Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 11 SB 205/12 - Urteil vom 06.11.2014
Bei einem durch intraokulare Kunstlinsen korrigierten Linsenverlust beider
Augen ist nach Nr. 26.4 AHP (sowohl in der Fassung 2005 als auch 2008) und nach
Teil B Nr. 4.2 der Anlage zu § 2 VersMedV in der bis zur Zweiten Verordnung zur
Änderung des VersMedV vom 14. Juli 2010 geltenden Fassung der sich aus der
Sehschärfe für beide Augen ergebende GdB um 10 zu erhöhen. Seit der Dritten
Änderungsverordnung vom 17. Dezember 2010 gilt dies nur noch, wenn der sich aus
der Sehschärfe für beide Augen ergebende GdS nicht mehr als 60 beträgt.
Zur Bestimmung des "sich aus der Sehschärfe für beide Augen ergebende(n)" GdB
ist die in Nr. 26.4 AHP bzw. in Teil B Nr. 4.3 der Anlage zu § 2 VersMedV
wiedergegebene MdE-Tabelle der DOG heranzuziehen und nicht der sich aus dem
Linsenverlust für ein Auge ergebende (verdoppelte) Wert. Dies ergibt sich
bereits aus dem eindeutigen Wortlaut der Regelungen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 70, wobei streitig allein die Bewertung einer beidseitigen Kunstlinsenversorgung ist.
Zugunsten der 1930 geborenen Klägerin hatte der Beklagte durch bestandskräftigen Bescheid vom 26. November 1996 einen GdB von 60 wegen folgender Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt:
- Entfernung der rechten Niere mit eingeschränkter Funktion der linken Niere bei chronischer Pyelonephritis (Einzel-GdB: 40), - Narbenbeschwerden nach mehrfachen Bauchoperationen (Einzel-GdB: 20), - Dranginkontinenz II. Grades (Einzel-GdB: 20).
Ein im Oktober 2002 gestellter Verschlechterungsantrag hatte keinen Erfolg (Bescheid vom 22. September 2003, Widerspruchsbescheid vom 23. Januar 2004 mit alleiniger Ergänzung der Funktionsbeeinträchtigungen um ein - Schilddrüsenleiden - Einzel-GdB:10 -).
Am 26. September 2007 (formlos) und 24. Oktober 2007 (auf dem dafür vorgesehenen Formular des Beklagten)beantragte die Klägerin die Neufeststellung des GdB sowie die Zuerkennung des Merkzeichens "G", nachdem sie sich unter anderem im Jahr 2006 Kataraktoperationen an beiden Augen unterzogen hatte.
Der Beklagte holte Befundberichte der Ärztin für Innere Medizin Dr. G vom 7. November 2007, der Fachärztin für Augenheilkunde Dr. P vom 19. November 2007 und des Facharztes für Nephrologie Dr. L vom 6. April 2008 sowie eine gutachterliche Stellungnahme des Arztes für Urologie Dr. S vom 5. Juni 2008 ein. Die Fachärztin für Augenheilkunde Dr. P gab in dem Befundbericht eine Sehschärfe für das rechte Auge von 0,9 und für das linke Auge von 1,0 an.
Mit Bescheid vom 12. Juni 2008 lehnte der Beklagte den Antrag auf Neufeststellung ab und bezeichnete die Funktionsbeeinträchtigungen wie folgt neu:
- Entfernung der rechten Niere mit eingeschränkter Funktion der linken Niere bei chronischer Pyelonephritis (Einzel-GdB: 40), - Narbenbeschwerden nach mehrfachen Bauchoperationen (Einzel-GdB: 20), - Dranginkontinenz II. Grades (Einzel-GdB: 20), - Schilddrüsenleiden (Einzel-GdB: 10), - eingepflanzte Kunstlinse (Einzel-GdB: 10), - degenerative Veränderungen der Wirbelsäule (Einzel-GdB: 10), - Darmwandsaustülpungen (Divertikulose) (Einzel-GdB: 10).
