Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 2 AS 2149/14 B - Beschluss vom 05.02.2015
Bei der Bestimmung der Betragsrahmengebühr im konkreten Einzelfall ist von der Mittelgebühr auszugehen, die bei einem Normal-/Durchschnittsfall als billige Gebühr zugrunde zu legen ist. Unter einem "Normalfall" ist ein Fall zu verstehen, in dem sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts unter Beachtung der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG nicht nach oben oder unten vom Durchschnitt aller sozialrechtlichen Fälle abhebt. Ob ein Durchschnittsfall vorliegt, ergibt sich aus einem Vergleich mit den sonstigen bei den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit anhängigen Streitsachen. Die in § 14 Abs. 1 RVG aufgezählten fünf Bemessungskriterien stehen selbständig und gleichwertig nebeneinander. Sämtliche Kriterien sind geeignet, ein Abweichen von der Mittelgebühr nach oben oder unten zu begründen. Zudem kann das Abweichen eines Bemessungskriteriums von jedem anderen Bemessungskriterium kompensiert werden.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Der Senat entscheidet über die Beschwerde auf der Grundlage von § 33 Abs. 8 Satz 1 Halbsatz 2 Alternative 1 und Satz 3 Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG) durch den Berichterstatter als Einzelrichter, da die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter erlassen wurde. Gründe im Sinne von § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG für eine Übertragung auf den Senat sind weder geltend gemacht noch anderweitig ersichtlich.
Die Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist zulässig.
Sie ist zunächst statthaft. Nach §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 RVG findet die Beschwerde gegen eine Entscheidung über eine Erinnerung statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 Euro übersteigt oder das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, die Beschwerde zugelassen hat. Vorliegend beträgt der Wert des Beschwerdegegenstandes insgesamt 285,60 EUR (= Gebührenfestsetzungsantrag der Beschwerdeführerin vom 05.11.2013 in Höhe von 595,00 EUR abzüglich Gebührenfestsetzung im Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 03.11.2014 in Höhe von 309,40 EUR).
Die Beschwerde ist auch innerhalb der Zwei-Wochen-Frist der §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 3 RVG eingelegt worden.
Sie ist jedoch unbegründet. Der Beschwerdeführerin steht gegenüber der Staatskasse keine höhere Vergütung als die festgesetzte Vergütung von 309,40 EUR aus §§ 48 Abs. 1 Satz 1, 45 Abs. 1 RVG zu.
Nach § 45 Abs. 1 RVG erhält der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt die gesetzliche Vergütung von der Staatskasse, soweit in Abschnitt 8 des RVG nichts anderes bestimmt ist. Dieser Vergütungsanspruch ist gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 RVG nach seinem Grund und seiner Höhe von dem Umfang der Beiordnung abhängig. Der beigeordnete Rechtsanwalt kann sämtliche Gebühren und Auslagen beanspruchen, die sich aus seiner Tätigkeit ab Wirksamwerden seiner Beiordnung und unter der Voraussetzung einer wirksamen Vollmacht des begünstigten Beteiligten ergeben (siehe LSG NRW, Beschluss vom 05.01.2015, Az.: L 19 AS 1350/14 B, bei juris Rn 28). Vorliegend besteht ein Vergütungsanspruch der Beschwerdeführerin. Zwischen den Antragstellern und ihr hat ein Mandatsverhältnis bestanden, welches durch die Vorlage einer Prozessvollmacht dokumentiert ist. Im Beschluss vom 29.10.2013 über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe an die Antragsteller ist die Beschwerdeführerin beigeordnet worden.
Die durch das Sozialgericht Gelsenkirchen vorgenommene Kostenfestsetzung gegenüber der Staatskasse im Rahmen bewilligter Prozesskostenhilfe im Beschluss vom 03.11.2014 ist nicht zu beanstanden. Insbesondere hat das Sozialgericht zu Recht die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102 Vergütungsverzeichnis (VV) zum RVG auf 150,00 EUR (zzgl. der Erhöhungsgebühr gemäß Nr. 1008 VV RVG in Höhe von insgesamt 90,00 EUR) festgesetzt.
