Bundessozialgericht - B 8 SO 5/14 R - Urteil vom 24.03.2015
Das Merkmal der "Eigenständigkeit" der Haushaltsführung kann nicht losgelöst von den Fähigkeiten eines behinderten Menschen beurteilt werden. Nicht erforderlich ist demnach zur Bejahung einer eigenständigen Haushaltsführung eine solche ohne jegliche Anleitung oder aus eigener Initiative heraus; es genügt vielmehr unter Berücksichtigung des Benachteiligungsverbots (Artikel 3 Abs. 2 GG), dass der behinderte Mensch nach Aufforderung und ggf. unter Anleitung und/oder Überwachung der Eltern oder eines Dritten im Rahmen des ihm behinderungsbedingt Möglichen Tätigkeiten im Haushalt verrichtet oder auf die Gestaltung der Haushaltsführung Einfluss nimmt. Insoweit ist entsprechend dem Leitbild des § 1626 Abs. 2 Satz 1 BGB typisierend davon auszugehen, dass die Eltern die Persönlichkeitsentwicklung auch ihres erwachsenen behinderten Kindes durch Anleitung und Hilfestellung selbst oder unter Mithilfe Dritter fördern, den behinderten Menschen also auch tatsächlich in die Lage versetzen, sich im Rahmen seiner Möglichkeiten an der Haushaltsführung zu beteiligen. Auf die Bereitschaft oder Fähigkeit der Eltern, dies zu tun, kann es vor dem Hintergrund des bezeichneten Benachteiligungsverbots ebenso wenig ankommen wie darauf, ob der behinderte Mensch sich tatsächlich im Rahmen seiner Fähigkeiten beteiligt. Dies ist ebenso wie eine Anleitung durch die Eltern typisierend zu unterstellen. Die nach § 39 SGB XII widerlegbare Vermutung der eigenen Haushaltsführung kann damit allein an den Fähigkeiten des behinderten Menschen ansetzen.
Gründe:
I
Im Streit sind höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeit vom 1.1.2011 bis 31.3.2012.
Die 1980 geborene Klägerin (S) ist geistig behindert (Grad der Behinderung von 100; Merkzeichen "G", "H", "RF" und "B"). Sie lebte im streitbefangenen Zeitraum mit ihrer Mutter, die auch ihre Betreuerin ist, und ihrem volljährigen, erwerbsfähigen Halbbruder in einer Wohnung in M ... Die Mieterin der Wohnung ist allein die Mutter; für die Wohnung fielen 360 Euro Kaltmiete und 73 Euro Nebenkostenvorauszahlung an; die Wohnung verfügt über eine Stromheizung mit dezentraler Warmwasserversorgung. Die Stromkostenvorauszahlungen der Mutter beliefen sich zunächst auf 180 Euro und ab 30.3.2011 auf 198 Euro monatlich. Die Klägerin arbeitete in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM), in der ein kostenloses Mittagessen angeboten wurde, und erzielte Einkommen aus der Werkstatttätigkeit; ihr Vater zahlte monatlichen Unterhalt. Das Kindergeld wurde nicht an sie weitergeleitet. Ihr Sparbuch wies durchgehend Vermögen von unter 900 Euro aus.
Die Beklagte bewilligte der Klägerin für die Zeit vom 1.4.2010 bis 31.3.2011 Grundsicherungsleistungen in Höhe von insgesamt 348,76 Euro, u.a. unter Berücksichtigung eines monatlichen Regelsatzes für einen Haushaltsvorstand (100 %) abzüglich anzurechnenden Einkommens (Bescheid vom 10.3.2010). Für die Zeit vom 1.4.2011 bis 31.3.2012 bewilligte sie zunächst Leistungen in unveränderter Höhe (Bescheid vom 2.3.2011), hob diesen Bescheid dann jedoch mit Wirkung ab 1.1.2011 auf und setzte wegen des Inkrafttretens des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG vom 24.3.2011 - BGBl I 453) für die Zeit vom 1.1. bis 31.3.2011 die Leistungen in Höhe von 358,44 Euro und ab 1.4.2011 in Höhe von nur noch 276,35 Euro unter Berücksichtigung eines Regelsatzes nach Regelbedarfsstufe 3 (80 %) fest (Bescheid vom 25.3.2011). Während des Widerspruchsverfahrens änderte sie diesen Bescheid wiederum und bewilligte monatliche Leistungen ab 1.5.2011 in Höhe von nur noch 262,68 Euro (Bescheid vom 26.4.2011). Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid unter Beteiligung sozial erfahrener Dritter vom 22.7.2011).
