Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 10 SB 122/15 B - Beschluss vom 09.07.2015
Voraussetzung für die Auferlegung von Verschuldenskosten nach § 192 SGG auf die Beklagte ist, dass die Beklagte im Verwaltungsverfahren erkennbare und notwendige Ermittlungen unterlassen hat, die vom Gericht nachgeholt wurden. Von einer Notwendigkeit wird dann auszugehen sein, wenn die nachgeholten Ermittlungen entsprechend der Amtsermittlungspflicht der Behörde nach §§ 20, 21 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch unverzichtbar für die zu treffende Entscheidung gewesen sind. Von einer Erkennbarkeit ist auszugehen, wenn sich der Behörde die Notwendigkeit unter Berücksichtigung der gesetzlichen Bestimmungen und deren höchstrichterlichen Auslegung aufdrängen musste und die Behörde - mangels einer solchen - nicht nach einer vertretbaren Rechtsauffassung davon ausgehen durfte, auf die Ermittlungen komme es nicht an.
Gründe:
Die Beklagte wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Entscheidung des Sozialgerichts (SG), mit der ihr wegen unterlassener notwendiger Ermittlungen Kosten in Höhe insgesamt 1.989,72 Euro auferlegt worden sind.
Die Beschwerde ist zulässig. Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass das SG nicht durch gesonderten Beschluss (§ 192 Abs. 4 Satz 2 SGG), sondern zusammen mit der Hauptsache durch Urteil entschieden hat. Der folgt aus dem Grundsatz, dass Fehler des Gerichts nicht zu Lasten eines Beteiligten gehen dürfen (Beschluss des erkennenden Senats vom 18.08.2014, L 10 SB 200/14 B m.w.N.; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16.01.2012, L 5 AS 228/11 B, Juris Rn 7).
Die Beschwerde ist unbegründet. Das SG hat dem Beschwerdeführer zu Recht Ermittlungskosten für die im Klageverfahren eingeholten Befundberichte von Dr. X und Dr. L sowie der Sachverständigengutachten von Dr. C und Dr. E in Höhe von insgesamt 1.989,72 Euro auferlegt. Das SG hat mit diesen Ermittlungen nachgeholt, was sich für die Beklagte schon im Verwaltungsverfahren hätte aufdrängen müssen. Dies sieht § 192 Abs. 4 SGG ausdrücklich vor.
Voraussetzung für die Auferlegung von Kosten auf die Beklagte ist, dass die Beklagte im Verwaltungsverfahren erkennbare und notwendige Ermittlungen unterlassen hat, die vom Gericht nachgeholt wurden. Von einer Notwendigkeit wird dann auszugehen sein, wenn die nachgeholten Ermittlungen entsprechend der Amtsermittlungspflicht der Behörde nach §§ 20, 21 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch unverzichtbar für die zu treffende Entscheidung gewesen sind. Von einer Erkennbarkeit ist auszugehen, wenn sich der Behörde die Notwendigkeit unter Berücksichtigung der gesetzlichen Bestimmungen und deren höchstrichterlichen Auslegung aufdrängen musste und die Behörde - mangels einer solchen - nicht nach einer vertretbaren Rechtsauffassung davon ausgehen durfte, auf die Ermittlungen komme es nicht an (vgl. Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 18.01.2011, L 2 U 166/10 B, Juris Rn , LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.03.2011, L 9 U 1083/10 B, Juris Rn 15).
