LSG NRW – Beschluss vom 04.02.2002 – Az.: L 10 B 30/01 SB

 

 

 

1. Im Rahmen der Kostenentscheidung nach § 193 SGG sind zu berücksichtigen:

 

a)    Eine falsche Sachbehandlung,

b)    fehlende oder fehlerhafte Begründung des Bescheides,

c)    unrichtige Beratung

d)    oder unzutreffende Rechtsmittelbelehrung,

e)    das Verhalten des Klägers (zB verspätete Vorlage einer Vollmacht oder unzureichender Sachvortrag).,

f)      ob sich die Sach- und Rechtslage nach Erlass des Bescheides geändert hat; trägt ein Beteiligter dem sofort Rechnung, hat er ggf keine Kosten zu tragen. Ein Anerkenntnis muss unverzüglich (§ 121 Abs 1 BGB) abgegeben werden, um kostenrechtlich beachtlich zu sein. Eine angemessene Prüfungsfrist ist der Behörde einzuräumen.

 

2. Befundberichte der behandelnden Ärzte haben - im Vergleich zu einem Sachverständigengutachten - nur eingeschränkten Beweiswert. Ein Befundbericht oder ärztlicher Behandlungsbericht enthält in der Regel keinerlei Auskunft zur Teilhabebeeinträchtigung des Behinderten und ist daher zur Festlegung des GdB schwerlich geeignet. Grundsätzlich muss das Gericht den entscheidungserheblichen Sachverhalt daher durch "Sachverständigenbeweis" aufklären.

 

 

Gründe

 

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

 

Nach Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache ist die Kostenentscheidung gem. § 193 SGG nach sachgerechtem Ermessen zu treffen. Zu berücksichtigen sind dabei alle Umstände des Einzelfalles. Wesentlich sind grundsätzlich die Erfolgsaussichten der Klage und die Frage, wer Anlaß für die Klageerhebung gegeben hat (LSG NRW vom 21.08.1998 -- L 11 SKa 52/97 --). Hierzu rechnet die falsche Sachbehandlung, eine fehlende oder fehlerhafte Begründung des Bescheides, unrichtige Beratung oder unzutreffende Rechtsmittelbelehrung (Senatsbeschlüsse vom 18.01.1999 -- L 10 B 9/98 -- und vom 28.05.1999 -- L 10 B 6/99 P --). Gleichermaßen ist das Verhalten des Klägers zu würdigen (zB verspätete Vorlage einer Vollmacht oder unzureichender Sachvortrag). Abweichend vom Zivilprozeß und vom Verwaltungsgerichtsprozeß sind die Gründe für die Klageerhebung und für die Erledigung des Rechtsstreits auch dann im Rahmen der Kostengrundentscheidung zu berücksichtigen, wenn der Kläger letztlich mit seinem Begehren nicht durchgedrungen ist (Zeihe, SGG, § 193 Rdn. 7h; Senatsbeschlüsse vom 13.09.1999 -- L 10 B 15/99 P -- und vom 14.03.2000 -- L 10 B 1/00 SB --). Für die Kostenentscheidung wesentlich ist im übrigen, ob sich die Sach- und Rechtslage nach Erlaß des Bescheides geändert hat; trägt ein Beteiligter dem sofort Rechnung, hat er ggf. keine Kosten zu tragen (vgl. Zeihe § 193 Rdn 7h; LSG Rheinland-Pfalz vom 04.12.1998 -- L 7 B 78/98 -- sowie LSG Schleswig-Holstein in NZS 1997, 392; Senatsbeschlüsse vom 16.08.1999 -- L 10 B 11/99 P -- und vom 13.09.1999 -- L 10 B 15/99 P --). Im Beschluss vom 13.09.1999 hat der Senat dies dahin präzisiert, daß das Anerkenntnis unverzüglich (§ 121 Abs. 1 BGB) abgegeben werden muß, um kostenrechtlich beachtlich zu sein. Eine angemessene Prüfungsfrist ist dabei einzuräumen.