Die Klage blieb auch erstinstanzlich ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 27.10.2011). Während des Berufungsverfahrens hob die Beklagte die Bescheide vom 10.3.2010, 2.3.2011, 25.3.2011 sowie vom 26.4.2011 auf und setzte die Leistungshöhe u.a. für die streitbefangene Zeit neu fest (Bescheid vom 11.6.2012). Vor dem Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen erklärten die Beteiligten durch Teilvergleich u.a. unter Nr. 2, den streitgegenständlichen Zeitraum auf die Zeit vom 1.1.2011 bis 31.3.2012 sowie inhaltlich auf den Regelsatz und die Höhe des monatlich anzurechnenden Einkommens zu beschränken. Die Klage blieb auch beim LSG ohne Erfolg (Urteil vom 16.1.2014). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, mit dem Inkrafttreten des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG sei eine wesentliche Änderung in den rechtlichen Verhältnissen eingetreten, die die Beklagte berechtigt habe, die Leistungsbewilligung für die Zeit ab 1.4.2011 teilweise aufzuheben. Sie habe der Klägerin ab 1.4.2011 zu Recht nur noch Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 3 (80 %) bewilligt. Denn die Mutter der Klägerin habe ausgeführt, die Klägerin sei seit ihrer Geburt aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gewesen, ohne entsprechende Hilfe aus eigener Initiative einen Hausstand zu begründen bzw. einen Haushalt zu führen oder sonst zur Haushaltsführung beizutragen. Die Mutter trage zudem alle mit der Haushaltsführung verbundenen Kosten. Die Höhe der Regelbedarfssätze sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dass Leistungsberechtigte nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) ab Vollendung des 25. Lebensjahres Anspruch auf den vollen Regelsatz hätten, beruhe auf Systemunterschieden zwischen dem SGB II und dem SGB XII.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin, die Regelbedarfsstufe 3 sei verfassungswidrig. Sie verstoße insbesondere gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, weil der Regelbedarfsbemessung insoweit keine spezielle Sonderauswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 zugrunde liege. Zudem sei der allgemeine Gleichheitssatz (Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG)) dadurch verletzt, dass über-25-jährige Leistungsbezieher nach dem SGB II den vollen Regelsatz erhielten, nicht aber über-25-jährige Leistungsbezieher von Grundsicherungsleistungen in einer im Übrigen vergleichbaren Lebenssituation. Darin liege zugleich ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot behinderter Menschen.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG und des SG aufzuheben sowie die Bescheide vom 25.3.2011 und 26.4.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.7.2011 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 1.1.2011 bis 31.3.2012 höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.
II
Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung des Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).
