Bayerisches Landessozialgericht - L 2 U 128/13 - Urteil vom 06.05.2015
Bei Wegeunfällen ist zu unterscheiden, ob es sich um einen Betriebsweg im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII oder um einen Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII handelt. Ein Betriebsweg unterscheidet sich von anderen Wegen dadurch, dass er im unmittelbaren Betriebsinteresse zurückgelegt wird und nicht - wie Wege nach und von dem Ort der Tätigkeit im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII - der versicherten Tätigkeit lediglich vorausgeht oder sich ihr anschließt.
Tatbestand:
Streitig ist, ob es sich bei dem Ereignis vom 27.07.2010 um einen Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 8 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) handelt.
Der 1948 geborene Kläger war im Zeitpunkt des streitigen Unfalls neben seinen beiden Söhnen und F. Gesellschafter und Geschäftsführer der A. KG und Mehrheits-Gesellschafter und alleiniger Geschäftsführer der A. GmbH. Der Sitz und auch die Geschäftsräume beider Firmen befinden sich in der B. Str. 45 in A-Stadt.
Die A. KG betreibt zwei Wasserkraftwerke in A-Stadt. Von den Wasserkraftwerken befindet sich eines auf dem sich zu dem Wohnhaus des Klägers in A-Straße, A-Stadt anschließenden Grundstück, und das andere in 700 - 800 Meter Entfernung von dem Wohnhaus. Das Wohnhaus des Klägers und die beiden Wasserkraftwerke befinden sich 4 bis 5 km südlich des Ortskerns von A-Stadt, wo sich die Geschäftsräume der Firmen und das Sägewerk befinden. Der Kläger ist bei der Beklagten als Geschäftsführer-Gesellschafter der A. KG freiwillig versichert.
Die A. GmbH betreibt ein Sägewerk und eine Holzhandlung in A-Stadt. Das Sägewerk befindet sich neben den Büroräumen. Eine freiwillige Versicherung des Klägers in der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV) bei der bis zum Jahre 2010 für das Sägewerk zuständigen Holz-Berufsgenossenschaft bestand zur Zeit des Unfalls nicht.
Die beiden Wasserkraftwerke waren bereits seit einigen Jahren vor dem Unfall so weit automatisiert, dass sie weitgehend selbstständig liefen, ohne dass ständig jemand anwesend sein musste. Erforderlich waren lediglich tägliche Kontrollen morgens, mittags und abends. Diese täglich dreimaligen Kontrollen fanden im oberen der beiden Kraftwerke statt, wobei über die Fernsteuerung auch das untere Kraftwerk mit kontrolliert werden konnte. Eine Kontrolle im unteren Kraftwerk fand vor Ort nur einmal wöchentlich statt.
Im Falle von Störungen in einem der Kraftwerke erhielt der Kläger durch ein automatisches Überwachungssystem eine Meldung - ähnlich einer SMS - auf sein Mobiltelefon. Wenn er nicht innerhalb einer bestimmten Zeit diese Meldung mit der Ziffernfolge 2 und 5 quittierte, ging die Störungsmeldung im Firmenbüro und - wenn sie dort nicht quittiert wurde - bei einem seiner Söhne ein. Zur Behebung von Störungen waren sowohl er als auch seine beiden Söhne in der Lage. Der Kläger hielt sich in der Regel in einem Gebiet auf, von dem aus er die Kraftwerke immer innerhalb von etwa einer halben Stunde erreichen konnte, etwa auch von B-Stadt aus. Wenn er sich einmal weiter weg bewegte, sprach er dies mit seinen Söhnen ab.
Am 27.07.2010 kontrollierte der Kläger, wie jeden Tag, morgens die beiden Wasserkraftwerke. Anschließend fuhr er ins Büro, wo er einen Kundentermin für das Sägewerk wahrnahm. Nach Beendigung fuhr er nach B-Stadt und holte in der dortigen Brauerei F. in B-Stadt zwei Fässer Bier. B-Stadt liegt etwa 20 km nördlich von A-Stadt und ist über die Autobahn A 93 erreichbar. Die zwei Fässer Bier waren als Geschenk für einen portugiesischen Kunden des Sägewerks und Holzhandels vorgesehen. Ein Möbelfabrikant aus Portugal hatte bei ihm Holz eingekauft, und die Fässer sollten dem Laster, der die Lieferung abholte, nach Portugal mitgegeben werden.
