Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 5 KR 125/09 - Urteil vom 22.04.2010
Der Umstand, dass eine Kosmetikerin möglicherweise über größere praktische Erfahrungen in der Epilation Transsexueller verfügen mag als Hautärzte, rechtfertigt es nicht, vom Arztvorbehalt abzuweichen.
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Gewährung einer Epilationsbehandlung des Gesichtshaarwuchses durch eine Kosmetikerin in Anspruch.
Die 1949 als Mann geborene Klägerin ist bei der Beklagten gegen das Risiko Krankheit versichert. Von ihrem Wahlrecht nach § 13 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) hat sie keinen Gebrauch gemacht. Bei der Klägerin liegt eine Mann-zu-Frau-Transsexualität vor. Seit dem Jahr 2007 findet eine gegengeschlechtliche Hormontherapie statt. Operative Maßnahmen zur Geschlechtsangleichung sind im Frühjahr 2009 vorgenommen worden. Eine Namensänderung ist ebenfalls erfolgt.
Im April 2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter Vorlage eines Gutachtens von Prof. Dr. F. aus April 2007 die Kostenübernahme für eine Epilationsbehandlung des Gesichts mittels Nadelepilation nach der Blend-Methode durch das Kosmetikstudio M., das auf die Behandlung von Transsexuellen spezialisiert ist. Laut beigefügtem Kostenvoranschlag vom 22.04.2007 ist eine geschätzte Stundenzahl von 200 Stunden bei einem Stundensatz von 60,00 EUR erforderlich. Weiterhin beigefügt war eine Bescheinigung der Hautärztin Dr. S. vom 15.06.2007. Dort wurde u.a. ausgeführt: Die Klägerin leide unter starkem Bartwuchs, der trotz sorgfältigem Rasieren deutlich sichtbar sei. Es liege ein Hirsutismus bei Transsexualität vor. Zur Verbesserung des bereits erreichten weiblichen Phänotyps sei eine Epilationsbehandlung hautärztlicherseits unbedingt zu befürworten.
Die Beklagte lehnte die Gewährung der beantragten Epilationsbehandlung ab. Hierzu führte sie im Wesentlichen aus: Der Anspruch auf Krankenbehandlung beziehe sich auf Behandlung durch Vertragsärzte. Die behandelnde Hautärztin habe telefonisch bestätigt, dass sie eine kassenärztliche Überweisung zur Mitbehandlung durch einen anderen Dermatologen mit entsprechender Praxisausstattung ausstellen könne. Die "Epilation durch Elektrokoagulation im Gesicht und an den Händen bei krankhaftem und entstellendem Haarwuchs" falle in den Bereich der vertragsärztlichen Versorgung und könne somit generell von einem Kassenarzt erbracht werden. Eine Kostenübernahme für die Behandlung durch die Kosmetikerin Frau M. sei dagegen nicht möglich. Überdies stelle die sogenannte Blend-Methode keine Kassenleistung dar. Beigefügt war eine von den Kassenärztlichen Vereinigungen Westfalen-Lippe und Nordrhein zusammengestellte Liste von Vertragsärzten, die grundsätzlich Epilationsbehandlungen durchführen (Bescheid vom 11.07.2007).
Mit dem Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass die Epilation nach der Blend-Methode für sie die effektivste und kostengünstigste Methode darstelle. Die Behandlung sei von einer Elektrologistin durchzuführen und nahezu schmerzfrei. Ihre Rückfragen hätten ergeben, dass Vertragsärzte in der Nähe ihres Wohnortes i.d.R. keine Nadelepilationen vornähmen. Soweit Ärzte diese überhaupt anböten, beschränke sich die Behandlungsdauer auf 10 Minuten, im günstigsten Fall auf 30 Minuten, wobei dieser Arzt in Bielefeld tätig sei. Auch sei kein Arzt bereit gewesen, die Behandlung auf den späten Abend oder den Samstag zu legen. Eine Garantie, dass keine Narben zurückblieben, habe kein Arzt geben können. Lege man die für die Kassenleistung aufzuwendenden Kosten nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) zugrunde, stelle sich das Angebot der Kosmetikerin M. letztlich auch als günstiger dar. Sie garantiere zudem, dass keine Narben zurückblieben. Schließlich sei die Behandlungsdauer deutlich kürzer zu veranschlagen, weil Frau M. Behandlungen über mehrere Stunden und auch abends sowie samstags anbiete, während sich die Nadelepilation bei einem Hautarzt über viele Jahre hinziehe. Da ihre Haut durch die Hormonbehandlung zunehmend dünner werde, komme es beim Rasieren immer wieder zu Verletzungen.