So liegt der Fall hier. Das hat das SG mit überzeugender Begründung dargelegt. Der Senat nimmt insofern zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des SG Bezug. Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass es sich vorliegend um eine Herabsetzung des Grades der Behinderung und den Entzug der Schwerbehinderung handelt. Hierbei hat der Beklagte die wesentliche Besserung der Funktionseinschränkungen, die für ihn Anlass zur Herabsetzung des GdB waren, nachzuweisen. Wenn die Versorgungsbehörde wegen wesentlicher Veränderungen den GdB herabsetzt, hat sie die Mindestanforderungen an eine sachgerechte Sachaufklärung von Amts wegen zu erfüllen. Die vorgenommenen Ermittlungen müssen jedenfalls so aussagekräftig sein, dass sie die Verwaltungsentscheidung vertretbar rechtfertigen. Davon kann nach der Ermittlungen der Beklagten nicht ausgegangen werden. So hatte es sich für die Beklagte aufdrängen müssen, die Befundberichte von Dr. X und Dr. L einzuholen. Der von der Klägerin im Widerspruchsverfahren beigebrachte Bericht des Dr. X vom 23.01.2012 enthält einen kurzen Arztbrief und berichtet lediglich von einer ersten Vorstellung der Klägerin im November 2011. Die Klägerin hatte ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie bei diesem Arzt in fortlaufender Behandlung stehe. Wenn in der gutachtlichen Stellungnahme vom 13.11.2012 festgestellt wird, eine regelmäßige fachärztliche Behandlung sein nicht belegt, so fehlen dem beratenden Arzt hier schlichtweg zehn Monate für seine Beurteilung.
Der Beklagte hat im Weiteren erkennbare und notwendige Ermittlungen im Hinblick auf die Funktionsbeeinträchtigungen von Seiten der Haut nicht veranlasst, obwohl die Klägerin auf eine bestehende Psoriasis sowie Neurodermitis hingewiesen und auch den behandelnden Arzt benannt und von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden hatte. In dem dann zeitnah im Klageverfahren eingeholten Befundbericht werden eine stärkere psychische Störung (Dr. X) sowie ein atopisches Ekzem mit Juckreiz und Missempfindungen überwiegend im Gesicht (L) beschrieben; beides Befunde, die eine Beurteilung des GdB mit jetzt nur noch 30 nicht rechtfertigen. Die Mindestanforderungen an eine sachgerechte Aufklärung hätten eine zeitnahe konkrete Rückfrage an die angegebenen Ärzte umfasst und in Kenntnis der vorstehenden Befunde hätte die Klägerin schon im Verwaltungsverfahren einem Sachverständigen vorgestellt werden müssen. Dies hat das SG nunmehr nachgeholt und die weitere Beweisaufnahme war auch zwingend. Bei sachgerechter Sachaufklärung durch die Beklagte hätte es des Klageverfahrens sicherlich nicht bedurft. Die Sachaufklärung kann nicht auf die Sozialgerichte verlagert werden. Gerade dem soll § 192 Abs. 4 SGG entgegen wirken.
Das SG hat auch keine Veranlassung gehabt, das Verfahren zur Nachholung weiterer Sachaufklärung an die Beklagte zurückzugeben. Es geht um die Herabsetzung des GdB zu einem bestimmten Stichtag. Es kann nicht sein, dass der Verwaltungsbehörde Monate später die Möglichkeit eingeräumt wird, weiter zu ermitteln, um ihre Entscheidung nachträglich, quasi rückschauend, zu rechtfertigen. Insoweit hat sie die Gelegenheit, die Bescheide aufzuheben und erneut zu entscheiden. Ohnehin muss die Beklagte, so zutreffend das SG, in Herabsetzungsfällen bei unzureichenden/unqualifizierten Ermittlungsergebnissen regelhaft damit rechnen, den Änderungsnachweis nicht erbringen zu können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung. Das Verfahren nach § 192 Abs. 4 SGG ist ein gesondert geregeltes Nebenverfahren über Kosten eines Hauptsachverfahrens, in dem die Klägerin sich erfolgreich gegen den Entzug der Schwerbehinderung gewandt hatte. An dem durch die Beklagte eingeleiteten Beschwerdeverfahren ist die Klägerin nicht (mehr) beteiligt. Die Kostenregelung in § 197a Abs. 1 SGG stellt auf das jeweilige Verfahren, bzw. den jeweiligen Rechtszug ab. Die Beschwerdeführerin ist in einem solchen Verfahren nicht kostenprivilegiert, weil am Verfahren keine nach § 183 SGG privilegierte Person (mehr) beteiligt ist. Die im Beschwerderechtszug anfallenden Gerichtskosten (Nr. 7504 des Kostenverzeichnisses - KV - zum Gerichtskostengesetz - GKG -, pauschal 50 EUR) sind von der Beschwerdeführerin zu tragen, weil ihr Rechtsmittel ohne Erfolg war (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 18.11.2013, L 18 KN 83/13 B, Juris Rn 7).
Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).