Thüringer Landessozialgericht - Beschluss vom 24.05.2005 - Az.: L 6 B 25/05 SF
Zur Verjährung eines Anspruchs eines Sachverständigen auf Entschädigung
Gründe:
I.
In dem Klageverfahren des Beschwerdegegners gegen den Freistaat T. (Az.: S 3 SB 673/01) beauftragte der Direktor des Sozialgerichts M. mit Beweisanordnung vom 15. Oktober 2001 Prof. Dr. A. mit der Erstellung eines Gutachtens aufgrund ambulanter Untersuchung. Unter dem 30. November 2001 wurde der Beschwerdegegner hierüber informiert und ihm u.a. ein Formular "Antrag auf Erstattung von Fahrtkosten" übersandt, das u.a. folgenden Passus enthält: "Der Antrag muss innerhalb von 3 Monaten gestellt werden, da sonst der Anspruch erlischt."
Am 26. April 2002 ging beim Sozialgericht der mit einem Eingangsstempel (18. März 2002) der LVA T. versehener Vordruck dieses Versicherungsträgers ein (Ausstellungsdatum: 2. Februar 2002), und in dem der Beschwerdegegner eine Kostenerstattung für 364 km (182 km jeweils am 24. und 25. Januar 2001) begehrte. Beigefügt hatte er ihm u.a. eine "Ärztliche Bescheinigung" vom 25. Januar 2001, nach der er am 24. Januar 2002 von 8:30 bis 15:00 Uhr und am 25. Januar 2002 von 9:00 bis 11:00 Uhr untersucht worden war und eine Kopie des vom Versorgungsamt S. ausgestellten Schwerbehindertenausweises vom 12. März 2001 (GdB 80). Das Kostenheft enthält auf Blatt 3f einen Aktenvermerk der Justizangestellten R. vom 17. Juni 2002 über eine telefonische Rücksprache mit dem Beschwerdegegner, wonach dieser bestätigte, den Antrag versehentlich bei der LVA T. abgegeben zu haben.
Unter dem 17. Juni 2002 verfügte die Justizangestellte R. zwei Zahlungsanweisungen über 64,22 EUR (Fahrt am 24. Januar 2002) und 50,22 EUR (Fahrt am 25. Januar 2002).
Im Rahmen der Prüfung der Kostenansätze 2002 rügte die Bezirksrevisorin beim Thüringer Landessozialgericht den verfristeten Antragseingang des Erstattungsantrags sowie eine fehlerhafte Berechnung und ordnete die Rückforderung des überzahlten Betrages (114,44 EUR) an. Mit Verfügung vom 27. Mai 2003 kam dem die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Sozialgerichts nach.
Dagegen hat sich der Beschwerdegegner gewandt und ausgeführt, er sei zum Zeitpunkt der Begutachtung krankheitsbedingt geistig ziemlich verwirrt gewesen und habe oft die Situation nicht erfassen können. Die lange Übermittlungsdauer von der LVA zum Sozialgericht sei ihm nicht anzulasten. Seine finanzielle Situation sei sehr angespannt: seine Einkünfte aus Krankengeld beliefen sich auf lediglich 504,00 EUR/Monat und eine Rückzahlung sei ihm nicht möglich. Er beantrage Wiedereinsetzung in die versäumte Frist und richterliche Festsetzung.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat dem Antrag nicht abgeholfen (Verfügung vom 6. Juni 2003) und ihn dem Vorsitzenden der 3. Kammer des Sozialgerichts M. zugeleitet. Dieser hat die dem Beschwerdegegner anlässlich der Begutachtung am 24. und 25. Januar 2002 zu gewährende Entschädigung mit Beschluss vom 31. Januar 2005 auf 114,44 EUR festgesetzt und den Antrag des Beschwerdeführers (Festsetzung auf 0,00 EUR und Rückforderung) abgelehnt. Zwar sei der Entschädigungsanspruch des Beschwerdegegners bei Eingang seines Antrags bereits erloschen gewesen und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme nicht in Betracht. Er könne sich jedoch auch vor Eintritt der Verjährung auf Verwirkung berufen. Besondere Umstände für einen Vertrauensschutz hätten aufgrund des Telefongesprächs vom 17. Juni 2002 und der wenige Tage später durchgeführten Zahlung bestanden. Das Vertrauen sei noch durch seine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung im Herbst 2002 verstärkt worden. Die Rückforderung mehr als ein Jahr nach Eingang des Entschädigungsantrags sei als unzulässige Rechtsausübung zu bewerten.