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, den sie damit begründete, dass der durch intraokulare Kunstlinse korrigierte beidseitige Linsenverlust mit einem Einzel GdB von 30 zu bewerten sei. Zur Begründung bezog sie sich auf eine augenärztliche Stellungnahme der Augenärztin Dr. P vom 28. Oktober 2008. Den Visus der Klägerin gab die Ärztin darin nach Feststellung am 17. März 2008 beidseitig jeweils mit 1,0 an. Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme der Prüfärztin Z St vom 23. Dezember 2008 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit am 19. Februar 009 zur Post gegebenen Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 2009 zurück.
Mit ihrer hiergegen am 19. März 2009 erhobenen Klage begehrte die Klägerin die Verpflichtung zur Feststellung eines GdB von mindestens 70. Zur Begründung machte sie geltend, die beidseitige Versorgung mit einer Kunstlinse sei nach Teil B Nr. 4.2 der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) mit einem Einzel-GdB von mindestens 30 zu bewerten. Sie reichte einen augenärztlichen Untersuchungsbefund des Facharztes für Augenheilkunde Dr. L vom 6. Dezember 2011 zu den Akten, der eine Sehschärfe mit aktuell ermittelter optischer Korrektur von rechtsseitig 0,8p und linksseitig 1,0p ausweist.
Mit Gerichtsbescheid vom 6. August 2012, dem Klägerbevollmächtigten zugestellt am 15. August 2012, hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Funktionsbehinderungen der Augen seien mit einem Einzel-GdB von 10 ausreichend und angemessen bewertet. Nach Nr. 26.4 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) und Teil B Nr. 4.2 der Anlage zu § 2 VersMedV sei bei einem Linsenverlust beider Augen der sich aus der Sehschärfe für beide Augen ergebende GdB um 10 zu erhöhen. In diesem Zusammenhang komme es auf die Sehfähigkeit an, wie sie sich aus der MdE-Tabelle der Deutschen Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) unter Teil B Nr. 4.3 der Anlage zu § 2 VersMedV ergebe. Dies werde bereits aus der Begründung des Verordnungsgebers zur Dritten Verordnung zur Änderung der VersMedV vom 17. Dezember 2010 (BR-Drs. 713/10, S. 6) deutlich und ergebe sich auch daraus, dass bei einer Versorgung mit einer Starbrille ebenfalls auf die Sehschärfe für beide Augen verwiesen werde und hier nicht auf die GdB Werte für eine Kunstlinse verwiesen werden könne. Die Auffassung der Klägerin würde dazu führen, dass bei beidseitiger Kunstlinsenversorgung mit einer jeweiligen Sehschärfe von z.B. 0,2 der GdB maximal 50 betrüge, wohingegen man bei Zugrundelegung der MdE-Tabelle der DOG sowie Erhöhung um 10 zu einem Wert von 60 käme. Auch das systematische Argument der Klägerin, die MdE-Tabelle der DOG in Teil B Nr. 4.3 der Anlage zu § 2 VersMedV sei den Regelungen zur Versorgung mit Kunstlinsen in Nr. 4.2 nach- und nicht vorangestellt, überzeuge nicht, weil bereits in den Vorbemerkungen zum Sehorgan in Teil B Nr. 4 der Anlage zu § 2 VersMedV klargestellt werde, dass die Grundlage für die GdS-Beurteilung bei Herabsetzung der Sehschärfe die MdE-Tabelle der DOG bilde. Die vorliegenden augenärztlichen Befunde wiesen Sehschärfen von jeweils 1,0 bzw. 1,0 und 0,8 aus. Hierfür sehe die MdE-Tabelle der DOG einen GdB von 0 vor, der nach Teil B Nr. 4.2 der Anlage zu § 2 VersMedV wegen der beidseitigen Kunstlinsenversorgung um und auf 10 zu erhöhen sei. Die Bemessung der übrigen Funktionsbeeinträchtigungen sei von der Klägerin nicht beanstandet worden. Anhaltspunkte für eine rechtswidrige Bemessung seien nicht zu erkennen.
