Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Erstattung von Fahrkosten in Anspruch.

Die am 14.01.1985 geborene Klägerin war bis zum 31.12.2009 bei der BKK vor Ort und ist seit dem 01.01.2010 bei der beklagten Ersatzkasse gegen das Risiko Krankheit versichert. Am 13.12.2009 wurde ihre Tochter geboren. Es handelte sich um eine Frühgeburt in der 25. Schwangerschaftswoche. Das Geburtsgewicht belief sich auf 775 Gramm. Die Tochter der Klägerin wurde zunächst bis zum 08.03.2010 intensivmedizinisch und in der Zeit vom 08.03.2010 bis 01.04.2010 pädiatrisch in der Kinderklinik des Krankenhauses I. behandelt.

Für die Zeit vom 13.12.2010 bis 31.12.2010 erstattete die BKK der Klägerin für tägliche Fahrten der Klägerin zur Tochter einen Betrag in Höhe von 96,00 Euro. Grundlage hierfür war eine Bescheinigung des Krankenhauses I. vom 30.12.2009. Dort wurde u.a. ausgeführt: "Bei den täglichen Besuchen der Eltern wird Muttermilch gebracht, was zum Wohle und für die Entwicklung des Kindes von großer Bedeutung und aus medizinischer Sicht wünschenswert ist".

Mit Schreiben vom 10.02.2010 wandte sich die Klägerin an die Beklagte und teilte mit, dass sie für die seit dem 01.01.2010 durchgeführten täglichen Fahrten auf die Erstattung der hierfür entstandenen Kosten warte. Die Beklagte lehnte eine Kostenerstattung ab und führte hierzu aus: Fahrkosten, die während stationärer Behandlung anfielen, seien als allgemeine Krankenhausleistungen anzusehen und dürften neben den Pflegesätzen nicht übernommen werden. Hierzu zählten die Kosten für den Transport von Muttermilch zu dem kranken, stationär behandelten Säugling sowie Fahrkosten der Mutter, um den Säugling im Krankenhaus zu stillen.

Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, dass ihre Mitaufnahme aus organisatorischen Gründen nicht möglich gewesen sei. Daher sei die Beklagte zur Sicherung des Behandlungserfolges verpflichtet, jedenfalls die täglichen Fahrkosten zur Klinik zu übernehmen.

Das Krankenhaus I. teilte in einer von der Beklagten veranlassten Stellungnahme vom 19.05.2010 mit, dass die tägliche Gabe von Muttermilch die Ernährung der Tochter der Klägerin erleichtert habe und daher medizinisch wünschenswert gewesen sei. Eine medizinische Notwendigkeit für die stationäre Mitaufnahme der Klägerin habe nicht bestanden.

Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie führte im Wesentlichen aus, dass die Voraussetzungen der für eine Übernahme von Fahrkosten in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des § 60 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) hier nicht erfüllt seien. Die Klägerin könne sich auch nicht darauf berufen, dass die BKK vor dem Kassenwechsel bereits Fahrkosten erstattet habe. Ebenso wenig könne sie darauf abstellen, dass aufgrund der täglichen Fahrten Kosten für eine stationäre Mitaufnahme erspart worden seien. Denn hierfür habe, wie dem Bericht vom 19.05.2010 zu entnehmen sei, keine medizinische Notwendigkeit bestanden (Widerspruchsbescheid vom 29.07.2010).

Mit der Klage hat die Klägerin an ihrer im Widerspruchsverfahren vertretenen Auffassung festgehalten und vorgetragen: Der körperliche Kontakt eines frühgeborenen Kindes zur Mutter und die Gabe von Muttermilch trügen dazu bei, den Klinikaufenthalt zu verkürzen. Ein Anspruch auf Kostenerstattung folge aus einer analogen Anwendung des § 60 Abs. 2 Nr. 4 SGB V. Denn es handele sich um Fahrkosten, die aufgrund einer notwendigen Behandlung entstanden seien. Der Unterschied liege lediglich darin, dass nicht der Patient zur Behandlung fahren müsse, sondern dass "die Behandlung zum Patienten fahre".

Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.10.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2010 zu verurteilen, an sie 1.296,00 Eu-ro zu zahlen.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat sich auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides gestützt.

Durch Urteil vom 27.05.2011 hat das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen. Auf den Inhalt der Entscheidung wird Bezug genommen.

Gegen das ihr am 17.06.2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 18.07.2011 Berufung eingelegt.

Sie bezieht sich auf ihr bisheriges Vorbringen und macht ferner geltend: Die Überlebenschancen eines sog. Frühchens seien deutlich geringer, wenn es nicht täglich Muttermilch erhalte. Hinzu komme die psychologische Notwendigkeit täglicher Besuche, da die tägliche Betreuung durch die leiblichen Eltern von elementarer Bedeutung für dessen weitere körperliche und seelische Entwicklung sei. Wenn jedoch bereits die medizinische Notwendigkeit für eine stationäre Mitaufnahme bestanden habe, so sei erst recht der Anspruch auf Erstattung von Fahrkosten begründet.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 27.05.2011 zu ändern und nach dem Klageantrag zu erkennen,

hilfsweise,

durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens feststellen zu lassen, dass die Gabe der Muttermilch medizinisch notwendig war.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Weiterer Einzelheiten wegen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte.

 

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 1296,00 Euro. Insofern wird die Klägerin durch den angefochtenen Bescheid vom 22.10.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2010 nicht i.S.d. § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert.

Als Anspruchsgrundlage eines Erstattungsanspruchs kommt hier nur § 60 SGB V in Betracht. Zwar stellen auch Krankentransport- und Krankenfahrten dem Grunde nach Naturalleistungen der GKV dar (vgl. BSG SozR 4-2500, § 60 Nr. 2). Für Fahrten jedoch, die einer Krankenkasse bei wirklichkeitsnaher Betrachtung von vornherein nicht als "eigene" bzw. eigenorganisierte Naturalleistungen zugerechnet werden können - z.B. Fahrten des Versicherten im privaten Pkw - kann dies indessen nicht gleichermaßen gelten. Hat der Versicherte nach - als Anspruchsvoraussetzung von § 60 Abs. 1 Satz 3 SGB V ohnehin verlangter - "vorheriger Genehmigung" der Krankenkasse bereits Kosten für eigeninitiierte und durchgeführte Fahrten aufgewandt, erschiene die Annahme einer gleichwohl stattfindenden Naturalleistungsgewährung der Krankenkasse gekünstelt. In derartigen Fällen ist mithin schon der Anspruch aus § 60 SGB V selbst auf Erstattung der Kosten gerichtet und ein Rückgriff auf die Regelungen über die naturalleistungsersetzende Kostenerstattung (§ 13 Abs. 3 SGB V) entbehrlich (vgl. BSG SozR 4-2500 § 60 Nr. 5 sowie Senat, Urteil v. 22.09.2011 - L 5 KR 387/11).

§ 60 SGB V setzt im Allgemeinen dafür, dass Krankenkassen Fahrten Versicherter übernehmen, durch die bewusst abschließende Regelung voraus, dass der Versicherte transportiert wird und der Transport einer bestimmten Hauptleistung seiner Krankenkasse dient. § 60 Abs. 1 Satz 1 SGB V verlangt für die Fälle des § 60 Abs. 1 bis 3 SGB V zusätzlich, dass der Transport aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig ist. Die Norm regelt die allgemeinen Voraussetzungen für die Übernahme der Fahrkosten und dabei die notwendige Abhängigkeit der Fahrt von einer Hauptleistung. Danach übernimmt die Krankenkasse nach den Abs. 2 und 3 die Kosten für Fahrten einschließlich der Transporte nach § 133 SGB V (Fahrkosten), wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig sind. Welches Fahrzeug benutzt werden kann, richtet sich nach der medizinischen Notwendigkeit im Einzelfall (§ 60 Abs. 1 Satz 2 SGB V). § 60 SGB V benennt abschließend die Hauptleistungen, für die eine Fahrt des Versicherten aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig sein muss. Die Regelung über die Höhe der zu übernehmenden Fahrkosten in § 60 Abs. 3 SGB V knüpft an die "Benutzung" des jeweiligen Transportmittels an. Wer ein Fahrzeug nicht benutzt, mithin von ihm gar nicht gefahren wird, kann keine Erstattung von Fahrkosten verlangen (vgl. BSG SozR 4-2500 § 60 Nr. 2).

