Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 5 KR 301/13 B ER - Beschluss vom 12.08.2013
LDL-Apheresen können durchgeführt werden bei Patienten mit isolierter Lipoprotein (a)-Erhöhung über 60 mg/dl und LDL-Cholesterin im Normbereich sowie gleichzeitig klinisch und durch bildgebende Verfahren dokumentierter progredienter kardiovaskulärer Erkrankung (koronare Herzerkrankung, periphere arterielle Verschlusskrankheit, zerebrovaskuläre Erkrankungen). Lässt sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die für eine Gewährung der Apherese erforderliche Progression nicht ausschließen, ist bei Hochrisikopatienten zur Abwehr lebensbedrohlicher Zustände die LDL-Apheresen als Sachleistung zumindest für einen bestimmten Zeitraum zu gewähren.
Gründe:
I.
Der Antragsteller nimmt die Antragsgegnerin auf Gewährung von LDL-Apheresen als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Anspruch.
Der 1956 geborene Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin gegen das Risiko Krankheit versichert. Er leidet unter einer koronaren 3-Gefäßerkrankung mit signifikanter Hauptstammstenose und Verschluss der RCA mit Zustand nach aortenkoronarer Bypass-OP am 06.07.2009, arteriosklerotischer Plaque im Bereich der Arteria Carotis communis beidseitig, einer kombinierten Fettstoffwechselstörung mit erheblicher Lipoprotein(a)-Erhöhung, einer Unverträglichkeit gegenüber Niaspan (Transaminasenerhöhung), einer beginnenden zentralen, extracraniellen arteriellen Verschlusskrankheit (derzeit keine relevanten Stenosen), einer arteriellen Hypertonie sowie unter schwerer Hypercholesterinämie. Der bei dem Antragsteller zunächst erhöhte Spiegel des LDL-Cholesterins konnte zwischenzeitlich in den therapeutischen Bereich gesenkt werden.
Einen vom Antragsteller im Frühjahr 2012 gestellten Antrag auf Gewährung einer Apherese-Behandlung hatte die Antragsgegnerin (mündlich) abgelehnt, nachdem die bei der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) eingerichtete Sachverständigenkommission Apherese in einer Stellungnahme vom 15.05.2012 im Wesentlichen mitgeteilt hatte, dass es sich um einen LDL-Apherese-Fall mit einem erhöhten Lipoprotein (a)-Risiko handele und sie deshalb den Nachweis einer 12-monatigen intensiven konservativen Therapie sowie eine Therapieversuch mit Tredaptive fordere.
Im September 2012 stellte der Antragsteller einen weiteren Leistungsantrag. Die daraufhin eingeschaltete Sachverständigenkommission Apherese führte in einer Stellungnahme vom 27.11.2012 aus, dass nach dortiger Auffassung keine Progression der Koronaren Herzkrankheit (KHK) und der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit belegt sei. Die Carotis-Veränderungen seien hämodynamisch nicht relevant, insofern bestehe nach der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung (MVV-RL) des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) keine Indikation zur Aufnahme einer Lipoprotein (a)-Apherese-Therapie.
Am 18.12.2012 hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, den die Antragsgegnerin als Widerspruch angesehen und diesen sodann zurückgewiesen hat (Widerspruchsbescheid vom 27.02.2013 - Klageverfahren anhängig unter S 17 KR 76/13).
Der Antragsteller hat im Wesentlichen vorgetragen: Alternativen zu einer Apherese-Behandlung existierten bei der hier vorhandenen Lipoprotein (a)-Erhöhung nicht. Auch der von Anl. 1 § 3 Abs. 2 MVV-RL geforderte Nachweis einer Progression der kardiovaskulären Erkrankung sei geführt. Das ergebe sich bereits aus dem Umstand, dass er sich im Jahr 2009 einer aortenkoronaren Bypass-OP habe unterziehen müssen. Anl. 1 § 3 Abs. 2 der MVV-RL fordere entgegen der von der Antragsgegnerin vertretenen Auffassung nicht, dass zur Gewährung von Apherese-Behandlungen ein immer wieder neu zu definierender - sukzessiver - Progress dokumentiert werden müsse.