Hiergegen hat die Klägerin am Montag, dem 17. September 2012, Berufung eingelegt, mit der sie ihr Begehren auf Feststellung eines GdB von mindestens 70 weiterverfolgt. Die tatsächlichen Feststellungen des Sozialgerichts seien zutreffend. Indes sei die im Jahre 2006 hinzugetretene Funktionsbeeinträchtigung durch die beidseitige Versorgung mit Kunstlinsen mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten, was auch zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB um mindestens 10 führen müsse. Teil B Nr. 4.2 der Anlage zu § 2 VersMedV regele die Funktionsbeeinträchtigung durch Linsenverlust abschließend und lasse einen Rückgriff auf die Regelungen in Nr. 4.3 grundsätzlich nicht zu, sondern nur in dem hier nicht vorliegenden Ausnahmefall, dass die Sehschärfe auf beiden Seiten sehr gering sei und unter Zugrundelegung der MdE Tabelle der DOG zu einem höheren als dem nach Nr. 4.2 höchstmöglichen GdB von 70 (2 x 30 + 10) führe. Nur insoweit habe in der früheren Regelung eine Gerechtigkeitslücke bestanden, die der Verordnungsgeber mit der Dritten Verordnung zur Änderung der VersMedV habe schließen wollen. Zu berücksichtigen sei bei der Auslegung von Teil B Nr. 4.2 der Anlage zu § 2 VersMedV auch, dass eine beidseitige Betroffenheit wegen der fehlenden bzw. eingeschränkten Kompensationsmöglichkeit des anderen Auges besonders einschneidend sei und sich hieraus ein zusätzlicher Aufschlag gegenüber der nur einseitigen Betroffenheit rechtfertige. Die beidseitige Kunstlinsenversorgung führe auch bei der Klägerin zu einer zusätzlichen Beeinträchtigung der Sehfähigkeit durch Beeinträchtigung des Kontrastsehens, Wegfall der Adaptionsfähigkeit an die Lichtverhältnisse, erhöhte Blendempfindlichkeit, Einschränkung des Dämmerungssehens sowie Wegfall der Akkomodationsfähigkeit. Vor diesem Hintergrund erscheine es auch mit Blick auf das Gleichbehandlungs- bzw. Benachteiligungsverbot nicht plausibel, im vorliegenden Fall die einseitige und die beidseitige Betroffenheit mit demselben GdB von 10 zu bewerten. Auch der ärztliche Sachverständigenbeirat habe bereits unter Geltung der AHP die beidseitige Linsenlosigkeit mit einem GdB von 30 bewertet (Verweis auf Ziff. 3.5.3 der Niederschrift über die Tagung vom 10. April 1991). Bei der Bildung des Gesamt-GdB sei danach zu dem bisherigen Gesamt-GdB von 60 ein Aufschlag von mindestens 10 vorzunehmen. Die Funktionsbeeinträchtigung der Augen stünde in keinem Zusammenhang mit den bereits zuvor vorliegenden im Wesentlichen internistisch begründeten Funktionsbeeinträchtigungen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 6. August 2012 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 12. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2009 zu verurteilen, bei der Klägerin ab dem 26. September 2007 einen Grad der Behinderung in Höhe von mindestens 70 festzustellen
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Selbst wenn eine erhöhte Bewertung des Augenleidens mit einem Einzel-GdB von 20 diskutiert werden sollte, rechtfertige dies noch keinen Gesamt-GdB von 70.
