Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Erteilung des Merkzeichens "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung).

Die 1940 geborene Klägerin, zu deren Gunsten der Beklagte mit Bescheid vom 1. März 2010 einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) festgestellt hatte, beantragte bei dem Beklagten am 6. Mai 2010 unter anderem die Feststellung eines höheren GdB sowie der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG". Der Beklagte holte einen ärztlichen Befundbericht der Fachärztin für Allgemeinmedizin Y vom 15. August 2010 sowie eine gutachtliche Stellungnahme des Facharztes für Arbeitsmedizin und Gutachters Dr. K vom 15. September 2009 ein und stellte mit Bescheid vom 14. Oktober 2010 diesem folgend einen GdB von 90 und bei Bestätigung des Merkzeichens "G" die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "B" (Notwendigkeit einer Begleitperson) fest. Dem GdB lagen folgende Einzel-GdB zugrunde:

- Erkrankung der linken Brust in Heilungsbewährung (Einzel-GdB: 50), - Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule, Wirbelsäulenverformung, operierte Bandscheibe, Spinalkanalstenose, Nervenwurzelreizerscheinungen der Wirbelsäule, Osteoporose (Kalksalzminderung des Knochens), außergewöhnliche Schmerzreaktion (Einzel-GdB: 50), - Depression, psychosomatische Störungen (Einzel-GdB: 30), - Knorpelschäden am Kniegelenk, Funktionsstörung durch Fuß- und Zehenfehlform beidseits (links operativ behandelt) (Einzel-GdB: 20), - Teilverlust des Dickdarmes, Darmwandausstülpungen (Divertikulose) (Einzel-GdB: 20), - Funktionsbehinderung der Schultergelenke rechts (Einzel-GdB: 20), - Speiseröhrengleitbruch (Hiatushernie), chronische Magenschleimhautentzündung (Einzel-GdB: 10), - Verlust der Gallenblase (Einzel-GdB: 10), - Migräne (Einzel-GdB: 10), - rezidivierende Krampfaderentzündung (Einzel-GdB: 10), - Schilddrüsenunterfunktion (Einzel-GdB: 10), - Bronchialasthma (Einzel-GdB: 10).

Den auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" gerichteten Antrag der Klägerin lehnte der Beklagte ab.

Den gegen die unterbliebene Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" gerichteten Widerspruch wies der Beklagte nach Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme der Ärztin für Chirurgie Dr. G vom 27. Dezember 2010 durch Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2011 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 17. Februar 2011 Klage erhoben. Dem Sozialgericht hat sie Arztbriefe der Oklinik vom 1. April 2011 über eine ambulante Vorstellung der Klägerin vom 24. März 2011, der Fachärztin für Radiologie Dr. K vom 19. Juli 2011 und des Facharztes für Physikalische Medizin und Rehabilitation und Facharztes für Neurologie Dr. R vom 28. Juli 2011 übermittelt.

Das Sozialgericht hat Befundberichte bei der Allgemeinärztin Y vom 16. Oktober 2011 und dem Facharzt für Chirurgie, Gefäßchirurgie und Unfallchirurgie Dr. L vom 27. Oktober 2011 eingeholt.

Nach Übersendung einer fachinternistischen Stellungnahme der Fachärztin für Innere Medizin R vom 18. November 2011 und einer fachchirurgischen Stellungnahme der Fachärztin für Chirurgie H vom 24. November 2011 durch den Beklagten holte das Sozialgericht ein orthopädisch-unfallchirurgisches Sachverständigengutachten bei dem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. R vom 6. August 2012 ein, dem im Vorfeld der Begutachtung von der Klägerin zu den Gerichtsakten gereichte medizinische Unterlagen - namentlich ein Arztbrief der Radiologischen Praxis im E-krankenhaus S über ein MRT der Lendenwirbelsäule nativ vom 27. Januar 2012, ein Arztbrief von Dr. R vom 6. Januar 2012 und ärztliche Atteste je vom 15. März 2012 von Dr. L und Dr. R - zugeleitet worden sind. In diesem aufgrund ambulanter Untersuchung der Klägerin am 2. Mai 2012 erstellten Gutachten ist der Sachverständige zu folgender Einschätzung gelangt:

Am Haltungs- und Bewegungsapparat seien folgende nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigungen feststellbar:

1. Funktionssystem Wirbelsäule:

- HWS-Syndrom mit erheblicher Bewegungseinschränkung, - teilfixierte BWS-/LWS-Skoliose, - Zustand nach Bandscheibenoperation L5/S1 sowie Laminektomie L5 1987 und 1988, - ausgeprägte statisch muskuläre Insuffizienz aller drei Wirbelsäulen-Abschnitte, - Osteoporose, - relative Spinalkanaleinengung L3 bis S l, - anhaltendes Wurzelreizsyndrom mit sensomotorischem Defizit L5 links und S l beidseits, - außergewöhnliche Schmerzreaktion.