Den Rückweg von B-Stadt trat der Kläger von vornherein in der Absicht an, auf kürzestem Wege zu den Wasserkraftwerken zu fahren, um dort die mittägliche Kontrolle durchzuführen. Noch bevor er die Autobahn A 93 bei B-Stadt in Richtung N-Stadt verließ, erhielt er auf sein Handy eine Störungsmeldung. Er konnte erkennen, dass es sich um eine Störung im unteren Kraftwerk handelte. Der Generator der Turbine 3 lief unruhig. Wenn die Störung nicht beseitigt worden wäre, wäre mit dem Ausfall der Turbine und dementsprechend mit einer geringeren Stromleistung zu rechnen gewesen. Der Kläger "quittierte" (mit dem Ziel, dass die Meldung nicht weitergeleitet wurde) die Meldung nicht, weil ihm dies auf der Autobahn nicht möglich war. Er verließ bei B-Stadt die A 93 und bog in die Staatsstraße 2 ... Richtung N-Stadt ein. Kurz nach dem Überqueren/Passieren des I. wollte der Kläger die erste Abzweigung nach rechts nehmen, um - ohne in den Ortskern von N-Stadt einzufahren - sich auf direktem Wege in Richtung Kraftwerke zu bewegen. Unmittelbar nach dem Verlassen der Staatsstraße 2 ... wollte er auf der kleinen Straße auch anhalten und die Störungsmeldung quittieren. Dazu kam es jedoch nicht, weil der Kläger gegen 11.45 Uhr noch vor Überquerung des I. aus ungeklärter Ursache auf die Gegenfahrbahn geriet und dort mit einem entgegenkommenden Unimog frontal zusammenstieß. Der entgegenkommende Unimog hatte noch eine Vollbremsung unternommen und war nach rechts zur Leitplanke gefahren. Die Insassen des Unimogs hatten vor dem Aufprall nicht bemerkt, dass der Kläger versucht hätte, zu bremsen oder auszuweichen. Der Kläger erlitt bei dem Unfall schwere multiple Verletzungen, insbesondere Knochenbrüche. Er war bei Eintreffen des Rettungsdienstes zwar noch bei Bewusstsein, wurde jedoch später im Krankenhaus für mehrere Wochen in ein künstliches Koma versetzt. Die vom Kläger nicht quittierte Störungsmeldung wurde automatisch an einen seiner Söhne weitergeleitet, der dann zum Wasserkraftwerk fuhr und die Störung beseitigte.
Auf die vom Kläger selbst angefertigte Skizze über die geplante Fahrtroute und die Unfallstelle auf Bl. 137 der Beklagtenakte wird verwiesen. Zur Erreichung des Sägewerks und der Geschäftsräume der beiden Firmen hätte der Kläger auf der Staatsstraße 2 ... in Richtung auf den Ortskern von N-Stadt weiterfahren müssen, ohne - wie geplant, um die Wasserkraftwerke zu erreichen - nach Überquerung des I. die erste Abzweigung nach rechts zu nehmen. An der Unglücksstelle, die noch vor dem I. lag, befand sich der Kläger noch sowohl auf dem kürzesten Weg zum Sägewerk und den Geschäftsräumen in N-Stadt als auch auf den Weg zu den Wasserkraftwerken in der Nähe seines Wohnhauses südlich von N-Stadt.
Mit Bescheid vom 01.12.2010 lehnte die Beklagte eine Entschädigung aus Anlass des Unfalls vom 27.07.2010 ab. Ein versicherter Arbeitsunfall habe nicht vorgelegen. Der Kläger habe sich nicht auf einem Betriebsweg für das bei der Beklagten eingetragene Kraftwerk befunden. Der Unfall habe sich vielmehr auf einem Weg, der aus geschäftlichen Gründen für ein nicht bei ihr versichertes Mitgliedsunternehmen zurückgelegt wurde, ereignet. Nach der Rechtsprechung stehe der Weg, dessen Ziel die Arbeitsstätte sei, nicht unter Versicherungsschutz, wenn es sich um einen Rückweg von einer Verrichtung handle, die nicht im rechtlich wesentlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehe.