Der Senat hat einen Befundbericht bei dem Facharzt für Augenheilkunde Dr. L vom 19. Juni 2014 eingeholt. Darin hat dieser angegeben, die Sehschärfe habe im November 2011 rechts 0,5pp und links 0,8p betragen. Der Beklagte hat hierzu eine versorgungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Augenheilkunde B vom 18. August 2014 übersandt, in der dieser ausführt, dass aus dem Befundbericht nicht hervorgehe, ob es sich bei den Werten um korrigierte oder unkorrigierte Werte handele. Insoweit sei auf die zeitlich aktuelleren und korrigierten Werte in dem Vorbefund des behandelnden Arztes vom 6. Dezember 2011 (0,8p und 1,0p) abzustellen. Hinsichtlich der Bewertung bleibe es danach bei einem Einzel-GdB von 10 für das Augenleiden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der zum Verfahren beigezogenen Gerichtsakte des Verfahrens S 45 Vs (SB) 497/95 vor dem SG Berlin sowie die die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 12. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn ein GdB von mehr als 60 ist auch seit dem 26. September 2007 bei ihr nicht festzustellen. Im Vergleich zu den tatsächlichen Verhältnissen, die der Feststellung eines GdB von 60 durch Bescheid vom 26. November 1996 zugrunde gelegen haben, ist es im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) zu keiner wesentlichen Änderung gekommen.
1. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Bei der Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, sind für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 (grundsätzlich) die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (vormals Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung) herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) in ihrer jeweils geltenden Fassung (hier maßgeblich Ausgaben 2005 und 2008 - AHP 2005 und 2008) zu beachten, die gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX für die Zeit ab dem 1. Januar 2009 durch die in der Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG - Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) - vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I Seite 2412) festgelegten "versorgungsmedizinischen Grundsätze" abgelöst worden sind, die inzwischen ihrerseits durch die Verordnungen vom 1. März 2010 (BGBl. I Seite 249), 14. Juli 2010 (BGBl. I Seite 928), 17. Dezember 2010 (BGBl. I Seite 2124), 28. Oktober 2011 (BGBl. I Seite 2153) und 11. Oktober 2012 (BGBl. I Seite 2122) Änderungen erfahren haben. Die AHP sind zwar kein Gesetz und sind auch nicht aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung erlassen worden. Es handelt sich jedoch bei ihnen um eine auf besonderer medizinischer Sachkunde beruhende Ausarbeitung im Sinne von antizipierten Sachverständigengutachten, die die möglichst gleichmäßige Handhabung der in ihnen niedergelegten Maßstäbe im gesamten Bundesgebiet zum Ziel hat. Die AHP engen das Ermessen der Verwaltung ein, führen zur Gleichbehandlung und sind deshalb auch geeignet, gerichtlichen Entscheidungen zugrunde gelegt zu werden. Gibt es solche anerkannten Bewertungsmaßstäbe, so ist grundsätzlich von diesen auszugehen (vgl. z. B. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 18. September 2003 - B 9 SB 3/02 R -, bestätigt in BSG, Urteil vom 2. Dezember 2010 - B 9 SB 4/10 R , jeweils zitiert nach juris), weshalb sich auch der Senat für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 grundsätzlich auf die genannten AHP stützt. Für die Zeit ab dem 1. Januar 2009 ist demgegenüber für die Verwaltung und die Gerichte im Grundsatz die zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretene Anlage zu § 2 VersMedV in ihrer jeweils geltenden Fassung maßgeblich.
Einzel-GdB sind entsprechend den genannten Maßstäben als Grad der Behinderung in Zehnergraden entsprechend den Maßstäben des § 30 Abs. 1 BVG zu bestimmen. Für die Bildung des Gesamt-GdB bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen sind nach § 69 Abs. 3 SGB IX die Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander zu ermitteln, wobei sich nach Teil A Nr. 3 a) der Anlage zu § 2 VersMedV (ebenso bereits Teil A Nr. 19 AHP 2005 und 2008, Seite 24 ff.) die Anwendung jeglicher Rechenmethode verbietet. Vielmehr ist zu prüfen, ob und inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen oder ob und inwieweit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden oder gegenseitig verstärken. Dabei ist in der Regel von einer Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden, wobei die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden dürfen. Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB-Grad von 10 bedingen, führen grundsätzlich nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung; auch bei leichten Funktionsstörungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 3 d) aa) - ee) der Anlage zu § 2 VersMedV; ebenso zuvor Teil A Nr. 19 Abs. 1, 3 und 4, AHP 2005 und 2008, Seite 24 ff.).
2. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben sind im Vergleich zu den tatsächlichen Verhältnissen, die der Feststellung durch Bescheid vom 26. November 1996 zugrunde gelegen haben, wesentliche Veränderungen, die einen höheren GdB als 60 rechtfertigen, nicht festzustellen.
Dies folgt aus einer Gesamtschau der vorliegenden medizinischen Unterlagen und hier vor allem aus den von dem Beklagten eingeholten Befundberichten sowie den versorgungsärztlichen Stellungnahmen hierzu. Dabei gilt für die Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin hier Folgendes:
a) Im Vordergrund steht die Beeinträchtigung durch das Fehlen der rechten Niere mit eingeschränkter Funktion der linken Niere, die was die Klägerin nicht in Frage stellt mit einem Einzel-GdB von 40 zutreffend bewertet ist (Nr. 26.12 AHP, Teil B Nr. 12.1.3 der Anlage zu § 2 VersMedV).
b) Die Narbenbeschwerden nach mehrfachen Bauchoperationen (Nr. 26.17 AHP; Teil B Nr. 17 der Anlage zu § 2 VersMedV) sowie die Dranginkontinenz II. Grades (Nr. 26.12 AHP, Teil B. Nr. 12.2.4 der Anlage zu § 2 VersMedV) hat der Beklagte zutreffend jeweils mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet. Dies stellt die Klägerin ebenfalls nicht in Frage.
c) Die 2006 erfolgte beidseitige Kunstlinsenversorgung ist entgegen der Ansicht der Klägerin lediglich mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten.
Der Senat verweist insoweit sowohl hinsichtlich der Rechtsgrundlagen als auch der Argumentation zunächst auf die überzeugenden Ausführungen des Sozialgerichts in dem angefochtenen Gerichtsbescheid, denen er nach eigener Prüfung folgt (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Ergänzend ist zu den hiergegen mit der Berufung geltend gemachten Einwänden der Klägerin Folgendes auszuführen:
Bei einem durch intraokulare Kunstlinsen korrigierten Linsenverlust beider Augen ist nach Nr. 26.4 AHP (sowohl in der Fassung 2005 als auch 2008) und nach Teil B Nr. 4.2 der Anlage zu § 2 VersMedV in der bis zur Zweiten Verordnung zur Änderung des VersMedV vom 14. Juli 2010 (BGBl. I Seite 928) geltenden Fassung der sich aus der Sehschärfe für beide Augen ergebende GdB um 10 zu erhöhen. Seit der Dritten Änderungsverordnung vom 17. Dezember 2010 (BGBl. I Seite 2124) gilt dies nur noch, wenn der sich aus der Sehschärfe für beide Augen ergebende GdS nicht mehr als 60 beträgt.
Zur Bestimmung des "sich aus der Sehschärfe für beide Augen ergebende(n)" GdB ist entgegen der Ansicht der Klägerin die in Nr. 26.4 AHP bzw. in Teil B Nr. 4.3 der Anlage zu § 2 VersMedV wiedergegebene MdE-Tabelle der DOG heranzuziehen und nicht der sich aus dem Linsenverlust für ein Auge ergebende (verdoppelte) Wert. Dies ergibt sich bereits aus dem eindeutigen Wortlaut der Regelungen, weshalb es hierzu auch keiner Nachfrage beim Ärztlichen Sachverständigenbeirat Versorgungsmedizin bedarf (vgl. dazu BSG, Urteil vom 25. Oktober 2012 - B 9 SB 2/12 R -, juris Rn. 26f.; st. Rspr.).