Im Bereich der Wirbelsäule hätten sich seit dem jungen Erwachsenenalter eine langsame aber stetig zunehmende Fehlstatik und muskuläre Dysbalancen sowie Funktionseinschränkungen eingestellt. 1987 und 1988 hätten zwei Operationen durchgeführt werden müssen bei Bandscheibenvorfall L5/S1 sowie engem Spinalkanal mit zusätzlicher Hemilaminektomie L5. Nach nur kurzzeitiger Besserung sei es zu einem weiteren progredienten und langsam fortschreitenden Krankheitsgeschehen gekommen. Dreimalige stationäre Rehamaßnahmen sowie mehrmalige ambulante Kurmaßnahmen hätten keine wesentliche Besserung gebracht. Regelmäßige fachorthopädische und fachchirurgische Behandlungsmaßnahmen würden seit vielen Jahren erfolgen. Aufgrund immer stärker werdender Schmerzen sowie Auftreten von erheblichen Funktionsdefiziten und Wurzelreizsyndromen seien 2010 und 2011 Vorstellungen im E Wald S und im Okrankenhaus mit der Frage einer möglichen Operation erfolgt. Diese sei bei ausgeprägten multisegmentalen und die gesamte Wirbelsäule betreffenden erheblichen degenerativen Veränderungen aufgrund mangelnder Besserungsaussichten jeweils nicht empfohlen worden; vielmehr sei ein weiteres konservatives Therapiegeschehen empfohlen worden. Bei in den letzten Jahren erheblich abnehmender Bewegungsfunktion der Wirbelsäule und zunehmender Versteifung in deutlicher Brust-/ Lendenwirbelsäulentorsionsskoliose sei zudem im Rahmen einer DXA-Messung im Jahr 2011 eine manifeste Osteoporose festgestellt worden, welche seitdem mittels Actonel ein Mal täglich 35 mg behandelt werde. Bei bereits 2010 manifestem Wurzelreizsyndrom L5 links mit sensiblem Defizit sei es bis zum Zeitpunkt der Begutachtung am 2. Mai 2012 zu einer deutlichen Zunahme der neurologischen Defizite gekommen. Zum Zeitpunkt der aktuellen Begutachtung bestehe ein sensomotorisches Defizit L5 links sowie Sl beidseits. Im EMG vom 6. Januar 2012 sei zudem eine beginnende Polyneuropathie festgestellt worden. Die MRT-Untersuchung der Lendenwirbelsäule vom 27. Januar 2012 zeige im Vergleich zu den Voruntersuchungen aus 2009 und 2010 eine weitere leichte Zunahme der degenerativen Veränderungen. Insbesondere im Bereich des Wurzelaustrittsloches L5 links passend zur klinischen Symptomatik einer sensomotorischen Wurzelreizung sei eine deutliche Einengung durch knöcherne und bandscheibenbedingte Einengung des Wurzelaustrittsloches erkennbar. Ebenso seien ausgeprägte Einengungen in den Segmenten L1/2 links, L2/3 rechts, L3/4 rechts, L4/5 rechts sowie L5/S1 links sichtbar. Es komme jeweils zur Bedrängung der abgehenden Nervenwurzeln. Im Segment L5/S1 bestehe zudem bei Zustand nach Laminektomie links ein deutlich narbiger Verzug des Duralschlauches mit Verziehung auch der Wurzeltasche S1. Eine mäßige Einengung des Rückenmarkskanals betont L3 bis Sl bei normal weiter Anlage und erheblichen Facettengelenkshypertrophien, Verkalkung des Ligamentum flavum sowie knöchernen Randkantenausziehungen der Deck- und Grundplatten der Wirbelkörper L3 bis Sl sei sichtbar mit resultierender relativer Spinalkanaleinengung. Auffallend sei zudem im Segment BWK11/12 ein Bandscheibenvorfall mit leichter Verdrängung der hier laufenden Rückenmarksstrukturen. Hier sei im Vergleich zu den Vorbefunden aus 2010 eine Progredienz feststellbar, welche die Verschlechterung der klinischen Symptomatik seit den zuletzt erfolgten Vorstellungen in der Wirbelsäulensprechstunde im E-krankenhaus S vom 25. Oktober 2010 sowie im Okrankenhaus am 24. März 2011 erklärten. Inzwischen sei eine deutlich chronifizierte Schmerzsymptomatik bei auch bestehender außergewöhnlicher Schmerzreaktion mit der Notwendigkeit einer regelmäßigen speziellen Schmerztherapie und Einnahme entsprechender Medikamente eingetreten. Im Brust- und Halswirbelsäulenbereich seien erhebliche, das altersentsprechende Maß deutlich überschreitende Funktionsstörungen und Bewegungseinschränkungen objektivierbar. Entsprechend der Versorgungsmedizinverordnung sei zum Zeitpunkt der Untersuchung am 2. Mai 2012 bei besonders schweren Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule und deutlicher Belastungsinsuffizienz mit erheblicher Einschränkung der Geh- und Stehfähigkeit ein Einzel-GdB in Höhe von 60 für das Funktionssystem Wirbelsäule anzusetzen.

2. Funktionssystem obere Extremität:

- Funktions- und Belastungsminderung rechtes Schultergelenk bei Impingementsyndrom und Muskelteilriss sowie Knorpelschäden, - Carpaltunnelsyndrom rechts.

Im Bereich der Schulter habe bei anhaltenden Bewegungseinschränkungen und Funktionsstörungen im Jahr 2004 bereits eine Operation durchgeführt werden müssen. Es sei eine Dekompression mit Tenotomie der langen Bicepssehne und Erweiterung des Schulterraumes erfolgt. Nach kurzzeitiger Besserung sei es erneut zu langsam zunehmenden Schulterschmerzen mit abnehmender Bewegungsfähigkeit und nachlassender Kraft gekommen. Eine Röntgenreizbestrahlung Anfang 2012 sei sechsmalig durchgeführt worden ohne wesentliche Besserung. Die klinische Untersuchung sowie auch gestützt durch die Ultraschalluntersuchung vom 2. Mai 2012 belege eine erhebliche Abnutzung der Schulterdrehmuskulatur mit Teilruptur der Supraspinatussehne. Klinisch wie sonographisch sei ein Impingementsyndrom zwischen 70° und 90° nachweisbar. Die Computertomographie des rechten Schultergelenkes vom 19. Juli 2011 zeige eine Arthrose mit unregelmäßiger Verdichtung und kleineren cystischen Arealen am Supraspinatussehnenansatz am Oberarmkopf sowie einen verschmälerten Gelenkspalt wie bei Arthrose und eine entsprechende Veränderung auch im AC-Gelenk. Dies erkläre die anhaltenden schmerzhaften Funktionsbehinderungen und Bewegungseinschränkungen sowie die belastungsabhängig sich verstärkenden Beschwerden. Bei in den letzten Jahren im Bereich des zweiten bis vierten Fingers zunehmendem Kribbeln habe im Rahmen einer EMG-Untersuchung vom 6. Januar 2012 ein mittelgradiges Carpaltunnelsyndrom rechts objektiviert werden können. Entsprechend der Versorgungsmedizinverordnung sei zum Zeitpunkt der Begutachtung am 2. Mai 2012 ein Einzel-GdB für die obere Extremität in Höhe von 20 anzusetzen.