Der Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nach der Zurückverweisung vom LSG noch genau zu bestimmen. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung des vor dem LSG getroffenen Vergleichs. Die Beschränkung des Streitgegenstands allein auf den Regelsatz (zur Zulässigkeit insoweit vgl. BSGE 112, 54 ff RdNr. 12 = SozR 4-3500 § 28 Nr. 8) ist jedenfalls nach Aktenlage nicht möglich (dazu gleich), sodass nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz alle Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu überprüfen sind. Schon deshalb ist die Wirksamkeit des Vergleichs insgesamt fraglich (§ 139 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)). Soweit sich in Nr. 1 i.V.m. Nr. 2 Satz 1 des Vergleichs Ausführungen zum anzurechnenden Einkommen finden, könnte diese Regelung zwar noch als zulässig zu bewerten sein, obwohl sie (jedenfalls auch) Elemente einer (unzulässigen) Vereinbarung über die Modalitäten der Einkommensberechnung enthält; richtig wäre es gewesen, einen genauen Betrag über die Höhe des jeweils anzurechnenden Einkommens als Berechnungselement festzulegen. In zeitlicher Hinsicht ist der Streitgegenstand hingegen unabhängig vom Vergleich schon wegen des gestellten Antrags wirksam auf die Zeit vom 1.1.2011 bis 31.3.2012 begrenzt.
Die genaue Bestimmung des Streitgegenstands durch den Senat selbst ist jedoch untunlich, weil streitgegenständlich nur der Bescheid vom 11.6.2012 ist, mit dem die - nach den Ausführungen zum Landesrecht durch das LSG - örtlich und sachlich zuständige Beklagte u.a. die Bescheide vom 25.3. und 26.4.2011 aufgehoben und für die Zeit vom 1.1.2011 bis 31.3.2012 die Leistungen neu festgesetzt hat (§ 153 Abs. 1, § 96 SGG); die früheren Bescheide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids haben sich dadurch erledigt (§ 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X)). Dieser Bescheid nimmt in seinem Verfügungssatz jedoch eine Aufteilung der der Klägerin gewährten Leistungen in Kosten der Unterkunft einerseits bzw. Regelsatzleistungen sowie Mehrbedarfsleistungen andererseits nicht vor, sodass insoweit überhaupt keine eigenständige Verfügungen vorliegen. Da das LSG diesen Bescheid nicht in das Verfahren einbezogen hat und eine Verfahrensrüge nicht erhoben ist, ist der Senat gehindert, über ihn zu befinden (vgl. nur Leitherer in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 96 SGG RdNr. 12a mwN).
Gegen diesen Bescheid wendet sich die Klägerin, obwohl sich die Rechtmäßigkeit der Entscheidung an § 48 Abs. 1 SGB X misst, schon deshalb zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG, § 56 SGG) mit dem Ziel höherer Leistungen dem Grunde nach, weil sie nicht nur gleichhohe Leistungen fortgezahlt haben will, sondern zugleich geltend macht, Anspruch auf den ab 1.1.2011 höheren Regelsatz der Regelbedarfsstufe 1 und damit auch insgesamt einen höheren Anspruch zu haben. Dieses Ziel kann sie nicht allein mit der Anfechtung der Bescheide erreichen.
Ob zum 1.1.2011 oder später in den rechtlichen Verhältnissen eine wesentliche Änderung eingetreten ist, wie dies § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X voraussetzt, kann vom Senat nicht abschließend beurteilt werden. Gemäß § 19 Abs. 2 SGB XII i.V.m. § 41 Abs. 1 und 3 SGB XII (jeweils in der Normfassung des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG) erhalten Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, auf Antrag Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, wenn sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen nach den §§ 82 bis 84 und 90 SGB XII bestreiten können. Die Anspruchsvoraussetzungen für solche Leistungen dem Grunde nach erfüllte die Klägerin, weil sie zwar nach den Feststellungen des LSG neben dem Einkommen aus ihrer Tätigkeit in einer WfbM noch Unterhalt von ihrem Vater erhielt, das Einkommen aber nicht zur Deckung ihrer Bedarfe ausreichte; Vermögen war lediglich unterhalb der Vermögensfreigrenze (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII) vorhanden.