Im Widerspruchsverfahren trug der Kläger vor, dass er sich nicht auf dem Rückweg von B-Stadt, sondern bereits auf dem Weg zum Kraftwerk befunden habe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 31.05.2011 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung ergänzte die Beklagte, dass sich der Unfall nach den vorliegenden Unterlagen noch vor dem Erreichen des direkten Weges vom Betriebssitz des Wasserkraftwerkes zum Wasserkraftwerk selbst ereignet habe.
Mit der am 29.06.2011 zum Sozialgericht (SG) München erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, der Weg von B-Stadt nach N-Stadt sei der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Er habe sich nach seiner Handlungstendenz, die nach der Rechtsprechung alleine zugrunde zu legen sei, nicht auf dem Rückweg von einer privaten Verrichtung, sondern auf dem direkten und kürzesten Weg zum Wasserkraftwerk befunden, um dort seine täglich anfallenden Arbeiten durchzuführen.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 01.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 31.05.2011 aufzuheben und festzustellen, dass der Unfall vom 27.07.2010 ein Arbeitsunfall und die Beklagte der für die Entschädigung zuständige Versicherungsträger ist.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 21.02.2013 (Az. S 23 U 418/11) abgewiesen. Die zulässige Klage sei unbegründet. Die Fahrt des Klägers von B-Stadt zurück nach N-Stadt habe nicht in einem inneren Zusammenhang mit der A. KG gestanden. Vielmehr habe es sich um einen Betriebsweg für die A. GmbH gehandelt. Nach der Rechtsprechung teile der Rückweg grundsätzlich das rechtliche Schicksal des Hinweges, sie seien unfallversicherungsrechtlich als Einheit zu betrachten. Damit sei der Rückweg des Klägers noch seiner unversicherten Tätigkeit für das Sägewerk zuzuordnen, zumal sich der Unfall noch auf einem Wegstück ereignet habe, das auf dem direkten Rückweg zum Firmensitz gelegen habe, noch vor der Abzweigung des Weges zu den Wasserkraftwerken. Ein Versicherungsschutz nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII (Wege von und nach dem Ort der Tätigkeit) in Bezug auf den Betrieb der Wasserkraftwerke komme nicht in Betracht, weil sich der Unfall auf einem Betriebsweg für das Sägewerk ereignet habe; § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII komme hier nicht zur Anwendung.
Der Kläger hat gegen das Urteil des SG, das ihm am 05.03.2013 zugestellt worden war, am 28.03.2013 Berufung eingelegt.
Zur Begründung hat der Kläger eingeräumt, es sei richtig, dass seine Fahrt von B-Stadt zurück nach N-Stadt zunächst nicht in einem inneren Zusammenhang mit der versicherten A. KG gestanden habe. Während des nicht versicherten Rückwegs habe der Kläger jedoch die Störungsmeldung bezüglich eines der Kraftwerke der KG bekommen. Diese Störungsmeldung sei vergleichbar mit einem Fall der Rufbereitschaft. Der Eintritt eines Rufbereitschaftsfalles stelle den erforderlichen inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit her. Ab Erhalt der Störungsmeldung sei der Weg des Klägers als Weg zu dem Unternehmen der KG, die das Elektrizitätswerk betreibt, bestimmt gewesen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 21.02.2013 und den Bescheid der Beklagten vom 01.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.05.2011 aufzuheben und festzustellen, dass der Unfall vom 27.07.2010 ein Arbeitsunfall ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Berufung bedarf gemäß § 144 SGG keiner Zulassung.
