Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 5 KR 530/14 B - Beschluss vom 06.11.2014
Das Arzneimittel Antabus war aufgrund der für die Bundesrepublik Deutschland vorgeschriebenen arzneimittelrechtlichen Prüfung bis 2011 in Deutschland zugelassen, besitzt derzeit aber keine Zulassung in Deutschland mehr und auch keine europarechtliche Anerkennung. Damit stellen sich die Fragen, ob die Rückgabe der Zulassung tatsächlich den Wirksamkeitsnachweis auch in dem Sinne entfallen lässt, dass eine Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr möglich ist, und ob nicht wegen der seinerzeit bei der Zulassung gewonnenen Erkenntnisse möglicherweise die Verordnung des Arzneimittels nach den Grundsätzen des "Off-Label-Use" in Betracht zu ziehen ist. Zur Klärung dieser Fragen ist dem Betroffenen, der die Verordnung von Antabus begehrt, Prozesskostenhilfe zu gewähren.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde des Klägers ist begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts zu Unrecht abgelehnt.
Nach § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Diese Voraussetzungen sind hier zu bejahen.
Die Klage, die auf die Versorgung mit dem in Deutschland nicht mehr zugelassenen Arzneimittel Antabus gerichtet ist, bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg. Hinreichende Erfolgsaussichten sind zu bejahen, wenn über schwierigere oder komplexere Rechtsfragen zu entscheiden ist (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 10. Aufl., § 73a Rdn. 7b m.w.N.). Zwar schließt eine nicht vorhandene arzneimittelrechtliche Zulassung einen Leistungsanspruch aus § 31 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) aus; ein in Deutschland nicht zugelassenes Arzneimittel darf trotz seiner Zulassung in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden, wenn es weder das zentrale noch das dezentrale europarechtliche Anerkennungsverfahren durchlaufen hat (vgl. BSG, Urteil vom 18.05.2004, Az.: B 1 KR 21/02 R). Indes liegt der Fall hier etwas anders: Zwar besitzt das streitgegenständliche Arzneimittel Antabus gegenwärtig keine Zulassung in Deutschland mehr und auch keine europarechtliche Anerkennung. Allerdings war dieses Arzneimittel bis Anfang 2011 in Deutschland zugelassen. Es hatte somit die für die Bundesrepublik Deutschland vorgeschriebene arzneimittelrechtliche Prüfung durchlaufen. Der Wirksamkeitsnachweis in diesem speziellen Zulassungsverfahren war somit erbracht. Anhaltspunkte dafür, dass die Zulassung für das Arzneimittel Antabus dem Hersteller durch die zuständige Behörde entzogen wurde, bestehen bisher nicht. Es stellt sich demnach die Frage, ob die Rückgabe der Zulassung tatsächlich den Wirksamkeitsnachweis auch in dem Sinne entfallen lässt, dass eine Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr möglich ist. Gerade auf den Umstand des erforderlichen Wirksamkeitsnachweises in einem speziellen Verfahren hatte das Bundessozialgericht abgestellt (vergl. Urteil vom 18.05.2004, B 1 KR 21/02 R; Urteil vom 27.03.2007, B 1 KR 30/06 R). Es ist deshalb zu erwägen, ob wegen der seinerzeit bei der Zulassung gewonnenen Erkenntnisse möglicherweise die Verordnung des Arzneimittels Antabus nach den Grundsätzen des "Off-Label-Use" (vergl. BSG, Urteil vom 08.11.2011, B 1 KR 19/10 R) in Betracht zu ziehen ist.
Es handelt sich somit um die Beantwortung einer schwierigeren und komplexeren Rechtsfrage, in deren Zusammenhang auch weitere Sachverhaltsermittlungen notwendig werden können. Der Senat ist deshalb der Auffassung, dass die Erfolgsaussichten der Klage nicht bereits abschließend in einem Prozesskostenhilfeverfahren, sondern vielmehr im Hauptsacheverfahren zu klären sind.
Der Kläger, der Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bezieht, ist auch bedürftig i.S.d. Gesetzes.
Anhaltspunkte dafür, dass die Rechtsverfolgung mutwillig erscheinen könnte, sind nicht erkennbar.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).