Die den Antragsteller behandelnde Internistin Dr. L. hat in einem Bericht vom 12.12.2012 u.a. mitgeteilt: Unter konservativer Therapie habe das LDL-Cholesterin ausreichend abgesenkt werden können. Dies sei allerdings hinsichtlich des Lipoproteins (a) nicht möglich gewesen. Die kardiologischen, nichtinvasiven Kontrolluntersuchungen hätten keine Progredienz der bestehenden KHK gezeigt. Eine invasive Kontrolle der koronaren Plaques mittels Koronarangiographie sei zuletzt 2010 durchgeführt worden. Die aktuelle Duplexuntersuchung der hirnversorgenden Gefäße habe beidseits arteriosklerotische Plaques und eine Intima-Media-Dicke von 1,0 mm gezeigt. Von einer Progredienz der Arteriosklerose sei auszugehen. Bei dem Antragsteller handele es sich um einen Hochrisikopatienten. Das Fortschreiten der Arteriosklerose unter der aktuellen Konstellation bedeute ein erhöhtes Risiko, einen lebensbedrohlichen Zustand wie einen akuten Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden.
Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) hat in einer nach Aktenlage verfassten Stellungnahme vom 28.12.2012 ausgeführt, dass das Risiko für Tod oder Myokardinfarkt im nächsten Jahr bei einer Wahrscheinlichkeit von 2,5 % bis 5 % aufgrund der Grunderkrankung des Antragstellers insgesamt erhöht sei, sich jedoch daraus keine notstandsähnliche Situation herleiten lasse. In einer weiteren Stellungnahme vom 26.02.2013 hat der MDK u.a. dargelegt, dass der GBA zwar mit Beschluss vom 19.06.2008 die Apherese-Behandlung bei isolierter Lipoprotein (a)-Erhöhung in die vertragsärztliche Versorgung aufgenommen, jedoch gleichzeitig bemängelt habe, dass trotz jahrelangen Einsatzes keinerlei Studien existierten, aus denen ein eindeutiger patientenrelevanter Nutzen abgeleitet werden könne. Eine zunächst geplante randomisierte Studie sei aufgrund des negativen Votums der zuständigen Ethikkommission nicht durchgeführt worden. Insoweit bestehe die eher unkomfortable Situation, dass eine aufwändige Therapie ohne gesicherten Nutzen im Sachleistungssystem verankert sei. Daher erhebe sich umso dringlicher die Forderung, dass die in Anl. 1 § 3 Abs. 2 der MVV-RL geregelten Voraussetzungen erfüllt würden. Ohne Zweifel seien beim Antragsteller deutlich erhöhte Lipoprotein (a)-Werte dokumentiert. Die in der MVV-RL geforderte klinische Progredienz sei jedoch nicht erkennbar. Hingegen sei wiederum der Progress der kardiovaskulären Erkrankungen durch bildgebende Verfahren belegt.
In einem vom SG eingeholten Befundbericht hat Dr. L. unter dem 06.03.2013 ausgeführt, dass sie dem Gutachten des MDK vom 28.12.2012 sachlich zustimme. Allerdings sei das Gutachten in keinem Fall auf eine Progredienz der Gefäßveränderungen, z.B. im Bereich der Halsschlagadern, eingegangen, da es sich nur auf die KHK beziehe. Diese werde anhand nichtinvasiver Untersuchungstechniken eingeschätzt. Eine Progredienz der Arteriosklerose im Bereich der Herzkranzgefäße und im Bereich der hirnversorgenden Arterien sei stumm, solle jedoch stratifiziert werden. Die letzte gefäßchirurgische Untersuchung sei am 12.06.2012 durchgeführt worden.
Durch Beschluss vom 19.04.2013 hat das SG den Antrag abgelehnt. Das originäre Krankheitsbild des Antragstellers spreche zwar für die Annahme der Notwendigkeit einer LDL Apherese. Es fehle jedoch bislang auch nach den Aussagen der behandelnden Ärzte an einer eindeutigen Progredienz der KHK und damit an einem solchen Gesamt-Risikoprofil. Darüber hinaus sei eine Eilbedürftigkeit nicht erkennbar. Wie Dr. L. in ihrem Befundbericht vom 06.03.2013 mitgeteilt habe, sei die Progredienz der Arteriosklerose "stumm". Zwar sei die schwere Beeinträchtigung des Antragstellers nicht zu übersehen. Gleichwohl seien keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass ihm das Abwarten der Entscheidung der Hauptsache unzumutbar sei.