Die Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klage ist hinsichtlich der Aufhebung der angefochtenen Bescheide und der Feststellung eines Arbeitsunfalls durch das Gericht zulässig als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 i. V. m. § 55 Abs. 1 SGG. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Unfall des Klägers vom 27.07.2010 stellte keinen Arbeitsunfall im Sinne des § 8 SGB VII dar.
Arbeitsunfälle sind gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Als versicherte Tätigkeit kommt im vorliegenden Fall lediglich die unternehmerische Tätigkeit des Klägers in seiner KG in Betracht, bei der er zwei Wasserkraftwerke betrieb und für die er gemäß § 6 SGB VII freiwillig versichert war. Nicht versichert war dagegen die Tätigkeit des Klägers für die A. GmbH, die im Betrieb eines Sägewerks und eines Holzhandels bestand. Der Kläger war als Mehrheitsgesellschafter und alleiniger Geschäftsführer im Rahmen der GmbH unternehmerisch und nicht als Beschäftigter im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII tätig, weil er gesellschaftsrechtlich die Möglichkeit hatte, seinen Willen gegen denjenigen der übrigen Gesellschafter rechtlich durchzusetzen. Andere Pflichtversicherungstatbestände lagen bezüglich der Tätigkeit des Klägers für die GmbH nicht vor. Eine freiwillige Versicherung als Unternehmer nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VII hatte der Kläger bei der zuständigen Holzberufsgenossenschaft (deren Rechtsnachfolgerin die Berufsgenossenschaft Holz und Metall - BGHM - ist) nicht beantragt.
Erforderlich für die Anerkennung als Arbeitsunfall ist, dass die Tätigkeit, die zu dem Unfall geführt hat, in einem inneren oder sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stand.
Der innere bzw. sachliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfalls ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (BSG, Urteil vom 12.04.2005 Az. B 2 U 11/04 R = BSGE 94, 262 ff., Rdnr. 13 bei juris). Maßgebliches Kriterium für die wertende Entscheidung über den sachlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfalles ist, ob der Versicherte eine der grundsätzlich versicherten Tätigkeit dienende Verrichtung ausüben wollte und ob diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände bestätigt wird (BSG, Urteil vom 18.11.2008 Az. B 2 U 31/07 R, Rdnr. 11 bei juris).
Bei Wegeunfällen ist zu unterscheiden, ob es sich um einen Betriebsweg im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII oder um einen Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII handelt. Ein Betriebsweg unterscheidet sich von anderen Wegen dadurch, dass er im unmittelbaren Betriebsinteresse zurückgelegt wird und nicht - wie Wege nach und von dem Ort der Tätigkeit im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII - der versicherten Tätigkeit lediglich vorausgeht oder sich ihr anschließt (BSG, Urteil vom 09.11.2010 Az. B 2 U 14/10 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 39, Rdnr. 20 bei Juris). Nach diesen Grundsätzen scheidet die Annahme eines Betriebsweges für die Fahrt von B-Stadt zu den Wasserkraftwerken, auf der der Kläger verunglückte, von vornherein aus, weil die Fahrt nach B-Stadt einem nicht versicherten Zweck, nämlich dem Betrieb des Sägewerks, diente und sich die Betriebsbezogenheit der Rückfahrt in Bezug auf den Betrieb der Wasserkraftwerke darin erschöpfte, diese örtlich zu erreichen, um dann vor Ort nämlich bei den Wasserkraftwerken - die eigentliche betriebliche Tätigkeit im Sinne einer Wartung oder Reparatur vorzunehmen. Die Fahrt dorthin als solche stellte aber keine betriebliche Tätigkeit dar, sondern lediglich die örtliche Fortbewegung zur versicherten Tätigkeit hin. Solche Fahrten, die für sich genommen keine betrieblichen Zwecke verfolgen, sondern deren betrieblicher Zweck sich in der Fortbewegung zum Ort der versicherten Tätigkeit erschöpft, stellen keine Betriebswege im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII dar, jedenfalls soweit sie sich - wie hier - nicht auf Betriebsgelände abspielen, sondern allenfalls Fahrten nach und von dem Ort der Tätigkeit im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII.