Der sich aus Nr. 3102 VV RVG ergebende Gebührenrahmen der Verfahrensgebühr beträgt grundsätzlich 50,00 EUR bis 550,00 EUR. Innerhalb dieses Rahmens bestimmt die Beschwerdeführerin als beigeordnete Rechtsanwältin nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG die Höhe der Verfahrensgebühr unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers. Ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwaltes ist zu berücksichtigen (§ 14 Abs. 1 Satz 3 RVG). Die von einem beigeordneten Rechtsanwalt im Verfahren nach § 55 RVG getroffene Bestimmung ist nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG). Deshalb ist der Urkundsbeamte bzw. das Gericht verpflichtet, die Billigkeit der Gebührenbestimmung durch den Rechtsanwalt zu prüfen. Bei Angemessenheit der angesetzten Gebühr hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle bzw. das Gericht den Kostenansatz zu übernehmen, bei Unbilligkeit die Höhe der Betragsrahmengebühr festzusetzen. Unbillig ist nach sozialgerichtlicher Rechtsprechung (vgl. nur LSG NRW, Beschluss vom 06.11.2013, Az.: L 7 AS 1773/13, bei juris Rn. 8, mit weiteren Nachweisen) eine Bestimmung jedenfalls dann, wenn sie die an sich angemessene Gebühr um mehr als 20% übersteigt.
Vorliegend ist der Ansatz einer Gebühr von insgesamt 480,00 EUR nach Nr. 3102 VV RVG und Nr. 1008 VV RVG durch die Beschwerdeführerin unbillig im o.g. Sinne. Bei der Bestimmung der Betragsrahmengebühr im konkreten Einzelfall ist von der Mittelgebühr auszugehen, die bei einem Normal-/Durchschnittsfall als billige Gebühr zugrunde zu legen ist. Unter einem "Normalfall" ist ein Fall zu verstehen, in dem sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts unter Beachtung der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG nicht nach oben oder unten vom Durchschnitt aller sozialrechtlichen Fälle abhebt (grundlegend für das Rechtsgebiet "Grundsicherung für Arbeitsuchende": BSG, Urteil vom 01.07.2009, Az. B 4 AS 21/09 R, bei juris Rn 24). Ob ein Durchschnittsfall vorliegt, ergibt sich aus einem Vergleich mit den sonstigen bei den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit anhängigen Streitsachen (BSG, Urteil vom 01.07.2009, Az. B 4 AS 21/09 R, bei juris Rn 24). Die in § 14 Abs. 1 RVG aufgezählten fünf Bemessungskriterien stehen selbständig und gleichwertig nebeneinander. Sämtliche Kriterien sind geeignet, ein Abweichen von der Mittelgebühr nach oben oder unten zu begründen. Zudem kann das Abweichen eines Bemessungskriteriums von jedem anderen Bemessungskriterium kompensiert werden (BSG, Urteil vom 01.07.2009, Az. B 4 AS 21/09 R, bei juris Rn 24).
Nach wertender Gesamtbetrachtung handelt es sich zur Überzeugung des Senats hier um einen unterdurchschnittlichen Fall, für den das Sozialgericht zutreffend eine Gebühr von 150,00 EUR (= 50% der Mittelgebühr) zuzüglich der Erhöhungsgebühr Nr. 1008 in Höhe von 90,00 EUR angesetzt hat.
Denn zunächst ist der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit im Antragsverfahren hier als unterdurchschnittlich zu bewerten. Bei der Beurteilung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit ist der Arbeits- und Zeitaufwand, den der Rechtsanwalt tatsächlich in der Sache betrieben hat und den er objektiv auch auf die Sache verwenden musste, zu würdigen. Dabei ist der gesamte Arbeits- und Zeitaufwand in die Beurteilung heranzuziehen (BSG, Urteil vom 01.07.2009, Az. B 4 AS 21/09 R, bei juris Rn. 28 - 30). Die Beschwerdeführerin hat im einstweiligen Rechtschutzverfahren eine Antragsschrift, die 1 ½ Seiten umfasst, und einen Schriftsatz, mit dem die Erledigung des Rechtsstreites in der Hauptsache erklärt wird, verfasst. Weitere zeitintensive Tätigkeiten - wie etwa das Lesen und Auswerten von medizinischen Gutachten, das Verfassen von Schriftsätzen, die sich mit komplexen tatsächlichen oder rechtlichen Fragen auseinandersetzen, die Sichtung und Auswertung von Rechtsprechung, die Vornahme einer Akteneinsicht - sind nicht angefallen bzw. nicht belegt.