Die Klägerin legte eine Bescheinigung ihrer Psychotherapeutin D. vom 07.08.2007 vor, die ausführte: Um Rückfälle in depressive Zustände mit massiven Schlafstörungen zu vermeiden, sei es aus psychotherapeutischer Sicht notwendig, den Prozess der Angleichung des äußeren Erscheinungsbildes als Frau nicht zu verzögern, wobei gerade der Epilation im Gesicht eine entscheidende Bedeutung zukomme. In einem ebenfalls beigefügten Schreiben der Arbeitgeberin wurde mitgeteilt, dass eine Abwesenheit für die Epilationsbehandlung während der Arbeitszeit nicht in Betracht komme. Ferner legte die Klägerin eine Bescheinigung des Hautarztes Dr. S. vom 30.08.2007 vor. Dr. S. vertrat dort die Auffassung, dass er wegen der Großflächigkeit eine Nadelepilation für nicht möglich halte und empfahl eine Epilation mittels Alexandrit-Laser.
Nach weiteren Schriftwechsel wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte im Wesentlichen aus, dass die Epilationsbehandlung im Gesicht und an den Händen eine ärztliche Leistung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) darstelle. Demgegenüber sei Frau M. als Kosmetikerin nicht berechtigt, Patienten zu Lasten der GKV zu behandeln (Widerspruchsbescheid vom 30.01.2008).
Mit der Klage hat die Klägerin unter Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens vorgetragen: Da eine angemessene Behandlung durch Vertragsärzte nicht möglich sei, liege ein Systemversagen vor. Diese Versorgungslücke sei durch die Zustimmung zur Behandlung durch eine Kosmetikerin nach § 13 Abs. 2 Satz 7 SGB V zu schließen. Für sie gehe es darum, wie zu verfahren sei, wenn sich die Inanspruchnahme von zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzten einerseits nicht realisieren lasse, es aber andererseits qualifizierte Leistungserbringer gebe, die den Anspruch auf Epilation erfüllen können. Hierdurch sei eine gleichwertige und sogar bessere Versorgung gewährleistet. Im hier einschlägigen Behandlungsbereich verfüge die Kosmetikerin über fachspezifische Kenntnisse sowie über mehr Erfahrung und Übung als Dermatologen. Ihr sei zudem bekannt, dass die Beklagte in der Vergangenheit die Behandlungskosten durch das Kosmetikstudio M. für mehrere Versicherte übernommen habe. Insbesondere habe die Beklagte noch im Juni 2007 eine Kostenzusage für eine Epilationsbehandlung in einem Kosmetikstudio in Frankfurt erteilt. Gründe, von dieser Bewilligungspraxis in ihrem Falle abzuweichen, seien nicht erkennbar.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.07.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2008 zu verurteilen, bei ihr die Kosten einer Nadelepilation nach der Blend-Methode oder im Wege der Elektrokoagulation durch die Kosmetikerin Frau M. zu übernehmen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat sich auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides gestützt und vorgetragen: In Anbetracht der Rechtsprechung von BVerfG und BSG seien seit Ende 2005 keine Neufälle mehr für eine kosmetische Behandlung berücksichtigt worden.