3. Funktionssystem untere Extremität:

- Hüftgelenksverschleiß mit erheblichen Knorpelschäden und Bewegungseinschränkung beidseits II°, - Bewegungseinschränkung und Knorpelschäden beider Kniegelenke III°, - Verschleißerscheinungen beider Sprunggelenke, - teilkontrakter Senk-Spreiz-Fuß mit erheblicher Großzehengrundgelenksarthrose beidseits.

Im Bereich der unteren Extremitäten seien in allen großen Gelenken in den letzten Jahren langsam aber zunehmende degenerative Veränderungen festgestellt worden. Im Bereich der Hüft- und Kniegelenke seien in den letzten Jahren erhebliche Knorpelschäden aufgetreten. Aktuell ließen sich im Hüftgelenk II° arthrotische Veränderungen nachweisen. Die Röntgenuntersuchung bestätige eine deutliche Knorpelschädigung mit reaktiven knöchernen Veränderungen bei engem Gelenkspalt bei leichter Varusanlage der Schenkelhälse. Die klinische Beweglichkeit sei entsprechend eingeschränkt mit provozierbarem Bewegungsschmerz. Im Bereich der Kniegelenke seien erhebliche degenerative Veränderungen im Kniescheibengleitlager und in der Kniescheibengleitrinne nachweisbar. Hier bestünden III° Knorpelschäden, ohne dass aktuell erhebliche reaktive entzündliche Veränderungen nachweisbar seien. Ein typisches Knirschen und Knacken sowie ein Anpressschmerz der Kniescheibe im Gleitlager und ein positives Zohlen-Zeichen beidseits seien feststellbar. Eine Einschränkung der Beugefähigkeit beider Kniegelenke sei nachweisbar. Der Kapsel-/ Bandapparat sei intakt. Die Meniscus- und Kreuz-bandteste zeigten keine Auffälligkeiten. Im Bereich der Sprunggelenke bestünden ebenfalls Einschränkungen der Bewegungsfunktion sowie degenerative Knorpelveränderungen. Zudem bestehe eine leichte Außenbandlockerung beidseits. Ausgeprägte Fehlformen beider Füße seien vorhanden. Linksseitig sei im Jahr 2001 eine Vorfußkorrekturoperation am 1., 2. und 3. Strahl erfolgt. Es bestehe hier eine X-Fehlstellung im Großzehengrundgelenk von 5°, links von 20°. Erhebliche arthrotische Veränderungen in beiden Großzehengrundgelenken seien nachweisbar. Deutliche teilkontrakte Abflachungen des Längs- und Quergewölbes bestünden. Für das Funktionssystem der unteren Extremitäten sei zum Zeitpunkt der Begutachtung ein Einzel-GdB von 30 anzusetzen.

Zu den Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf das Gehvermögen der Klägerin hat der Sachverständige Folgendes ausgeführt:

