer bestandskräftigen, rechtswidrigen und nicht begünstigenden Verwaltungsentscheidung geht. Es handelt sich mithin nicht um den Fall einer gesetzlich nicht anderweitig sanktionierten hoheitlichen Pflichtverletzung (z.B. Fristversäumnis oder auch gänzlich unterlassene Erstantragstellung aufgrund fehlender Beratung bzw. Aufklärung), welche die Anwendung des subsidiären Instituts des sozialrechtliche Herstellungsanspruchs erfordern würde. Aufgrund der Tatbestandsverdrängung durch § 44 Abs. 1 SGB X ist damit die Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs auf den vorliegenden Sachverhalt ausgeschlossen.
Selbst wenn man dem nicht folgen möchte, wäre zur Überzeugung des Senates vorliegend bei einer Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs neben dem seinen Voraussetzungen nach ebenfalls anwendbaren § 44 Abs. 1 SGB X die Beschränkung des § 44 Abs. 4 SGB X bereits unmittelbar einschlägig, jedenfalls aber entsprechend heranzuziehen (h.M., vgl. BSG vom 11.04.1985, Az.: 4b/9a RV 5/84; BSG vom 09.09.1986, Az.: 11a RA 28/85; BSG vom 21.01.1987, Az.: 1 RA 27/86; BSG vom 28.01.1999, Az.: B 14 EG 6/98 B; BSG vom 14.02.2001, Az.: B 9 V 9/00 R; BSG 27.03.2007, Az.: B 13 R 58/06 R; Kasseler Kommentar, Steinwedel Rn 53 zu § 44 SGB X; Merten in Hauck/Noftz, SGB X, Rn 94 zu § 44; a.A. - jedoch nur für die Anwendung des Herstellungsanspruchs in einem hier nicht vorliegenden sog. "Erstfeststellungsverfahren" - 4. Senat des BSG vom 06.03.2003, Az.: B 4 RA 38/02 R und vom 26.06.2007, Az.: B 4 R 19/07 R).
Die Berufung ist nach alldem mit der Kostenfolge des § 193 SGG zurückzuweisen.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Ziff. 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.