Die Schwierigkeit der Tätigkeit des Beschwerdeführers ist ebenfalls als unterdurchschnittlich einzustufen. Denn diese ist im Vergleich zu Tätigkeiten in sonstigen Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zu beurteilen. Dabei sind die qualitativen Anforderungen an die Tätigkeit im konkreten Fall zu berücksichtigen, wobei nicht auf die subjektive Einschätzung des Rechtsanwaltes, insbesondere nicht auf dessen Vorkenntnisse, abzustellen, sondern eine objektive Betrachtungsweise vorzunehmen ist (BSG, Urteil vom 01.07.2009, Az. B 4 AS 21/09 R, bei juris Rn. 32, 35). Das diesem Beschwerdeverfahren zugrundeliegende einstweilige Rechtsschutzverfahren beinhaltete weder einen zwischen den Beteiligten streitigen Sachverhalt noch eine umstrittene Rechtsfrage. Es stellte sich vielmehr sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht als einfach dar.
Die Bedeutung der Angelegenheit ist für die Antragsteller eher als unterdurchschnittlich, allenfalls als noch durchschnittlich zu bewerten. Bei deren Beurteilung ist auf die unmittelbare tatsächliche, ideelle, gesellschaftliche, wirtschaftliche oder rechtliche Bedeutung für den Auftraggeber, nicht aber für die Allgemeinheit abzustellen. Dabei wird Streitigkeiten über Leistungen, die das soziokulturelle Existenzminimum eines Auftraggebers sichern, wie die Streitigkeiten nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II, in der Regel überdurchschnittliche Bedeutung beigemessen, unabhängig davon, ob die Leistung dem Grunde nach oder lediglich die Höhe der Leistung umstritten ist (BSG, Urteil vom 01.07.2009, Az. B 4 AS 21/09 R, bei juris Rn 37). Zu berücksichtigen ist hier jedoch, dass die Antragsteller in dem diesem Beschwerdeverfahren zugrundeliegenden Rechtsstreit erst mit einem am 21.10.2013 anhängig gemachten Eilantrag Leistungen nach dem SGB II einstweiligen Anordnungsverfahren Leistungen nach dem SGB II für die Monate September 2013 und Oktober 2013 begehrten. Eine besondere Eilbedürftigkeit für die Auskehrung des begehrten Geldbetrages ist mithin nicht erkennbar und im Übrigen in der Antragsschrift auch gar nicht dokumentiert.
Des Weiteren liegen unterdurchschnittliche Einkommensverhältnisse der Antragsteller vor. Da die Antragsteller auf den Bezug von Leistungen nach dem SGB II zur Sicherung ihres sozio-kulturellen Existenzminimums angewiesen gewesen sind und ihnen deshalb auch Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, sind ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse als erheblich unterdurchschnittlich zu bewerten.
Ein besonderes Haftungsrisiko der Beschwerdeführerin im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 3 RVG ist weder vorgetragen noch erkennbar.
Bei Abwägung aller Kriterien des § 14 Abs. 1 Sätze 1 und 3 RVG, insbesondere auch der Tatsache, dass allein unterdurchschnittliche Einkommens- und Vermögensverhältnisse die Herabbemessung der Mittelgebühr rechtfertigen können (BSG, Urteil vom 01.07.2009, Az. B 4 AS 21/09, bei juris Rn 38 mit Nachweisen auch zur Gegenauffassung), kommt dem konkreten Verfahren eine erheblich unterdurchschnittliche Bedeutung zu. Keinesfalls ist die Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG oberhalb der hälftigen Mittelgebühr anzusiedeln.
Danach ergibt sich folgende Festsetzung: Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG in Höhe von 150,00 EUR; Erhöhungsgebühr Nr. 1008 VV RVG in Höhe von 90 EUR, Telekommunikationspauschale Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20 EUR sowie die Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG in Höhe von 49,40 EUR. Dies ergibt einen Gesamtbetrag in Höhe von 309, 40 EUR.
Das Verfahren ist gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG). Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).