Auf die Fortbewegungsfähigkeit wirkten sich vor allem das Wirbelsäulenleiden sowie die Leiden an den unteren Extremitäten aus. Die Beobachtung des Gangbildes am 2. Mai 2012 habe eine erhebliche Geh- und Stehbehinderung ergeben. Folgendes Gangbild habe beobachtet werden können: Auf dem Gelände sowie im Untersuchungsflur werde ein Rollator benutzt. An diesem sei ein kleinschrittiges, unsicheres, links hinkendes Gangbild mit asymmetrischer Stand- und Spielbeinphase und kurzer Schrittlänge erkennbar. Es würden Konfektionsschuhe mit Einlagen und Abrollsohlen getragen. Nach jeweils drei bis fünf Meter Gehen werde eine Standpause eingelegt. Beim Gehen erfolge ein Abstützen mit den Händen an den Rollatorgriffen. Erkennbar sei eine deutliche Rumpfvorbeugung. Barfuß im Untersuchungsraum sei ein sicherer beidbeiniger Stand gegeben. Der Einbeinstand sei nur unsicher nach Austarieren des Oberkörpers und mit Festhalten am Untersuchungstisch möglich. Der beidbeinige Zehen- und Hackenstand sei mit Festhalten möglich. Ohne Hilfsmittel im Untersuchungsraum sei ein sicheres Gehen nicht möglich. Beim Gehen am Rollator falle ein deutlich hinkendes unsicheres kleinschrittiges und asymmetrisches Gangbild auf. Die Füße würden hackenwärts aufgesetzt, in der Standbeinphase voll belastet und über den Vorfuß in 10° Außendrehung abgerollt. Die Klägerin könne sich aufgrund der Schwere der Behinderungen außerhalb ihrer Wohnung nur mit fremder Hilfe bewegen. Das Gehen in der Wohnung ohne Hilfsmittel sei noch möglich beim Festhalten an Möbelstücken und Haltgebung durch die Wände. Außerhalb der Wohnung müssten Konfektionsschuhe mit Einlagen und Abrollsohle benutzt werden. Das Treppensteigen sei mit Hilfe einer Begleitperson und am Geländer festhaltend langsam Stufe für Stufe noch möglich. Außerhalb der Wohnung sei die Klägerin auf einen Rollator angewiesen. Hier könne sie kurze Wegstrecken von zehn bis fünfzehn Meter vier Mal zurücklegen. Das Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel sei erheblich eingeschränkt und nur in Begleitung bei direkter Nähe möglich. Außerhalb des Kraftfahrzeuges könne sie sich nur wenige Schritte mit Hilfe eines Rollators oder von zwei Unterarmgehstützen bewegen und sei beim Ein- und Aussteigen auf fremde Hilfe angewiesen. Gehstrecken von mehr als zehn bis fünfzehn Meter bedürften erheblicher Anstrengungen unter Inkaufnahme verstärkter Schmerzen und zunehmender Unsicherheit beim Gehen. Die Anreise zur Begutachtung sei als Beifahrerin mit dem PKW über ca. 45 Minuten erfolgt. Nach Aufforderung betrete sie an einem Rollator langsam links hinkend und watschelnd gehend unter Benutzung von Konfektionsschuhen mit Einlagen und Abrollhilfe im Vorfuß beidseits den Untersuchungsraum. Die Klägerin könne trotz Benutzung von Unterarmgehstützen und eines Rollators und zumutbarer Willensanstrengung Wegstrecken von maximal fünfzehn bis zwanzig Meter bewältigen. Hiernach sei eine längere Stand- oder Sitzpause erforderlich. Hierbei werde normales ebenerdiges Pflaster angenommen. Auf unebenem Gelände oder bei erhöhter Stolper- und Sturzgefahr sowie beim Bewältigen von Treppen benötige sie fremde Hilfe. Das Ein- und Aussteigen aus dem PKW könne nur mit fremder Hilfe geschehen. Hierbei handele es sich um einen dauerhaften Zustand. Aufgrund der ausgeprägten degenerativen Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule in Verbindung mit den Knorpelschäden und Abnutzungserscheinungen im Bereich beider Hüft-, Knie- und Sprunggelenke sowie der Füße mit ständig bestehenden erheblichen muskulären Defiziten und anhaltenden Wurzelreizsyndromen mit sensomotorischem Defizit sei mit einer Besserung dauerhaft nicht zu rechnen. Die ausgeprägte Reduzierung der Geh- und Stehfähigkeit sei ständig und Tag wie Nacht anhaltend vorhanden. Unter Berücksichtigung aller genannten Behinderungen sei das Geh- und Stehvermögen der Klägerin ebenso eingeschränkt wie dies regelmäßig bei dem Personenkreis der Fall sei, bei dem eine außergewöhnliche Gehbehinderung anzuerkennen sei. Die resultierenden Funktionsstörungen der Lendenwirbelsäule und der unteren Extremitäten seien hierfür entscheidend. Es bestünden derartig erhebliche Belastungsinsuffizienzen, dass die Geh- und Stehfähigkeit in erheblichem Maße reduziert sei. Besonders schwere Auswirkungen der ausgeprägten degenerativen Lendenwirbelsäulenveränderungen auf die Funktionalität und Geh- und Stehfähigkeit seien festzustellen. Anhaltende Wurzelreizsyndrome mit sensomotorischem Defizit, eine relative Spinalkanaleinengung mit typischer klinischer Symptomatik, eine chronifizierte Schmerzsymptomatik sowie eine außergewöhnliche Schmerzreaktion bei ausgeprägter die gesamte Lendenwirbelsäule betreffende erheblicher teilfixierter Wirbelsäulenfehlstatik und Skoliose sowie zusätzliche Osteoporose seien feststellbar. Dies habe sich in den letzten Jahren zunehmend bis hin zur aktuellen klinischen Symptomatik entwickelt. Unterstützt und bestätigt werde dies durch die im Verlauf vorhandene Bildgebung mit aktueller MRT-Untersuchung vom 27. Januar 2012 und hier auch die im Vergleich zu den Voruntersuchungen aus 2010 weitere Zunahme der Verschleißerscheinungen. Es handele sich um ein in den letzten Jahrzehnten langsam, aber progredient zunehmendes Krankheitsgeschehen. Soweit den zur Verfügung stehenden medizinische Unterlagen zu entnehmen sei, habe zum Zeitpunkt der Antragstellung im Mai 2010 zwar eine erhebliche Gehbehinderung bestanden, welche zu einer deutlichen Einschränkung auch der Belastungsfähigkeit und Reduzierung der Mobilität geführt habe, die jedoch die strengen Kriterien zur Anerkennung des Merkzeichens "aG" zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfüllt habe. Die vorgelegten medizinischen Befunde sowie die im Aktenmaterial dokumentierten Befunde belegten nicht derartige Funktionsstörungen, wie sie einerseits zum damaligen Zeitpunkt hätten vorliegen müssen, um das Merkzeichen "aG" anerkannt zu bekommen, andererseits seien sie auch noch nicht so ausgeprägt gewesen, wie sie zum Zeitpunkt der aktuellen Begutachtung am 2. Mai 2012 festzustellen seien. Da es sich um einen langsam und schleichenden, aber stetig voranschreitenden Prozess handele, seien die medizinischen Voraussetzungen zur Anerkennung des Merkzeichens "aG" ab 2. Mai 2012 als erfüllt anzusehen.

Zu dem Gutachten des Sachverständigen Dr. R hat der Beklagte Stellungnahmen der Internistin R vom 13. September 2012 sowie der Chirurgin H vom 1. Oktober 2012 zu den Gerichtsakten gereicht.