Bereits in den allgemeinen Vorbemerkungen in Nr. 26.4 AHP (6. Absatz, S. 51) und Teil B Nr. 4 der Anlage zu § 2 VersMedV (5. Absatz) wird ausdrücklich klargestellt, dass die Grundlage für die GdB/MdE- bzw. GdS-Beurteilung bei Herabsetzung der Sehschärfe die "MdE Tabelle der DOG" bildet. Danach kann "der sich aus der Sehschärfe für beide Augen ergebende" GdB im Sinne von Nr. 26.4 AHP und Teil B Nr. 4.2 der Anlage zu § 2 VersMedV nur der nach der MdE-Tabelle der DOG ermittelte Wert sein und nicht der sich aus dem "Linsenverlust eines Auges" ergebende (verdoppelte) Wert.
Durch die vorangezogene allgemeine Klarstellung in den Vorbemerkungen ist zugleich das systematische Argument der Klägerin entkräftet, bei den Regelungen zum Linsenverlust in Teil B Nr. 4.2 der Anlage zu § 2 VersMedV handele es sich um abschließende Spezialregelungen, bei denen ein Rückgriff auf die allgemeine Vorschrift in Nr. 4.3 ausgeschlossen sei.
Für die hier vertretene Auslegung spricht auch die Begründung zur Dritten Verordnung zur Änderung der VersMedV vom 17. Dezember 2010 (BR-Drs. 713/10, S. 6), worauf das Sozialgericht bereits zutreffend hingewiesen hat. Der Verordnungsgeber beabsichtigte danach gegenüber der vorhergehenden Fassung, die die Erhöhung des sich aus der Sehschärfe für beide Augen ergebenden GdS um 10 noch uneingeschränkt vorsah, eine Einschränkung, weil es in Abhängigkeit von der Sehschärfe bei beidseitigem Linsenverlust zu keiner oder zu einer wesentlichen Einschränkung der Teilhabeberechtigung kommen könne. Er geht insofern nachvollziehbar davon aus, dass bei einer sehr geringer Sehschärfe, die für sich genommen (nach der MdE-Tabelle der DOG) bereits einen GdS von mehr als 60 begründet, die beidseitige Kunstlinsenversorgung keine die Erhöhung des GdS rechtfertigende zusätzliche Beeinträchtigung mehr bewirkt.
Würde entsprechend der Ansicht der Klägerin die Sehschärfe nach dem Linsenverlust für jedes der beiden Augen bestimmt, würde die Neuregelung schlicht leer laufen, weil dann ein GdS von mehr als 60 gar nicht möglich wäre. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang meint, Zweck der Neuregelung sei allein, die insoweit bestehende Ungerechtigkeit auszugleichen, indem (nur) bei einem GdS von mehr als 60 auf die Tabelle in Nr. 4.3 zurückzugreifen sei, steht dies in klarem Widerspruch zur Begründung des Verordnungsgebers. Sinn war es danach nicht, oberhalb eines "Sehschärfe-GdS" von 60 eine Gerechtigkeitslücke zu schließen, sondern dem Umstand Rechnung zu tragen, dass in Abhängigkeit von der Sehschärfe der Linsenverlust nicht stets zu einer zusätzlichen Teilhabebeeinträchtigung führt und die pauschale Erhöhung um 10 nicht in allen Fällen gerechtfertigt ist.
Die von der Klägerin befürwortete Auslegung würde im Vergleich zu der MdE Tabelle der DOG auch zu inkonsistenten Ergebnissen führen, etwa wenn die Sehschärfe beidseitig 0,2 beträgt. Auch insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts verwiesen.