Gegen den ihm am 19.04.2013 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 11.05.2013 Beschwerde eingelegt.
Er hält an seiner erstinstanzlich vertretenen Auffassung fest und macht geltend: Apherese-Behandlungen seien ihm jedenfalls im Rahmen einer Folgenabwägung zu bewilligen. Außerdem hätten im April und Mai 2013 durchgeführte kardiologische und sonographische Untersuchungen neue Hinweise auf einen progredienten Prozess ergeben. Im Übrigen halte er daran fest, dass bereits seit dem Jahr 2009 eine Progredienz bestehe. Eine "nochmalige" Progredienz fordere auch der GBA in der MVV-RL gerade nicht, weil dort kein entsprechendes Zeitfenster geregelt werde.
Der Antragsteller beantragt schriftsätzlich,
den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen, AZ: S 41 KR 473/12, aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm die Kostenübernahme der regelmäßigen extrakorporalen Lipid-Apherese-Therapie mit sofortiger Wirkung für ein Jahr zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt schriftsätzlich,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss.
Der Kardiologe Dr. F. hat in einem vom Antragsteller vorgelegten Bericht vom 24.04.2013 über eine am selben Tag durchgeführte kardiologische Untersuchung (Ruhe-EKG, Belastungs-EKG, Echokardiographie) ausgeführt: Das Belastungs-EKG habe bei einer Belastung bis 150 Watt wegen Angina Pectoris beendet werden müssen. Objektivierbare Hinweise auf eine Bypass-Dysfunktion bzw. eine Progression der KHK hätten sich in der Echokardiographie und im Elektrokardiogramm nicht finden lassen. Klinisch habe die Untersuchung jedoch wegen einer Angina Pectoris abgebrochen werden müssen, so dass letztlich eine Progression höchstwahrscheinlich sei. Bei progredienter Beschwerdesymptomatik müsse auch über eine neuerliche invasive Diagnostik nachgedacht werden. Die Blutdruckwerte seien unter definierter Fahrradbelastung auf dem Ergometer unauffällig gewesen. Zur Sekundärprophylaxe kardiovaskulärer Ereignisse solle das Gesamtcholesterin deutlich unter 160 mg/dl liegen, das LDL unter 70 mg/dl. Dabei sei eine cholesterinarme Ernährung Voraussetzung. Sollten diese Werte unter der bislang etablierten Behandlung nicht zu erreichen sein, solle die Therapie ausgeweitet werden. Eine suffiziente Therapie sei letztlich mit entsprechendem prognostischem Gewinn durch eine Lipid-Apherese möglich. In einem weiteren Bericht vom 27.05.2013 hat Dr. F. mitgeteilt, dass er die Indikation zur Lipid-Apherese bei gemischter Fettstoffwechselstörung und Lipoprotein (a)-Erhöhung im Sinne einer Sekundärprophylaxe sehe. Weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren bestünden nicht. In der Nachbefundung der Koronarangiographie vom 26.06.2009 (präoperativ) und vom 08.02.2010 (postoperativ) ergäben sich bereits Hinweise auf eine Progression. Er halte es für unvertretbar, dem Antragsteller die Kostenzusage zu verweigern und auf ein erneutes kardiovaskuläres Ereignis zu warten. Er halte es auch nicht für indiziert, nur für den weiteren Nachweis einer Progression (bei ohnehin schwerstgradiger KHK) eine erneute invasive Diagnostik durchzuführen.