Mit seinem Urteil vom 20. November 2012 hat das Sozialgericht der auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" ab Antragstellung am 6. Mai 2010 gerichteten Klage für die Zeit ab Mai 2012 stattgegeben, die Klage im Übrigen abgewiesen und den Beklagten zur Erstattung der vollen außergerichtlichen Kosten der Klägerin verurteilt. Dabei hat es sich auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. R gestützt. Soweit der Beklagte hiergegen eingewandt habe, die vom Sachverständigen festgestellten Einzel-GdB für die Funktionsstörungen der Wirbelsäule und der unteren Extremitäten seien weder für sich nachvollziehbar, noch ergäben sie in ihrer Gesamtheit einen mobilitätsbedingten GdB von 80, so könne dies nicht überzeugen. Aufgrund der Vielzahl und der Schwere der bei der Klägerin vorliegenden Schädigungen im Bereich der Lendenwirbelsäule und der unteren Extremitäten halte das Gericht die Schlussfolgerung des Sachverständigen, es lägen in der Summe Wirbelsäulenschäden mit besonders schweren Auswirkungen (GdB 50 bis 70 nach Nr. 18.9 des Teils B der Versorgungsmedizinischen Grundsätze) und mehr als geringe Bewegungs- und Belastungseinschränkungen der unteren Extremitäten (GdB 30 nach Nr. 18.14 des Teils B der Versorgungsmedizinischen Grundsätze) vor, für sachgerecht. Selbst wenn sich hieraus noch kein die Mobilität betreffender GdB von 80 bilden lasse, sei dies unerheblich, denn ein solches Erfordernis sei den oben genannten rechtlichen Vorgaben nicht zu entnehmen. Entscheidend für die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung sei, dass der Sachverständige aufgrund seiner besonderen Sachkunde in nachvollziehbarer Weise bei der Klägerin schwerste Einschränkungen der Gehfähigkeit konstatiert habe, die mit den rechtlichen Vorgaben vereinbar seien.

Gegen das ihm am 5. Dezember 2012 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 12. Dezember 2012 Berufung eingelegt. Dr. R verweise zu Unrecht bezüglich der Wirbelsäulenbehinderung auf eine relative Spinalkanaleinengung und eine außergewöhnliche Schmerzreaktion, denn ausweislich eines MRT-Befundes vom 27. Januar 2012 liege eine signifikante spinale Stenose nicht vor. Ein außergewöhnliches Schmerzsyndrom sei bei einer Schmerzmedikation von zwei Mal 50 mg Diclofenac und Paracetamol 500 bei Bedarf nicht nachvollziehbar. Die dokumentierten Funktionsbefunde der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule seien für die Altersgruppe, der die Klägerin angehöre, nicht außergewöhnlich. Die erhobenen Funktionsbefunde der Wirbelsäule rechtfertigten keinen Einzel-GdB von 60. Auch die Bewertung der unteren Extremitäten mit einem Einzel-GdB von 30 sei nicht nachvollziehbar. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" lägen nicht vor, da selbst nach der weit überhöhten Bewertung durch Dr. R kein mobilitätsbezogener GdB von 80 bestehe. Darüber hinaus sei die Klägerin nach eigenen Angaben in der Lage, die Treppen ihrer im ersten Stock gelegenen Wohnung ohne Fahrstuhl unter Benutzung des Geländers zu bewältigen.

Der Senat hat zu den Einwänden des Beklagten eine ergänzende Stellungnahme bei dem Sachverständigen Dr. R vom 18. Februar 2013 eingeholt, welcher erklärt hat, an seiner Einschätzung festzuhalten. In der Stellungnahme der Chirurgin H vom 1. Oktober 2012 würden die vom Versorgungsamt anerkannten Gesundheitsstörungen weiter in gleicher Weise beurteilt und verfolgt, ohne dass auf die im Laufe der Zeit sich verstärkten und verschlimmernden Beschwerden und auch objektivierbar nachweisbaren Befunde näher eingegangen werde. Auch auf die Schilderung des Beschwerdeverlaufes sowie des am 2. Mai 2012 bestehenden Beschwerdebildes und der im Gutachten dargelegten und aufgeführten erheblichen Veränderungen degenerativer Art werde nicht in ausreichendem Maße eingegangen. Dass im MRT der Lendenwirbelsäule vom 27. Januar 2012 keine signifikante spinale Stenose beschrieben werde, sei dahingehend zu bewerten, dass nicht eine derartig ausgeprägte Rückenmarkskanaleinengung vorgelegen habe, als dass eine sofortige operative Intervention hätte erfolgen müssen. Vielmehr handele es sich um ein funktionelles Beschwerdebild, welches vor allem haltungs- und belastungsabhängig auftrete. Die MRT-Untersuchung sei zwar eine geeignete Methode, degenerative Veränderungen festzustellen, jedoch handele es sich hier auch um eine Untersuchungsmethode, bei der im Verlauf von bis zu 15 Minuten in liegender Position eine entsprechende Bilddokumentation erfolge. Keinesfalls könne man mit dieser Methode funktionelle Veränderungen und Bewegungsabläufe sowie sich unter den Bewegungen und Bewegungsabläufen einstellende zusätzliche Einengungen des Rückenmarkskanals oder Irritationen der abgehenden Nervenwurzeln darstellen. Die Diagnosestellung erfolge demzufolge nicht nur durch Bildgebung, sondern vor allem durch die Schilderung des Beschwerdebildes und die klinisch funktionelle Untersuchung wie sie auch in typischer Weise bei der Schilderung der Beschwerden durch die Klägerin erfolgt seien. Auch zum Thema außergewöhnliche Schmerzreaktion sei anzumerken, dass diese nicht alleine aufgrund der eingenommenen Medikamente und der Wirkstoffklasse nach dem WHO-Stufenschema zu bewerten sei, sondern hier die tatsächlich bestehenden und empfundenen Schmerzen zu berücksichtigen seien. Diese seien insbesondere in den Befundberichten der behandelnden Ärzte sowie der medizinischen Unterlagen in deutlicher Weise dokumentiert und hätten auch durch die ausführliche Gesprächsführung und die Untersuchungsbefunde am Untersuchungstag objektiviert werden können. Sie seien zudem chronifiziert im Stadium III nach Gerbershagen und somit medikamentös auch nur bedingt zu beeinflussen.