Nach Maßgabe dieser Voraussetzungen kommt hier ein Erstattungsanspruch nicht in Betracht, weil es sich bei den für die Entstehung der Kosten ursächlichen Fahrten der Klägerin nicht um Leistungen handelt, die die Krankenkassen den Versicherten als Dienstleistung zu erbringen haben. Insofern hat das SG zutreffend darauf verwiesen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Nr. 1 bis 4, Abs. 5 SGB V hier nicht erfüllt sind. Abgesehen davon hat die Klägerin selber keine der in § 60 Abs. 2 Nr. 1 bis 4, Abs. 5 SGB V genannten Hauptleistungen der Krankenkasse in Anspruch genommen. Zwar musste sich die Tochter der Klägerin als Frühchen stationärer - und in diesem Rahmen vor allem intensivmedizinischer - Krankenhausbehandlung unterziehen. Für sie wurden jedoch keine Krankentransporte oder Krankenfahrten erforderlich.

Eine entsprechende Anwendung des § 60 Abs. 2 Nr. 4 SGB V muss schon deshalb ausscheiden, weil eine Regelungslücke nicht gegeben ist. Der Gesetzgeber hat sich mit der Einführung des SGB V durch das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung (GRG) vom 20.12.1988 (BGBl. I S, 2477) ganz bewusst für eine Reduzierung von Krankenfahrten entschieden. Begründet hat er dies im Wesentlichen mit der finanziell nicht mehr vertretbaren Höhe der Ausgaben der Krankenkassen begründet (vgl. FraktEntw-GRG, BT-Drucks 11/2237, S. 186; Baier in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung - Pflegeversicherung, § 60 Rdn. 2). Dementsprechend benennt § 60 SGB V abschließend die Hauptleistungen, für die eine Fahrt des Versicherten aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig sein muss (BSG SozR 4-2500 § 60 Nr. 2, juris Rdn. 13). Angesichts dessen kann ein Anspruch auf Fahrkostenerstattung auch nicht im Wege des "Erst-Recht-Schlusses" aus § 11 Abs. 3 SGB V abgeleitet werden.

Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Klägerin entgegen ihrer im Klage- und Berufungsverfahren vertretenen Auffassung durch die Gabe von Muttermilch keine Leistung der Krankenbehandlung i.S.d. § 27 Abs. 1 SGB V erbracht hat und keine zugelassene Leistungserbringerin ist, so dass sich auch vor diesem Hintergrund nicht das Erfordernis einer entsprechenden Anwendbarkeit des § 60 Abs. 2 Nr. 4 SGB V stellt.

Überdies ist auch die zwingende medizinische Erforderlichkeit der Gabe von Muttermilch hier nicht festzustellen. Denn die die Tochter der Klägerin behandelnden Ärzte des Krankenhauses I. haben in ihren Berichten vom 30.12.2009, 19.05.2010 und 20.10.2010 zwar ausgeführt, dass die täglichen Besuche der Klägerin zum Wohle und für die Entwicklung der Tochter sowie für deren Genesung von großer Bedeutung und aus medizinischer Sicht wünschenswert gewesen seien. Dass die Ernährung der Tochter oder deren Behandlung nur durch die Gabe von Muttermilch möglich war und insofern ein unabweisbarer Bedarf bestanden hat, haben die behandelnden Ärzte jedoch gerade nicht dargelegt.

Dem von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung (hilfsweise) gestellten Beweisantrag musste der Senat nicht nachgehen. Die Frage, ob "die Gabe der Muttermilch medizinisch notwendig war", ist eine Rechtsfrage und somit dem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich. Im Rahmen des Sachverständigenbeweises darf dem Sachverständigen nicht die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs "medizinische Notwendigkeit" auferlegt werden. Dies ist allein Sache der Gerichte (vgl. BSGE 100, 164 = SozR 4-2500 § 39 Nr. 12, juris Rdn. 37).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Anlass, die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).