Die Hautärztin S.-F. hat in einer von der Klägerin überreichten Stellungnahme vom 29.02.2008 u.a. ausgeführt, dass bei der Klägerin aufgrund des verstärkten Risikos einer Narbenbildung die Nadelepilation nicht in Betracht komme. Wegen der hellen Behaarung scheide auch eine Laserepilation aus. Es verbleibe lediglich der Versuch einer Behandlung mit Vaniqa.
Auf Anfrage des SG hat Frau M. bestätigt, dass sie derzeit drei Versicherte der Beklagten nach der Blend-Methode behandele und Abschriften der Kostenzusagen übersandt (Schreiben vom 07.05.2008).
In einer weiteren von der Klägerin beigebrachten Stellungnahme hat die Psychotherapeutin D. u.a. ausgeführt: Die Ungewissheit über die Fortsetzung und Finanzierung der Epilationsbehandlung bedeute für die Klägerin eine erhebliche Belastung, die wesentlich zu einem Rückfall in Depression, Erschöpfungszustand und Schlafstörungen beigetragen habe (Bericht vom 26.09.2008).
Der Hautarzt Dr. R. hat in einem von der Klägerin übersandten Bericht vom 30.09.2008 mitgeteilt, dass von einer Nadelepilation aufgrund des Risikos von Narbenbildungen abzuraten sei und ebenfalls die Behandlung mit Vaniqa empfohlen.
Durch Urteil vom 12.06.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung im Anschluss an die Rechtsprechung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (Urteil v. 27.01.2009 – L 11 KR 3126/08) im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Wie sich aus den entsprechenden Gebührenziffern des EBM ergebe, seien Nadelepilationen im Bereich des Gesichts und der Hände Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung. Auch wenn die Klägerin unter einer Erkrankung leide und es schwierig sei, einen geeigneten ärztlichen Behandler zu finden, komme unter Berücksichtigung des im Recht der GKV geltenden Arztvorbehalts eine Epilation in dem Kosmetikstudio M. nicht in Betracht. Abgesehen davon gehöre die Nadelepilation nach der Blend-Methode nicht zu den Leistungen, die die gesetzlichen Krankenkassen den Versicherten als Sachleistung zur Verfügung zu stellen habe. Eine Leistungsgewährung unter dem Gesichtspunkt einer sog. "Selbstbindung der Verwaltung" scheide bereits deshalb aus, weil kein Anspruch auf dauerhafte Fortsetzung einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis bestehe. Ein Verstoß gegen Grundrechte sei nicht gegeben.
Gegen das ihr am 22.06.2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 21.07.2009 Berufung eingelegt. Sie hält an ihrer erstinstanzlich vertretenen Rechtsauffassung fest und macht im Wesentlichen geltend: Nach wie vor sei davon auszugehen, dass ein Systemversagen vorliege, weil sich kein Arzt finden lasse, der bereit und in der Lage sei, die im EBM vorgesehene Leistung unter zumutbaren Bedingungen zu erfüllen. Abgesehen davon könne Frau M. aufgrund ihrer größeren Erfahrung garantieren, dass die Epilation narbenfrei durchgeführt werde. Eine solche Garantie habe kein Vertragsarzt abgegeben. Auch die Begutachtungsanleitung des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) für geschlechtsangleichende Maßnahmen bei Transsexualität gehe davon aus, dass im Einzelfall eine Behandlung durch Kosmetikstudios in Betracht kommen könne. Überdies könnten Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes nicht völlig außer Acht gelassen werden, da die Beklagte in der Vergangenheit immer wieder Nadelepilationen in Kosmetikstudios im Rahmen von "Einzelfallentscheidungen" bewilligt habe. Diese "Einzelfallentscheidungen" seien jedoch derart häufig getroffen worden, dass nunmehr von einer ständigen Verwaltungspraxis ausgegangen werden müsse, die sich anspruchsbegründend auswirke.