Zu der ergänzenden Stellungnahme von Dr. R hat der Beklagte eine fachchirurgische Stellungnahme der Chirurgin H vom 8. April 2013 zu den Gerichtsakten gereicht. Die Klägerin hat auf gerichtlichen Hinweis die Klage für den 1. Mai 2012 zurückgenommen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. November 2012 zu ändern und die Klage ganz abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts im noch streitigen Umfang für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

 

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten, die nach der teilweisen Klagerücknahme der Klägerin für einen Tag nur noch die Verurteilung des Sozialgerichts zur Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" für die Zeit ab dem 2. Mai 2012 zum Gegenstand hat, ist zulässig, aber unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist im noch streitigen Umfang zutreffend. Der angefochtene Bescheid vom 14. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 2011 ist für die Zeit ab dem 2. Mai 2012 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit es der Beklagte mit diesem Bescheid abgelehnt hat, die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" festzustellen. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" seit dem 2. Mai 2012.

Anspruchsgrundlage für die begehrte Feststellung ist § 69 Abs. 4 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX). Hiernach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Schwerbehindertenausweisverordnung). Diese Feststellung zieht straßenverkehrsrechtlich die Gewährung von Parkerleichterungen im Sinne von § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (StVO) nach sich, wobei Ausgangspunkt für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung die in der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) enthaltenen Regelungen sind. Nach Abschnitt II Nr. 1 VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO sind als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Dazu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind. Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 erster Halbsatz VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO aufgeführten schwerbehinderten Menschen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 29. März 2007 - B 9a SB 5/05 R - juris). Dabei ist zu beachten, dass die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften nicht darauf abstellen, über welche Wegstrecken ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist, nämlich nur noch mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzungen - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an - erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 2002 - B 9 SB 7/01 R - juris).

Teil D Nr. 3 der Anlage zu § 2 VersMedV enthält zu dem Merkzeichen "aG" folgende Aussagen:

a) Für die Gewährung von Parkerleichterungen für schwer behinderte Menschen nach dem Straßenverkehrsgesetz (StVG) ist die Frage zu beurteilen, ob eine außergewöhnliche Gehbehinderung vorliegt. Auch bei Säuglingen und Kleinkindern ist die gutachtliche Beurteilung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung erforderlich. Für die Beurteilung sind dieselben Kriterien wie bei Erwachsenen mit gleichen Gesundheitsstörungen maßgebend. Es ist nicht zu prüfen, ob tatsächlich diesbezügliche behinderungsbedingte Nachteile vorliegen oder behinderungsbedingte Mehraufwendungen entstehen.

b) Als schwer behinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehend aufgeführten Personenkreis gleichzustellen sind.

c) Die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung darf nur auf eine Einschränkung der Gehfähigkeit und nicht auf Bewegungsbehinderungen anderer Art bezogen werden. Bei der Frage der Gleichstellung von behinderten Menschen mit Schäden an den unteren Gliedmaßen ist zu beachten, dass das Gehvermögen auf das Schwerste eingeschränkt sein muss und deshalb als Vergleichsmaßstab am ehesten das Gehvermögen eines Doppeloberschenkelamputierten heranzuziehen ist. Dies gilt auch, wenn Gehbehinderte einen Rollstuhl benutzen: Es genügt nicht, dass ein solcher verordnet wurde; die Betroffenen müssen vielmehr ständig auf den Rollstuhl angewiesen sein, weil sie sich sonst nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung fortbewegen können. Als Erkrankungen der inneren Organe, die eine solche Gleichstellung rechtfertigen, sind beispielsweise Herzschäden mit schweren Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz sowie Krankheiten der Atmungsorgane mit Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades anzusehen.

Ob und inwieweit zur Beurteilung des Vorliegens einer außergewöhnlichen Gehbehinderung ergänzend die vorstehenden Bestimmungen in Teil D Nr. 3 der Anlage zu § 2 VersMedV heranzuziehen sind, kann dahinstehen. Denn ungeachtet der Frage, ob die Regelungen der Vers-MedV zum Merkzeichen "aG" rechtswirksam erlassen worden sind (vgl. hierzu verneinend: Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Juli 2010 - L 8 SB 3119/08 -, Beschluss vom 9. Mai 2011 - L 8 SB 2294/10 -, Urteil vom 21. Februar 2013 - L 6 SB 5788/11 - alle bei juris), liegen die gesundheitlichen Voraussetzungen für den von der Klägerin begehrten Nachteilsausgleich mit und ohne Berücksichtigung dieser Regelungen vor. Dabei ist anzumerken, dass die Ausführungen in Teil D Nr. 3 der Anlage zu § 2 VersMedV unter Buchstabe a) für den vorliegenden Fall keine nennenswerten Aussagen enthalten und die Ausführungen unter Buchstabe b) denen in Abschnitt II Nr. 1 VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO wortgleich entsprechen. Inwieweit die Ausführungen unter Buchstabe c) im Verhältnis zu denen im Abschnitt II Nr. 1 VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO strengere Maßstäbe aufstellen, kann vorliegend offen bleiben, weil vorliegend auch bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe eine außergewöhnliche Gehbehinderung im Rechtssinne besteht. Denn das Gehvermögen der Klägerin ist auch in diesem Sinne auf das Schwerste eingeschränkt und sie kann sich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung fortbewegen.

Bei der Klägerin liegen die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" vor. Sie zählt zwar nicht zum Kreis der Querschnittsgelähmten, Doppeloberschenkelamputierten, Doppelunterschenkelamputierten, Hüftexartikulierten und einseitig Oberschenkelamputierten, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind. Sie ist aber ein schwerbehin-derter Mensch, der dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen ist. Denn die Gehfähigkeit der Klägerin ist in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt und sie kann sich nur unter eben-so großen Anstrengungen wie die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 erster Halbsatz VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO aufgeführten schwerbehinderten Menschen fortbewegen.