Der Kläger befand sich im Zeitpunkt des Unfalls aber auch nicht auf einer Fahrt "nach dem Ort der versicherten Tätigkeit" im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII. Versicherungsschutz für das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII kommt in erster Linie bei Wegen zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in Betracht, ist jedoch nicht darauf beschränkt; vielmehr kann auch ein "dritter Ort" Ausgangs- bzw. Endpunkt des versicherten Weges sein. Wenn allerdings der Versicherte bereits den Ort seiner Tätigkeit erreicht hat, von diesem aus zu einer privaten Verrichtung aufbricht und danach zum Ort der versicherten Tätigkeit zurückkehrt, besteht sowohl für den Hinweg zu der privaten Verrichtung als auch für den Rückweg von der privaten zur versicherten Tätigkeit kein Versicherungsschutz (Keller in: Hauck/ Noftz, SGB VII, Werkstand: 01/13, § 8 Rdnr. 211 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung des BSG). Insoweit besteht eine Ausnahme von der sonstigen Rechtsprechung zu den Wegen nach und vom "dritten Ort". Für den Fall des Klägers bedeutet dies konkret, dass er während der morgendlichen Kontrolle der Wasserkraftwerke unter Versicherungsschutz stand und auch auf dem Hinweg von seinem Wohnhaus zu den Wasserkraftwerken Versicherungsschutz nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII genossen hatte. Sobald er aber dann die Wasserkraftwerke Richtung N-Stadt verließ, um dort zunächst in den Geschäftsräumen des Sägewerks einen Gesprächstermin für das Sägewerk wahrzunehmen und anschließend nach B-Stadt zu fahren, um dort ein Geschenk für einen Kunden des Sägewerks zu kaufen, verließ er die versicherte Tätigkeit nur zu unversicherten bzw. aus Sicht der GUV rein privaten Zwecken. Die betriebliche Tätigkeit für das Sägewerk stellt aus Sicht der gesetzlichen Unfallversicherung rechtlich eine rein private Tätigkeit dar, weil die Tätigkeit für das Sägewerk ebenso wenig gesetzlich unfallversichert war wie jede andere rein private Tätigkeit des Klägers. Demnach war auch der gesamte Rückweg von B-Stadt bis zu den Wasserkraftwerken unversichert, wobei es nicht darauf ankam, ob der Kläger - wie er selbst ausgesagt hat - von Anfang an direkt zu den Wasserkraftwerken fahren wollte oder ob er den Rückweg zu den Wasserkraftwerken über einen Abstecher zum Sägewerk in N-Stadt gestalten wollte.
Selbst wenn man die Rechtsprechung zum "dritten Ort" mit der Überlegung anwenden würde, dass der Kläger sich in B-Stadt mehr als 2 Stunden aufgehalten hätte, so wäre der Weg von B-Stadt zu den Wasserkraftwerken südlich von N-Stadt dennoch nicht versichert gewesen, denn nach der Rechtsprechung des BSG stehen Wege vom Ort der Tätigkeit, die von einem "dritten Ort" angetreten werden, nur dann unter Versicherungsschutz, wenn die Länge des Weges in einem angemessenen Verhältnis zu dem üblicherweise zur Arbeitsstätte zurückgelegten Weg steht (BSG, Urteil vom 02.05.2001 Az. B 2 U 33/00 R). Die Entfernung von B-Stadt bis zu den südlich von N-Stadt gelegenen Kraftwerken des Klägers beträgt knapp 25 km. Dagegen beträgt die Entfernung des am weitesten abgelegenen Wasserkraftwerkes nur knapp 800 m vom Wohnhaus des Klägers. Selbst wenn man auf die vom Kläger täglich zurückzulegenden Fahrten zwischen Sägewerk und Wasserkraftwerken von 4 bis 5 km abstellt, steht die Entfernung nach B-Stadt von knapp 25 km völlig außer Verhältnis zu dieser Entfernung, sie beträgt das Fünffache. Damit konnte die Fahrt von B-Stadt zu den Wasserkraftwerken nicht unter Rückgriff auf die Rechtsprechung zum "dritten Ort" als versicherte Tätigkeit angesehen werden.