 

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist es nicht gerechtfertigt, dem Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Klägers aufzuerlegen. Eine wesentliche Änderung in den beim Kläger vorliegenden "Behinderungen" ist erst nach Abschluß des Widerspruchsverfahrens eingetreten. Nachgewiesen war dies letztlich erst auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen Bergmann vom 05.06.2001. Dieses ist dem Beklagten mit Verfügung vom 02.07.2001 zur Stellungnahme zugeleitet worden. Der Beklagte hat hierauf unter dem 08.08.2001 ein Vergleichsangebot unterbreitet. Das ist unverzüglich geschehen (hierzu auch Senatsbeschluss vom 19.09.2001 -- L 10 B 20/01 SB --). Bearbeitungsmängel, die es gleichwohl rechtfertigen könnten, die außergerichtlichen Kosten des Klägers ganz oder teilweise dem Beklagten aufzuerlegen, sind nicht ersichtlich.

 

Das Beschwerdevorbringen führt zu keiner anderen Beurteilung.

 

Soweit der Kläger meint, spätestens im Oktober 2000 sei es aufgrund des Berichts der Klink für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums A vom 13.10.2001 sowie des Befundberichtes des Arztes L vom 27.10.2000 auch für den Beklagten erkennbar gewesen, dass der GdB jedenfalls 50 betrage, trägt dies die Beschwerde nicht. Befundberichte haben als Mitteilung des behandelnden Arztes im Vergleich zu einem Sachverständigengutachten (§§ 402 ff ZPO) grundsätzlich einen nur eingeschränkten Beweiswert. Denn es besteht ein grundlegender Unterschied in der prozessualen Stellung eines gerichtlich bestellten Sachverständigen und eines zu Auskunftszwecken herangezogenen behandelnden Arztes. Dieser steht zu seinem Patienten in einem (idealerweise) geprägten besonderen Vertrauensverhältnis, aber auch in einer gleichermaßen durch pekuniäre Interessen geprägten Beziehung. Demgegenüber ist der gerichtliche Sachverständige kraft Gesetzes verpflichtet, sein Gutachten unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen zu erstatten (§ 410 ZPO). Eine Verletzung dieser Pflichten kann erhebliche strafrechtliche Folgen nach sich ziehen (§§ 153, 154, 163 Abs. 1 StGB). Deswegen kommt der Sachverständigenbeurteilung grundsätzlich der höhere Beweiswert zu. Ausgehend hiervon kann vom Beklagten grundsätzlich nicht verlangt werden, allein aufgrund eines Befundberichtes oder sonstiger Meinungsäußerungen der behandelnden Ärzte ein Regelungsangebot zu unterbreiten. Zwar mag es angehen, im Fall von Erkrankungen, deren Ausmaß durch objektive Messdaten deutlich gemacht werden kann (z.B. im orthopädischen oder augenärztlichen Bereich), allein aufgrund eines Befundberichtes anhand der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht auf das Ausmaß der Teilhabebeeinträchtigung (§§ 2, 69 IX) schließen zu können. In solchen oder vergleichbaren Fällen legt der Beklagte auch in der Regel ohne weitere Beweiserhebung nach angemessener Prüfungszeit ein Vergleichsangebot vor. Vorliegend konnte dies im Oktober/November 2000 indes noch nicht verlangt werden. Für die Höhe des GdB ist maßgebend nicht die medizinische Normabweichung, sondern das Ausmaß der hierdurch bedingten Einschränkung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (§ 69 Abs. 1 SGB IX). Ein Befundbericht oder ärztlicher Behandlungsbericht enthält hierzu regelhaft keinerlei Aussage und ist zur Festlegung des GdB daher schwerlich geeignet. Gerade wenn es darum geht, Normabweichungen im neurologisch-psychiatrischen Bereich zu bestimmen, lässt sich eine einigermaßen verlässliche Aussage hierüber und über etwaige Teilhabebeeinträchtigungen nur aufgrund einer neurologisch-psychiatrischen Begutachtung durch einen vom Gericht hierzu bestellten Sachverständigen treffen. Deswegen ist es auch grundsätzlich geboten, dass das Gericht den entscheidungserheblichen Sachverhalt durch das Beweismittel "Sachverständigenbeweis" aufklärt. Demnach war es in diesem Fall nicht zu beanstanden, wenn der Beklagte die vom Gericht veranlasste Beweiserhebung zunächst abwartete, um das Ergebnis sodann zu prüfen und auf gesicherter Grundlage ein Regelungsangebot abzugeben.

 

Die Beschwerde konnte nach alledem keinen Erfolg haben.

 

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).