Für die Beurteilung einer Gleichstellung ist bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen. Ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen lässt sich griffig jedoch weder quantifizieren noch qualifizieren. Weder der gesteigerte Energieaufwand noch eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke taugen grundsätzlich dazu. Denn die maßgeblichen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellen, wie die Anlage zu § 2 VersMedV im Übrigen auch, nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist, nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzungen praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt. Die für den Nachteilsausgleich "aG" geforderte große körperliche Anstrengung ist gegeben, wenn die Wegstreckenlimitierung darauf beruht, dass der Betroffene bereits nach kurzer Wegstrecke erschöpft ist und Kräfte sammeln muss, bevor er weitergehen kann. Dass der betroffene Gehbehinderte nach einer bestimmten Strecke eine Pause machen muss, ist allerdings lediglich Indiz für eine Erschöpfung. Für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "aG" reichen irgendwelche Erschöpfungszustände zudem nicht aus. Vielmehr müssen sie in ihrer Intensität mit den Erschöpfungszuständen gleichwertig sein, die bei den ausdrücklich genannten außergewöhnlich Gehbehinderten auftreten. Gradmesser hierfür kann die Intensität des Schmerzes oder die Luftnot nach dem Zurücklegen einer bestimmten Wegstrecke sein. Ein solches Erschöpfungsbild lässt sich u. a. aus der Dauer der erforderlichen Pausen sowie den Umständen herleiten, unter denen der Betroffene nach der Pause seinen Weg fortsetzt. Nur kurzes Pausieren mit anschließendem Fortsetzen des Weges ohne zusätzliche Pausen ist im Hinblick auf die von den Vergleichsgruppen gebildeten Maßstab zumutbar (vgl. zu Vorstehendem BSG, Urteile vom 29. März 2007 - B 9a SB 1/06 R und 5/05 R -, jeweils zitiert nach juris). Das Bundessozialgericht hat in diesem Zusammenhang zum Ausdruck gebracht, dass die für das Merkzeichen "aG" geforderte große körperliche Anstrengung gegeben sein dürfte, wenn der Betroffene bereits nach einer Wegstrecke von 30 Metern wegen Erschöpfung eine Pause einlegen muss (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 2002 - B 9 SB 7/01 R - juris).

Die Klägerin kann sich seit dem 2. Mai 2012 (Untersuchungsdatum bei dem Sachverständigen Dr. R) praktisch von den ersten Schritten außerhalb ihres Kraftfahrzeuges nur noch mit großer Anstrengung bewegen. Dies ergibt sich aus einer Gesamtschau der vorliegenden medizinischen Unterlagen, hier insbesondere aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. R. Danach besteht bei der Klägerin unter Nutzung eines Rollators und bei Tragen von Konfektionsschuhen mit Einlagen und Abrollsohlen ein kleinschrittiges, unsicheres, links hinkendes Gangbild mit a-symmetrischer Stand- und Spielbeinphase und kurzer Schrittlänge. In der Wohnung ist das Gehen ohne Hilfsmittel nur noch möglich durch Festhalten an Möbelstücken und Haltgebung durch die Wände. Außerhalb der Wohnung kann die Klägerin - dies auch nur auf normalem ebenerdigen Pflaster - nur kurze Wegstrecken von zehn bis fünfzehn, maximal 20 Meter vier Mal zurücklegen. Gehstrecken von mehr als zehn bis fünfzehn Meter bedürfen erheblicher Anstrengungen unter Inkaufnahme verstärkter Schmerzen und zunehmender Unsicherheit beim Gehen. Danach ist eine längere Stand- oder Sitzpause erforderlich. Auf unebenem Gelände oder bei erhöhter Stolper- und Sturzgefahr sowie beim Bewältigen von Treppen benötigt die Klägerin ebenso fremde Hilfe wie beim Ein- und Aussteigen aus dem PKW. Demnach kann sich die Klägerin also von den ersten Schritten an nur unter großer Anstrengung fortbewegen. Dieser Befund ist angesichts der bei der Klägerin bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen auch nachvollziehbar begründet. Denn bei ihr bestehen nach den nachvollziehbaren Feststellungen des Sachverständigen ausgeprägte degenerative Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule in Verbindung mit den Knorpelschäden und Abnutzungserscheinungen im Bereich beider Hüft-, Knie- und Sprunggelenke sowie der Füße mit ständig bestehenden erheblichen muskulären Defiziten und anhaltenden Wurzelreizsyndromen mit sensomotorischem Defizit. Die daraus folgenden Belastungsinsuffizienzen sind derart, dass die Geh- und Stehfähigkeit in erheblichem Maße reduziert ist. Ebenso nachvollziehbar hat der Sachverständige die stetige Verschlechterung des Krankheitsbildes der Klägerin erläutert. Die anhaltenden Wurzelreizsyndrome mit sensomotorischem Defizit, eine relative Spinalkanaleinengung mit typischer klinischer Symptomatik, eine chronifizierte Schmerzsymptomatik sowie eine außergewöhnliche Schmerzreaktion bei ausgeprägter die gesamte Lendenwirbelsäule betreffende erheblicher teilfixierter Wirbelsäulenfehlstatik und Skoliose sowie zusätzliche Osteoporose haben sich danach in den letzten Jahren zunehmend bis hin zur aktuellen klinischen Symptomatik entwickelt, wobei sich die Verschlechterung auch anhand der vorhandenen Bildgebung nachvollziehen lässt.