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 12.06.2009 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.07.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2008 zu verurteilen, eine Nadelepilation nach der Blend-Methode, hilfsweise eine Elektrokoagulation bei der Kosmetikerin M. als Sachleistung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Weiterer Einzelheiten wegen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zutreffend abgewiesen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat daher gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Bezug auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Ergänzend weist der Senat insbesondere im Hinblick auf das Vorbringen im Berufungsverfahren auf Folgendes hin:
Der Umstand, dass Frau M. möglicherweise über größere praktische Erfahrungen in der Epilation Transsexueller verfügen mag als Hautärzte, rechtfertigt es nicht, vom Arztvorbehalt abzuweichen. Für die Kostenerstattung bei ärztlichen Behandlungen wurde bereits entschieden, dass die mangelnde Vertrautheit mit einem bestimmten Krankheitsbild grundsätzlich nicht ausreicht, um eine Leistung außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung zu beanspruchen (BSG, Urteil v. 25.09.2000 - B 1 KR 5/99 R, SozR 3-2500 § 13 Nr. 22; vgl. auch BVerfG, Beschluss v. 15.12.1997 – 1 BvR 1953/97, NJW 1998, 1775 = MedR 1998, 269). Dieser Gesichtspunkt lässt sich – wie das LSG-Baden-Württemberg (Urteil v. 27.01.2009 – L 11 KR 3126/08) ausgeführt hat - ebenfalls auf das Verhältnis Vertragsarzt - Kosmetikerin übertragen. Etwaigen Mängeln im Leistungssystem kann ggf. durch Honorarvereinbarungen mit Vertragsärzten begegnet werden. Einer solchen Anregung der Beklagten (vgl. Schriftsatz v. 09.04.2008) ist die Klägerin jedoch nicht näher getreten.
Ein Anspruch auf Behandlung in einem Kosmetikstudio lässt sich entgegen der Auffassung der Klägerin nicht aus den Ausführungen in der Begutachtungsanleitung des MDS – Geschlechtsangleichende Maßnahmen bei Transsexualität (Stand: 19.05.2009) ableiten. Dort wird zwar davon ausgegangen, dass es bei der Erfüllung des Sachleistungsanspruchs auf Entfernung der männlichen Behaarung zu Schwierigkeiten komme, weil Vertragsärzte diese Leistung aufgrund der Bewertungen im EBM nicht in dem erforderlichen Umfang erbrächten und die Behandlung zudem auch in entsprechend spezialisierten außervertraglichen (kosmetischen) Einrichtungen angeboten werde (S. 14 und 20). Es findet sich darüber hinaus jedoch nur noch der Hinweis, dass der Gutachter (deshalb) nur die medizinische Notwendigkeit zu beurteilen habe (S.20). Von einer Empfehlung des MDS kann daher nicht ausgegangen werden. Abgesehen davon ist offensichtlich, dass durch Begutachtungsanleitungen und -richtlinien gesetzliche Ansprüche weder erweitert, beschränkt noch sonstwie geändert werden können.
Auch wenn die Beklagte in der Vergangenheit Epilationsbehandlungen zu Gunsten anderer Versicherter in Kosmetikstudios gewährt haben sollte, ergibt sich daraus ebenfalls kein Leistungsanspruch. Denn positive Ansprüche lassen sich nicht aus einem rechtswidrigen Verwaltungshandeln ableiten. Ebenso wenig kann anspruchsbegründend auf § 13 Abs. 2 Satz 7 SGB V abgestellt werden. Denn diese Regelung ist nur auf Versicherte anwendbar, die – anders als die Klägerin - Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2 Satz 1 und 5 SGB V gewählt haben. Abgesehen davon hat das SG zutreffend ausgeführt, dass die Behandlung durch Kosmetikstudios nicht zustimmungsfähig i.S.d. § 13 Abs. 2 Satz 7 SGB V ist (vgl. auch BT-Drs 15/1525 S. 80 zu Heilpraktikern).
Die Kostenentscheidung beruht aus § 193 SGG.
Anlass, die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).