Der MDK hat in einem von der Antragsgegnerin veranlassten Gutachten vom 26.06.2013 dargelegt: Dem Arztbrief des St. Marienhospitals Buer über die am 08.05.2013 durchgeführte Duplex-Sonographie sei zu entnehmen, dass die Intima-Media-Dicke 0,5 mm beidseitig betrage und insoweit durch diesen Befund ein Progress gerade nicht zu bestätigen sei. Im Gegenteil, die Intima-Media-Dicke habe abgenommen. Darüber hinaus seien in dem Arztbrief des Dr. F. vom 24.04.2013 ebenfalls keine neuen kardiologischen Leitsymptome berichtet worden, insbesondere keine verstärkte Angina Pectoris, keine vermehrte Dyspnoe und keine relevanten Herzrhythmusstörungen. Im BelastungsEKG sei nunmehr eine Belastung bis 150 Watt erreicht worden, wobei das Belastungs-EKG jedoch wegen thorakaler Beschwerden habe abgebrochen werden müssen. Pathologische EKG-Veränderungen hätten sich im Rahmen des Belastungs-EKG nicht gezeigt. Anlass zu einer weiterführenden invasiven Diagnostik sei nicht gesehen worden. Insoweit könne ein klinischer Progress nicht bestätigt werden. In der bildgebenden Diagnostik (echokardiographisch) habe bislang im Verlauf ein Progress - etwa durch neu aufgetretene Wandbewegungstörungen - nicht festgestellt werden können. Zwar habe Dr. F. in seinem Brief vom 27.05.2013 ausgeführt, dass sich in der Nachbefundung der Koronarangiographien vom 26.06.2009 bis 08.02.2010 "bereits Hinweise für eine Progression" ergeben hätten. Allerdings habe er nicht dargetan, worin diese Hinweise bestünden. Angesichts dessen lasse sich ein Progress in der bildgebenden Diagnostik ebenfalls nicht belegen. Offensichtlich habe sich das Krankheitsbild durch die konsequent erfolgreiche Therapie des LDL-Cholesterins stabilisiert.
Weiterer Einzelheiten wegen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte.
II.
Die Beschwerde ist insoweit begründet, als die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung vorläufig zu verpflichten war, dem Antragsteller LDL-Apheresen als Sachleistung der GKV für die Zeit ab Zustellung dieses Beschlusses bis zum 31.01.2014 zu gewähren. Soweit der Antragsteller LDL-Apheresen für die Dauer eines Jahres begehrt, sind Antrag und Beschwerde jedoch unbegründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) können einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen werden, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann erlassen werden, wenn glaubhaft gemacht wird (§ 86b Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 920 der Zivilprozessordnung - ZPO), dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und dass der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung, insbesondere bei Abwarten einer Entscheidung der Hauptsache, wesentliche - vor allem nicht wieder gutzumachende - Nachteile i.S.v. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG erleiden würde.
Die in tatsächlicher (Glaubhaftmachung) wie in rechtlicher Hinsicht (grundsätzlich summarische Prüfung) herabgesetzten Anforderungen für die Annahme eines Anordnungsanspruchs korrespondieren dabei mit dem Gewicht der glaubhaft zu machenden wesentlichen Nachteile. Drohen im Einzelfall ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers maßgeblich und umfassend bei der Abwägung zu berücksichtigen. Denn die Gerichte haben sich schützend und fördernd vor die Grundrechte zu stellen (vgl. BVerfG, Beschluss v. 12.05.2005 - 1 BvR 569/05, NVwZ 2005, 927, juris Rdn. 26; BVerfG SozR 4-2500 § 27 Nr. 17, juris Rdn. 16, BVerfG, Beschluss v. 26.02.2013 - 1 BvR 2045/12, NJW 2013, 1664, juris Rn. 15 jeweils m.w.N.). Bei positivem Ausgang bestimmt das Gericht nach freiem Ermessen, welche Anordnungen zur Erreichung des Zwecks erforderlich sind (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG i.V.m. § 938 Abs. 1 Zivilprozessordnung <ZPO>). Nach Maßgabe dieser Voraussetzungen war eine vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin auszusprechen.
Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen in der vertragsärztlichen Versorgung nur erbracht werden dürfen, wenn der GBA ihren diagnostischen oder therapeutischen Nutzen sowie ihre medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit in entsprechenden Richtlinien anerkannt hat (vgl. § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Die Gewährung von LDL-Apheresen bestimmt sich hier nach Maßgabe der in Anlage I Nr. 1 § 3 Abs. 2 der MVV-RL genannten Voraussetzungen. Danach können Apheresen durchgeführt werden bei Patienten mit isolierter Lipoprotein (a)-Erhöhung über 60 mg/dl und LDL-Cholesterin im Normbereich sowie gleichzeitig klinisch und durch bildgebende Verfahren dokumentierter progredienter kardiovaskulärer Erkrankung (koronare Herzerkrankung, periphere arterielle Verschlusskrankheit, zerebrovaskuläre Erkrankungen).