Die Höhe der Ansprüche auf Grundsicherungsleistungen für die Zeit ab dem 1.1.2011 richtet sich nach § 42 Nr. 1 SGB XII in der zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretenen Fassung des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG, wobei sich eine Verminderung des Regelbedarfs aus Anlass der Neuregelung wegen der Übergangsregelung in § 137 SGB XII vor dem 1.4.2011 nicht zu Lasten der Klägerin auswirken kann. Danach umfassen die Grundsicherungsleistungen neben den Kosten der Unterkunft und Mehrbedarfen den Regelbedarf; ergänzend ist § 27a Abs. 3 und Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB XII (in der Normfassung dieses Gesetzes) anzuwenden. Zur Deckung des Regelbedarfs sind monatliche Regelsätze zu gewähren, die sich nach den Regelbedarfsstufen der Anlage zu § 28 SGB XII ergeben (§ 27a Abs. 3 Satz 1 SGB XII). Gemäß dieser Anlage erhält seit dem 1.1.2011 Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 in Höhe von 364 Euro eine erwachsene leistungsberechtigte Person, die als alleinstehende oder alleinerziehende Person einen eigenen Haushalt führt; dies gilt auch dann, wenn in diesem Haushalt eine oder mehrere weitere erwachsene Personen leben, die der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen sind. Leistungen der Regelbedarfsstufe 2 in Höhe von 328 Euro (mithin 90 v.H. der Regelbedarfsstufe 1) werden demgegenüber gewährt für jeweils zwei erwachsene Leistungsberechtigte, die als Ehegatten, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führen. Die Regelbedarfsstufe 3, die Leistungen in Höhe von 291 Euro (80 v.H. der Regelbedarfsstufe 1) vorsieht, gilt für eine erwachsene leistungsberechtigte Person, die weder einen eigenen Haushalt führt, noch als Ehegatte, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führt. Für Kinder und Jugendliche sind - abhängig von ihrem Alter - die weiteren Regelbedarfsstufen 4 bis 6 gebildet.
Die danach für die Zuordnung zu einer Regelbedarfsstufe maßgeblichen unbestimmten Rechtsbegriffe "eigener Haushalt" und "einen Haushalt führen" sind der Auslegung bedürftig und fähig; denn es fehlen gesetzlich ausformulierte Kriterien dafür, wann jemand in einem Mehrpersonenhaushalt einen eigenen Haushalt hat und diesen führt. Maßgeblich können auch nicht allein in sich ohnedies nicht konsistente Überlegungen des Gesetzgebers sein, die nur in die Ausschussberatungen bzw. in die Gesetzesbegründung Eingang gefunden haben, weil diese zu system- und verfassungswidrigen Ergebnissen führen würden, wie der Senat ausführlich in seinen Entscheidungen vom 23.7.2014 (B 8 SO 31/12 R, B 8 SO 12/13 R und B 8 SO 14/13 R) im Einzelnen dargelegt hat. Dabei hat er die Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung (vgl. dazu zuletzt BVerfG, Beschluss vom 16.12.2014 - 1 BvR 2142/11) nicht überschritten; selbst die Gesetzesbegründung für sich genommen führt zu keiner klaren anderen Auslegung des § 27a Abs. 3 SGB XII i.V.m. der Anlage zu § 28 SGB XII, wie der Senat unter Berücksichtigung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesamtzusammenhang sowie Sinn und Zweck der maßgeblichen Regelungen ausgeführt hat. Im Grundsatz ist deshalb davon auszugehen, dass sich der Regelbedarf einer erwachsenen, leistungsberechtigten Person nach der Regelbedarfsstufe 1 auch dann richtet, wenn sie mit einer anderen Person, die nicht ihr Partner im Sinne der Regelbedarfsstufe 2 ist, in einer Haushaltsgemeinschaft zusammenlebt; der Gesetzgeber hat typisierend gerade nicht darauf abgestellt, dass es sich bei dieser Art des Zusammenlebens für eine Person um keinen eigenen Haushalt handelt, sondern grundsätzlich um einen gemeinsamen Haushalt, der für jeden Einzelnen ein eigener Haushalt ist. Für das Vorliegen eines eigenen Haushalts ist dabei nicht von Bedeutung, ob oder in welchem Umfang sich eine Person an den Kosten des Haushalts beteiligt (Senatsentscheidungen vom 23.7.2014). Verdeutlicht wird dies durch § 39 Satz 1 1. Halbsatz SGB XII n.F. (ab 1.1.2011), wonach vermutet wird, dass Personen bei Zusammenleben in einer Wohnung gemeinsam einen Haushalt führen, der auf diese Weise für jede Person zu einem "eigenen" wird. Diese gesetzliche Vermutung ist, wie der Senat betont hat, nicht bereits widerlegt, wenn eine Person gegenüber einer anderen in geringerem Umfang zur Haushaltsführung beiträgt; die Regelbedarfsstufe 3 kommt vielmehr erst dann zur Anwendung, wenn keinerlei eigenständige oder eine nur gänzlich unwesentliche Beteiligung an der Haushaltsführung vorliegt. Entgegen der Ansicht des LSG ist darunter allerdings nicht eine eigeninitiative Beteiligung gemeint (hierzu im Folgenden).