Dagegen hat der Beschwerdeführer am 23. März 2005 Beschwerde eingelegt und zur Begründung u.a. ausgeführt, die Annahme eines Vertrauensschutzes würde künftige Prüfungen der Kostenansätze "ins Leere laufen" lassen.
Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts M. vom 31. Januar 2005 aufzuheben und die Entschädigung anlässlich der Begutachtung vom 24. und 25. Januar 2005 auf 0,00 EUR festzusetzen.
Der Beschwerdegegner beantragt sinngemäß,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er wertet es als "Verfolgung", dass der Beschwerdeführer versuche, ihm als Erwerbsunfähigkeitsrentner unter Zuhilfenahme mehrerer Instanzen einen beträchtlichen Teil seines Einkommens "abzujagen". Seine finanziellen Verhältnisse (Renteneinkommen 625,00 EUR/Monat) hätten sich nur unwesentlich verbessert.
Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung vom 29. März 2005) und sie dem Thüringer Landessozialgericht vorgelegt.
II.
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers ist der Beschluss des Sozialgerichts M. vom 31. Januar 2005 aufzuheben und die Entschädigung für die Wahrnehmung der Untersuchungstermine vom 24. und 25. Januar 2002 auf 0,00 EUR festzusetzen. Der Beschwerdegegner ist verpflichtet, den ausgezahlten Betrag (114,44 EUR) zurückzuzahlen.
Die Beschwerde ist zulässig, denn der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt 50,00 EUR (§ 16 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZuSEG)).
Die Beschwerde ist auch begründet.
Nach § 15 Abs. 1 ZuSEG werden Zeugen und Sachverständige auf Verlangen entschädigt. Verlangt der Zeuge nicht binnen drei Monaten nach Beendigung der Zuziehung Entschädigung bei dem zuständigen Gericht, so erlischt der Anspruch (§ 15 Abs. 2 Alt. 1 ZuSEG). Nach § 191 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) werden auf Antrag allen Beteiligten bare Auslagen und Zeitverlust wie einem Zeugen vergütet, wenn das persönliche Erscheinen angeordnet worden ist. Diese Vorschrift gilt auch für eine Ladung zur Untersuchung durch einen Sachverständigen, wenn dieser - wie hier - eine gerichtliche Anordnung zugrunde liegt (vgl. u.a. Senatsbeschlüsse vom 1. Oktober 2003 - Az.: L 6 SF 382/03, 5. April 2000 - Az.: L 6 B 2/00 SF und 8. Februar 2000 - Az.: L 6 B 60/99 SF; Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 7. Auflage 2002, § 191 Rdnr. 2).
Der Entschädigungsanspruch des Beschwerdegegners war zum Zeitpunkt des Eingangs beim Sozialgericht M. (26. April 2002) erloschen. Die 3-Monats-Frist des § 15 Abs. 2 ZuSEG, auf die der Beschwerdegegner im vom Sozialgericht übersandten Formularantrag ausdrücklich hingewiesen worden war, beginnt mit der Beendigung der Zuziehung. Dies ist bei einer Untersuchung durch einen Sachverständigen die Entlassung (vgl. Senatsbeschlüsse vom 16. Februar 2000 - Az.: L 6 SF 607/99 und vom 17. Januar 2000 - Az.: L 6 B 72/99 SF, Meyer-Ladewig, a.a.O., § 191 Rdnr. 8). Der Senat kann dahingestellt lassen, ob für jeden Entschädigungsanspruch der zeitlich getrennten ambulanten Untersuchungen eine besondere Frist gelaufen ist (so Senatsbeschluss vom 17. Januar 2000, a.a.O.) oder ob eine einheitliche Frist mit der Entlassung der letzten Untersuchung begann (so die Vorinstanz), denn auch diese war am 26. April 2002 abgelaufen.
Der Eingang des Antrags bei der unzuständigen LVA T. konnte die Frist nicht wahren. Unerheblich ist, ob diese Behörde den Antrag zu einem früheren Zeitpunkt hätte weiterleiten können, denn dies wäre nur bei einer Prüfung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand relevant, die bei der Ausschlussfrist des § 15 Abs. 2 ZuSEG aber nicht in Betracht kommt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 17. Januar 2000, a.a.O., 19. Oktober 1999 - Az.: L 6 SF 89/99; Meyer-Ladewig, a.a.O., § 191 Rdnr. 9, Hartmann in Kostengesetze, 32. Auflage 2003, § 15 ZSEG Rdnr. 6). Gleiches gilt für die vom Beschwerdegegner vorgetragenen gesundheitlichen Einschränkungen. Der Senat weist zur Vollständigkeit aber ausdrücklich darauf hin, dass den vorliegenden medizinischen Unterlagen (u.a. Gutachten der Prof. Dr. A. vom 4. März 2002 und Reha-Entlassungsbericht vom 15. Januar 2003) keine ausreichenden Anhaltspunkte entnommen werden können, dass der Beschwerdegegner außerstande oder auch nur wesentlich eingeschränkt war, den Antrag rechtzeitig beim zuständigen Sozialgericht einzureichen.