In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist allerdings anerkannt, dass jemand, der sich vom Ort seiner versicherten Tätigkeit aus eigenwirtschaftlichen, privaten Gründen entfernt hatte, dann aber aus unvorhersehbaren betrieblichen Gründen zum Ort der versicherten Tätigkeit zurückgerufen wird, auf diesem Weg unter Versicherungsschutz nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII steht (BSGE 32, 38 und BSG, Urteil vom 02.05.2001 Az. B 2 U 33/00 R, SozR 3-2700 § 8 Nr. 6, Rdnr. 21 bei Juris). Denn dann wird das Zurücklegen des konkreten Weges nach den objektiven Umständen von der Handlungstendenz getragen, den Ort der betrieblichen Tätigkeit aufzusuchen. Dies gilt aber dann nicht, wenn ihn der Rückruf auf dem bereits ohnehin geplanten und angetretenen unversicherten Rückweg ereilt und keinen Einfluss auf die Gestaltung des unversicherten Rückwegs zur versicherten Tätigkeit hat. Nach diesen Grundsätzen führte die Störungsmeldung, die der Kläger kurz vor der Autobahnausfahrt B-Stadt über sein Handy erhalten hatte, nicht dazu, den weiteren Rückweg zu den Wasserkraftwerken als unvorhersehbar einzustufen. Denn dieser Rückweg war nach dem mehrfachen schriftlichen Vorbringen des Klägers während des Verwaltungs- und erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens und der ausdrücklichen Bestätigung in der mündlichen Verhandlung vom 06.05.2015 von Anfang an so geplant, dass er direkt und auf kürzestem Wege zu den Wasserkraftwerken führen sollte. Unbeachtlich ist, ob die Störungsmeldung, wenn sie den Kläger bei einer anderen Gelegenheit ereilt hätte, diesen zu einer Fahrt zu den Wasserkraftwerken veranlasst hätte, die dann tatsächlich auf unvorhersehbaren betrieblichen Gründen beruht und dementsprechend versichert gewesen wäre. Eine Störungsmeldung, die den Kläger auf einem ohnehin bereits geplanten Weg zu den Wasserkraftwerken erreichte, war jedenfalls nicht geeignet, aus der bereits beabsichtigten und geplanten Fahrt nun eine "unvorhersehbare" zu machen, zumal diese Störungsmeldung keinen Einfluss auf die vom Kläger bis zum Unfall zurückgelegte und die anschließend von ihm vorgesehene Route bis zu den Wasserkraftwerken hatte.
Das Gericht sieht auch keine Hinweise für die Annahme, dass bei dem Unfall, der sich auf einer grundsätzlich unversicherten Wegstrecke ereignet hat, eine versicherte Betriebsgefahr mitgewirkt hätte, die gegebenenfalls einen Versicherungsschutz hätte auslösen können. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Störungsmeldung, die der Kläger über das Handy empfangen hatte, zur Entstehung des Unfalls beigetragen hätte. Zum einen hatte der Kläger seinem eigenen Vortrag zufolge die Störungsmeldung bereits empfangen und gelesen, bevor er an der Ausfahrt B-Stadt die Autobahn A 93 verlassen hatte, so dass nichts dafür spricht, dass er auf der Staatsstraße 2 ... deshalb auf die Gegenfahrbahn geraten war, weil er durch das Lesen der Störungsmeldung abgelenkt gewesen wäre. Nach den polizeilichen Ermittlungsakten, die von der Beklagten im Verwaltungsverfahren beigezogen worden waren, sind die Gründe, aus denen der Kläger auf die Gegenfahrbahn geriet, ungeklärt. Ob die Tatsache, dass der Kläger - wie er in der mündlichen Verhandlung vom 06.05.2015 erstmals angegeben hat - sich aufgrund der Störungsmeldung "beeilen" wollte, zu den Kraftwerken zu gelangen, zu dem Unfall beigetragen hat, bleibt reine Spekulation. Die Art der Störung machte nach den Schilderungen des Klägers kein besonders dringliches Eingreifen des Klägers erforderlich. Ferner kann die Frage dahinstehen, ob sich eine betriebliche Gefahr etwa dann realisiert hätte, wenn der Kläger angehalten hätte, um die Störungsmeldung zu quittieren, und sich dabei der Unfall ereignet hätte, etwa indem ein anderes Fahrzeug auf das am Straßenrand haltende Fahrzeug des Klägers aufgefahren wäre. Zu einem solchen Verlauf ist es eben nicht gekommen.