Soweit die Klägerin meint, ein beidseitiger Linsenverlust begründe stets eine größere Teilhabebeeinträchtigung als ein einseitiger Linsenverlust, sind jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass dies - auch bei beidseitig bestehender (nahezu) 100%-iger Sehschärfe - zwingend mit einem höheren GdB bewertet werden müsste. Insoweit spricht der Hinweis der Klägerin auf Nr. 3.5.3 der Niederschrift der Tagung des Sachverständigenbeirates vom 10. April 1991, wonach die beidseitige Linsenlosigkeit mit einem GdB von 30 zu bewerten ist, nicht für, sondern gegen die von ihr vertretene Auslegung. Diese Stellungnahme betraf nämlich die Bewertung der "Linsenlosigkeit" beider Augen nach Ziff. 26.4 der AHP 1983, und zwar ohne implantierte Kunstlinse. Für die Linsenlosigkeit "mit implantierter Kunstlinse ein- oder beidseitig" war dort ein GdB/MdE von 10 vorgesehen. Dies zeigt zugleich, dass bereits die Regelungen der AHP 1983 davon ausgingen, dass die beidseitige gegenüber der nur einseitigen Kunstlinsenversorgung keine GdB-relevante höhere Teilhabebeeinträchtigung zur Folge hat. Dass sich an dieser medizinischen Bewertung in der Folgezeit etwas geändert hat oder sie unzutreffend sein sollte, ist nicht ersichtlich und geht insbesondere auch aus der von der Klägerin angeführten Niederschrift der Tagung des Sachverständigenbeirates vom 10. April 1991 nicht hervor. Zudem geht - wie bereits dargelegt - auch der Verordnungsgeber der VersMedV ausweislich der Begründung zur Dritten Verordnung zur Änderung der VersMedV vom 17. Dezember 2010 (a.a.O.) davon aus, dass in Abhängigkeit von der Sehschärfe auch gar keine zusätzliche Beeinträchtigung denkbar ist.
Nach alledem ist die Beeinträchtigung des Sehorgans der Klägerin mit einem Einzel-GdB von 10 zutreffend bewertet. Zugrunde zu legen sind insofern die durch den behandelnden Arzt Dr. L am 6. Dezember 2011 ermittelten (korrigierten) Sehschärfewerten von rechts 0,8p und links 1,0p. Dass sich die Werte seither verändert hätten, lässt sich den vorliegenden medizinischen Befunden, insbesondere dem Befundbericht des Dr. L vom 19. Juni 2014 nicht entnehmen. Soweit er darin Werte von rechts 0,5pp und links 0,8p angibt, weist der Facharzt für Augenheilkunde B in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 18. August 2014 zutreffend darauf hin, dass es sich hierbei um Werte aus November 2011 handelt und nicht erkennbar ist, ob es sich um korrigierte oder unkorrigierte Werte handelt. Für die danach zugrunde zu legenden Sehschärfewerte von 0,8 und 1,0 sieht die MdE-Tabelle der DOG einen GdB von 0 vor, der nach Nr. 26.4 AHP bzw. Teil B Nr. 4.2 der Anlage zu § 2 VersMedV um und auf 10 zu erhöhen ist.
Die weiteren Beeinträchtigungen der Klägerin durch das Schilddrüsenleiden (Nr. 26.15 AHP, Teil B Nr. 15.6 der Anlage zu § 2 VersMedV), die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule (Nr. 26.18 AHP, Teil B Nr. 18.9 der Anlage zu § 2 VersMedV) und die Darmwandaustülpungen (Divertikulose) (Nr. 26.10 AHP, Teil B Nr. 10.2.2 der Anlage zu § 2 VersMedV) hat der Beklagte jeweils zutreffend mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet. Hiergegen hat die Klägerin auch keine Einwände erhoben.
Ausgehend von den vorgenannten Einzel-GdB kommt ein höherer Gesamt-GdB als 60 nicht in Betracht. Dabei ist der höchste Einzel-GdB von 40 für das Nierenleiden durch die verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffenden und jeweils mit Einzel-GdB von 20 zu bewertenden Narbenbeschwerden und die Dranginkontinenz II. Grades auf 60 zu erhöhen. Eine weitergehende Erhöhung durch die übrigen, jeweils mit Einzel-GdB von nur 10 zu bewertenden Leiden einschließlich der beidseitigen Kunstlinsenversorgung kommt nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil ein Grund hierfür gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.