Wie sich den zahlreichen zu den Akten gereichten ärztlichen Berichten, Gutachten und Stellungnahmen entnehmen lässt, ist unstreitig, dass bei dem Antragsteller eine isolierte Lipoprotein(a)-Erhöhung von über 60 mg/dl (z.B. zwischen 94mg/dl und 129 mg/dl in der Zeit vom 30.05.2012 bis 31.07.2012) gegeben ist und dass er darüber hinaus bei im Normbereich liegendem LDL-Cholesterin unter einer koronaren 3-Gefäßerkrankung mit signifikanter Hauptstammstenose und Verschluss der RCA, einem Zustand nach aorten-koronarer Bypass-OP am 06.07.2009, arteriosklerotischer Plaque im Bereich der Arteria Carotis communis beidseitig sowie unter einer beginnenden zentralen, extracraniellen arteriellen Verschlusskrankheit (derzeit keine relevanten Stenosen) leidet.
Unter Berücksichtigung des gegenwärtigen Sach- und Streitstandes ist jedoch nicht abschließend geklärt, ob sich bei dem Antragsteller eine klinisch und durch bildgebende Verfahren dokumentierte progrediente kardiovaskuläre Erkrankung feststellen lässt. Der MDK hat zuletzt in seiner Stellungnahme vom 28.06.2013 mitgeteilt, dass zwar eine im kritischen Bereich liegende Protein (a)-Erhöhung bei einem LDL-Cholesterin im Normbereich vorliege, jedoch gleichzeitig die Auffassung vertreten, dass ein Progress der beim Antragsteller vorhandenen kardiovaskulären Erkrankung weder klinisch noch durch bildgebende Verfahren dokumentiert sei. Ähnlich hat sich Dr. L. in ihrem Bericht vom 06.03.2013 geäußert und ausgeführt, dass "eine Progredienz der Arteriosklerose im Bereich der Herzkranzgefäße und im Bereich der hirnversorgenden Arterien" stumm sei, allerdings der MDK in seinem Gutachten vom 28.12.2012 in keinem Fall auf eine Progredienz der Gefäßveränderungen, z.B. im Bereich der Halsschlagadern, eingegangen sei. Eine abweichende Auffassung hat Dr. L. in ihrem Bericht vom 06.05.2013 unter Zugrundelegung der von Dr. F. in seinem Bericht vom 24.04.2013 erhobenen Untersuchungsbefunde vertreten und mitgeteilt, dass unter dem Verdacht auf eine Bypass-Dysfunktion jetzt eine weitere invasive Diagnostik indiziert sei. Die neuen Befunde dokumentierten eine Progredienz von KHK und AVG bei Fortbestehen der Fettstoffwechselstörungen, die konservativ nicht ausreichend behandelt sei. Dr. F. hat wiederum in seinem Bericht vom 24.04.2013 vermerkt, dass sich zwar objektivierbare Hinweise auf eine Bypass-Dysfunktion bzw. Progression der KHK Echokardiographie und Elektrokardiogramm nicht gefunden hätten, jedoch vor dem Hintergrund des Abbruchs der Fahrradergometrie eine Progression höchstwahrscheinlich sei. In seinem Bericht vom 27.05.2013 hat Dr. F. schließlich ausgeführt, dass er die Indikation zur Lipid-Apherese im Sinne einer Sekundärprophylaxe sehe. In der Nachbefundung der Koronarangiographie vom 26.06.2009 (präoperativ) und vom 08.02.2010 (postoperativ) ergäben sich bereits Hinweise auf eine Progression. Wenngleich auch unter Zugrundelegung der von den behandelnden Ärzten getätigten Aussagen eine Progredienz der beim Antragsteller vorhandenen kardiovaskulären Erkrankung nicht durch klinische und bildgebende Verfahren nachgewiesen ist, lässt sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine Progression nicht schlechterdings ausschließen, zumal auch der MDK in seiner Stellungnahme vom 26.02.2013 noch davon ausgegangen war, dass ein Progress der kardiovaskulären Erkrankungen durch bildgebende Verfahren belegt sei (wovon er bekanntlich in seiner Stellungnahme vom 26.06.2013 allerdings wieder abgerückt ist).