Dem Kläger kommt auch nicht die Rechtsprechung des BSG zugute, wonach Personen, die mehrere versicherte Tätigkeiten ausüben und sich auf dem Weg von einer versicherten Tätigkeit zu einer anderen versicherten Tätigkeit befinden, diese Wege beim Zurücklegen unabhängig von der sonstigen Rechtsprechung zu den Wegen von und zum "dritten Ort" unter Versicherungsschutz stehen, indem sie als Wege "nach dem Ort der Tätigkeit" im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII qualifiziert und damit in den Versicherungsschutz der jeweiligen Tätigkeit, die das Ziel des Weges bildet, einbezogen werden (BSG, Urteil vom 22.11.1984 Az. 2 RU 50/83, SozR 2200 § 50 Nr. 68, Rdnr. 20 bei juris; BSG, Urteil vom 27.06.2000 Az. B 2 U 23/99 R, SozR 3-2200 § 48 Nr. 39, Rdnr. 24 bei Juris). Diese Rechtsprechung, die ausdrücklich als Ausnahme von der sonstigen Rechtsprechung zum "dritten Ort" konzipiert ist, beschränkt sich auf die Fälle, in denen beide Tätigkeiten, zwischen denen sich der Versicherte hin und her bewegt, unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung fallen; ist eine dieser Tätigkeiten dagegen nicht versichert, so bleibt es bei dem anderweitigen Grundsatz, dass die Wege von einer bereits erreichten versicherten Tätigkeit zu einem privaten Ziel und zurück nicht versichert sind. Im Übrigen setzt dies voraus, dass die vorherige versicherte Tätigkeit bereits abgeschlossen war. Hier führte der Kläger das Bierfass aber noch mit sich und war somit auch noch für den nicht versicherten Betrieb tätig.
Rein vorsorglich wird auf Folgendes hingewiesen: Der Unfall wäre selbst dann nicht versichert gewesen, wenn der Kläger ursprünglich nicht auf direktem Wege zu den Wasserkraftwerken hätte fahren wollen, sondern zunächst das Sägewerk in N-Stadt hätte aufsuchen wollen, etwa um dort die zwei Fässer Bier abzugeben. In diesem Fall wäre zwar grundsätzlich die Fahrt zu den Wasserkraftwerken als auf "unvorhersehbaren betrieblichen Gründen beruhend" einzustufen gewesen mit der Folge, dass sie als Fahrt von einem "dritten Ort" zum Ort der Arbeitsstätte im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII versichert gewesen wäre, jedoch wäre dieser Versicherungsschutz nicht schon in dem Moment eingetreten, in dem der Kläger die Störungsmeldung auf dem Handy las und den inneren Entschluss fasste, anstatt zu dem Sägewerk in N-Stadt auf direktem Wege zu den Wasserkraftwerken einige Kilometer südlich von N-Stadt zu fahren. Denn die Rechtsprechung lässt für die Annahme des inneren Zusammenhangs zwischen Wegen und einer betrieblichen Tätigkeit nach der Lehre der "objektivierten Handlungstendenz" nicht allein die innere Handlungstendenz ausreichen, sondern verlangt für die rechtliche Relevanz einer inneren Handlungstendenz immer, dass diese durch die objektiven Umstände bestätigt wird (BSG, Urt. v. 04.07.2013 Az. B 2 U 3/13, SozR 4-2700 § 8 Nr. 50 ("Erdbeerkauf"), Rdnrn. 12 f. bei juris; BSG, Urt. v. 04.07.2013 Az. B 2 U 12/12 R, SozR 4-2700 § 8 N. 49 ("Tanken"), Rdnrn. 