Das Merkmal der "Eigenständigkeit" der Haushaltsführung kann nämlich nicht losgelöst von den Fähigkeiten eines behinderten Menschen beurteilt werden. Nicht erforderlich ist demnach zur Bejahung einer eigenständigen Haushaltsführung eine solche ohne jegliche Anleitung oder aus eigener Initiative heraus; es genügt vielmehr unter Berücksichtigung des Benachteiligungsverbots (Artikel 3 Abs. 2 GG i.V.m. der UN-Behindertenrechtskonvention i.V.m. dem Gesetz vom 21.12.2008 - BGBl II 1419 -, in der Bundesrepublik in Kraft seit 26.3.2009 - BGBl II 812), dass der behinderte Mensch nach Aufforderung und ggf. unter Anleitung und/oder Überwachung der Eltern oder eines Dritten im Rahmen des ihm behinderungsbedingt Möglichen Tätigkeiten im Haushalt verrichtet oder auf die Gestaltung der Haushaltsführung Einfluss nimmt. Insoweit ist entsprechend dem Leitbild des § 1626 Abs. 2 Satz 1 BGB typisierend davon auszugehen, dass die Eltern die Persönlichkeitsentwicklung auch ihres erwachsenen behinderten Kindes durch Anleitung und Hilfestellung selbst oder unter Mithilfe Dritter fördern, den behinderten Menschen also auch tatsächlich in die Lage versetzen, sich im Rahmen seiner Möglichkeiten an der Haushaltsführung zu beteiligen. Auf die Bereitschaft oder Fähigkeit der Eltern, dies zu tun, kann es vor dem Hintergrund des bezeichneten Benachteiligungsverbots ebenso wenig ankommen wie darauf, ob der behinderte Mensch sich tatsächlich im Rahmen seiner Fähigkeiten beteiligt. Dies ist ebenso wie eine Anleitung durch die Eltern typisierend zu unterstellen. Die nach § 39 SGB XII widerlegbare Vermutung der eigenen Haushaltsführung kann damit allein an den Fähigkeiten des behinderten Menschen ansetzen.