Angesichts dieser sich widersprechenden medizinischen Einschätzungen sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache zumindest als offen zu bezeichnen.
Im Rahmen der nach alledem gebotenen Folgenabwägung ist der Senat zu der Auffassung gelangt, dass die Antragsgegnerin dem Antragsteller zur Abwehr lebensbedrohlicher Zustände (vgl. § 2 Abs. 1a SGB V) für die Zeit ab Zustellung des Beschlusses bis längstens 31.01.2014 LDL-Apheresen als Sachleistung zu gewähren hat. Dabei hat der Senat der Intensität des Grundrechtsbezuges - vor allem im Hinblick auf eine mögliche Verletzung der durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verankerten Garantie der körperlichen Unversehrtheit - maßgebliches Gewicht beigemessen. Zwar darf nicht übersehen werden, dass, wie der MDK in seinem Gutachten vom 26.06.2013 zutreffend ausgeführt hat, die LDL-Apherese bei Erhöhung des Lipoprotein (a)-Blutspiegels als anerkannte Behandlungsmethode in die MVV-RTL aufgenommen wurde, obwohl insofern keine randomisierte klinische Studie existiert, die den medizinischen Nutzen dieser Methode belegt (vgl. auch § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V) und allein die Erhöhung des Lipoprotein (a)-Spiegels für sich genommen keinen Krankheitswert aufweisen dürfte (vgl. "Tragende Gründe" zum Beschluss des GBA vom 19.06.2008, S. 5 - www.g-ba.de). Auf der anderen Seite gehört der Antragsteller aufgrund des bei ihm vorhandenen kardiovaskulären Krankheitsbildes - insoweit dürfte zwischen den Beteiligten Übereinstimmung bestehen - zum Kreis der sog. Hochrisikopatienten. Ergeht die beantragte einstweilige Anordnung nicht, ergibt sich im Rahmen der Hauptsache jedoch, dass der Anspruch begründet ist, wäre der Antragsteller jedenfalls bei Eintritt eines kardiovaskulären Ereignisses (z.B. Myokardinfarkt; Herzstillstand) in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt, ohne dass sich diese Grundrechtsverletzung wieder rückgängig machen ließe (vgl auch BVerfG, Beschluss v. 06.02.2007 - 1 BvR 3101/06, juris Rn. Rn. 22). Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass im Hinblick auf die Therapie der Lipoprotein (a)-Erhöhung keine realistischen Alternativen zur LDL-Apherese existieren dürften. Insbesondere kann der Kläger zur Senkung des Lipoprotein(a)-Blutspiegels nicht (mehr) auf die Behandlung mit Tredaptive verwiesen werden, da der pharmazeutische Unternehmer dieses Fertigarzneimittel am 21.01.2013 zurückgerufen hat (vgl. "Rote-Hand-Brief" vom 21.01.2013). Im Vergleich zu den - möglicherweise - eintretenden gravierenden gesundheitlichen Folgen sind demgegenüber die finanziellen Interessen der Antragsgegnerin nachrangig (vgl. auch LSG NRW, Beschluss v. 12.07.2012 - 11 SF 181/12 ER).
Der Senat hat die Wirkungen der einstweiligen Anordnung auf die Zeit bis zum 31.01.2014 begrenzt. Dieser Zeitraum erscheint ausreichend, um in der Hauptsache weitere Ermittlungen zur maßgeblichen Frage der Krankheitsprogredienz durchzuführen.
Der Senat hat von der Verpflichtung zur Stellung einer Sicherheitsleistung durch den Antragsteller (§ 86b Abs. 2 Satz 2 i.V.m. §§ 921 Satz 2, 108 ZPO) abgesehen. Eine solche Verpflichtung könnte sich angesichts des hier im Raum stehenden intensiven Grundrechtsbezugs auch vor dem Hintergrund eines grundsätzlich bestehenden Schadensersatzanspruchs der Antragsgegnerin im Falle des endgültigen Unterliegens des Antragstellers als unverhältnismäßig darstellen (vgl. BVerfG, Beschluss v. 03.12.1998 - 1 BvR 592/97, NVwZ1999, 638).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und trägt dem gegenseitigen Obsiegen und Unterliegen Rechnung.
Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).