Tatbestand:

Die Beteiligen streiten über die Zuerkennung des Merkzeichens B.

Bei dem 1975 geborenen Kläger war mit Bescheid vom 7. Juli 1999 für die Behinderung praktische beidseitigeTaubheit mit Sprachstörungen ein Grad der Behinderung (GdB) von 100, die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens RF sowie Gehörlosigkeit (nunmehr: Merkzeichen Gl) festgestellt worden. Am 24. Oktober 2013 stellte der Kläger einen Verschlimmerungsantrag, mit dem er u.a. das Merkzeichen B begehrte. Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 5. Februar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2014 ab, wobei er als weitere Funktionsbehinderung eine beidseitige Sehbehinderung, die er intern mit einem Einzel-GdB von 10 bewertete, berücksichtigte.

Hiergegen hat sich der Kläger mit der bei dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage gewandt, die das Sozialgericht durch Urteil vom 3. Februar 2015 mit der Begründung abgewiesen hat, der Beklagte habe zu Recht das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens B verneint.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. S vom 25. August 2016 mit ergänzender Stellungnahme vom 28. Oktober 2016. Der Sachverständige ist nach der Untersuchung des Klägers zu der Auffassung gelangt, dass dieser bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht regelmäßig auf fremde Hilfe beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels angewiesen sei. Auch seien keine Hilfen zum Ausgleich von Orientierungsstörungen erforderlich. Neben dem Befundbericht des den Kläger behandelnden Facharztes für Augenheilkunde Dr. M vom März 2017 hat der Senat ferner das Gutachten des Augenarztes Dr. V vom 29. Juli 2017 eingeholt, der ausgeführt hat, dass der Kläger aufgrund seiner Sehfunktion bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 3. Februar 2015 aufzuheben sowie den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 5. Februar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2014 zu verpflichten, bei ihm mit Wirkung ab dem 24. Oktober 2013 das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens B festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält seine Entscheidung für zutreffend.

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.

 

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage mit der angefochtenen Entscheidung zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens B.

Gemäß § 145 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (SGB IX a.F.) bzw. nach § 228 Abs. 6 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch in der am 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Fassung (SGB IX n.F.) wird die Begleitperson eines schwerbehinderten Menschen, der infolge seiner Behinderung in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos ist, im öffentlichen Personenverkehr unentgeltlich befördert, wenn die Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson nachgewiesen und dies im Ausweis des schwerbehinderten Menschen eingetragen ist. Über das Vorliegen der damit angesprochenen gesundheitlichen Merkmale treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 1 und 4 SGB IX a.F. bzw. § 152 Abs. 1 und 4 SGB IX n.F.).

Nach Teil D Nr. 2b Satz 1 der in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) normierten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VMG) ist eine Berechtigung für eine ständige Begleitung bei schwerbehinderten Menschen (bei denen die Voraussetzungen für die Merkzeichen G, Gl oder H vorliegen) gegeben, die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Hierbei ist darauf abzustellen, ob sie bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig auf fremde Hilfe beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels angewiesen sind oder ob Hilfen zum Ausgleich von Orientierungsstörungen (z. B. bei Sehbehinderung, geistiger Behinderung) erforderlich sind (D 2b Satz 2 VMG). Nach D 2c VMG ist die Berechtigung für eine ständige Begleitung u.a. bei Blinden und Sehbehinderten sowie Hörbehinderten anzunehmen, bei denen die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr gerechtfertigt ist. Dies beurteilt sich nach D 1f VMG. Nach Satz 1 dieser Vorschrift sind Störungen der Orientierungsfähigkeit, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit führen, bei allen Sehbehinderungen mit einem GdB von wenigstens 70 und bei Sehbehinderungen, die einen GdB von 50 oder 60 bedingen, nur in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z.B. hochgradiger beidseitiger Schwerhörigkeit) anzunehmen. Bei Hörbehinderungen im Erwachsenenalter ist die Annahme solcher Störungen nach Satz 2 dieser Vorschrift nur bei Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. Sehbehinderung, geistige Behinderung) gerechtfertigt.

Zwar ist der Kläger nach den mit Bescheid vom 7. Juli 1999 getroffenen Feststellungen des Beklagten gehörlos (vgl. nunmehr D 4 VMG zum Merkzeichen Gl), jedoch liegen bei ihm keine Orientierungsstörungen im Sinne der vorgenannten Vorschriften der VMG vor.

Die Sehbehinderungen des Klägers bedingen entgegen D 2c in Verbindung mit D 1f Satz 1 VMG weder einen GdB von wenigstens 70 noch einen GdB von 50 oder 60. Nach den überzeugenden augenärztlichen Einschätzungen des Sachverständigen V im Gutachten vom 29. Juli 2017 beträgt der GdB für die Sehfähigkeit lediglich 10, wobei 2015 kurzfristig ein GdB von 20 aufgrund der durch den Grauen Star reduzierten Sehschärfe bestand. Der an beiden Augen des Klägers aufgetretene Nachstar ist als gering einzustufen und verursacht keinen eigenen GdB. Es ist unerheblich, ob - wie der Kläger vortragen lässt - das bei ihm aufgetretene Schlafapnoe-Syndrom Einfluss auf den Augeninnendruck haben kann, da nach den Feststellungen des augenärztlichen Gutachters der Augeninnendruck des Klägers tatsächlich im niedrigen Normbereich lag und die Sehnerven gut vital waren.

Hinsichtlich der Taubheit des Klägers verbietet sich die Annahme von Störungen der Orientierungsfähigkeit nach D 2c in Verbindung mit D 1f Satz 2 VMG mangels Kombination der Hörstörung mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion. Denn die beschriebene Sehbehinderung ist nach den gutachterlichen Einschätzungen nicht geeignet, die Ausgleichsfunktion in einem Grade zu beeinträchtigen, der als erheblich zu bewerten wäre.

Der Senat hat nicht die Überzeugung gewinnen können, dass bei dem Kläger Hilfen zum Ausgleich von Orientierungsstörungen (D 2b Satz 2 VMG) erforderlich sind. Der Sachverständige Dr. Shat in seinem Gutachten vom 25. August 2016 mit ergänzender Stellungnahme vom 28. Oktober 2016 darauf hingewiesen, dass der Kläger seinen eigenen Angaben zufolge Fahrzeuge des öffentlichen Personennahverkehrs bereits seit seiner Jugend alleine benutzt, eine Berufsausbildung durchlaufen hat, im Umgang mit seiner seit der frühen Kindheit bestehenden Hörbehinderung eingestellt ist, sich mit dieser Hörminderung im Freien bewegen kann, eine Gehörlosenschule abgeschlossen hat, über eine hinreichende Kommunikationsfähigkeit verfügt und in der Lage ist, sein vorhandenes Smart-Phone zu bedienen, so dass er sich selbst in unbekannten Gebieten problemlos zurechtfindet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt den Ausgang des Rechtsstreits. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.