Der Rückzahlungsanspruch ist auch nicht verjährt, denn die Verjährungsfrist (§ 15 Abs. 5 ZuSEG a.F. i.V.m. § 10 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes)GKG): zwei Jahre; ab 1. Januar 2002 nach § 15 Abs. 6 ZuSEG: vier Jahre) war zum Zeitpunkt der Rückforderung am 27. Mai 2003 nicht abgelaufen. Er entstand bei § 15 Abs. 5 ZuSEG a.F. bereits mit der Auszahlung der Entschädigung (vgl. Senatsbeschlüsse vom 1. Oktober 2003, a.a.O. und 1. August 2003 - Az.: L 6 SF 220/03, KG Berlin vom 6. Mai 2003 - Az.: 1 W 239/02 m.w.N., nach juris, OLG München vom 4. Mai 1999 - Az.: 11 W 1383/99). Berechnung und Auszahlung stehen im Übrigen grundsätzlich unter dem Vorbehalt einer anderweitigen Festsetzung durch das Gericht nach § 16 ZuSEG.
Angesichts der normierten Verjährungsfrist kommt eine zusätzliche Fristverkürzung aus Vertrauensgesichtspunkten nicht in Betracht (vgl. Senatsbeschluss vom 1. Oktober 2003, a.a.O., KG Berlin vom 6. Mai 2003, a.a.O., Meyer/Höver/Bach, Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen, 22. Auflage 2002, § 15 Rdnr. 15.3, Meyer-Ladewig, a.a.O., § 191 Rdnr. 9).
Im Übrigen liegen auch die Voraussetzungen eines Vertrauensschutzes infolge Verwirkung, den die Vorinstanz unter Hinweis auf einen Beschluss des OLG Köln vom 1. Juli 1998 (Az.: 17 W 129/98 in: JurBüro 1999, 320) vertreten hat, nicht vor. Dieses Rechtsinstitut wird aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleitet (§ 242 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB)). Dem Inhaber eines Rechts wird danach seine Ausübung versagt, wenn er über einen längeren Zeitraum hinweg von diesem keinen Gebrauch gemacht und dadurch bei der Gegenseite den Eindruck erweckt, mit der Inanspruchnahme des Rechts werde nicht mehr zu rechnen sein (vgl. Roth in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 3. Auflage 1994, § 242 Rdnr. 360). Zusätzlich zu dem Zeitmoment sind also weitere Umstände und zwar durch ein Verhalten der Staatskasse (vgl. KG Berlin vom 6. Mai 2003, a.a.O.; wohl auch OLG Köln vom 1. Juli 1998, a.a.O.) erforderlich, die bei einer Gesamtbeurteilung der Interessenlage die einschneidende Folge der Verwirkung rechtfertigen (vgl. Roth in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, a.a.O., § 242 Rdnr. 365).
Anhaltspunkte dafür, dass die Staatskasse bei dem Beschwerdegegner den Eindruck erweckt hat, es verbleibe bei der Auszahlung, sind nicht ersichtlich. Weder das Telefongespräch vom 17. Juni 2002 noch die bei einer Rückforderung zwangsläufig vorliegende Auszahlung bieten hierfür greifbare Ansatzpunkte. Sie können auch nicht aus der Teilnahme des Beschwerdegegners an der Sitzung des Sozialgerichts hergeleitet werden, denn bei ihr war kein Vertreter der Staatskasse anwesend. Es wurde weder von dem Beschwerdegegner vorgetragen noch ist aus der Niederschrift ersichtlich, dass die Kostenerstattung Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen war. Im Übrigen wäre der Kammervorsitzende zu entsprechenden Erklärungen auch nicht zuständig gewesen.
Auf einen Verbrauch des zugeflossenen Geldes und die finanziellen Verhältnisse des Beschwerdegegners kommt es nicht an.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG, § 116 Abs. 2 Satz 3 ZuSEG).