Überzeugend hat der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 18. Februar 2013 die Einwände der Chirurgin H in deren Stellungnahme vom 1. Oktober 2012 entkräftet. Namentlich ihr Einwand, dass im MRT der Lendenwirbelsäule vom 27. Januar 2012 keine signifikante spinale Stenose beschrieben werde, greift nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. R nicht durch, weil die MRT-Untersuchung zwar eine geeignete Methode ist, degenerative Veränderungen festzustellen, man mit dieser Methode funktionelle Veränderungen und Bewegungsabläufe sowie sich unter den Bewegungen und Bewegungsabläufen einstellende zusätzliche Einengungen des Rückenmarkskanals oder Irritationen der abgehenden Nervenwurzeln aber nicht darstellen kann, so dass die Diagnosestellung nicht nur durch Bildgebung, sondern vor allem durch die Schilderung des Beschwerdebildes und die klinisch funktionelle Untersuchung erfolgt. Auch die Ausführungen des Sachverständigen zur außergewöhnlichen Schmerzreaktion, die in den Befundberichten der behandelnden Ärzte sowie den medizinischen Unterlagen in deutlicher Weise dokumentiert ist und durch die ausführliche Gesprächsführung und die Untersuchungsbefunde am Untersuchungstag objektiviert werden konnte, überzeugen und er legt nachvollziehbar dar, dass allein die Berücksichtigung der Schmerzmedikation unzureichend ist, zumal die bei der Klägerin bestehende Schmerzreaktion medikamentös auch nur bedingt zu beeinflussen ist. Ergänzend merkt der Senat an, dass die Ausführungen der Chirurgin H in ihrer Stellungnahme vom 1. Oktober 2012 auch insoweit nicht überzeugen, als sie die dokumentierten Funktionsbefunde der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule für die Altersgruppe der Klägerin als keineswegs außergewöhnlich ansieht und sie auch das Vorliegen einer außergewöhnlichen Schmerzreaktion bezweifelt. Zum einen beschreibt der Sachverständige insoweit durchaus erhebliche Funktionsbeeinträchtigungen, zum anderen hat der Beklagte selbst allein für die Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule unter Berücksichtigung der Osteoporose und einer außergewöhnlichen Schmerzreaktion einen Einzel-GdB von 50 berücksichtigt, was auf erhebliche Funktionsbeeinträchtigungen allein insoweit hindeutet.

Soweit der Beklagte auch in seiner Berufungsbegründung einwendet, bei der Klägerin bestehe kein mobilitätsbedingter GdB von 80, kann der Senat offen lassen, ob dies hier so ist. Denn zwar mag ein derart hoher mobilitätsbedingter GdB auf das Vorliegen einer außergewöhnlichen Gehbehinderung hindeuten, Voraussetzung für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" ist er aber nicht, weil sich diese Voraussetzung - anders als etwa für das Merkzeichen "T" nach § 1 Abs. 1 Satz 2 der - landesrechtlichen und damit für die Auslegung von Bundesrecht nicht heranzuziehenden - Verordnung über die Vorhaltung eines besonderen Fahrdienstes vom 31. Juli 2001 (GVBl. Seite 322), zuletzt geändert mit Verordnung vom 22. Juni 2005 (GVBl. Seite 342) (vgl. Urteil des Senats vom 6. Februar 2013 - L 11 SB 245/10 - juris) - den genannten rechtlichen Grundlagen nicht entnehmen lässt. Soweit eingewandt wird, den in Abschnitt II Nr. 1 VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO genannten Regelbeispielen sei gemeinsam, dass Funktionsstörungen mit einem Mindest-GdB von 80 vorliegen müssen, die sich gravierend auf die Fortbewegungsfähigkeit auswirken, und soweit daraus der Schluss gezogen wird, außergewöhnlich Gehbehinderten könnten nur Personen gleichgestellt werden, bei denen Funktionsstörungen mit Auswirkungen auf die Fortbewegungsfähigkeit mit einem Mindest-GdB von 80 vorliegen (so Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 30. Juni 2009 - L 15 SB 118/08 - juris), kann dahinstehen, ob dies so ist, was allerdings in Bezug auf die in den Regelbeispielen ebenfalls genannten einseitig Oberschenkelamputierten zweifelhaft sein mag. Denn das BSG hat bereits ausdrücklich entschieden, dass es im Einzelfall unschädlich sein könne, wenn der GdB für die Behinderungen im Bereich der für das Gehen funktional benötigten Körperteile nicht den zumeist sehr hohen Grad der Behinderungen der Regelbeispiele erreicht. Denn es komme für den Nachteilsausgleich "aG" gerade nicht auf die allgemeine Vergleichbarkeit der Auswirkungen der Gesundheitsstörungen, die letztlich durch die Höhe des GdB manifestiert würden, sondern allein darauf an, dass die Auswirkungen funktional im Hinblick auf die Fortbewegung gleichzuachten seien (BSG, Urteil vom 12. Februar 1997 - 9 RVs 11/95 - juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und ergibt sich für die Kosten des Berufungsverfahrens ohne weiteres aus dem Ausgang des Verfahrens. Aber auch die erstinstanzliche Kostenentscheidung war hier unangetastet zu lassen. Zu Lasten des Beklagten ist außer den vom Sozialgericht genannten Erwägungen unter dem Gesichtspunkt der Klageveranlassung die defizitäre Amtsermittlung des Beklagten zu berücksichtigen; so hat der Beklagte die Klägerin im auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" gerichteten Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren durch seinen ärztlichen Dienst nicht ambulant untersuchen lassen, obwohl sich dies auch deshalb aufgedrängt hätte, weil das letzte Verwaltungsgutachten aufgrund ambulanter Untersuchung der Klägerin vom 12. August 2004 datiert und damit hier offensichtlich veraltet war. Der Umstand, dass auch eine sachgerechte Amtsermittlung zu keinem für die Klägerin günstigen Ergebnis geführt hätte, weil die entsprechenden gesundheitlichen Änderungen die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" erst seit dem 2. Mai 2012 rechtfertigen, wirkt sich kostenmäßig nicht aus, weil bereits die defizitäre Amtsermittlung des Beklagten Anlass für die Klageerhebung war.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil ein Grund hierfür gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.