In die Prüfung, ob die gesetzliche Vermutung der in diesem Sinne eigenständigen Haushaltsführung widerlegt ist, hat das Gericht - im vorliegenden Fall - allerdings erst einzutreten, wenn qualifizierter Vortrag des beklagten Sozialhilfeträgers zu den Auswirkungen der Behinderung auf die Fähigkeit zur Beteiligung an der Haushaltsführung Anlass gibt; eigene Zweifel des Gerichts oder bloße Vermutungen genügen für weitere Ermittlungen zur Widerlegung der gesetzlichen Vermutung nicht. Ist der behinderte Mensch insbesondere in der Lage, in einer WfbM tätig zu sein, dürfte die Vermutung angesichts des vorausgesetzten Entwicklungspotentials der behinderten Person (vgl. § 39 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX): "Leistungen in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen werden erbracht, um die Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit der behinderten Menschen zu erhalten, zu entwickeln, zu verbessern oder wiederherzustellen, die Persönlichkeit dieser Menschen weiterzuentwickeln und ihre Beschäftigung zu ermöglichen oder zu sichern") wie auch der Voraussetzung für ihre Aufnahme in den Arbeitsbereich einer Werkstatt, die sog Werkstattfähigkeit (vgl. § 136 Abs. 2 Satz 1 SGB IX: "Die Werkstatt steht allen behinderten Menschen i.S. des Abs. 1 offen, sofern erwartet werden kann, dass sie spätestens nach Teilnahme an Maßnahmen im Berufsbildungsbereich wenigstens ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erbringen werden") jedoch kaum zu widerlegen sein. Das LSG hätte deshalb gar nicht in Ermittlungen (Befragung der Mutter der Klägerin) eintreten dürfen.
Dies ist allerdings revisionsrechtlich ohne Bedeutung. Denn es fehlen die tatsächlichen Feststellungen des LSG, die für die Beurteilung der Eigenständigkeit im Sinne der Senatsrechtsprechung maßgeblich sind. Die Ausführungen des LSG basieren vielmehr auf der vom Senat nicht geteilten Ansicht, es müsse eine eigeninitiative Beteiligung im Sinne einer autonomen Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit des behinderten Menschen vorliegen und Eigenständigkeit könne nur bejaht werden, wenn der behinderte Mensch ohne Anleitung und ohne extrinsische Motivation (qualitativ und quantitativ) in etwa gleichwertig mit dem nichtbehinderten Menschen Tätigkeiten im Haushalt verrichtet. Wenn das LSG zudem ausführt, die Kosten der Haushaltsführung trage allein die Mutter der Klägerin, ist dies rechtlich ebenso ohne Bedeutung wie die Frage, ob ein behinderter Mensch in der Lage ist, eine Wohnung anzumieten - das LSG verneint dies und nimmt dies als weiteren Beleg für eine fehlende Eigenständigkeit in dem von ihm verstandenen Sinn. Zu den eigentlichen Voraussetzungen hat das LSG - ausgehend von seiner Rechtsauffassung - keine Feststellungen getroffen.
Für das Verfahren beim LSG, in dem ohne neue Begrenzung des Streitgegenstands über die gesamten Grundsicherungsleistungen zu befinden sein wird, soll nur ergänzend darauf hingewiesen werden, dass die der Regelbedarfsstufe 3 zugrunde gelegte Ersparnis von 20 % in Mehrpersonenhaushalten, die keine Paarhaushalte im Sinne der Regelbedarfsstufe 2 sind, statistisch nicht belegt sind (vgl. BT-Drucks 17/3404, 130, und Rundschreiben 2015/3 - Regelbedarfsstufe 3 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 16.2.2015; zu den maßgeblichen Kriterien vgl. BVerfGE 125, 175 ff = SozR 4-4200 § 20 Nr. 12). Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 23.7.2014 (1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13 - RdNr. 100 - BGBl I 1581) zur Bestimmung des Regelbedarfs zusammenlebender und gemeinsam wirtschaftender Erwachsener (90 % des im SGB II für eine alleinstehende Person geltenden Regelbedarfs) Aussagen nur für Paarhaushalte im Sinne der Regelbedarfsstufe 2, nicht aber für die hier maßgebliche Regelbedarfsstufe 3 getroffen; auf das im SGB II wegen der Besonderheit der Bedarfsgemeinschaft abweichende normative Begriffsverständnis hat der Senat im Übrigen bereits hingewiesen (Urteil vom 23.7.2014 - B 8 SO 14/13 R - RdNr. 18). Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des gesetzgeberischen Vorgehens insoweit lässt der Senat gegenwärtig offen.
Das LSG wird ggf. über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.