18 - 20 bei juris). Ändert der Versicherte bei Zurücklegung eines Weges seine Handlungstendenz von einer unversicherten zu einer versicherten Tätigkeit, so wird der den Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung auslösende innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit noch nicht allein durch den inneren Entschluss hergestellt, sondern erst dadurch, dass die geänderte Handlungstendenz durch äußere Handlungen objektiviert wird, insbesondere dadurch, dass der Versicherte von der ursprünglich geplanten Route abweicht. Eine Bestätigung des zunächst rein innerlich getroffenen Entschlusses des Klägers, aufgrund der Störungsmeldung den Weg direkt zu den Wasserkraftwerken anzusteuern, hatte es durch die objektiven Umstände jedoch bis zum Zeitpunkt des Unfalls nicht gegeben. Weder war der Kläger bis dahin von seiner ohnehin geplanten Route abgewichen noch hatte er andere Handlungen ausgeführt, die in Kenntnis der gesamten Umstände als Objektivierung dieses Entschlusses hätten gewertet werden können. Dabei kann offenbleiben, ob die "Quittierung" der Störungsmeldung - sofern sie der Kläger noch vorgenommen hätte - als solche Dokumentation gereicht hätte, obwohl auch diese Quittierung keinen Aufschluss gibt, ob der Kläger auf direktem Wege oder auf dem Umweg über das Sägewerk zu den Wasserwerken hätte fahren wollen. Letztlich wäre also ein Versicherungsschutz unter dem Aspekt des unvorhersehbaren Rückrufs nur dann zu diskutieren gewesen, wenn erstens der Kläger nicht von vornherein vorgehabt hätte, auf direktem Wege zu den Wasserkraftwerken zu fahren und wenn zweitens der Unfall erst in einem Zeitpunkt geschehen wäre, als sich der Entschluss, die Fahrtrichtung aufgrund der Störungsmeldung zu ändern, in irgendeiner Weise objektiviert hätte.
Das Gericht war nicht verpflichtet, die BGHM als Rechtsnachfolgerin der im Jahr 2010 für den Betrieb des Sägewerks und Holzhandels zuständigen Holzberufsgenossenschaft beizuladen. Eine notwendige Beiladung gemäß § 75 Abs. 2 2. Alt. SGG wegen möglicher alternativer Leistungspflichtigkeit der BGHM war nicht veranlasst. Zwar hätte in dem Fall, dass der Kläger über die Holzberufsgenossenschaft für seine Tätigkeit im Sägewerk versichert gewesen wäre, die von § 75 Abs. 2 2. Alt. SGG vorausgesetzte Alternativität und gegenseitige Ausschließlichkeit der Ansprüche bestanden, jedoch setzt die notwendige Beiladung voraus, dass die Möglichkeit der Leistungspflichtigkeit des anderen Versicherungsträgers ernsthaft besteht (Leitherer, in: Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG, 11. A. 2014, § 75 Rdnr. 12). Im vorliegenden Fall ist jedoch die Leistungspflicht der BGHM unabhängig von der Frage, ob die Tätigkeit des Klägers im Zeitpunkt des Unfalls eher den Wasserkraftwerken oder dem Sägewerk zuzuordnen war, schon deshalb von vornherein ausgeschlossen, weil die Tätigkeit des Klägers für das Sägewerk bei der Holzberufsgenossenschaft nicht versichert war. Da der Kläger als Mehrheitsgesellschafter und alleiniger Geschäftsführer der A. GmbH nicht als Beschäftigter nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherungspflichtig war, weder ein anderer Pflichtversicherungstatbestand oder eine Versicherungspflicht kraft Satzung nach § 3 SGB VII in Betracht kam und sich der Kläger bei der Holzberufsgenossenschaft auch nicht nach § 6 SGB VII freiwillig versichert hatte, bestand - was im Übrigen auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist - keine Unfallversicherung für den Kläger bei der Holzberufsgenossenschaft für seine Tätigkeit betreffend das Sägewerk und den Holzhandel.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).